Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Schlacht bei Ahartmn

Lager bezogen, dessen bogenförmige Front nach Nordwesten, Westen und Süd¬
westen zeigte. Kitchener ritt alsbald auf eine gegen drei Kilometer vor dem
südwestlichen Flügel gelegne Höhe, den Dschebel Surgham, und sah die
Streiter des Kalifen in hellen Haufen aus Omdurman herauskommen. Ein
paar Kilometer nördlich der Stadt hielten sie und bezogen ein Lager zum
Abkochen. Der Sirdar schätzte ihre Zahl auf etwa 35000; es stellte sich
später indes heraus, daß sie 45 bis 50000 Mann stark waren. Aber es
waren nicht mehr die Gegner von 1882 bis 1885. Die treibende Kraft des
ganzen Mahdismus, der religiöse Fanatismus, der vordem die Mängel in
der Organisation und Bewaffnung ausgeglichen hatte, war bedenklich ge¬
schwunden.

Die seßhafte Bevölkerung, namentlich des Nordostens und Ostens, em¬
pfand die Herrschaft des Kalifen längst schon als das ausbeutende Schreckens¬
regiment eines bevorzugten Volksstammes, der Baggara, denen der Kauf selbst
entstammte, und die seine besten Krieger abgaben. Auch getreue Anhänger
waren im Glauben an die höhere Sendung des "Stellvertreters" des "gott-
begnadeter Erlösers" Wahdi) irre geworden. Und was nicht minder in Be¬
tracht kommt: auch Allah hält es mit dem starken, gut bewaffneten Schlacht¬
haufen. Mit den Waffen aber stand es schlecht. Nach dein von Major (heute
Oberst) Wingate 1890 veröffentlichten Generalbericht über den ägyptischen
Sudan -- nebenbei bemerkt ist dieser starke Band trotz Ohrwalder lind stallr
noch immer die beste Quelle für die einschlägigen Verhältnisse -- besaß die
Mahdia etwa 30000 den Ägyptern genommne Nemingtons und 68 Ge¬
schütze der verschiedensten Muster und Kaliber, darunter auch vier Krupps.
Was die Gewehre anbetrifft, so waren sie, vielfach zu kriegerischen Unter¬
nehmungen gebraucht, von Jahr zu Jahr weniger zahlreich und schlechter ge¬
worden. Es sollen zu der Zeit des Zuges nach Khartum noch 20000 vor¬
handen gewesen sein. Aber wie sahen sie ans? Visiereinrichtung und Korn
hatten die Derwische, als gänzlich überflüssig, einfach von den Läufen ge¬
brochen; diese Thatsache beweist allein schon, was man von ihrer Schießfertig¬
keit zu erwarten hatte. Am schlimmsten aber stand es mit der Munition.
Bis zum Auseinanderfallen waren die Metallhülsen immer wieder von neue":
gebraucht worden, und als Treibmittel hatte man ein Pulver verwandt, das
unter dem Zwange des Kalifen von europäischen Gefangnen in Omdurman
hergestellt war. Ebenso verhielt es sich mit der Munition für die Geschütze,
ganz abgesehen davon, daß es an halbwegs geübten Bedienungsmannschaften
mangelte.

Von der Waffen- und Munitionszufuhr aus dem Auslande waren die
Derwische ganz abgeschnitten. Zwar hieß es, der geschäftskundige Menelik
habe ihnen zu hohen Preisen die Ausschußgewehre seines Heeres angehängt,
und aus Ghedaref berichtete man, die dort kämpfenden Derwische seien mit Ge-


Die Schlacht bei Ahartmn

Lager bezogen, dessen bogenförmige Front nach Nordwesten, Westen und Süd¬
westen zeigte. Kitchener ritt alsbald auf eine gegen drei Kilometer vor dem
südwestlichen Flügel gelegne Höhe, den Dschebel Surgham, und sah die
Streiter des Kalifen in hellen Haufen aus Omdurman herauskommen. Ein
paar Kilometer nördlich der Stadt hielten sie und bezogen ein Lager zum
Abkochen. Der Sirdar schätzte ihre Zahl auf etwa 35000; es stellte sich
später indes heraus, daß sie 45 bis 50000 Mann stark waren. Aber es
waren nicht mehr die Gegner von 1882 bis 1885. Die treibende Kraft des
ganzen Mahdismus, der religiöse Fanatismus, der vordem die Mängel in
der Organisation und Bewaffnung ausgeglichen hatte, war bedenklich ge¬
schwunden.

