Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Nation und Staat

stehn schien, gings nun mit der Krone eilends auf das kaiserliche Haupt, vom
Empor aber mit Heerpauken und Trompeten donnernd herab: Haderipump!
Haderipump! Pump! Pump! Es hätte wenig gefehlt, so wäre mir, ohne
zu wissen wie, die erste kaiserliche Gnade widerfahren. Um alles noch gemäch¬
licher mit anzuschaun, stieg ich auf etlichen Latten auf einen Platz in der Kirche,
der bei weitem minder stark besetzt und gedrängt war, bis ich dann endlich
von einem Bekannten, der mir seine Glückwünsche bringen wollte, erfuhr, daß
dieses die Bühne für diejenigen sei, welche der Kaiser zu Rittern schlagen
wollte; ich machte mich also mit einem Sprung über diese bevorgestandne
Ritterschaft wieder hinweg. Nachdem nun dem Kaiser auf einem kahlen Throne,
der aussah wie eine Hennensteige, von den Bischöfen die Glückwünsche und
Huldigungen nnter allen möglichen Arten von Knie- und Buckelbeugungen ab¬
gestattet und durch die bis unter seine Nase geschwungnen Rauchfässer ein
Wolkenhimmel um ihn her gebildet war, wurden die Kandidaten zum Ritter¬
schlag und unter diesen zuerst und namentlich ein im theatralischen Kostüm
schon bereitstehender Dalberg aufgerufen. . . . Von der Kirche aus nahm der
Kaiser mit seinem abgeschabten Mantel in langer, aber etwas eilig drängender,
daher auch krummer und verwirrter Prozession seinen Zug auf das Rathaus
zurück. Er ging in seinen Kaiserpantosfeln über gelegte Bretter, die man mit
rotem Tuche bedeckte, welches aber die gemeinen Leute, auf dem Boden knieend
und mit Messern in den Händen, hart hinter seinen Fersen herunterschnitten
und zum Teil so gewaltsam in Fetzen herunterrissen, daß sie den vorn laufenden
Kaiser beinahe damit niederwarfen. ..."

Diese Staats- und Reichskomödie hatte aber ihre tragische Seite darin,
daß unter der Mißwirtschaft der meisten dieser allergetreusteu Kurfürsten,
Fürsten und Stände das Volk nicht nur Glauben und Vertrauen zum Staat
und zum Reich, sondern oft auch den moralischen Halt und materiellen Wohl¬
stand eingebüßt hatte. Von Köln, wie es um 1790 aussah, als noch kein
Franzose seinen Frieden gestört hatte, erzählt Lang, der eben aus dem ge¬
ordneten und reichen Holland dorthin kam, folgendes: "Desto kärglicher sah
es dafür in dem frommen Köln aus; die Häuser eingefallen, ganze Straßen
leer, der Dom von Haus aus unvollendet; hungernde, stehende Jammer¬
gestalten in abgenutzten Mänteln an den Thüren, und lauernde, schmutzige,
weibliche Gestalten. Dazu dann ein ewiges Schellen und Klingeln in den
Z65 Kirchen, und ein Rennen zu den 11000 Jungfrauen und den heiligen
drei Königen." Und wie hier, so sah es in vielen der von Natur minder
reich ausgestatteten Länder aus, wo die Herren nach dem Vorbilde von
Versailles das Geld zum Fenster hinaus oder doch zahllosen Nichtsthuern und
Juden in den Schoß warfen und dafür dem Bauer" das Brot gelegentlich vor
dem Munde wegnahmen.

Dieser oft geschilderten Zustünde muß man gedenken, wenn man dem


Nation und Staat

stehn schien, gings nun mit der Krone eilends auf das kaiserliche Haupt, vom
Empor aber mit Heerpauken und Trompeten donnernd herab: Haderipump!
Haderipump! Pump! Pump! Es hätte wenig gefehlt, so wäre mir, ohne
zu wissen wie, die erste kaiserliche Gnade widerfahren. Um alles noch gemäch¬
licher mit anzuschaun, stieg ich auf etlichen Latten auf einen Platz in der Kirche,
der bei weitem minder stark besetzt und gedrängt war, bis ich dann endlich
von einem Bekannten, der mir seine Glückwünsche bringen wollte, erfuhr, daß
dieses die Bühne für diejenigen sei, welche der Kaiser zu Rittern schlagen
wollte; ich machte mich also mit einem Sprung über diese bevorgestandne
Ritterschaft wieder hinweg. Nachdem nun dem Kaiser auf einem kahlen Throne,
der aussah wie eine Hennensteige, von den Bischöfen die Glückwünsche und
Huldigungen nnter allen möglichen Arten von Knie- und Buckelbeugungen ab¬
gestattet und durch die bis unter seine Nase geschwungnen Rauchfässer ein
Wolkenhimmel um ihn her gebildet war, wurden die Kandidaten zum Ritter¬
schlag und unter diesen zuerst und namentlich ein im theatralischen Kostüm
schon bereitstehender Dalberg aufgerufen. . . . Von der Kirche aus nahm der
Kaiser mit seinem abgeschabten Mantel in langer, aber etwas eilig drängender,
daher auch krummer und verwirrter Prozession seinen Zug auf das Rathaus
zurück. Er ging in seinen Kaiserpantosfeln über gelegte Bretter, die man mit
rotem Tuche bedeckte, welches aber die gemeinen Leute, auf dem Boden knieend
und mit Messern in den Händen, hart hinter seinen Fersen herunterschnitten
und zum Teil so gewaltsam in Fetzen herunterrissen, daß sie den vorn laufenden
Kaiser beinahe damit niederwarfen. ..."

