Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

deck der deutschen Reichsgrafendeputation, einberufen wurde. Das kaiserliche
Hofküchenmeisteramt hatte ein Verzeichnis sämtlicher Schüsseln, wenn ich nicht
irre, stebenunddreißig an der Zahl, mitgeteilt, um sie zur Auflegung auf die
Tafel an die hierzu bestimmten Reichsgrasen zu verteilen. Nun war aber seit
Carolo Magno, oder auch etwas später, das reichsgcsetzmäßige Herkommen,
daß jederzeit die erste Schüssel von einem Schwaben, die zweite von einem
Wetterauer, die dritte vou einem Franken und die vierte, und so allemal die
letzte von einem westfälinger Grafen getragen werden mußte. Allein nach
diesem Turnus Hütte es sich getroffen, daß die siebenunddreißigste Schüssel, als
die allerletzte, wieder auf einen schwäbischen Grafen gekommen wäre, worüber
alle anwesenden Schwaben . , . in den heftigsten Unwillen ausbrachen, während
gleichwohl auch keiner der andern Stände des Reichs dieser siebenunddreißigsten
Schüssel sich annehmen wollte. Es schien nnr wenig zu fehlen, daß es nicht
gar zu einem bürgerlichen Reichsgrafenkrieg gekommen wäre. Die kaiserliche
Hofküche schlug es geradezu ab, diese verwünschte siebenunddreißigste Schüssel
etwa wegzulassen, welches ihr auch nicht zu verdenken war, weil sie sich darüber
mit allen Küchenzetteln von Kaiser Rudolfus her auszuweisen vermochte.
Endlich doch kam, gleichsam wie vom Himmel her, der geistreiche Einfall, aus
dieser großen Schüssel vier kleinere zu machen, worauf dann die letzte richtig
wieder auf einen Westfälinger traf/")

"Als Gentilhomme des Reichserztruchsesfen hatte ich dem Kronungszug
mit beizuwohnen und konnte also diese alttestamentliche Jndenpracht gemäch¬
lichst in der Nähe schauen. Der Kaiserornat sah aus, als wär er auf dem
Trödelmarkt zusammengekauft, die kaiserliche .Krone aber, als hätte sie der
allerungeschickteste Kupferschmied zusammengeschmiedet und mit Kieselsteinen und
Glasscherben besetzt; auf dem angeblichen Schwert Karls des Großen war ein
Löwe mit dem böhmischen Wappen. Die herabwürdigenden Zeremonien, nach
welchen der Kaiser alle Augenblicke vom Stuhle herab und hinauf, hinauf und
herab sich ankleiden und auskleiden, einschmieren und wieder abwischen lassen,
sich vor den Bischofsmützen mit Händen und Füßen ausgestreckt auf die Erde
werfen und liegen bleiben mußte, waren in der Hauptsache ganz dieselben,
womit der gemeinste Mönch in jedem Bettelkloster eingekleidet wird. Am
Possierlichsten war es, als eine Bischofsmütze im lieblichsten Nasentone und
lateinisch zur Orgel hinauf intonierte, ob sie da oben nun wirklich den 8sro-
wssiumin vonrmuin, DomivuiQ ^sopoläuirr wollten rsgöin suum naosrs,
worauf der bejahende Chvrregent gewaltig mit dem Kopfe schüttelte, seinen
Fiedelbogen greulich auf und nieder schwenkte, die Chorjungfern und Sing¬
knaben aber im höchsten Diskant herunter riefen: tut! eine,! eine!