Die seßhafte Bevölkerung, namentlich des Nordostens und Ostens, em¬
pfand die Herrschaft des Kalifen längst schon als das ausbeutende Schreckens¬
regiment eines bevorzugten Volksstammes, der Baggara, denen der Kauf selbst
entstammte, und die seine besten Krieger abgaben. Auch getreue Anhänger
waren im Glauben an die höhere Sendung des „Stellvertreters" des „gott-
begnadeter Erlösers" Wahdi) irre geworden. Und was nicht minder in Be¬
tracht kommt: auch Allah hält es mit dem starken, gut bewaffneten Schlacht¬
haufen. Mit den Waffen aber stand es schlecht. Nach dein von Major (heute
Oberst) Wingate 1890 veröffentlichten Generalbericht über den ägyptischen
Sudan — nebenbei bemerkt ist dieser starke Band trotz Ohrwalder lind stallr
noch immer die beste Quelle für die einschlägigen Verhältnisse — besaß die
Mahdia etwa 30000 den Ägyptern genommne Nemingtons und 68 Ge¬
schütze der verschiedensten Muster und Kaliber, darunter auch vier Krupps.
Was die Gewehre anbetrifft, so waren sie, vielfach zu kriegerischen Unter¬
nehmungen gebraucht, von Jahr zu Jahr weniger zahlreich und schlechter ge¬
worden. Es sollen zu der Zeit des Zuges nach Khartum noch 20000 vor¬
handen gewesen sein. Aber wie sahen sie ans? Visiereinrichtung und Korn
hatten die Derwische, als gänzlich überflüssig, einfach von den Läufen ge¬
brochen; diese Thatsache beweist allein schon, was man von ihrer Schießfertig¬
keit zu erwarten hatte. Am schlimmsten aber stand es mit der Munition.
Bis zum Auseinanderfallen waren die Metallhülsen immer wieder von neue»:
gebraucht worden, und als Treibmittel hatte man ein Pulver verwandt, das
unter dem Zwange des Kalifen von europäischen Gefangnen in Omdurman
hergestellt war. Ebenso verhielt es sich mit der Munition für die Geschütze,
ganz abgesehen davon, daß es an halbwegs geübten Bedienungsmannschaften
mangelte.

