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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Nation und Staat

so Vielsprachig wie die Babylonier des Turmbaues und laufen doch in der
Schlacht nicht aus einander wie jene Himmelsstürmer. ^) Die preußische Wehr¬
pflicht warf nicht allein das alte Kriegswesen um, sondern gewann auch einen
Einfluß auf das gesamte Volksleben, der in seiner ganzen Ausdehnung erst in
der neuern Zeit gewürdigt werden konnte. Die materielle Macht, die das
preußische System den Staaten zugeführt hat, ist sehr groß. Dieser Macht¬
zuwachs aber, sowie der erzieherische Nutzen, den die allgemeine Wehrpflicht
dem Volke bringt, sind nicht ganz ohne Opfer erkauft worden. Eine Schatten¬
seite ist die verstärkte Neigung des Staats, die für den Kriegsdienst not¬
wendige Kenntnis der deutschen Sprache schon durch den Schulzwang in
den undeutschen Gebieten zu verbreiten. Die einzigen Länder, wo noch der
nationale Kampf nicht tobt, sind Amerika, die Schweiz, England, die Staaten
ohne allgemeine Wehrpflicht preußischen Musters. In der Schweizer Miliz sind
die verschiednen Sprachen gleichberechtigt.^) In England quillt der irische
Streit aus uralten Quellen, die wenig mit dem modernen Nationalfanatis¬
mus zu thun haben. Wenn für den deutschen Soldaten die Kenntnis der
deutschen Sprache bis zu einem gewissen Grade nötig ist, so soll sie verlangt
werden für diesen Zweck. Der Pole oder Lothringer, der sie beim Eintritt in
den Dienst nicht hat und sie im Laufe der zwei Dienstjahre nicht erwirbt,
möge ein Jahr länger im Dienst behalten werden. Ein Gesetz dieses Inhalts
würde überall als gerecht anerkannt werden, wenn zugleich Polen, Dänen,
Lothringern freigelassen würde, ihre Kinder in eignen undeutschen Schulen zu
erziehn. Sie würden selbst dafür sorgen, daß ihre Söhne soweit deutsch lernen,
um ein drittes Dienstjahr zu ersparen.

Wo der Staat nicht in das Ringen der Nationen eingreift, da fehlt das
Gewaltsame, Gehässige dieses Ringens. Niemand empfindet es als Zwang,
wenn im Rhonethal in der alten deutschen Stadt Sitten jährlich ein Haus
nach dem andern an französische Besitzer fällt, wenn die Deutschen, in franzö¬
sischer Schule erzogen, Franzosen werden, wenn endlich die Mehrheit der Be¬
wohner französisch geworden ist, die öffentlichen Anstalten demgemäß der
herrschenden Nationalität folgen, und in einigen Jahren aus der uralten
Bischofsstadt Sitten ein französisches Sion geworden ist. Ebenso friedlich
dringt das Deutschtum im Südosten, in Graubünden vor gegen das romanische
und italienische Element. Das ist der natürliche Gang des Ringens, der
friedliche, in dem das Volk siegt, das ein stärkeres nationales Selbstgefühl,
überlegne Kultur, tüchtigere Arbeitskraft, feinere, vornehmere Formen des Um¬
gangs, größere Energie des Charakters hat. Der Franzose wird gegenüber




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Nur deshalb, weil die gebildete" deutschen Schweizer so freundlich sind, auch französisch
A, d, R, oder italienisch zu verstehn,
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Nation und Staat

so Vielsprachig wie die Babylonier des Turmbaues und laufen doch in der
Schlacht nicht aus einander wie jene Himmelsstürmer. ^) Die preußische Wehr¬
pflicht warf nicht allein das alte Kriegswesen um, sondern gewann auch einen
Einfluß auf das gesamte Volksleben, der in seiner ganzen Ausdehnung erst in
der neuern Zeit gewürdigt werden konnte. Die materielle Macht, die das
preußische System den Staaten zugeführt hat, ist sehr groß. Dieser Macht¬
zuwachs aber, sowie der erzieherische Nutzen, den die allgemeine Wehrpflicht
dem Volke bringt, sind nicht ganz ohne Opfer erkauft worden. Eine Schatten¬
seite ist die verstärkte Neigung des Staats, die für den Kriegsdienst not¬
wendige Kenntnis der deutschen Sprache schon durch den Schulzwang in
den undeutschen Gebieten zu verbreiten. Die einzigen Länder, wo noch der
nationale Kampf nicht tobt, sind Amerika, die Schweiz, England, die Staaten
ohne allgemeine Wehrpflicht preußischen Musters. In der Schweizer Miliz sind
die verschiednen Sprachen gleichberechtigt.^) In England quillt der irische
Streit aus uralten Quellen, die wenig mit dem modernen Nationalfanatis¬
mus zu thun haben. Wenn für den deutschen Soldaten die Kenntnis der
deutschen Sprache bis zu einem gewissen Grade nötig ist, so soll sie verlangt
werden für diesen Zweck. Der Pole oder Lothringer, der sie beim Eintritt in
den Dienst nicht hat und sie im Laufe der zwei Dienstjahre nicht erwirbt,
möge ein Jahr länger im Dienst behalten werden. Ein Gesetz dieses Inhalts
würde überall als gerecht anerkannt werden, wenn zugleich Polen, Dänen,
Lothringern freigelassen würde, ihre Kinder in eignen undeutschen Schulen zu
erziehn. Sie würden selbst dafür sorgen, daß ihre Söhne soweit deutsch lernen,
um ein drittes Dienstjahr zu ersparen.