"Sowie also von feiten dieser kleinen Herrschaft nichts mehr entgegen zu



Nach Goethes Bericht gab es schon .1764 ganze einundvierzig Schüsseln, sodcch Lang
sich wohl um vier Schüsseln versehe" habe" dürfte.

deck der deutschen Reichsgrafendeputation, einberufen wurde. Das kaiserliche
Hofküchenmeisteramt hatte ein Verzeichnis sämtlicher Schüsseln, wenn ich nicht
irre, stebenunddreißig an der Zahl, mitgeteilt, um sie zur Auflegung auf die
Tafel an die hierzu bestimmten Reichsgrasen zu verteilen. Nun war aber seit
Carolo Magno, oder auch etwas später, das reichsgcsetzmäßige Herkommen,
daß jederzeit die erste Schüssel von einem Schwaben, die zweite von einem
Wetterauer, die dritte vou einem Franken und die vierte, und so allemal die
letzte von einem westfälinger Grafen getragen werden mußte. Allein nach
diesem Turnus Hütte es sich getroffen, daß die siebenunddreißigste Schüssel, als
die allerletzte, wieder auf einen schwäbischen Grafen gekommen wäre, worüber
alle anwesenden Schwaben . , . in den heftigsten Unwillen ausbrachen, während
gleichwohl auch keiner der andern Stände des Reichs dieser siebenunddreißigsten
Schüssel sich annehmen wollte. Es schien nnr wenig zu fehlen, daß es nicht
gar zu einem bürgerlichen Reichsgrafenkrieg gekommen wäre. Die kaiserliche
Hofküche schlug es geradezu ab, diese verwünschte siebenunddreißigste Schüssel
etwa wegzulassen, welches ihr auch nicht zu verdenken war, weil sie sich darüber
mit allen Küchenzetteln von Kaiser Rudolfus her auszuweisen vermochte.
Endlich doch kam, gleichsam wie vom Himmel her, der geistreiche Einfall, aus
dieser großen Schüssel vier kleinere zu machen, worauf dann die letzte richtig
wieder auf einen Westfälinger traf/")

„Als Gentilhomme des Reichserztruchsesfen hatte ich dem Kronungszug
mit beizuwohnen und konnte also diese alttestamentliche Jndenpracht gemäch¬
lichst in der Nähe schauen. Der Kaiserornat sah aus, als wär er auf dem
Trödelmarkt zusammengekauft, die kaiserliche .Krone aber, als hätte sie der
allerungeschickteste Kupferschmied zusammengeschmiedet und mit Kieselsteinen und
Glasscherben besetzt; auf dem angeblichen Schwert Karls des Großen war ein
Löwe mit dem böhmischen Wappen. Die herabwürdigenden Zeremonien, nach
welchen der Kaiser alle Augenblicke vom Stuhle herab und hinauf, hinauf und
herab sich ankleiden und auskleiden, einschmieren und wieder abwischen lassen,
sich vor den Bischofsmützen mit Händen und Füßen ausgestreckt auf die Erde
werfen und liegen bleiben mußte, waren in der Hauptsache ganz dieselben,
womit der gemeinste Mönch in jedem Bettelkloster eingekleidet wird. Am
Possierlichsten war es, als eine Bischofsmütze im lieblichsten Nasentone und
lateinisch zur Orgel hinauf intonierte, ob sie da oben nun wirklich den 8sro-
wssiumin vonrmuin, DomivuiQ ^sopoläuirr wollten rsgöin suum naosrs,
worauf der bejahende Chvrregent gewaltig mit dem Kopfe schüttelte, seinen
Fiedelbogen greulich auf und nieder schwenkte, die Chorjungfern und Sing¬
knaben aber im höchsten Diskant herunter riefen: tut! eine,! eine!

