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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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burger geheiratet hätte. Vielleicht wäre Tangermündc längst das für Deutsch¬
land geworden, was Berlin später wurde, vielleicht hätte die Einheit von
Deutschland längst ohne den siebenjährigen und ohne den Krieg vou 1866 her¬
gestellt werden können. Selbst Prag, wenn auch unter einer luxemburgischen
Dynastie, wäre eine bessere Hauptstadt für Deutschland geworden als Wien,
dessen Blick immer mehr nach Italien und nach den Ländern abwärts der
Donau, als nach Deutschland gerichtet gewesen ist. Was Preußen zum Retter
der Nation gemacht hat, ist zum großen Teil seine geographische Lage, zu
einem gewissen Teil freilich auch die slawische Beimischung seiner Bevölkerung
gewesen, die dadurch von dem zentrifugalen Charakter der rein germanischen
Stämme verloren hatte. Weil Preußen, vom Meere begrenzt, fast ganz auf
Deutschland angewiesen war, versplitterteu sich seine nationalen Kräfte und
Interessen uicht wie in Österreich nach anßen hin; sie hatten sich in Deutsch¬
land zu fest gesetzt, als daß sie erschüttert werden konnten, als die Lothringer
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts den verspäteten Versuch machten, sich
durch den bayrischen Lnndertansch in Deutschland territorial auszudehnen.
Wäre es dem Großen Kurfürsten gelungen, weit nach Litauen hinein Fuß zu
fassen, wer weiß, ob Preußen dann mit solcher Zähigkeit im Kampf gegen
Österreich und im Fürstenbunde das Anwachsen der österreichischen Macht auf
deutschem Boden zurückgewiesen hätte. Nicht das nationale Bewußtsein,
sondern die geographische Lage und staatliche Notwendigkeit haben Preußen an
die Spitze der Nation gebracht.

Noch eins war zum Vorteil Preußens: es war frei von den römisch-
italienischen Traditionen des alten römischen Kaisertums. Diese Traditionen
zehrten an der Kraft des Hanfes Habsburg, auch nachdem die regelmäßigen
Römerzuge aufgehört hatten. Zwar setzte nicht mehr ganz Deutschland seine
Kraft ein für die päpstliche Krönung und die kaiserliche Herrschaft in Ober¬
italien; aber das Kaiserhaus und seine Erdtaube nahmen doch einen Teil der
Last auf sich und erweckten damit endlose äußere Kriege mit Italien, Frank¬
reich, Spanien, die nichts mit den Interessen der Nation zu thun hatten, außer
daß sie durch die Vernachlässigung der innerdeutschen Angelegenheiten das
nationale Gesamtgefühl weiter schwachem.

War Friedrich III- der letzte in Rom gekrönte Kaiser, hatte Italien auf¬
gehört, seineu unmittelbar zersetzenden Einfluß auf die staatlichen und natio¬
nalen Zustände Deutschlands auszuüben, so wurde dieser Vorteil aufgewogen
durch den Schaden, den die weit engere Verbindung der Kaiserkrone mit den
slawisch-ungarischen Erdtauben und später mit Spanien brachte. Die Erb-
nwnarchie war endlich, wenn nicht gesetzlich, so thatsächlich da, und die Dynastie
war der Nation ferner und fremder als jemals feit den Zeiten der Karolinger.
Der Kaiser undeutsch, die zahllosen Fürsten und Herren jeder nationalen Eini¬
gung feindlich, die Nation in religiösem dauerndem Kampf zerrissen -- das


burger geheiratet hätte. Vielleicht wäre Tangermündc längst das für Deutsch¬
land geworden, was Berlin später wurde, vielleicht hätte die Einheit von
Deutschland längst ohne den siebenjährigen und ohne den Krieg vou 1866 her¬
gestellt werden können. Selbst Prag, wenn auch unter einer luxemburgischen
Dynastie, wäre eine bessere Hauptstadt für Deutschland geworden als Wien,
dessen Blick immer mehr nach Italien und nach den Ländern abwärts der
Donau, als nach Deutschland gerichtet gewesen ist. Was Preußen zum Retter
der Nation gemacht hat, ist zum großen Teil seine geographische Lage, zu
einem gewissen Teil freilich auch die slawische Beimischung seiner Bevölkerung
gewesen, die dadurch von dem zentrifugalen Charakter der rein germanischen
Stämme verloren hatte. Weil Preußen, vom Meere begrenzt, fast ganz auf
Deutschland angewiesen war, versplitterteu sich seine nationalen Kräfte und
Interessen uicht wie in Österreich nach anßen hin; sie hatten sich in Deutsch¬
land zu fest gesetzt, als daß sie erschüttert werden konnten, als die Lothringer
gegen Ende des vorigen Jahrhunderts den verspäteten Versuch machten, sich
durch den bayrischen Lnndertansch in Deutschland territorial auszudehnen.
Wäre es dem Großen Kurfürsten gelungen, weit nach Litauen hinein Fuß zu
fassen, wer weiß, ob Preußen dann mit solcher Zähigkeit im Kampf gegen
Österreich und im Fürstenbunde das Anwachsen der österreichischen Macht auf
deutschem Boden zurückgewiesen hätte. Nicht das nationale Bewußtsein,
sondern die geographische Lage und staatliche Notwendigkeit haben Preußen an
die Spitze der Nation gebracht.

