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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Nation und Staat

der Mund gestopft, und in Deutschland außerdem noch das Begehren, aus
den kleinstaatlichen Fesseln zu lebendigem Staatcntum zu gelangen, nieder¬
gezwungen. Das war nicht eben schwer, weil im Volk selbst Staat und Nation
mehr von jenseits des Rheins heröbergeslogne Ideen, als im Volke gereifte,
feste Begriffe waren. Zu lange war man gewohnt gewesen, sich als Glied
der Hennebergischen oder Zweibrückenschen oder Hvhenlohischen oder Öttingensche"
Nation zu fühlen, als daß man sich von einer deutschen Nation einen rechten
Begriff hätte machen können. Die französische Revolution selbst war nicht
national gewesen; erst der lange Druck gallischer Fremdherrschaft hatte deu
nationalen Gegensatz in Spanien, in Italien, in Deutschland hervortreten lassen.
Auch hätten die Regierungen das Erstarken des nationalen Geistes nach 1813
schwerlich gefürchtet, wenn er sie nicht in ihrem staatlichen Besitzstände bedroht
Hütte. Denn dieser nationale Geist von 1813 war kaum mehr als ein Schatten¬
bild, das bald verschwand; was blieb, war der Staatsbegriff als Gegensatz zu
der halb in privaten Rechts- und Verwaltuugsformen stecken gebliebner kleinen
Herrschaften. Die Deutschen haben auch seit 1813, und besonders seit 1815,
immer nur mit der Sehnsucht nach einem bessern Staatsleben gerungen: gesetz¬
liche Ordnung, freie Bewegung innerhalb erweiterter staatlicher Grenzen, das
Volkswohl als Staatszweck -- das waren die durch die Zustände gegebnen
nächsten Bedürfnisse; sich als Nation zu sühlen, dazu hatte man noch keine
Zeit gehabt außer in den engen Kreisen von Gelehrten, Poeten und Studenten.
Das nationale Elend von 17!>8 bis 1813 war alsbald von dem staatlichen
Elend des Deutschen Bundes verdrängt worden.

Der Staat nun, der jene Bedürfnisse am besten befriedigte, war Preußen.
Hier hatte sich unter einem König der Paraden und einem König der Schlachten
die straffe Disziplin ausgebildet, die uicht nur das Heer, sondern anch das
Beamtentum bis auf den heutigen Tag traditionell durchdringt, diese Disziplin,
die die Grundlage von Ordnung und Gesetzmäßigkeit ist. und die so gut die
Soldaten wie die Beamten, wie den König selbst beherrschte, diese Disziplin, die
von roher Äußerlichkeit des Kasernendienstes ausgehend den Begriff der Pflicht
großzog und in dem Volkskörper dnrch alle Adern verbreitete, bis hinauf zum
ersten Diener des Staats. Die Schule dieser Disziplin, die Preußen durch¬
gemacht hatte, war hart genug gewesen unter Friedrich Wilhelm I. und seinem
Sohne; aber sie war so nachhaltig wirksam, daß sie die zersetzende Zeit
Friedrich Wilhelms II. überdauerte und den Staat anch unter deu äußern
Stürmen und dem engen Geiste Friedrich Wilhelms III. rettete.

Hier war ein Staat, der das hatte, was dem übrigen Deutschland, was
auch Osterreich fehlte, und wonach sich die Leute sehnten, die ein Ende der
Kleinstaaterei herbeiwünschten. Wo in dem Länderhandel seit 1801 die preu¬
ßische Hand in kleinstaatlichc Zustände hineingriff, da spürte man sofort den
Unterschied gegen früher: es kam Ordnung, Redlichkeit, Gesetzlichkeit in die


Nation und Staat

der Mund gestopft, und in Deutschland außerdem noch das Begehren, aus
den kleinstaatlichen Fesseln zu lebendigem Staatcntum zu gelangen, nieder¬
gezwungen. Das war nicht eben schwer, weil im Volk selbst Staat und Nation
mehr von jenseits des Rheins heröbergeslogne Ideen, als im Volke gereifte,
feste Begriffe waren. Zu lange war man gewohnt gewesen, sich als Glied
der Hennebergischen oder Zweibrückenschen oder Hvhenlohischen oder Öttingensche»
Nation zu fühlen, als daß man sich von einer deutschen Nation einen rechten
Begriff hätte machen können. Die französische Revolution selbst war nicht
national gewesen; erst der lange Druck gallischer Fremdherrschaft hatte deu
nationalen Gegensatz in Spanien, in Italien, in Deutschland hervortreten lassen.
Auch hätten die Regierungen das Erstarken des nationalen Geistes nach 1813
schwerlich gefürchtet, wenn er sie nicht in ihrem staatlichen Besitzstände bedroht
Hütte. Denn dieser nationale Geist von 1813 war kaum mehr als ein Schatten¬
bild, das bald verschwand; was blieb, war der Staatsbegriff als Gegensatz zu
der halb in privaten Rechts- und Verwaltuugsformen stecken gebliebner kleinen
Herrschaften. Die Deutschen haben auch seit 1813, und besonders seit 1815,
immer nur mit der Sehnsucht nach einem bessern Staatsleben gerungen: gesetz¬
liche Ordnung, freie Bewegung innerhalb erweiterter staatlicher Grenzen, das
Volkswohl als Staatszweck — das waren die durch die Zustände gegebnen
nächsten Bedürfnisse; sich als Nation zu sühlen, dazu hatte man noch keine
Zeit gehabt außer in den engen Kreisen von Gelehrten, Poeten und Studenten.
Das nationale Elend von 17!>8 bis 1813 war alsbald von dem staatlichen
Elend des Deutschen Bundes verdrängt worden.