Diese Staats- und Reichskomödie hatte aber ihre tragische Seite darin,
daß unter der Mißwirtschaft der meisten dieser allergetreusteu Kurfürsten,
Fürsten und Stände das Volk nicht nur Glauben und Vertrauen zum Staat
und zum Reich, sondern oft auch den moralischen Halt und materiellen Wohl¬
stand eingebüßt hatte. Von Köln, wie es um 1790 aussah, als noch kein
Franzose seinen Frieden gestört hatte, erzählt Lang, der eben aus dem ge¬
ordneten und reichen Holland dorthin kam, folgendes: „Desto kärglicher sah
es dafür in dem frommen Köln aus; die Häuser eingefallen, ganze Straßen
leer, der Dom von Haus aus unvollendet; hungernde, stehende Jammer¬
gestalten in abgenutzten Mänteln an den Thüren, und lauernde, schmutzige,
weibliche Gestalten. Dazu dann ein ewiges Schellen und Klingeln in den
Z65 Kirchen, und ein Rennen zu den 11000 Jungfrauen und den heiligen
drei Königen." Und wie hier, so sah es in vielen der von Natur minder
reich ausgestatteten Länder aus, wo die Herren nach dem Vorbilde von
Versailles das Geld zum Fenster hinaus oder doch zahllosen Nichtsthuern und
Juden in den Schoß warfen und dafür dem Bauer« das Brot gelegentlich vor
dem Munde wegnahmen.

