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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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unbequemen Mitbewerber niederzischt oder niederrezensiert. Da helfen nichts
die geschickten Auffrischungen des Interesses durch Erzählungen über die
Modelle des Dichters oder über rein persönliche Verhältnisse. Einstweilen hat
freilich eine derartige Mache ihre Schuldigkeit gethan, aber leise und schüchtern
verbreitet sich schon die Kunde, daß "Fuhrmann Henschel" dem Wiener
Publikum nicht gefallen hat! Und doch konnte kein Regisseur der Erde dem
Stücke eine glänzendere "Jnszenesetznng" bereiten, als sie ihm -- sagen wir:
ein Zusammentreffen glücklicher Zufälle bescherte. Aber die Macher sind auch
hier geschickt gewesen. Kaum sind die Viktoriaschüsse über den Berliner "Sen¬
sationserfolg" verklungen, als -- wenige Tage vor der Aufführung am Wiener
Burgtheater -- dem Fuhrmannsdrama der Grillparzerpreis -- unter Mit¬
wirkung des Burgtheaterdirektors -- verliehen wird. Dann am Vorabend der
Aufführung die wie Lauffeuer verbreitete Kunde von der Einladung des Dichters
zu einer angeblich von der Akademie veranstalteten Begrüßungsfeier. Kaum
liegen die ersten kurzen Nachrichten über den Eindruck der Aufführung vor,
als auch schon die Festberichte über das angeblich akademische Bankett alle
Kritik in den Hintergrund drängen, zumal da ja der Direktor des Burgtheaters
in seiner Bankettrede bescheiden genug war, Hauptmann für den ersten, angeblich
großen litterarischen Sieg zu danken, zu dem der Dichter ihm als Direktor
verholfen habe.

Inzwischen erschien auch die Gedächtnisrede im Druck, die der Direktor
des Deutschen Theaters in Berlin auf Theodor Fontane gehalten hat -- mehr
als auf diesen eigentlich eine Lobrede auf die Autoren des Deutschen Theaters.
Daß die Briefsteller, die Fontane als einen Mitstreiter der Hauptmann-
kompagnie und gar als einen Verehrer Sudermanns hinstellen sollen, in ihrer
Liebenswürdigkeit gegen den als entschiedensten Vorkämpfer Hauptmanns be¬
kannten Adressaten nur ein einseitiges Bild von Theodor Fontanes Meinung
geben, kann der Schreiber dieser Zeilen selbst beweisen: denn Fontane hat
sich wiederholt -- mündlich wie brieflich -- dahin ausgesprochen, daß ihm
Hauptmanns Naturalismus -- bei aller Anerkennung und allem Interesse für
des Dichters Talent --- zuwider sei, noch unsympathischer freilich die im
"Hcmnele" ausgeprägte jüngste Romantik. Nur das Verdienst technischer Ver¬
vollkommnung gestand er dem Naturalismus zu.

Doch haben die unbedingten Vorkämpfer Hauptmanns, die wahllos seinen
Naturalismus wie seinen Symbolismus als Offenbarung der neuen Kunst
ausschreien, wirklich noch nötig, sich auf Autoritäten zu berufen? