Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.Gobineaus Geschichtskonstruktion spielt ja dabei das Blut eine Rolle, wie in allen übrigen Lebenserscheinungen ") Wer Rntzels Völkerkunde gelesen hat, wird die Behauptung bezweifeln, daß die Schwarzen
nicht einmal die niedre, die materielle oder technische Kultur aus sich zu erzeugen vermöchte". Allerdings taucht hier wieder die Frage auf, ob ihre Kulturfähigkeit nicht ein Erbteil an? der Zeit vor ihrer Trennung vom Urstamm ist, wo sie -- vielleicht noch gar nicht schwarz waren. Gobineaus Geschichtskonstruktion spielt ja dabei das Blut eine Rolle, wie in allen übrigen Lebenserscheinungen ") Wer Rntzels Völkerkunde gelesen hat, wird die Behauptung bezweifeln, daß die Schwarzen
nicht einmal die niedre, die materielle oder technische Kultur aus sich zu erzeugen vermöchte». Allerdings taucht hier wieder die Frage auf, ob ihre Kulturfähigkeit nicht ein Erbteil an? der Zeit vor ihrer Trennung vom Urstamm ist, wo sie — vielleicht noch gar nicht schwarz waren. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0599" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230285"/> <fw type="header" place="top"> Gobineaus Geschichtskonstruktion</fw><lb/> <p xml:id="ID_2443" prev="#ID_2442" next="#ID_2444"> spielt ja dabei das Blut eine Rolle, wie in allen übrigen Lebenserscheinungen<lb/> der Rassen und Völker. Da dem schwarzen, dem gelben Menschen, wenigstens<lb/> solange er in der ihm eigentümlichen Kultur oder Kulturlosigkeit*) verharrt, die<lb/> Entfaltung zur vollen Persönlichkeit und damit die Subjektivität und das<lb/> Selbständigkeitsgefühl versagt bleiben, so ist er von Natur Demokrat im<lb/> schlechten Sinne des Worts, d. h. er kennt keine bedeutenden Abstufungen und<lb/> Unterschiede der Begabung, die geeignet wären, soziale Unterschiede zu be¬<lb/> gründen, und er giebt zugleich, weil ihm Abhängigkeit eher Bedürfnis ist als<lb/> daß sie ihm widerstrebte, ein geeignetes Material für die Begründung von<lb/> Despotien ab. Nach dieser Seite hin hat also die Bluttheorie recht; nach der<lb/> andern hin aber übertreibt sie. Geborne Individualisten und Selbstherrscher<lb/> sind die Weißen, namentlich die Arier, ganz gewiß; aber daraus folgt durch¬<lb/> aus uicht, daß sie unfähig wären, Demokraten im oben bezeichneten Sinne<lb/> und damit Despotenkncchte zu werden. Geographische und soziale Verhältnisse<lb/> überwinden die Anlage des Bluts, wenn sie jahrhundertelang einwirken. Wie<lb/> erst die geographische Gestalt Europas die volle Entfaltung der arischen Anlage<lb/> möglich gemacht hat, während in Asien auch arische Stämme und zwar auch<lb/> ohne Blutmischung dem Despotismus verfallen mußten, das ist wiederum eine<lb/> Trivialität, die heute jeder sekundärer kennt. Nur das politische Vorurteil<lb/> hindert es noch, daß diese Erfahrungsthatsache auf allen Gebieten anerkannt<lb/> werde. So z. B. sträuben sich manche Historiker heftig gegen ihre Anwendung<lb/> auf die deutsche Geschichte; sie schreiben den Untergang des alten Deutschen<lb/> Reichs beharrlich einer im Blute der Deutschen liegenden Insubordination,<lb/> Streitsucht und Anslünderei zu, während lediglich die Bodengestalt des nach<lb/> zwei Seiten hin der natürlichen Grenzen entbehrenden Wohnplatzes der Deutschen<lb/> daran schuld gewesen ist. Nachdem diese geographische Ursache das Entstehen<lb/> einer Vielheit von Dynastien begünstigt hatte, griffen diese Dynastien, die, auf<lb/> Machterweiterung bedacht, nach verschiednen Seiten aus einander strebten, als<lb/> zweite Ursache ein, und als dritte und vierte kamen dann die durch Gewohn¬<lb/> heit erzeugte Anhänglichkeit der Stämme an ihre Dynastien hinzu, und daß<lb/> die weit entfernt von einander wohnenden in einer Zeit schwer übersteiglicher<lb/> Verkehrshindernisse einander fremd wurden. Wo die Weißen unter asiatischen<lb/> statt unter europäischen Bodenbedingungen gelebt haben, da sind sie ebenfalls<lb/> l>on Despoten regierte Demokraten geworden, z. V. in der sarmatischen Ebne,<lb/> Wo sie, über ein grenzenloses, gleichförmiges Land zerstreut, in einer ganz<lb/> gleichförmigen Lebensweise keine Unterschiede der Personen, der Sitten, der<lb/> Kultur entwickeln konnten, wo anch kein geschlossenes kleines Gebiet seine Be-</p><lb/> <note xml:id="FID_122" place="foot"> ") Wer Rntzels Völkerkunde gelesen hat, wird die Behauptung bezweifeln, daß die Schwarzen<lb/> nicht einmal die niedre, die materielle oder technische Kultur aus sich zu erzeugen vermöchte».