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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zur reichsgesetzlichen Regelung des Versicherungsrechts

Gesellschaft ein Mittel zur Chikane gegen den Versicherten. Obwohl nämlich
nach den meisten der vorhandnen ehelichen Güterrechte und ebenso auch nach
dem Bürgerlichen Gesetzbuch die Frau das Alleineigentum an dem von ihr in
die Ehe gebrachten Vermögen behält, gilt im Volksbewußtsein noch der Grund¬
satz des alten deutschen Rechts: "Mann und Weib haben kein gezweiet Gut
zu ihrem Leib"; demnach unterscheidet auch der vorsichtige und geschäftserfahrnc
Mann bei der Feuerversicherung nicht die ihm gehörigen Bestandteile der ehe¬
lichen Habe von denen seiner Frau; und am wenigsten bezeichnet er nach dem
Tode der Frau die Nachlaßstücke als ihm und seinen Kindern gehörig. Das
Zusammenleben der Familienmitglieder in einem Hausstande läßt die gesonderten
Eigentumsrechte der einzelnen Familienmitglieder nicht zur scharfen Vorstellung
gelangen; das ganze Familienvermögen erscheint als eine einheitliche Masse,
die dein Familienvater gehört, sodaß er bei der Feuerversicherung wohl nie
erwähnt, daß auch die Vermögensstücke seiner Angehörigen versichert sein sollen.
Nichtsdestoweniger haben wiederholt die Versicherungsgesellschaften wegen der¬
artiger unrichtiger Angaben die Bezahlung der Brandschadensumme unter Be¬
rufung auf jene oben angezogne Bestimmung der "allgemeinen Bedingungen"
verweigert und dein versicherten Familienhaupt Entschädigung nur für Stücke
bewilligt, die im strengen Sinn sein Eigentum sind; die Rechtsprechung schwankt
anch hier auffallend.

Thatsächlich ist indes gar kein Grund abzusehen, wieso der Versicherungs¬
lustige verpflichtet sein soll, der Gesellschaft darüber Mitteilung zu machen, ob
die versicherten Gegenstände sein oder eines dritten Eigentum sind; wenn jemand
in der Absicht, seine Gläubiger zu benachteiligen, seine Habe einem dritten
verkauft und sie von ihm wieder mietet, so beweist dies wohl, daß er in zer¬
rütteten Verhältnissen lebt und in gewisser Richtung nicht ganz lauter ist, nicht
aber daß er zu Brandstiftung oder Überversicherung neigt; die Gesellschaft, bei
der er seinen Mietbesitz versichern will, hat an diesem Sachverhalt ein viel ge¬
ringeres Interesse als der, der mit diesem Versicherungslustigen ein sonstiges
Geschäft, z. B. einen Mietvertrag, einen Kreditkauf, schließen will; es ist also
ungerechtfertigt, daß die Gesellschaft ihrer Zahlungspflicht enthoben sein soll,
weil der Versicherte ihr jenen Sachverhalt verschwiegen und die versicherten
Gegenstände demnach als sein Eigentum ausgegeben hat. Mau kann indes
gerade über diesen Fall andrer Ansicht sein, und die Gerichte können dann
auch ohne die besondre Vorschrift der "allgemeinen Bedingungen" die Zahlungs-,
Pflicht der Gesellschaft verneinen, weil der Versicherte auf Grund der allge¬
meinen Verpflichtung, alle für die Entschließung der Gesellschaft wichtigen Um¬
stände dieser mitzuteilen, einen so eigentümlichen Sachverhalt der Gesellschaft
uicht Hütte verheimlichen sollen. Dazu bedarf es also nicht ausdrücklicher
Sondervorschrifteu des Inhalts, wonach der Versicherungslustige in jedem Fall
Angaben über die Eigentumsverhäluiisse der zu verhindernden Habe zu machen


Zur reichsgesetzlichen Regelung des Versicherungsrechts

Gesellschaft ein Mittel zur Chikane gegen den Versicherten. Obwohl nämlich
nach den meisten der vorhandnen ehelichen Güterrechte und ebenso auch nach
dem Bürgerlichen Gesetzbuch die Frau das Alleineigentum an dem von ihr in
die Ehe gebrachten Vermögen behält, gilt im Volksbewußtsein noch der Grund¬
satz des alten deutschen Rechts: „Mann und Weib haben kein gezweiet Gut
zu ihrem Leib"; demnach unterscheidet auch der vorsichtige und geschäftserfahrnc
Mann bei der Feuerversicherung nicht die ihm gehörigen Bestandteile der ehe¬
lichen Habe von denen seiner Frau; und am wenigsten bezeichnet er nach dem
Tode der Frau die Nachlaßstücke als ihm und seinen Kindern gehörig. Das
Zusammenleben der Familienmitglieder in einem Hausstande läßt die gesonderten
Eigentumsrechte der einzelnen Familienmitglieder nicht zur scharfen Vorstellung
gelangen; das ganze Familienvermögen erscheint als eine einheitliche Masse,
die dein Familienvater gehört, sodaß er bei der Feuerversicherung wohl nie
erwähnt, daß auch die Vermögensstücke seiner Angehörigen versichert sein sollen.
Nichtsdestoweniger haben wiederholt die Versicherungsgesellschaften wegen der¬
artiger unrichtiger Angaben die Bezahlung der Brandschadensumme unter Be¬
rufung auf jene oben angezogne Bestimmung der „allgemeinen Bedingungen"
verweigert und dein versicherten Familienhaupt Entschädigung nur für Stücke
bewilligt, die im strengen Sinn sein Eigentum sind; die Rechtsprechung schwankt
anch hier auffallend.

Thatsächlich ist indes gar kein Grund abzusehen, wieso der Versicherungs¬
lustige verpflichtet sein soll, der Gesellschaft darüber Mitteilung zu machen, ob
die versicherten Gegenstände sein oder eines dritten Eigentum sind; wenn jemand
in der Absicht, seine Gläubiger zu benachteiligen, seine Habe einem dritten
verkauft und sie von ihm wieder mietet, so beweist dies wohl, daß er in zer¬
rütteten Verhältnissen lebt und in gewisser Richtung nicht ganz lauter ist, nicht
aber daß er zu Brandstiftung oder Überversicherung neigt; die Gesellschaft, bei
der er seinen Mietbesitz versichern will, hat an diesem Sachverhalt ein viel ge¬
ringeres Interesse als der, der mit diesem Versicherungslustigen ein sonstiges
Geschäft, z. B. einen Mietvertrag, einen Kreditkauf, schließen will; es ist also
ungerechtfertigt, daß die Gesellschaft ihrer Zahlungspflicht enthoben sein soll,
weil der Versicherte ihr jenen Sachverhalt verschwiegen und die versicherten
Gegenstände demnach als sein Eigentum ausgegeben hat. Mau kann indes
gerade über diesen Fall andrer Ansicht sein, und die Gerichte können dann
auch ohne die besondre Vorschrift der „allgemeinen Bedingungen" die Zahlungs-,
Pflicht der Gesellschaft verneinen, weil der Versicherte auf Grund der allge¬
meinen Verpflichtung, alle für die Entschließung der Gesellschaft wichtigen Um¬
stände dieser mitzuteilen, einen so eigentümlichen Sachverhalt der Gesellschaft
uicht Hütte verheimlichen sollen. Dazu bedarf es also nicht ausdrücklicher
Sondervorschrifteu des Inhalts, wonach der Versicherungslustige in jedem Fall
Angaben über die Eigentumsverhäluiisse der zu verhindernden Habe zu machen


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[0659] Zur reichsgesetzlichen Regelung des Versicherungsrechts Gesellschaft ein Mittel zur Chikane gegen den Versicherten. Obwohl nämlich nach den meisten der vorhandnen ehelichen Güterrechte und ebenso auch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch die Frau das Alleineigentum an dem von ihr in die Ehe gebrachten Vermögen behält, gilt im Volksbewußtsein noch der Grund¬ satz des alten deutschen Rechts: „Mann und Weib haben kein gezweiet Gut zu ihrem Leib"; demnach unterscheidet auch der vorsichtige und geschäftserfahrnc Mann bei der Feuerversicherung nicht die ihm gehörigen Bestandteile der ehe¬ lichen Habe von denen seiner Frau; und am wenigsten bezeichnet er nach dem Tode der Frau die Nachlaßstücke als ihm und seinen Kindern gehörig. Das Zusammenleben der Familienmitglieder in einem Hausstande läßt die gesonderten Eigentumsrechte der einzelnen Familienmitglieder nicht zur scharfen Vorstellung gelangen; das ganze Familienvermögen erscheint als eine einheitliche Masse, die dein Familienvater gehört, sodaß er bei der Feuerversicherung wohl nie erwähnt, daß auch die Vermögensstücke seiner Angehörigen versichert sein sollen. Nichtsdestoweniger haben wiederholt die Versicherungsgesellschaften wegen der¬ artiger unrichtiger Angaben die Bezahlung der Brandschadensumme unter Be¬ rufung auf jene oben angezogne Bestimmung der „allgemeinen Bedingungen" verweigert und dein versicherten Familienhaupt Entschädigung nur für Stücke bewilligt, die im strengen Sinn sein Eigentum sind; die Rechtsprechung schwankt anch hier auffallend. Thatsächlich ist indes gar kein Grund abzusehen, wieso der Versicherungs¬ lustige verpflichtet sein soll, der Gesellschaft darüber Mitteilung zu machen, ob die versicherten Gegenstände sein oder eines dritten Eigentum sind; wenn jemand in der Absicht, seine Gläubiger zu benachteiligen, seine Habe einem dritten verkauft und sie von ihm wieder mietet, so beweist dies wohl, daß er in zer¬ rütteten Verhältnissen lebt und in gewisser Richtung nicht ganz lauter ist, nicht aber daß er zu Brandstiftung oder Überversicherung neigt; die Gesellschaft, bei der er seinen Mietbesitz versichern will, hat an diesem Sachverhalt ein viel ge¬ ringeres Interesse als der, der mit diesem Versicherungslustigen ein sonstiges Geschäft, z. B. einen Mietvertrag, einen Kreditkauf, schließen will; es ist also ungerechtfertigt, daß die Gesellschaft ihrer Zahlungspflicht enthoben sein soll, weil der Versicherte ihr jenen Sachverhalt verschwiegen und die versicherten Gegenstände demnach als sein Eigentum ausgegeben hat. Mau kann indes gerade über diesen Fall andrer Ansicht sein, und die Gerichte können dann auch ohne die besondre Vorschrift der „allgemeinen Bedingungen" die Zahlungs-, Pflicht der Gesellschaft verneinen, weil der Versicherte auf Grund der allge¬ meinen Verpflichtung, alle für die Entschließung der Gesellschaft wichtigen Um¬ stände dieser mitzuteilen, einen so eigentümlichen Sachverhalt der Gesellschaft uicht Hütte verheimlichen sollen. Dazu bedarf es also nicht ausdrücklicher Sondervorschrifteu des Inhalts, wonach der Versicherungslustige in jedem Fall Angaben über die Eigentumsverhäluiisse der zu verhindernden Habe zu machen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/659>, abgerufen am 23.07.2024.