Der Staat nun, der jene Bedürfnisse am besten befriedigte, war Preußen.
Hier hatte sich unter einem König der Paraden und einem König der Schlachten
die straffe Disziplin ausgebildet, die uicht nur das Heer, sondern anch das
Beamtentum bis auf den heutigen Tag traditionell durchdringt, diese Disziplin,
die die Grundlage von Ordnung und Gesetzmäßigkeit ist. und die so gut die
Soldaten wie die Beamten, wie den König selbst beherrschte, diese Disziplin, die
von roher Äußerlichkeit des Kasernendienstes ausgehend den Begriff der Pflicht
großzog und in dem Volkskörper dnrch alle Adern verbreitete, bis hinauf zum
ersten Diener des Staats. Die Schule dieser Disziplin, die Preußen durch¬
gemacht hatte, war hart genug gewesen unter Friedrich Wilhelm I. und seinem
Sohne; aber sie war so nachhaltig wirksam, daß sie die zersetzende Zeit
Friedrich Wilhelms II. überdauerte und den Staat anch unter deu äußern
Stürmen und dem engen Geiste Friedrich Wilhelms III. rettete.

Hier war ein Staat, der das hatte, was dem übrigen Deutschland, was
auch Osterreich fehlte, und wonach sich die Leute sehnten, die ein Ende der
Kleinstaaterei herbeiwünschten. Wo in dem Länderhandel seit 1801 die preu¬
ßische Hand in kleinstaatlichc Zustände hineingriff, da spürte man sofort den
Unterschied gegen früher: es kam Ordnung, Redlichkeit, Gesetzlichkeit in die


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[0648] Nation und Staat der Mund gestopft, und in Deutschland außerdem noch das Begehren, aus den kleinstaatlichen Fesseln zu lebendigem Staatcntum zu gelangen, nieder¬ gezwungen. Das war nicht eben schwer, weil im Volk selbst Staat und Nation mehr von jenseits des Rheins heröbergeslogne Ideen, als im Volke gereifte, feste Begriffe waren. Zu lange war man gewohnt gewesen, sich als Glied der Hennebergischen oder Zweibrückenschen oder Hvhenlohischen oder Öttingensche» Nation zu fühlen, als daß man sich von einer deutschen Nation einen rechten Begriff hätte machen können. Die französische Revolution selbst war nicht national gewesen; erst der lange Druck gallischer Fremdherrschaft hatte deu nationalen Gegensatz in Spanien, in Italien, in Deutschland hervortreten lassen. Auch hätten die Regierungen das Erstarken des nationalen Geistes nach 1813 schwerlich gefürchtet, wenn er sie nicht in ihrem staatlichen Besitzstände bedroht Hütte. Denn dieser nationale Geist von 1813 war kaum mehr als ein Schatten¬ bild, das bald verschwand; was blieb, war der Staatsbegriff als Gegensatz zu der halb in privaten Rechts- und Verwaltuugsformen stecken gebliebner kleinen Herrschaften. Die Deutschen haben auch seit 1813, und besonders seit 1815, immer nur mit der Sehnsucht nach einem bessern Staatsleben gerungen: gesetz¬ liche Ordnung, freie Bewegung innerhalb erweiterter staatlicher Grenzen, das Volkswohl als Staatszweck — das waren die durch die Zustände gegebnen nächsten Bedürfnisse; sich als Nation zu sühlen, dazu hatte man noch keine Zeit gehabt außer in den engen Kreisen von Gelehrten, Poeten und Studenten. Das nationale Elend von 17!>8 bis 1813 war alsbald von dem staatlichen Elend des Deutschen Bundes verdrängt worden. Der Staat nun, der jene Bedürfnisse am besten befriedigte, war Preußen. Hier hatte sich unter einem König der Paraden und einem König der Schlachten die straffe Disziplin ausgebildet, die uicht nur das Heer, sondern anch das Beamtentum bis auf den heutigen Tag traditionell durchdringt, diese Disziplin, die die Grundlage von Ordnung und Gesetzmäßigkeit ist. und die so gut die Soldaten wie die Beamten, wie den König selbst beherrschte, diese Disziplin, die von roher Äußerlichkeit des Kasernendienstes ausgehend den Begriff der Pflicht großzog und in dem Volkskörper dnrch alle Adern verbreitete, bis hinauf zum ersten Diener des Staats. Die Schule dieser Disziplin, die Preußen durch¬ gemacht hatte, war hart genug gewesen unter Friedrich Wilhelm I. und seinem Sohne; aber sie war so nachhaltig wirksam, daß sie die zersetzende Zeit Friedrich Wilhelms II. überdauerte und den Staat anch unter deu äußern Stürmen und dem engen Geiste Friedrich Wilhelms III. rettete. Hier war ein Staat, der das hatte, was dem übrigen Deutschland, was auch Osterreich fehlte, und wonach sich die Leute sehnten, die ein Ende der Kleinstaaterei herbeiwünschten. Wo in dem Länderhandel seit 1801 die preu¬ ßische Hand in kleinstaatlichc Zustände hineingriff, da spürte man sofort den Unterschied gegen früher: es kam Ordnung, Redlichkeit, Gesetzlichkeit in die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/648>, abgerufen am 23.07.2024.