<lb/> Allerdings taucht hier wieder die Frage auf, ob ihre Kulturfähigkeit nicht ein Erbteil an? der<lb/> Zeit vor ihrer Trennung vom Urstamm ist, wo sie — vielleicht noch gar nicht schwarz waren.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0599]
Gobineaus Geschichtskonstruktion
spielt ja dabei das Blut eine Rolle, wie in allen übrigen Lebenserscheinungen
der Rassen und Völker. Da dem schwarzen, dem gelben Menschen, wenigstens
solange er in der ihm eigentümlichen Kultur oder Kulturlosigkeit*) verharrt, die
Entfaltung zur vollen Persönlichkeit und damit die Subjektivität und das
Selbständigkeitsgefühl versagt bleiben, so ist er von Natur Demokrat im
schlechten Sinne des Worts, d. h. er kennt keine bedeutenden Abstufungen und
Unterschiede der Begabung, die geeignet wären, soziale Unterschiede zu be¬
gründen, und er giebt zugleich, weil ihm Abhängigkeit eher Bedürfnis ist als
daß sie ihm widerstrebte, ein geeignetes Material für die Begründung von
Despotien ab. Nach dieser Seite hin hat also die Bluttheorie recht; nach der
andern hin aber übertreibt sie. Geborne Individualisten und Selbstherrscher
sind die Weißen, namentlich die Arier, ganz gewiß; aber daraus folgt durch¬
aus uicht, daß sie unfähig wären, Demokraten im oben bezeichneten Sinne
und damit Despotenkncchte zu werden. Geographische und soziale Verhältnisse
überwinden die Anlage des Bluts, wenn sie jahrhundertelang einwirken. Wie
erst die geographische Gestalt Europas die volle Entfaltung der arischen Anlage
möglich gemacht hat, während in Asien auch arische Stämme und zwar auch
ohne Blutmischung dem Despotismus verfallen mußten, das ist wiederum eine
Trivialität, die heute jeder sekundärer kennt. Nur das politische Vorurteil
hindert es noch, daß diese Erfahrungsthatsache auf allen Gebieten anerkannt
werde. So z. B. sträuben sich manche Historiker heftig gegen ihre Anwendung
auf die deutsche Geschichte; sie schreiben den Untergang des alten Deutschen
Reichs beharrlich einer im Blute der Deutschen liegenden Insubordination,
Streitsucht und Anslünderei zu, während lediglich die Bodengestalt des nach
zwei Seiten hin der natürlichen Grenzen entbehrenden Wohnplatzes der Deutschen
daran schuld gewesen ist. Nachdem diese geographische Ursache das Entstehen
einer Vielheit von Dynastien begünstigt hatte, griffen diese Dynastien, die, auf
Machterweiterung bedacht, nach verschiednen Seiten aus einander strebten, als
zweite Ursache ein, und als dritte und vierte kamen dann die durch Gewohn¬
heit erzeugte Anhänglichkeit der Stämme an ihre Dynastien hinzu, und daß
die weit entfernt von einander wohnenden in einer Zeit schwer übersteiglicher
Verkehrshindernisse einander fremd wurden. Wo die Weißen unter asiatischen
statt unter europäischen Bodenbedingungen gelebt haben, da sind sie ebenfalls
l>on Despoten regierte Demokraten geworden, z. V. in der sarmatischen Ebne,
Wo sie, über ein grenzenloses, gleichförmiges Land zerstreut, in einer ganz
gleichförmigen Lebensweise keine Unterschiede der Personen, der Sitten, der
Kultur entwickeln konnten, wo anch kein geschlossenes kleines Gebiet seine Be-
") Wer Rntzels Völkerkunde gelesen hat, wird die Behauptung bezweifeln, daß die Schwarzen
nicht einmal die niedre, die materielle oder technische Kultur aus sich zu erzeugen vermöchte».
Allerdings taucht hier wieder die Frage auf, ob ihre Kulturfähigkeit nicht ein Erbteil an? der
Zeit vor ihrer Trennung vom Urstamm ist, wo sie — vielleicht noch gar nicht schwarz waren.
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