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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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ohne Störung vollzieht,, so muß je eine solche Gemeinschaft für ihren be¬
sondern Zweck gedrillt sein und einem Kommando gehorchen, und sollen die
verschiednen Gemeinschaften einander gegenseitig nicht stören, so muß es eine
Oberleitung geben, die ihr geordnetes Zusammenwirken und Ineinandergreifen
verbürgt, das heißt eine Negierung. Die kann also durch keine Vernunft der
Einzelnen ersetzt werden. Gewiß kann diese auch uicht entbehrt werden. Gewiß
geht auf die Dauer jeder Staatsorganismus zu Grunde, der durch die Unter¬
drückung der Vernunft in den Einzelnen zum bloßen Mechanismus geworden
ist. Gewiß bleibt auch ini vollkommensten Staatsgetriebe dessen, was die Ver¬
nunft der Einzelnen zu leisten hat, unendlich viel mehr, als was die gleich¬
mäßig klappernde und gut klappende militürisch-bureaukratisch-polizeiliche Ma¬
schine leistet, aber entbehrt werden könnte diese nur in einem sehr kleinen und
ganz einfachen Gemeinwesen, z. B. in einer 10000 Seelen zählenden und vor
jedem Konflikt mit der Außenwelt geschützten, d. h. von jedem Verkehr mit
ihr abgeschnittnen Bauernrepublik. Eine solche könnte thatsächlich mit der
Vernunft ihrer Mitglieder auskommen. Nur leider könnte ein solches Gemein¬
wesen keine Kultur erzeugen, und hätten seine Mitglieder die Kultur nicht von
anders woher mitgebracht -- etwa als Flüchtlinge aus unsrer Kulturwelt --,
so würde ihre Vernunft nicht sonderlich erleuchtet sein, sie würden beschränkt,
unwissend und abergläubisch sein.

Holbach hat, wie alle Nationalisten, nur immer den Menschen in abstraoto
vor Augen und übersieht die Verwicklungen der Gesellschaft; er denkt sich diese
zu einfach. Ist es nicht rührend kindlich, wenn er I, 186 schreibt: "Wenn
ich König wäre (vorausgesetzt, daß die Krone nicht die Eigenschaften meines
Herzens verwandelte), ich vermute, ich würde glücklicher sein jais die Könige
gewöhnlich sind^. Voll Liebe für die Völker, denke ich, würde ich von ihnen
geliebt werden. Statt ans eine unumschränkte Herrschaft über verächtliche
Sklaven stolz zu sein, würde ich sie der Freiheit sich erfreuen lassen, auf die
ihnen ihre Natur ein Anrecht giebt. Das Vertrauen meiner Unterthanen
würde mich in den Stand setzen, ohne Anwendung von Gewalt eine unum¬
schränkte Herrschaft auszuüben, und diese Herrschaft würde fester gegründet
sein als eine, die sich auf Söldnerheere stützt" und so sort anderthalb Seiten
lang. Welches Glück für Holbach, daß er 1789 gestorben ist, denn er war
ein edler Mann und hat es ehrlich gemeint; wie unglücklich würde es ihn ge¬
macht haben, die in Robespierre verkörperte Herrschaft der Vernunft, Gerechtig¬
keit und Menschenliebe ansehen zu müssen!

Dieses naive: "wenn ich König wäre" beleuchtet übrigens sehr hübsch den
Umschlag des politischen Nationalismus in sein Gegenteil. Seine Aufgabe
war es, die Völker davon zu überzeugen, daß ihnen weder die Priesterherrschaft
noch die absolute Monarchie "von Gottes Gnaden" zum Heile gereiche. Diese
Aufgabe hat er erfüllt, denn giebt es auch heute noch Millionen kindliche


ohne Störung vollzieht,, so muß je eine solche Gemeinschaft für ihren be¬
sondern Zweck gedrillt sein und einem Kommando gehorchen, und sollen die
verschiednen Gemeinschaften einander gegenseitig nicht stören, so muß es eine
Oberleitung geben, die ihr geordnetes Zusammenwirken und Ineinandergreifen
verbürgt, das heißt eine Negierung. Die kann also durch keine Vernunft der
Einzelnen ersetzt werden. Gewiß kann diese auch uicht entbehrt werden. Gewiß
geht auf die Dauer jeder Staatsorganismus zu Grunde, der durch die Unter¬
drückung der Vernunft in den Einzelnen zum bloßen Mechanismus geworden
ist. Gewiß bleibt auch ini vollkommensten Staatsgetriebe dessen, was die Ver¬
nunft der Einzelnen zu leisten hat, unendlich viel mehr, als was die gleich¬
mäßig klappernde und gut klappende militürisch-bureaukratisch-polizeiliche Ma¬
schine leistet, aber entbehrt werden könnte diese nur in einem sehr kleinen und
ganz einfachen Gemeinwesen, z. B. in einer 10000 Seelen zählenden und vor
jedem Konflikt mit der Außenwelt geschützten, d. h. von jedem Verkehr mit
ihr abgeschnittnen Bauernrepublik. Eine solche könnte thatsächlich mit der
Vernunft ihrer Mitglieder auskommen. Nur leider könnte ein solches Gemein¬
wesen keine Kultur erzeugen, und hätten seine Mitglieder die Kultur nicht von
anders woher mitgebracht — etwa als Flüchtlinge aus unsrer Kulturwelt —,
so würde ihre Vernunft nicht sonderlich erleuchtet sein, sie würden beschränkt,
unwissend und abergläubisch sein.

