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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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vermeiden, und auch die Gefahr des Verlustes des Verstcheruugsanspruchs ist
nicht imstande, den Versicherten beständig bei voller Aufmerksamkeit zu er¬
halten. Wenn ferner der Versicherte für das Thun seiner Familienglieder und
Hausgenossen verantwortlich gemacht wird, so ist dies ungerecht, weil erfah¬
rungsgemäß zahlreiche Brände von Kindern und Hausgenossen des Versicherten
verursacht werden, wo dieser völlig frei von Schuld ist, eine Verhütung des
Unglücks gar nicht möglich war. Das Bürgerliche Gesetzbuch setzt eine Haf¬
tung der Eltern, des Dienstherr" usw. für unerlaubte Handlungen der Kinder
und der Angestellten fest, und die Gesellschaften werden, selbst wenn gesetzlich
die Ersatzvslicht nur bei einem dem Versicherten selbst zur Last fallenden Ver¬
schulden wegfüllt, versuchen, dem Versicherten die gesetzlich zustehende Ent¬
schädigung auf dem Umwege wieder zu entziehen, indem sie aus dieser gesetz¬
lichen Bestimmung eine Haftung des Versicherten für den von Kindern und
von Angestellten verursachten Brand herleiten. Diesem Versuch, dem das
Reichsgericht (im Gebiet des rheinischen Rechts) entgegengetreten ist, muß auch
durch eine entsprechende gesetzliche Bestimmung vorgebeugt werden.

6. Oft findet sich in den "allgemeinen Bedingungen" die Bestimmung,
daß, wenn der Versicherte im Laufe der Versicherung eine Vermehrung der
Feuergefährlichkeit herbeiführt oder zuläßt, die Versicherung bis zur schrift¬
lichen Genehmigung dieser Veränderung durch die Gesellschaft "ruht"; daß ein
solches "Ruhen" ferner eintritt, wenn der Versicherte von Umständen, die un¬
abhängig von seinem Willen eintreten und die Feuergeführlichkeit vermehren,
nicht sofort der Gesellschaft Anzeige macht, daß aber im letzten Fall die
Gesellschaft berechtigt ist, die Versicherung durch schriftliche Anzeige mit
Ablauf von zwei Wochen aufzuheben. Durch derartige Bestimmungen werden
dein Versicherten Pflichten auferlegt, denen er selbst bei größter Aufmerk¬
samkeit kaum gewachsen ist. Eine auf bösliche Absicht oder grobes Ver¬
schulden des Versicherten zurückzuführende Vermehrung der Feuersgefahr ver¬
dient keinen Schutz; dagegen ist das bloße "Zulassen" der Vermehrung ein
ganz unbestimmter Begriff; der Versicherte, der seinen Berufsgeschäften nach¬
zugehen hat, kann nicht auf der Lauer liegen, um zu beobachten, ob seine
Hausgenossen oder Mieter Dinge zu treiben beginnen, die die Feuergefährlich¬
keit vermehren, noch weniger kann man ihm zumuten, mit der Gesellschaft in
jeweiligen Briefwechsel zu treten, wenn als Mitmieter in das Haus ein Feuer¬
werkskünstler einzieht oder in dem Nachbarhause eine Schmiede angelegt wird;
der Versicherte wird sich beim besten Willen nicht darüber bewußt, daß in
diesen unabhängig von seinem Willen eintretenden, aber von ihm beobachteten
Vorgängen eine Vermehrung der Feuersgefahr liegt, zumal da thatsächlich
uicht im entferntesten feststeht, daß sich bei Beschäftigungen der gedachten Art
Feuersbrünste häufiger ereignen als bei andern Leuten. Den Versicherten trifft
also darin, daß er der Gesellschaft von den gedachten Vorgängen keine Anzeige


vermeiden, und auch die Gefahr des Verlustes des Verstcheruugsanspruchs ist
nicht imstande, den Versicherten beständig bei voller Aufmerksamkeit zu er¬
halten. Wenn ferner der Versicherte für das Thun seiner Familienglieder und
Hausgenossen verantwortlich gemacht wird, so ist dies ungerecht, weil erfah¬
rungsgemäß zahlreiche Brände von Kindern und Hausgenossen des Versicherten
verursacht werden, wo dieser völlig frei von Schuld ist, eine Verhütung des
Unglücks gar nicht möglich war. Das Bürgerliche Gesetzbuch setzt eine Haf¬
tung der Eltern, des Dienstherr» usw. für unerlaubte Handlungen der Kinder
und der Angestellten fest, und die Gesellschaften werden, selbst wenn gesetzlich
die Ersatzvslicht nur bei einem dem Versicherten selbst zur Last fallenden Ver¬
schulden wegfüllt, versuchen, dem Versicherten die gesetzlich zustehende Ent¬
schädigung auf dem Umwege wieder zu entziehen, indem sie aus dieser gesetz¬
lichen Bestimmung eine Haftung des Versicherten für den von Kindern und
von Angestellten verursachten Brand herleiten. Diesem Versuch, dem das
Reichsgericht (im Gebiet des rheinischen Rechts) entgegengetreten ist, muß auch
durch eine entsprechende gesetzliche Bestimmung vorgebeugt werden.

6. Oft findet sich in den „allgemeinen Bedingungen" die Bestimmung,
daß, wenn der Versicherte im Laufe der Versicherung eine Vermehrung der
Feuergefährlichkeit herbeiführt oder zuläßt, die Versicherung bis zur schrift¬
lichen Genehmigung dieser Veränderung durch die Gesellschaft „ruht"; daß ein
solches „Ruhen" ferner eintritt, wenn der Versicherte von Umständen, die un¬
abhängig von seinem Willen eintreten und die Feuergeführlichkeit vermehren,
nicht sofort der Gesellschaft Anzeige macht, daß aber im letzten Fall die
Gesellschaft berechtigt ist, die Versicherung durch schriftliche Anzeige mit
Ablauf von zwei Wochen aufzuheben. Durch derartige Bestimmungen werden
dein Versicherten Pflichten auferlegt, denen er selbst bei größter Aufmerk¬
samkeit kaum gewachsen ist. Eine auf bösliche Absicht oder grobes Ver¬
schulden des Versicherten zurückzuführende Vermehrung der Feuersgefahr ver¬
dient keinen Schutz; dagegen ist das bloße „Zulassen" der Vermehrung ein
ganz unbestimmter Begriff; der Versicherte, der seinen Berufsgeschäften nach¬
zugehen hat, kann nicht auf der Lauer liegen, um zu beobachten, ob seine
Hausgenossen oder Mieter Dinge zu treiben beginnen, die die Feuergefährlich¬
keit vermehren, noch weniger kann man ihm zumuten, mit der Gesellschaft in
jeweiligen Briefwechsel zu treten, wenn als Mitmieter in das Haus ein Feuer¬
werkskünstler einzieht oder in dem Nachbarhause eine Schmiede angelegt wird;
der Versicherte wird sich beim besten Willen nicht darüber bewußt, daß in
diesen unabhängig von seinem Willen eintretenden, aber von ihm beobachteten
Vorgängen eine Vermehrung der Feuersgefahr liegt, zumal da thatsächlich
uicht im entferntesten feststeht, daß sich bei Beschäftigungen der gedachten Art
Feuersbrünste häufiger ereignen als bei andern Leuten. Den Versicherten trifft
also darin, daß er der Gesellschaft von den gedachten Vorgängen keine Anzeige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/662>, abgerufen am 23.07.2024.