Noch eins war zum Vorteil Preußens: es war frei von den römisch-
italienischen Traditionen des alten römischen Kaisertums. Diese Traditionen
zehrten an der Kraft des Hanfes Habsburg, auch nachdem die regelmäßigen
Römerzuge aufgehört hatten. Zwar setzte nicht mehr ganz Deutschland seine
Kraft ein für die päpstliche Krönung und die kaiserliche Herrschaft in Ober¬
italien; aber das Kaiserhaus und seine Erdtaube nahmen doch einen Teil der
Last auf sich und erweckten damit endlose äußere Kriege mit Italien, Frank¬
reich, Spanien, die nichts mit den Interessen der Nation zu thun hatten, außer
daß sie durch die Vernachlässigung der innerdeutschen Angelegenheiten das
nationale Gesamtgefühl weiter schwachem.

War Friedrich III- der letzte in Rom gekrönte Kaiser, hatte Italien auf¬
gehört, seineu unmittelbar zersetzenden Einfluß auf die staatlichen und natio¬
nalen Zustände Deutschlands auszuüben, so wurde dieser Vorteil aufgewogen
durch den Schaden, den die weit engere Verbindung der Kaiserkrone mit den
slawisch-ungarischen Erdtauben und später mit Spanien brachte. Die Erb-
nwnarchie war endlich, wenn nicht gesetzlich, so thatsächlich da, und die Dynastie
war der Nation ferner und fremder als jemals feit den Zeiten der Karolinger.
Der Kaiser undeutsch, die zahllosen Fürsten und Herren jeder nationalen Eini¬
gung feindlich, die Nation in religiösem dauerndem Kampf zerrissen — das


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[0639] burger geheiratet hätte. Vielleicht wäre Tangermündc längst das für Deutsch¬ land geworden, was Berlin später wurde, vielleicht hätte die Einheit von Deutschland längst ohne den siebenjährigen und ohne den Krieg vou 1866 her¬ gestellt werden können. Selbst Prag, wenn auch unter einer luxemburgischen Dynastie, wäre eine bessere Hauptstadt für Deutschland geworden als Wien, dessen Blick immer mehr nach Italien und nach den Ländern abwärts der Donau, als nach Deutschland gerichtet gewesen ist. Was Preußen zum Retter der Nation gemacht hat, ist zum großen Teil seine geographische Lage, zu einem gewissen Teil freilich auch die slawische Beimischung seiner Bevölkerung gewesen, die dadurch von dem zentrifugalen Charakter der rein germanischen Stämme verloren hatte. Weil Preußen, vom Meere begrenzt, fast ganz auf Deutschland angewiesen war, versplitterteu sich seine nationalen Kräfte und Interessen uicht wie in Österreich nach anßen hin; sie hatten sich in Deutsch¬ land zu fest gesetzt, als daß sie erschüttert werden konnten, als die Lothringer gegen Ende des vorigen Jahrhunderts den verspäteten Versuch machten, sich durch den bayrischen Lnndertansch in Deutschland territorial auszudehnen. Wäre es dem Großen Kurfürsten gelungen, weit nach Litauen hinein Fuß zu fassen, wer weiß, ob Preußen dann mit solcher Zähigkeit im Kampf gegen Österreich und im Fürstenbunde das Anwachsen der österreichischen Macht auf deutschem Boden zurückgewiesen hätte. Nicht das nationale Bewußtsein, sondern die geographische Lage und staatliche Notwendigkeit haben Preußen an die Spitze der Nation gebracht. Noch eins war zum Vorteil Preußens: es war frei von den römisch- italienischen Traditionen des alten römischen Kaisertums. Diese Traditionen zehrten an der Kraft des Hanfes Habsburg, auch nachdem die regelmäßigen Römerzuge aufgehört hatten. Zwar setzte nicht mehr ganz Deutschland seine Kraft ein für die päpstliche Krönung und die kaiserliche Herrschaft in Ober¬ italien; aber das Kaiserhaus und seine Erdtaube nahmen doch einen Teil der Last auf sich und erweckten damit endlose äußere Kriege mit Italien, Frank¬ reich, Spanien, die nichts mit den Interessen der Nation zu thun hatten, außer daß sie durch die Vernachlässigung der innerdeutschen Angelegenheiten das nationale Gesamtgefühl weiter schwachem. War Friedrich III- der letzte in Rom gekrönte Kaiser, hatte Italien auf¬ gehört, seineu unmittelbar zersetzenden Einfluß auf die staatlichen und natio¬ nalen Zustände Deutschlands auszuüben, so wurde dieser Vorteil aufgewogen durch den Schaden, den die weit engere Verbindung der Kaiserkrone mit den slawisch-ungarischen Erdtauben und später mit Spanien brachte. Die Erb- nwnarchie war endlich, wenn nicht gesetzlich, so thatsächlich da, und die Dynastie war der Nation ferner und fremder als jemals feit den Zeiten der Karolinger. Der Kaiser undeutsch, die zahllosen Fürsten und Herren jeder nationalen Eini¬ gung feindlich, die Nation in religiösem dauerndem Kampf zerrissen — das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/639>, abgerufen am 23.07.2024.