Wo der Staat nicht in das Ringen der Nationen eingreift, da fehlt das
Gewaltsame, Gehässige dieses Ringens. Niemand empfindet es als Zwang,
wenn im Rhonethal in der alten deutschen Stadt Sitten jährlich ein Haus
nach dem andern an französische Besitzer fällt, wenn die Deutschen, in franzö¬
sischer Schule erzogen, Franzosen werden, wenn endlich die Mehrheit der Be¬
wohner französisch geworden ist, die öffentlichen Anstalten demgemäß der
herrschenden Nationalität folgen, und in einigen Jahren aus der uralten
Bischofsstadt Sitten ein französisches Sion geworden ist. Ebenso friedlich
dringt das Deutschtum im Südosten, in Graubünden vor gegen das romanische
und italienische Element. Das ist der natürliche Gang des Ringens, der
friedliche, in dem das Volk siegt, das ein stärkeres nationales Selbstgefühl,
überlegne Kultur, tüchtigere Arbeitskraft, feinere, vornehmere Formen des Um¬
gangs, größere Energie des Charakters hat. Der Franzose wird gegenüber




A, d, N, ") Dus fragt sich noch!
Nur deshalb, weil die gebildete» deutschen Schweizer so freundlich sind, auch französisch
A, d, R, oder italienisch zu verstehn,
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[0705] Nation und Staat so Vielsprachig wie die Babylonier des Turmbaues und laufen doch in der Schlacht nicht aus einander wie jene Himmelsstürmer. ^) Die preußische Wehr¬ pflicht warf nicht allein das alte Kriegswesen um, sondern gewann auch einen Einfluß auf das gesamte Volksleben, der in seiner ganzen Ausdehnung erst in der neuern Zeit gewürdigt werden konnte. Die materielle Macht, die das preußische System den Staaten zugeführt hat, ist sehr groß. Dieser Macht¬ zuwachs aber, sowie der erzieherische Nutzen, den die allgemeine Wehrpflicht dem Volke bringt, sind nicht ganz ohne Opfer erkauft worden. Eine Schatten¬ seite ist die verstärkte Neigung des Staats, die für den Kriegsdienst not¬ wendige Kenntnis der deutschen Sprache schon durch den Schulzwang in den undeutschen Gebieten zu verbreiten. Die einzigen Länder, wo noch der nationale Kampf nicht tobt, sind Amerika, die Schweiz, England, die Staaten ohne allgemeine Wehrpflicht preußischen Musters. In der Schweizer Miliz sind die verschiednen Sprachen gleichberechtigt.^) In England quillt der irische Streit aus uralten Quellen, die wenig mit dem modernen Nationalfanatis¬ mus zu thun haben. Wenn für den deutschen Soldaten die Kenntnis der deutschen Sprache bis zu einem gewissen Grade nötig ist, so soll sie verlangt werden für diesen Zweck. Der Pole oder Lothringer, der sie beim Eintritt in den Dienst nicht hat und sie im Laufe der zwei Dienstjahre nicht erwirbt, möge ein Jahr länger im Dienst behalten werden. Ein Gesetz dieses Inhalts würde überall als gerecht anerkannt werden, wenn zugleich Polen, Dänen, Lothringern freigelassen würde, ihre Kinder in eignen undeutschen Schulen zu erziehn. Sie würden selbst dafür sorgen, daß ihre Söhne soweit deutsch lernen, um ein drittes Dienstjahr zu ersparen. Wo der Staat nicht in das Ringen der Nationen eingreift, da fehlt das Gewaltsame, Gehässige dieses Ringens. Niemand empfindet es als Zwang, wenn im Rhonethal in der alten deutschen Stadt Sitten jährlich ein Haus nach dem andern an französische Besitzer fällt, wenn die Deutschen, in franzö¬ sischer Schule erzogen, Franzosen werden, wenn endlich die Mehrheit der Be¬ wohner französisch geworden ist, die öffentlichen Anstalten demgemäß der herrschenden Nationalität folgen, und in einigen Jahren aus der uralten Bischofsstadt Sitten ein französisches Sion geworden ist. Ebenso friedlich dringt das Deutschtum im Südosten, in Graubünden vor gegen das romanische und italienische Element. Das ist der natürliche Gang des Ringens, der friedliche, in dem das Volk siegt, das ein stärkeres nationales Selbstgefühl, überlegne Kultur, tüchtigere Arbeitskraft, feinere, vornehmere Formen des Um¬ gangs, größere Energie des Charakters hat. Der Franzose wird gegenüber A, d, N, ") Dus fragt sich noch! Nur deshalb, weil die gebildete» deutschen Schweizer so freundlich sind, auch französisch A, d, R, oder italienisch zu verstehn, Grenzboten t 18W W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/705>, abgerufen am 26.08.2024.