„Sowie also von feiten dieser kleinen Herrschaft nichts mehr entgegen zu



Nach Goethes Bericht gab es schon .1764 ganze einundvierzig Schüsseln, sodcch Lang
sich wohl um vier Schüsseln versehe» habe» dürfte.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0645" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230331"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_2739" prev="#ID_2738"> deck der deutschen Reichsgrafendeputation, einberufen wurde. Das kaiserliche<lb/>
Hofküchenmeisteramt hatte ein Verzeichnis sämtlicher Schüsseln, wenn ich nicht<lb/>
irre, stebenunddreißig an der Zahl, mitgeteilt, um sie zur Auflegung auf die<lb/>
Tafel an die hierzu bestimmten Reichsgrasen zu verteilen. Nun war aber seit<lb/>
Carolo Magno, oder auch etwas später, das reichsgcsetzmäßige Herkommen,<lb/>
daß jederzeit die erste Schüssel von einem Schwaben, die zweite von einem<lb/>
Wetterauer, die dritte vou einem Franken und die vierte, und so allemal die<lb/>
letzte von einem westfälinger Grafen getragen werden mußte. Allein nach<lb/>
diesem Turnus Hütte es sich getroffen, daß die siebenunddreißigste Schüssel, als<lb/>
die allerletzte, wieder auf einen schwäbischen Grafen gekommen wäre, worüber<lb/>
alle anwesenden Schwaben . , . in den heftigsten Unwillen ausbrachen, während<lb/>
gleichwohl auch keiner der andern Stände des Reichs dieser siebenunddreißigsten<lb/>
Schüssel sich annehmen wollte. Es schien nnr wenig zu fehlen, daß es nicht<lb/>
gar zu einem bürgerlichen Reichsgrafenkrieg gekommen wäre. Die kaiserliche<lb/>
Hofküche schlug es geradezu ab, diese verwünschte siebenunddreißigste Schüssel<lb/>
etwa wegzulassen, welches ihr auch nicht zu verdenken war, weil sie sich darüber<lb/>
mit allen Küchenzetteln von Kaiser Rudolfus her auszuweisen vermochte.<lb/>
Endlich doch kam, gleichsam wie vom Himmel her, der geistreiche Einfall, aus<lb/>
dieser großen Schüssel vier kleinere zu machen, worauf dann die letzte richtig<lb/>
wieder auf einen Westfälinger traf/")</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2740"> &#x201E;Als Gentilhomme des Reichserztruchsesfen hatte ich dem Kronungszug<lb/>
mit beizuwohnen und konnte also diese alttestamentliche Jndenpracht gemäch¬<lb/>
lichst in der Nähe schauen. Der Kaiserornat sah aus, als wär er auf dem<lb/>
Trödelmarkt zusammengekauft, die kaiserliche .Krone aber, als hätte sie der<lb/>
allerungeschickteste Kupferschmied zusammengeschmiedet und mit Kieselsteinen und<lb/>
Glasscherben besetzt; auf dem angeblichen Schwert Karls des Großen war ein<lb/>
Löwe mit dem böhmischen Wappen. Die herabwürdigenden Zeremonien, nach<lb/>
welchen der Kaiser alle Augenblicke vom Stuhle herab und hinauf, hinauf und<lb/>
herab sich ankleiden und auskleiden, einschmieren und wieder abwischen lassen,<lb/>
sich vor den Bischofsmützen mit Händen und Füßen ausgestreckt auf die Erde<lb/>
werfen und liegen bleiben mußte, waren in der Hauptsache ganz dieselben,<lb/>
womit der gemeinste Mönch in jedem Bettelkloster eingekleidet wird. Am<lb/>
Possierlichsten war es, als eine Bischofsmütze im lieblichsten Nasentone und<lb/>
lateinisch zur Orgel hinauf intonierte, ob sie da oben nun wirklich den 8sro-<lb/>
wssiumin vonrmuin, DomivuiQ ^sopoläuirr wollten rsgöin suum naosrs,<lb/>
worauf der bejahende Chvrregent gewaltig mit dem Kopfe schüttelte, seinen<lb/>
Fiedelbogen greulich auf und nieder schwenkte, die Chorjungfern und Sing¬<lb/>
knaben aber im höchsten Diskant herunter riefen: tut! eine,! eine!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2741" next="#ID_2742"> &#x201E;Sowie also von feiten dieser kleinen Herrschaft nichts mehr entgegen zu</p><lb/>
