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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zur Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von >i,3?9

kostete noch eine" harten Kampf in Baden-Baden, ja Bismarck mußte sogar im
Einvernehmen mit den: Staatsministerium wiederholt die Kabinettsfrage stellen,
um den Widerstand des Kaisers zu besiegen/") Auch als dieser seine Ein¬
willigung gegeben hatte, fühlte er sich, wie der in Baden verweilende Kron¬
prinz, der mit dem Vertrage ganz einverstanden war, aber auf seinen Vater
keinen Einfluß hatte, dem Reichskanzler am 4. Oktober vertraulich mitteilte,
"kreuzunglücklich" und wiederholte fortwährend, er habe sich durch seine Ent¬
scheidung entehrt und sei treulos seinem Freunde, dem Zaren, gegenüber ge¬
worden. Am 4. Oktober kehrte Graf Stolberg mit der Unterschrift des
Monarchen nach Berlin zurück, am 5. hielt das Staatsministerium unter dein
Borsitze des Reichskanzlers in dieser Angelegenheit eine Sitzung, am 7. wurde
das Bündnis von Andrassh und dem deutschen Botschafter Prinzen Reuß in
Wien unterzeichnet, am 15. Oktober 1879 auch von den beiden Kaisern voll¬
zogen. Die Lage war in diesem Augenblicke so gespannt, daß man sich in
Berlin auf deu Krieg mit Rußland gefaßt machte, und Ende Oktober der
Feldmarschall Moltke in Dresden erschien, um dem König Albert von Sachsen,
dem erprobten Führer der Maasarmee 1870/71, den Oberbefehl gegen Ru߬
land anzubieten."") Um so berechtigter und notwendiger erschien es, wenn
Kaiser Wilhelm dem Drange seines Herzens Genüge leistete, indem er am
4. November an Alexander II. ein ausführliches Schreiben als Begleitung
einer Denkschrift richtete, um ihn über die Entstehung und die durchaus
defeusive Absicht des deutsch-österreichischen Bündnisses aufzuklären. Er verbarg
ihm dabei aber keineswegs, daß die Haltung der russischen Presse und die
auffällige Verstärkung des russischen Heeres Europa noch immer in Unsicherheit
halte, weil sie die Befürchtung erwecke, es könne den Nihilisten und Panslawisteu
doch noch gelingen, die russische Regierung für ihre revolutionären Pläne mit
fortzureißen. In diesem Falle werde sie allerdings dem gemeinschaftlichen
Widerstande ihrer Nachbarn begegnen.""*) Um das deutsch-österreichische
Bündnis als eine völkerrechtliche Wiederherstellung des alten Deutschen Bundes
zum Zwecke gemeinsamer Verteidigung zu motivieren, hatte Fürst Bismarck
in Varzin am 30. Oktober einen Entwurf aufgesetzt, den der Kaiser für sein
Schreiben wenigstens in seineu Hauptgedanken benutzte. Alexander II. ant¬
wortete aus Livadia am 2./14. November mit dem Ausdrucke des Dankes für die
Offenheit seines Oheims und der Freude darüber, daß nun die vollkommne
Verständigung der drei Kaiser wieder hergestellt sei. Zugleich versicherte er
nochmals, daß die russischen Rüstungen keine Drohung sein sollten, und be¬
teuerte, daß die panslawistischen Bestrebungen keinen Einfluß auf die Regierung





Gedanken und Erinnerungen ,U, 247 f.
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Zur Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von >i,3?9

kostete noch eine» harten Kampf in Baden-Baden, ja Bismarck mußte sogar im
Einvernehmen mit den: Staatsministerium wiederholt die Kabinettsfrage stellen,
um den Widerstand des Kaisers zu besiegen/") Auch als dieser seine Ein¬
willigung gegeben hatte, fühlte er sich, wie der in Baden verweilende Kron¬
prinz, der mit dem Vertrage ganz einverstanden war, aber auf seinen Vater
keinen Einfluß hatte, dem Reichskanzler am 4. Oktober vertraulich mitteilte,
„kreuzunglücklich" und wiederholte fortwährend, er habe sich durch seine Ent¬
scheidung entehrt und sei treulos seinem Freunde, dem Zaren, gegenüber ge¬
worden. Am 4. Oktober kehrte Graf Stolberg mit der Unterschrift des
Monarchen nach Berlin zurück, am 5. hielt das Staatsministerium unter dein
Borsitze des Reichskanzlers in dieser Angelegenheit eine Sitzung, am 7. wurde
das Bündnis von Andrassh und dem deutschen Botschafter Prinzen Reuß in
Wien unterzeichnet, am 15. Oktober 1879 auch von den beiden Kaisern voll¬
zogen. Die Lage war in diesem Augenblicke so gespannt, daß man sich in
Berlin auf deu Krieg mit Rußland gefaßt machte, und Ende Oktober der
Feldmarschall Moltke in Dresden erschien, um dem König Albert von Sachsen,
dem erprobten Führer der Maasarmee 1870/71, den Oberbefehl gegen Ru߬
land anzubieten."") Um so berechtigter und notwendiger erschien es, wenn
Kaiser Wilhelm dem Drange seines Herzens Genüge leistete, indem er am
4. November an Alexander II. ein ausführliches Schreiben als Begleitung
einer Denkschrift richtete, um ihn über die Entstehung und die durchaus
defeusive Absicht des deutsch-österreichischen Bündnisses aufzuklären. Er verbarg
ihm dabei aber keineswegs, daß die Haltung der russischen Presse und die
auffällige Verstärkung des russischen Heeres Europa noch immer in Unsicherheit
halte, weil sie die Befürchtung erwecke, es könne den Nihilisten und Panslawisteu
doch noch gelingen, die russische Regierung für ihre revolutionären Pläne mit
fortzureißen. In diesem Falle werde sie allerdings dem gemeinschaftlichen
Widerstande ihrer Nachbarn begegnen.""*) Um das deutsch-österreichische
Bündnis als eine völkerrechtliche Wiederherstellung des alten Deutschen Bundes
zum Zwecke gemeinsamer Verteidigung zu motivieren, hatte Fürst Bismarck
in Varzin am 30. Oktober einen Entwurf aufgesetzt, den der Kaiser für sein
Schreiben wenigstens in seineu Hauptgedanken benutzte. Alexander II. ant¬
wortete aus Livadia am 2./14. November mit dem Ausdrucke des Dankes für die
Offenheit seines Oheims und der Freude darüber, daß nun die vollkommne
Verständigung der drei Kaiser wieder hergestellt sei. Zugleich versicherte er
nochmals, daß die russischen Rüstungen keine Drohung sein sollten, und be¬
teuerte, daß die panslawistischen Bestrebungen keinen Einfluß auf die Regierung