Dieser oft geschilderten Zustünde muß man gedenken, wenn man dem


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0646" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230332"/>
          <fw type="header" place="top"> Nation und Staat</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2742" prev="#ID_2741"> stehn schien, gings nun mit der Krone eilends auf das kaiserliche Haupt, vom<lb/>
Empor aber mit Heerpauken und Trompeten donnernd herab: Haderipump!<lb/>
Haderipump! Pump! Pump! Es hätte wenig gefehlt, so wäre mir, ohne<lb/>
zu wissen wie, die erste kaiserliche Gnade widerfahren. Um alles noch gemäch¬<lb/>
licher mit anzuschaun, stieg ich auf etlichen Latten auf einen Platz in der Kirche,<lb/>
der bei weitem minder stark besetzt und gedrängt war, bis ich dann endlich<lb/>
von einem Bekannten, der mir seine Glückwünsche bringen wollte, erfuhr, daß<lb/>
dieses die Bühne für diejenigen sei, welche der Kaiser zu Rittern schlagen<lb/>
wollte; ich machte mich also mit einem Sprung über diese bevorgestandne<lb/>
Ritterschaft wieder hinweg. Nachdem nun dem Kaiser auf einem kahlen Throne,<lb/>
der aussah wie eine Hennensteige, von den Bischöfen die Glückwünsche und<lb/>
Huldigungen nnter allen möglichen Arten von Knie- und Buckelbeugungen ab¬<lb/>
gestattet und durch die bis unter seine Nase geschwungnen Rauchfässer ein<lb/>
Wolkenhimmel um ihn her gebildet war, wurden die Kandidaten zum Ritter¬<lb/>
schlag und unter diesen zuerst und namentlich ein im theatralischen Kostüm<lb/>
schon bereitstehender Dalberg aufgerufen. . . . Von der Kirche aus nahm der<lb/>
Kaiser mit seinem abgeschabten Mantel in langer, aber etwas eilig drängender,<lb/>
daher auch krummer und verwirrter Prozession seinen Zug auf das Rathaus<lb/>
zurück. Er ging in seinen Kaiserpantosfeln über gelegte Bretter, die man mit<lb/>
rotem Tuche bedeckte, welches aber die gemeinen Leute, auf dem Boden knieend<lb/>
und mit Messern in den Händen, hart hinter seinen Fersen herunterschnitten<lb/>
und zum Teil so gewaltsam in Fetzen herunterrissen, daß sie den vorn laufenden<lb/>
Kaiser beinahe damit niederwarfen. ..."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2743"> Diese Staats- und Reichskomödie hatte aber ihre tragische Seite darin,<lb/>
daß unter der Mißwirtschaft der meisten dieser allergetreusteu Kurfürsten,<lb/>
Fürsten und Stände das Volk nicht nur Glauben und Vertrauen zum Staat<lb/>
und zum Reich, sondern oft auch den moralischen Halt und materiellen Wohl¬<lb/>
stand eingebüßt hatte. Von Köln, wie es um 1790 aussah, als noch kein<lb/>
Franzose seinen Frieden gestört hatte, erzählt Lang, der eben aus dem ge¬<lb/>
ordneten und reichen Holland dorthin kam, folgendes: &#x201E;Desto kärglicher sah<lb/>
es dafür in dem frommen Köln aus; die Häuser eingefallen, ganze Straßen<lb/>
leer, der Dom von Haus aus unvollendet; hungernde, stehende Jammer¬<lb/>
gestalten in abgenutzten Mänteln an den Thüren, und lauernde, schmutzige,<lb/>
weibliche Gestalten. Dazu dann ein ewiges Schellen und Klingeln in den<lb/>
Z65 Kirchen, und ein Rennen zu den 11000 Jungfrauen und den heiligen<lb/>
drei Königen." Und wie hier, so sah es in vielen der von Natur minder<lb/>
reich ausgestatteten Länder aus, wo die Herren nach dem Vorbilde von<lb/>
Versailles das Geld zum Fenster hinaus oder doch zahllosen Nichtsthuern und<lb/>
Juden in den Schoß warfen und dafür dem Bauer« das Brot gelegentlich vor<lb/>
dem Munde wegnahmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2744" next="#ID_2745"> Dieser oft geschilderten Zustünde muß man gedenken, wenn man dem</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0646] Nation und Staat stehn schien, gings nun mit der Krone eilends auf das kaiserliche Haupt, vom Empor aber mit Heerpauken und Trompeten donnernd herab: Haderipump! Haderipump! Pump! Pump! Es hätte wenig gefehlt, so wäre mir, ohne zu wissen wie, die erste kaiserliche Gnade widerfahren. Um alles noch gemäch¬ licher mit anzuschaun, stieg ich auf etlichen Latten auf einen Platz in der Kirche, der bei weitem minder stark besetzt und gedrängt war, bis ich dann endlich von einem Bekannten, der mir seine Glückwünsche bringen wollte, erfuhr, daß dieses die Bühne für diejenigen sei, welche der Kaiser zu Rittern schlagen wollte; ich machte mich also mit einem Sprung über diese bevorgestandne Ritterschaft wieder hinweg. Nachdem nun dem Kaiser auf einem kahlen Throne, der aussah wie eine Hennensteige, von den Bischöfen die Glückwünsche und Huldigungen nnter allen möglichen Arten von Knie- und Buckelbeugungen ab¬ gestattet und durch die bis unter seine Nase geschwungnen Rauchfässer ein Wolkenhimmel um ihn her gebildet war, wurden die Kandidaten zum Ritter¬ schlag und unter diesen zuerst und namentlich ein im theatralischen Kostüm schon bereitstehender Dalberg aufgerufen. . . . Von der Kirche aus nahm der Kaiser mit seinem abgeschabten Mantel in langer, aber etwas eilig drängender, daher auch krummer und verwirrter Prozession seinen Zug auf das Rathaus zurück. Er ging in seinen Kaiserpantosfeln über gelegte Bretter, die man mit rotem Tuche bedeckte, welches aber die gemeinen Leute, auf dem Boden knieend und mit Messern in den Händen, hart hinter seinen Fersen herunterschnitten und zum Teil so gewaltsam in Fetzen herunterrissen, daß sie den vorn laufenden Kaiser beinahe damit niederwarfen. ..." Diese Staats- und Reichskomödie hatte aber ihre tragische Seite darin, daß unter der Mißwirtschaft der meisten dieser allergetreusteu Kurfürsten, Fürsten und Stände das Volk nicht nur Glauben und Vertrauen zum Staat und zum Reich, sondern oft auch den moralischen Halt und materiellen Wohl¬ stand eingebüßt hatte. Von Köln, wie es um 1790 aussah, als noch kein Franzose seinen Frieden gestört hatte, erzählt Lang, der eben aus dem ge¬ ordneten und reichen Holland dorthin kam, folgendes: „Desto kärglicher sah es dafür in dem frommen Köln aus; die Häuser eingefallen, ganze Straßen leer, der Dom von Haus aus unvollendet; hungernde, stehende Jammer¬ gestalten in abgenutzten Mänteln an den Thüren, und lauernde, schmutzige, weibliche Gestalten. Dazu dann ein ewiges Schellen und Klingeln in den Z65 Kirchen, und ein Rennen zu den 11000 Jungfrauen und den heiligen drei Königen." Und wie hier, so sah es in vielen der von Natur minder reich ausgestatteten Länder aus, wo die Herren nach dem Vorbilde von Versailles das Geld zum Fenster hinaus oder doch zahllosen Nichtsthuern und Juden in den Schoß warfen und dafür dem Bauer« das Brot gelegentlich vor dem Munde wegnahmen. Dieser oft geschilderten Zustünde muß man gedenken, wenn man dem

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/646
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/646>, abgerufen am 23.07.2024.