          <note xml:id="FID_128" place="foot"> Nach Goethes Bericht gab es schon .1764 ganze einundvierzig Schüsseln, sodcch Lang<lb/>
sich wohl um vier Schüsseln versehe» habe» dürfte.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0645] deck der deutschen Reichsgrafendeputation, einberufen wurde. Das kaiserliche Hofküchenmeisteramt hatte ein Verzeichnis sämtlicher Schüsseln, wenn ich nicht irre, stebenunddreißig an der Zahl, mitgeteilt, um sie zur Auflegung auf die Tafel an die hierzu bestimmten Reichsgrasen zu verteilen. Nun war aber seit Carolo Magno, oder auch etwas später, das reichsgcsetzmäßige Herkommen, daß jederzeit die erste Schüssel von einem Schwaben, die zweite von einem Wetterauer, die dritte vou einem Franken und die vierte, und so allemal die letzte von einem westfälinger Grafen getragen werden mußte. Allein nach diesem Turnus Hütte es sich getroffen, daß die siebenunddreißigste Schüssel, als die allerletzte, wieder auf einen schwäbischen Grafen gekommen wäre, worüber alle anwesenden Schwaben . , . in den heftigsten Unwillen ausbrachen, während gleichwohl auch keiner der andern Stände des Reichs dieser siebenunddreißigsten Schüssel sich annehmen wollte. Es schien nnr wenig zu fehlen, daß es nicht gar zu einem bürgerlichen Reichsgrafenkrieg gekommen wäre. Die kaiserliche Hofküche schlug es geradezu ab, diese verwünschte siebenunddreißigste Schüssel etwa wegzulassen, welches ihr auch nicht zu verdenken war, weil sie sich darüber mit allen Küchenzetteln von Kaiser Rudolfus her auszuweisen vermochte. Endlich doch kam, gleichsam wie vom Himmel her, der geistreiche Einfall, aus dieser großen Schüssel vier kleinere zu machen, worauf dann die letzte richtig wieder auf einen Westfälinger traf/") „Als Gentilhomme des Reichserztruchsesfen hatte ich dem Kronungszug mit beizuwohnen und konnte also diese alttestamentliche Jndenpracht gemäch¬ lichst in der Nähe schauen. Der Kaiserornat sah aus, als wär er auf dem Trödelmarkt zusammengekauft, die kaiserliche .Krone aber, als hätte sie der allerungeschickteste Kupferschmied zusammengeschmiedet und mit Kieselsteinen und Glasscherben besetzt; auf dem angeblichen Schwert Karls des Großen war ein Löwe mit dem böhmischen Wappen. Die herabwürdigenden Zeremonien, nach welchen der Kaiser alle Augenblicke vom Stuhle herab und hinauf, hinauf und herab sich ankleiden und auskleiden, einschmieren und wieder abwischen lassen, sich vor den Bischofsmützen mit Händen und Füßen ausgestreckt auf die Erde werfen und liegen bleiben mußte, waren in der Hauptsache ganz dieselben, womit der gemeinste Mönch in jedem Bettelkloster eingekleidet wird. Am Possierlichsten war es, als eine Bischofsmütze im lieblichsten Nasentone und lateinisch zur Orgel hinauf intonierte, ob sie da oben nun wirklich den 8sro- wssiumin vonrmuin, DomivuiQ ^sopoläuirr wollten rsgöin suum naosrs, worauf der bejahende Chvrregent gewaltig mit dem Kopfe schüttelte, seinen Fiedelbogen greulich auf und nieder schwenkte, die Chorjungfern und Sing¬ knaben aber im höchsten Diskant herunter riefen: tut! eine,! eine! „Sowie also von feiten dieser kleinen Herrschaft nichts mehr entgegen zu Nach Goethes Bericht gab es schon .1764 ganze einundvierzig Schüsseln, sodcch Lang sich wohl um vier Schüsseln versehe» habe» dürfte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/645
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/645>, abgerufen am 23.07.2024.