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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Nothnngel träumte ihrem Hochzeitstag entgegen, Kurt saß unter seiner Lcunpe und
genoß die Stille.

Ein kurzer Friede. Begann da nicht schon das Schwatzen der Stare?
Zirpten da nicht die Finken, noch halb im Traum? Freilich, und jetzt lärmte gar
Langschläfer Spatz, als gehöre ihm die Welt allein.

Schon Morgen? Schon die Sonne?

Mit schwankenden Knieen trat Karl ans Fenster. Ein neuer Tag zu neuer
Pein war der einzige Gedanke, der ihm tum, immer wieder dieselben Worte im
mechanischen Rhythmus kreisender Räder. schwindlig wurde ihm davon; er Ver¬
suchte der Qual zu entlaufen, ging ins Schlafzimmer und legte sich in den Kleidern
aufs Bett. Aber er konnte nicht schlafen, im Hofe lachten und schwatzten die Buben,
Franz nahm reihum Abschied, Kilburg und die Flvrke redeten drein.

Karl sah sich selber, wie er damals Abschied genommen hatte, um sein eignes
Leben zu beginnen. Lebte ers denn? Verstand ers nicht immer noch allznschlecht?
Wars ihm nicht wieder aus den Händen geglitten?

Von seinen letzten Bildern hatte Meister Wendelin ihm zwei beanstandet, das
verschuldete auch einzig der goldne Engel: das Fremde gelang ihm nicht, und das
Eigne verlernte er.

Unten verhallte der Lärm, Frau Flörke rief noch: Häng das bischen Zeug auf
deu Gang, damit der Hof feiertägig bleibt! Dann wurde es still.

Und uun sang nett; erst wurf irgend ein Trällern, bald aber wurde das
Tambvurliedcheu daraus. Das liebe alte Ding.


Bin der kleine Tambour Veit,
Meine Trommel kann ich rühren --

Karl sah nett als halbwüchsiges Ding, Ackermanns Jüngsten, an dem die
Mutter gestorben war, auf dem Arm durch deu Hof wandern: hin und her, her
und hin, unermüdlich, bis der Bub die Thränen vergaß, die ihm schon dicht unter
den Angen saßen.


Und die Grenadiere führen
Zur Pnrnde wie zum Streit.

Wie lange hatte Kurt das mir in Augenblicken traumhafter Erinnerung gehört,
wie lange hatte nett das nicht gesungen! Wenn einer der Buben sie nach ihrer
Einsegnung um das Liedchen Plagte, antwortete sie so feierlich, daß alle fünf
Räder es für Ernst nahmen: Erwachsene Mädchen singen keine Soldatenlieder.

Und heilte erklang es wieder und weckte alle Stimmungen, die je im Takte
dieses Liedes lebendig gewesen waren. Altmodisch und traulich klnngs. Zuerst ein
frischer Marsch hinein ins Leben: Märzwind und Aprilneckerei; dünn lösten sich die
Fliederblütengefühle los: weich und leise wiegte die Melodie die Worte des nider
Liedes. So schmeichelnd hatte nett sonst nicht gesungen.

Näher und näher tum der Gesang, Kurt meinte nett zu sehen, wie sie die
Leine entlang ihre Wäschestücke auf den Gang hängte, dn bruns dus Lied mitten
in der Zeile mit einem leisen Wehruf ub.


Nothnngel träumte ihrem Hochzeitstag entgegen, Kurt saß unter seiner Lcunpe und
genoß die Stille.

Ein kurzer Friede. Begann da nicht schon das Schwatzen der Stare?
Zirpten da nicht die Finken, noch halb im Traum? Freilich, und jetzt lärmte gar
Langschläfer Spatz, als gehöre ihm die Welt allein.

Schon Morgen? Schon die Sonne?

Mit schwankenden Knieen trat Karl ans Fenster. Ein neuer Tag zu neuer
Pein war der einzige Gedanke, der ihm tum, immer wieder dieselben Worte im
mechanischen Rhythmus kreisender Räder. schwindlig wurde ihm davon; er Ver¬
suchte der Qual zu entlaufen, ging ins Schlafzimmer und legte sich in den Kleidern
aufs Bett. Aber er konnte nicht schlafen, im Hofe lachten und schwatzten die Buben,
Franz nahm reihum Abschied, Kilburg und die Flvrke redeten drein.

Karl sah sich selber, wie er damals Abschied genommen hatte, um sein eignes
Leben zu beginnen. Lebte ers denn? Verstand ers nicht immer noch allznschlecht?
Wars ihm nicht wieder aus den Händen geglitten?

Von seinen letzten Bildern hatte Meister Wendelin ihm zwei beanstandet, das
verschuldete auch einzig der goldne Engel: das Fremde gelang ihm nicht, und das
Eigne verlernte er.

Unten verhallte der Lärm, Frau Flörke rief noch: Häng das bischen Zeug auf
deu Gang, damit der Hof feiertägig bleibt! Dann wurde es still.