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[0592] Zur Entstehung des deutsch-österreichischen Bündnisses von >i,3?9 kostete noch eine» harten Kampf in Baden-Baden, ja Bismarck mußte sogar im Einvernehmen mit den: Staatsministerium wiederholt die Kabinettsfrage stellen, um den Widerstand des Kaisers zu besiegen/") Auch als dieser seine Ein¬ willigung gegeben hatte, fühlte er sich, wie der in Baden verweilende Kron¬ prinz, der mit dem Vertrage ganz einverstanden war, aber auf seinen Vater keinen Einfluß hatte, dem Reichskanzler am 4. Oktober vertraulich mitteilte, „kreuzunglücklich" und wiederholte fortwährend, er habe sich durch seine Ent¬ scheidung entehrt und sei treulos seinem Freunde, dem Zaren, gegenüber ge¬ worden. Am 4. Oktober kehrte Graf Stolberg mit der Unterschrift des Monarchen nach Berlin zurück, am 5. hielt das Staatsministerium unter dein Borsitze des Reichskanzlers in dieser Angelegenheit eine Sitzung, am 7. wurde das Bündnis von Andrassh und dem deutschen Botschafter Prinzen Reuß in Wien unterzeichnet, am 15. Oktober 1879 auch von den beiden Kaisern voll¬ zogen. Die Lage war in diesem Augenblicke so gespannt, daß man sich in Berlin auf deu Krieg mit Rußland gefaßt machte, und Ende Oktober der Feldmarschall Moltke in Dresden erschien, um dem König Albert von Sachsen, dem erprobten Führer der Maasarmee 1870/71, den Oberbefehl gegen Ru߬ land anzubieten."") Um so berechtigter und notwendiger erschien es, wenn Kaiser Wilhelm dem Drange seines Herzens Genüge leistete, indem er am 4. November an Alexander II. ein ausführliches Schreiben als Begleitung einer Denkschrift richtete, um ihn über die Entstehung und die durchaus defeusive Absicht des deutsch-österreichischen Bündnisses aufzuklären. Er verbarg ihm dabei aber keineswegs, daß die Haltung der russischen Presse und die auffällige Verstärkung des russischen Heeres Europa noch immer in Unsicherheit halte, weil sie die Befürchtung erwecke, es könne den Nihilisten und Panslawisteu doch noch gelingen, die russische Regierung für ihre revolutionären Pläne mit fortzureißen. In diesem Falle werde sie allerdings dem gemeinschaftlichen Widerstande ihrer Nachbarn begegnen.""*) Um das deutsch-österreichische Bündnis als eine völkerrechtliche Wiederherstellung des alten Deutschen Bundes zum Zwecke gemeinsamer Verteidigung zu motivieren, hatte Fürst Bismarck in Varzin am 30. Oktober einen Entwurf aufgesetzt, den der Kaiser für sein Schreiben wenigstens in seineu Hauptgedanken benutzte. Alexander II. ant¬ wortete aus Livadia am 2./14. November mit dem Ausdrucke des Dankes für die Offenheit seines Oheims und der Freude darüber, daß nun die vollkommne Verständigung der drei Kaiser wieder hergestellt sei. Zugleich versicherte er nochmals, daß die russischen Rüstungen keine Drohung sein sollten, und be¬ teuerte, daß die panslawistischen Bestrebungen keinen Einfluß auf die Regierung Gedanken und Erinnerungen ,U, 247 f. Grenzboten von >8»3, ! V. Quartal, S, >!>',, ''' ) H, Kohl, Wegweiser 17» sf.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/592>, abgerufen am 23.07.2024.