Holbach hat, wie alle Nationalisten, nur immer den Menschen in abstraoto
vor Augen und übersieht die Verwicklungen der Gesellschaft; er denkt sich diese
zu einfach. Ist es nicht rührend kindlich, wenn er I, 186 schreibt: „Wenn
ich König wäre (vorausgesetzt, daß die Krone nicht die Eigenschaften meines
Herzens verwandelte), ich vermute, ich würde glücklicher sein jais die Könige
gewöhnlich sind^. Voll Liebe für die Völker, denke ich, würde ich von ihnen
geliebt werden. Statt ans eine unumschränkte Herrschaft über verächtliche
Sklaven stolz zu sein, würde ich sie der Freiheit sich erfreuen lassen, auf die
ihnen ihre Natur ein Anrecht giebt. Das Vertrauen meiner Unterthanen
würde mich in den Stand setzen, ohne Anwendung von Gewalt eine unum¬
schränkte Herrschaft auszuüben, und diese Herrschaft würde fester gegründet
sein als eine, die sich auf Söldnerheere stützt" und so sort anderthalb Seiten
lang. Welches Glück für Holbach, daß er 1789 gestorben ist, denn er war
ein edler Mann und hat es ehrlich gemeint; wie unglücklich würde es ihn ge¬
macht haben, die in Robespierre verkörperte Herrschaft der Vernunft, Gerechtig¬
keit und Menschenliebe ansehen zu müssen!

Dieses naive: „wenn ich König wäre" beleuchtet übrigens sehr hübsch den
Umschlag des politischen Nationalismus in sein Gegenteil. Seine Aufgabe
war es, die Völker davon zu überzeugen, daß ihnen weder die Priesterherrschaft
noch die absolute Monarchie „von Gottes Gnaden" zum Heile gereiche. Diese
Aufgabe hat er erfüllt, denn giebt es auch heute noch Millionen kindliche


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[0694] ohne Störung vollzieht,, so muß je eine solche Gemeinschaft für ihren be¬ sondern Zweck gedrillt sein und einem Kommando gehorchen, und sollen die verschiednen Gemeinschaften einander gegenseitig nicht stören, so muß es eine Oberleitung geben, die ihr geordnetes Zusammenwirken und Ineinandergreifen verbürgt, das heißt eine Negierung. Die kann also durch keine Vernunft der Einzelnen ersetzt werden. Gewiß kann diese auch uicht entbehrt werden. Gewiß geht auf die Dauer jeder Staatsorganismus zu Grunde, der durch die Unter¬ drückung der Vernunft in den Einzelnen zum bloßen Mechanismus geworden ist. Gewiß bleibt auch ini vollkommensten Staatsgetriebe dessen, was die Ver¬ nunft der Einzelnen zu leisten hat, unendlich viel mehr, als was die gleich¬ mäßig klappernde und gut klappende militürisch-bureaukratisch-polizeiliche Ma¬ schine leistet, aber entbehrt werden könnte diese nur in einem sehr kleinen und ganz einfachen Gemeinwesen, z. B. in einer 10000 Seelen zählenden und vor jedem Konflikt mit der Außenwelt geschützten, d. h. von jedem Verkehr mit ihr abgeschnittnen Bauernrepublik. Eine solche könnte thatsächlich mit der Vernunft ihrer Mitglieder auskommen. Nur leider könnte ein solches Gemein¬ wesen keine Kultur erzeugen, und hätten seine Mitglieder die Kultur nicht von anders woher mitgebracht — etwa als Flüchtlinge aus unsrer Kulturwelt —, so würde ihre Vernunft nicht sonderlich erleuchtet sein, sie würden beschränkt, unwissend und abergläubisch sein. Holbach hat, wie alle Nationalisten, nur immer den Menschen in abstraoto vor Augen und übersieht die Verwicklungen der Gesellschaft; er denkt sich diese zu einfach. Ist es nicht rührend kindlich, wenn er I, 186 schreibt: „Wenn ich König wäre (vorausgesetzt, daß die Krone nicht die Eigenschaften meines Herzens verwandelte), ich vermute, ich würde glücklicher sein jais die Könige gewöhnlich sind^. Voll Liebe für die Völker, denke ich, würde ich von ihnen geliebt werden. Statt ans eine unumschränkte Herrschaft über verächtliche Sklaven stolz zu sein, würde ich sie der Freiheit sich erfreuen lassen, auf die ihnen ihre Natur ein Anrecht giebt. Das Vertrauen meiner Unterthanen würde mich in den Stand setzen, ohne Anwendung von Gewalt eine unum¬ schränkte Herrschaft auszuüben, und diese Herrschaft würde fester gegründet sein als eine, die sich auf Söldnerheere stützt" und so sort anderthalb Seiten lang. Welches Glück für Holbach, daß er 1789 gestorben ist, denn er war ein edler Mann und hat es ehrlich gemeint; wie unglücklich würde es ihn ge¬ macht haben, die in Robespierre verkörperte Herrschaft der Vernunft, Gerechtig¬ keit und Menschenliebe ansehen zu müssen! Dieses naive: „wenn ich König wäre" beleuchtet übrigens sehr hübsch den Umschlag des politischen Nationalismus in sein Gegenteil. Seine Aufgabe war es, die Völker davon zu überzeugen, daß ihnen weder die Priesterherrschaft noch die absolute Monarchie „von Gottes Gnaden" zum Heile gereiche. Diese Aufgabe hat er erfüllt, denn giebt es auch heute noch Millionen kindliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/694>, abgerufen am 23.07.2024.