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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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stimmten Frist die Klage auf Zahlung des Brandschadens erhebt oder das
Verzeichnis der vor dem Brande vorhanden gewesenen und Verlornen Gegen¬
stände nicht rechtzeitig einreicht usw. Sicherlich wäre es sachgemäßer, derartige
Gründe ein für alle mal durch das Gesetz festzulegen, anstatt sie den in Einzel¬
heiten schwankenden und jederzeit abänderlichen klein gedruckten "allgemeinen
Bedingungen" zu überlassen, und bei dieser gesetzlichen Festlegung wären auf
Grund der Erfahrungen der Rechtsprechung die Mängel und Mißstände zu
beseitigen, die sich auch hier aus der von den Gesellschaften einseitig erfolgten
Regelung zum Nachteil der Versicherten ergeben. Insbesondre wäre zu be¬
stimmen, daß dieses Erlöschen der Rechte des Versicherten nach den allgemeinen
Grundsätzen des bürgerlichen Rechts ein Verschulden des Versicherten zur
Voraussetzung hat; die "allgemeinen Bedingungen" der Gesellschaften bringen
das letzte nicht zum Ausdruck oder stehn hier gar auf dem entgegengesetzten
Standpunkt. Es widerspricht aber dem Rechtsgefühl, daß der Versicherte den
Anspruch auf die Versicherungseutschädigung verliert, obwohl er durch höhere
Gewalt, z. B. Krankheit, oder durch Verschulden des Agenten ganze Zeiträume
hindurch an der Zahlung der Prämie oder an der vorgeschriebnen sofortigen
Anzeige des Brandnnglücks verhindert war, zu den genannten Maßnahmen
vielleicht überhaupt noch keine Gelegenheit hatte; ebenso ist es ungerecht, den
Anspruch erlöschen zu lassen, wenn der Versicherte die vorgeschriebne Anzeige
deshalb unterließ, weil dem Agenten und der Polizei das Brandunglück schon
anderweit bekannt war, sodaß der Versicherte verständigerweise von einer be¬
sondern Anzeige absehen zu können glaubte; es widerspricht endlich dem Rechts-
gefühl, daß der Versicherte den Anspruch wegen nicht rechtzeitiger Einreichung
des Verzeichnisses oder wegen verspäteter Klageerhebung verlieren soll, wenn
er sofort nach dein Brandunglück verhaftet wurde, oder wenn er von der recht¬
zeitigen Einreichung der Klage deshalb absah, weil der Brandinspektor der
Gesellschaft als angeblich berechtigter Vertreter die Zahlung des von ihm fest¬
gestellten Schadenbetrags in sichre Aussicht gestellt hatte.

Im wesentlichen stehen diese hier dargelegten Forderungen mit der Recht¬
sprechung im Einklang, und eine gesetzliche Festlegung dieser Grundsätze ist
daher zur Vermeidung neuer Zweifel bei der Einführung des zukünftigen Rechts
dringend erwünscht; ebenso wünschenswert wäre eine gesetzliche Feststellung, daß
die Entschüdignngspflicht der Gesellschaft nur wegfällt, wenn der Brand durch
Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Versicherten selbst verursacht worden ist,
während gegenwärtig nach den "allgemeinen Bedingungen" und "Statuten"
(namentlich der öffentlichen VersicherlNigsanstalteu) dieser Wegfall häufig schon
eintritt, wenn der Brand verursacht worden ist durch müßiges Versehen des
Versicherten oder gar durch Verschulden seiner Kinder und sonstigen Haus¬
genossen. Bestimmungen solcher Art gefährden ohne rechtfertigenden Grund
den Zweck der Versicherung; müßige Versehen sind eben im Leben nicht zu


stimmten Frist die Klage auf Zahlung des Brandschadens erhebt oder das
Verzeichnis der vor dem Brande vorhanden gewesenen und Verlornen Gegen¬
stände nicht rechtzeitig einreicht usw. Sicherlich wäre es sachgemäßer, derartige
Gründe ein für alle mal durch das Gesetz festzulegen, anstatt sie den in Einzel¬
heiten schwankenden und jederzeit abänderlichen klein gedruckten „allgemeinen
Bedingungen" zu überlassen, und bei dieser gesetzlichen Festlegung wären auf
Grund der Erfahrungen der Rechtsprechung die Mängel und Mißstände zu
beseitigen, die sich auch hier aus der von den Gesellschaften einseitig erfolgten
Regelung zum Nachteil der Versicherten ergeben. Insbesondre wäre zu be¬
stimmen, daß dieses Erlöschen der Rechte des Versicherten nach den allgemeinen
Grundsätzen des bürgerlichen Rechts ein Verschulden des Versicherten zur
Voraussetzung hat; die „allgemeinen Bedingungen" der Gesellschaften bringen
das letzte nicht zum Ausdruck oder stehn hier gar auf dem entgegengesetzten
Standpunkt. Es widerspricht aber dem Rechtsgefühl, daß der Versicherte den
Anspruch auf die Versicherungseutschädigung verliert, obwohl er durch höhere
Gewalt, z. B. Krankheit, oder durch Verschulden des Agenten ganze Zeiträume
hindurch an der Zahlung der Prämie oder an der vorgeschriebnen sofortigen
Anzeige des Brandnnglücks verhindert war, zu den genannten Maßnahmen
vielleicht überhaupt noch keine Gelegenheit hatte; ebenso ist es ungerecht, den
Anspruch erlöschen zu lassen, wenn der Versicherte die vorgeschriebne Anzeige
deshalb unterließ, weil dem Agenten und der Polizei das Brandunglück schon
anderweit bekannt war, sodaß der Versicherte verständigerweise von einer be¬
sondern Anzeige absehen zu können glaubte; es widerspricht endlich dem Rechts-
gefühl, daß der Versicherte den Anspruch wegen nicht rechtzeitiger Einreichung
des Verzeichnisses oder wegen verspäteter Klageerhebung verlieren soll, wenn
er sofort nach dein Brandunglück verhaftet wurde, oder wenn er von der recht¬
zeitigen Einreichung der Klage deshalb absah, weil der Brandinspektor der
Gesellschaft als angeblich berechtigter Vertreter die Zahlung des von ihm fest¬
gestellten Schadenbetrags in sichre Aussicht gestellt hatte.

Im wesentlichen stehen diese hier dargelegten Forderungen mit der Recht¬
sprechung im Einklang, und eine gesetzliche Festlegung dieser Grundsätze ist
daher zur Vermeidung neuer Zweifel bei der Einführung des zukünftigen Rechts
dringend erwünscht; ebenso wünschenswert wäre eine gesetzliche Feststellung, daß
die Entschüdignngspflicht der Gesellschaft nur wegfällt, wenn der Brand durch
Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Versicherten selbst verursacht worden ist,
während gegenwärtig nach den „allgemeinen Bedingungen" und „Statuten"
(namentlich der öffentlichen VersicherlNigsanstalteu) dieser Wegfall häufig schon
eintritt, wenn der Brand verursacht worden ist durch müßiges Versehen des
Versicherten oder gar durch Verschulden seiner Kinder und sonstigen Haus¬
genossen. Bestimmungen solcher Art gefährden ohne rechtfertigenden Grund
den Zweck der Versicherung; müßige Versehen sind eben im Leben nicht zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/661>, abgerufen am 23.07.2024.