Von der Waffen- und Munitionszufuhr aus dem Auslande waren die
Derwische ganz abgeschnitten. Zwar hieß es, der geschäftskundige Menelik
habe ihnen zu hohen Preisen die Ausschußgewehre seines Heeres angehängt,
und aus Ghedaref berichtete man, die dort kämpfenden Derwische seien mit Ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0580" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230266"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Schlacht bei Ahartmn</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2396" prev="#ID_2395"> Lager bezogen, dessen bogenförmige Front nach Nordwesten, Westen und Süd¬<lb/>
westen zeigte. Kitchener ritt alsbald auf eine gegen drei Kilometer vor dem<lb/>
südwestlichen Flügel gelegne Höhe, den Dschebel Surgham, und sah die<lb/>
Streiter des Kalifen in hellen Haufen aus Omdurman herauskommen. Ein<lb/>
paar Kilometer nördlich der Stadt hielten sie und bezogen ein Lager zum<lb/>
Abkochen. Der Sirdar schätzte ihre Zahl auf etwa 35000; es stellte sich<lb/>
später indes heraus, daß sie 45 bis 50000 Mann stark waren. Aber es<lb/>
waren nicht mehr die Gegner von 1882 bis 1885. Die treibende Kraft des<lb/>
ganzen Mahdismus, der religiöse Fanatismus, der vordem die Mängel in<lb/>
der Organisation und Bewaffnung ausgeglichen hatte, war bedenklich ge¬<lb/>
schwunden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2397"> Die seßhafte Bevölkerung, namentlich des Nordostens und Ostens, em¬<lb/>
pfand die Herrschaft des Kalifen längst schon als das ausbeutende Schreckens¬<lb/>
regiment eines bevorzugten Volksstammes, der Baggara, denen der Kauf selbst<lb/>
entstammte, und die seine besten Krieger abgaben. Auch getreue Anhänger<lb/>
waren im Glauben an die höhere Sendung des &#x201E;Stellvertreters" des &#x201E;gott-<lb/>
begnadeter Erlösers" Wahdi) irre geworden. Und was nicht minder in Be¬<lb/>
tracht kommt: auch Allah hält es mit dem starken, gut bewaffneten Schlacht¬<lb/>
haufen. Mit den Waffen aber stand es schlecht. Nach dein von Major (heute<lb/>
Oberst) Wingate 1890 veröffentlichten Generalbericht über den ägyptischen<lb/>
Sudan &#x2014; nebenbei bemerkt ist dieser starke Band trotz Ohrwalder lind stallr<lb/>
noch immer die beste Quelle für die einschlägigen Verhältnisse &#x2014; besaß die<lb/>
Mahdia etwa 30000 den Ägyptern genommne Nemingtons und 68 Ge¬<lb/>
schütze der verschiedensten Muster und Kaliber, darunter auch vier Krupps.<lb/>
Was die Gewehre anbetrifft, so waren sie, vielfach zu kriegerischen Unter¬<lb/>
nehmungen gebraucht, von Jahr zu Jahr weniger zahlreich und schlechter ge¬<lb/>
worden. Es sollen zu der Zeit des Zuges nach Khartum noch 20000 vor¬<lb/>
handen gewesen sein. Aber wie sahen sie ans? Visiereinrichtung und Korn<lb/>
hatten die Derwische, als gänzlich überflüssig, einfach von den Läufen ge¬<lb/>
brochen; diese Thatsache beweist allein schon, was man von ihrer Schießfertig¬<lb/>
keit zu erwarten hatte. Am schlimmsten aber stand es mit der Munition.<lb/>
Bis zum Auseinanderfallen waren die Metallhülsen immer wieder von neue»:<lb/>
gebraucht worden, und als Treibmittel hatte man ein Pulver verwandt, das<lb/>
unter dem Zwange des Kalifen von europäischen Gefangnen in Omdurman<lb/>
hergestellt war. Ebenso verhielt es sich mit der Munition für die Geschütze,<lb/>
ganz abgesehen davon, daß es an halbwegs geübten Bedienungsmannschaften<lb/>
mangelte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2398" next="#ID_2399"> Von der Waffen- und Munitionszufuhr aus dem Auslande waren die<lb/>
Derwische ganz abgeschnitten. Zwar hieß es, der geschäftskundige Menelik<lb/>
habe ihnen zu hohen Preisen die Ausschußgewehre seines Heeres angehängt,<lb/>
und aus Ghedaref berichtete man, die dort kämpfenden Derwische seien mit Ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0580] Die Schlacht bei Ahartmn Lager bezogen, dessen bogenförmige Front nach Nordwesten, Westen und Süd¬ westen zeigte. Kitchener ritt alsbald auf eine gegen drei Kilometer vor dem südwestlichen Flügel gelegne Höhe, den Dschebel Surgham, und sah die Streiter des Kalifen in hellen Haufen aus Omdurman herauskommen. Ein paar Kilometer nördlich der Stadt hielten sie und bezogen ein Lager zum Abkochen. Der Sirdar schätzte ihre Zahl auf etwa 35000; es stellte sich später indes heraus, daß sie 45 bis 50000 Mann stark waren. Aber es waren nicht mehr die Gegner von 1882 bis 1885. Die treibende Kraft des ganzen Mahdismus, der religiöse Fanatismus, der vordem die Mängel in der Organisation und Bewaffnung ausgeglichen hatte, war bedenklich ge¬ schwunden. Die seßhafte Bevölkerung, namentlich des Nordostens und Ostens, em¬ pfand die Herrschaft des Kalifen längst schon als das ausbeutende Schreckens¬ regiment eines bevorzugten Volksstammes, der Baggara, denen der Kauf selbst entstammte, und die seine besten Krieger abgaben. Auch getreue Anhänger waren im Glauben an die höhere Sendung des „Stellvertreters" des „gott- begnadeter Erlösers" Wahdi) irre geworden. Und was nicht minder in Be¬ tracht kommt: auch Allah hält es mit dem starken, gut bewaffneten Schlacht¬ haufen. Mit den Waffen aber stand es schlecht. Nach dein von Major (heute Oberst) Wingate 1890 veröffentlichten Generalbericht über den ägyptischen Sudan — nebenbei bemerkt ist dieser starke Band trotz Ohrwalder lind stallr noch immer die beste Quelle für die einschlägigen Verhältnisse — besaß die Mahdia etwa 30000 den Ägyptern genommne Nemingtons und 68 Ge¬ schütze der verschiedensten Muster und Kaliber, darunter auch vier Krupps. Was die Gewehre anbetrifft, so waren sie, vielfach zu kriegerischen Unter¬ nehmungen gebraucht, von Jahr zu Jahr weniger zahlreich und schlechter ge¬ worden. Es sollen zu der Zeit des Zuges nach Khartum noch 20000 vor¬ handen gewesen sein. Aber wie sahen sie ans? Visiereinrichtung und Korn hatten die Derwische, als gänzlich überflüssig, einfach von den Läufen ge¬ brochen; diese Thatsache beweist allein schon, was man von ihrer Schießfertig¬ keit zu erwarten hatte. Am schlimmsten aber stand es mit der Munition. Bis zum Auseinanderfallen waren die Metallhülsen immer wieder von neue»: gebraucht worden, und als Treibmittel hatte man ein Pulver verwandt, das unter dem Zwange des Kalifen von europäischen Gefangnen in Omdurman hergestellt war. Ebenso verhielt es sich mit der Munition für die Geschütze, ganz abgesehen davon, daß es an halbwegs geübten Bedienungsmannschaften mangelte. Von der Waffen- und Munitionszufuhr aus dem Auslande waren die Derwische ganz abgeschnitten. Zwar hieß es, der geschäftskundige Menelik habe ihnen zu hohen Preisen die Ausschußgewehre seines Heeres angehängt, und aus Ghedaref berichtete man, die dort kämpfenden Derwische seien mit Ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/580
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/580>, abgerufen am 23.07.2024.