Und uun sang nett; erst wurf irgend ein Trällern, bald aber wurde das
Tambvurliedcheu daraus. Das liebe alte Ding.


Bin der kleine Tambour Veit,
Meine Trommel kann ich rühren —

Karl sah nett als halbwüchsiges Ding, Ackermanns Jüngsten, an dem die
Mutter gestorben war, auf dem Arm durch deu Hof wandern: hin und her, her
und hin, unermüdlich, bis der Bub die Thränen vergaß, die ihm schon dicht unter
den Angen saßen.


Und die Grenadiere führen
Zur Pnrnde wie zum Streit.

Wie lange hatte Kurt das mir in Augenblicken traumhafter Erinnerung gehört,
wie lange hatte nett das nicht gesungen! Wenn einer der Buben sie nach ihrer
Einsegnung um das Liedchen Plagte, antwortete sie so feierlich, daß alle fünf
Räder es für Ernst nahmen: Erwachsene Mädchen singen keine Soldatenlieder.

Und heilte erklang es wieder und weckte alle Stimmungen, die je im Takte
dieses Liedes lebendig gewesen waren. Altmodisch und traulich klnngs. Zuerst ein
frischer Marsch hinein ins Leben: Märzwind und Aprilneckerei; dünn lösten sich die
Fliederblütengefühle los: weich und leise wiegte die Melodie die Worte des nider
Liedes. So schmeichelnd hatte nett sonst nicht gesungen.

Näher und näher tum der Gesang, Kurt meinte nett zu sehen, wie sie die
Leine entlang ihre Wäschestücke auf den Gang hängte, dn bruns dus Lied mitten
in der Zeile mit einem leisen Wehruf ub.


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[0623] Nothnngel träumte ihrem Hochzeitstag entgegen, Kurt saß unter seiner Lcunpe und genoß die Stille. Ein kurzer Friede. Begann da nicht schon das Schwatzen der Stare? Zirpten da nicht die Finken, noch halb im Traum? Freilich, und jetzt lärmte gar Langschläfer Spatz, als gehöre ihm die Welt allein. Schon Morgen? Schon die Sonne? Mit schwankenden Knieen trat Karl ans Fenster. Ein neuer Tag zu neuer Pein war der einzige Gedanke, der ihm tum, immer wieder dieselben Worte im mechanischen Rhythmus kreisender Räder. schwindlig wurde ihm davon; er Ver¬ suchte der Qual zu entlaufen, ging ins Schlafzimmer und legte sich in den Kleidern aufs Bett. Aber er konnte nicht schlafen, im Hofe lachten und schwatzten die Buben, Franz nahm reihum Abschied, Kilburg und die Flvrke redeten drein. Karl sah sich selber, wie er damals Abschied genommen hatte, um sein eignes Leben zu beginnen. Lebte ers denn? Verstand ers nicht immer noch allznschlecht? Wars ihm nicht wieder aus den Händen geglitten? Von seinen letzten Bildern hatte Meister Wendelin ihm zwei beanstandet, das verschuldete auch einzig der goldne Engel: das Fremde gelang ihm nicht, und das Eigne verlernte er. Unten verhallte der Lärm, Frau Flörke rief noch: Häng das bischen Zeug auf deu Gang, damit der Hof feiertägig bleibt! Dann wurde es still. Und uun sang nett; erst wurf irgend ein Trällern, bald aber wurde das Tambvurliedcheu daraus. Das liebe alte Ding. Bin der kleine Tambour Veit, Meine Trommel kann ich rühren — Karl sah nett als halbwüchsiges Ding, Ackermanns Jüngsten, an dem die Mutter gestorben war, auf dem Arm durch deu Hof wandern: hin und her, her und hin, unermüdlich, bis der Bub die Thränen vergaß, die ihm schon dicht unter den Angen saßen. Und die Grenadiere führen Zur Pnrnde wie zum Streit. Wie lange hatte Kurt das mir in Augenblicken traumhafter Erinnerung gehört, wie lange hatte nett das nicht gesungen! Wenn einer der Buben sie nach ihrer Einsegnung um das Liedchen Plagte, antwortete sie so feierlich, daß alle fünf Räder es für Ernst nahmen: Erwachsene Mädchen singen keine Soldatenlieder. Und heilte erklang es wieder und weckte alle Stimmungen, die je im Takte dieses Liedes lebendig gewesen waren. Altmodisch und traulich klnngs. Zuerst ein frischer Marsch hinein ins Leben: Märzwind und Aprilneckerei; dünn lösten sich die Fliederblütengefühle los: weich und leise wiegte die Melodie die Worte des nider Liedes. So schmeichelnd hatte nett sonst nicht gesungen. Näher und näher tum der Gesang, Kurt meinte nett zu sehen, wie sie die Leine entlang ihre Wäschestücke auf den Gang hängte, dn bruns dus Lied mitten in der Zeile mit einem leisen Wehruf ub.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/623>, abgerufen am 23.07.2024.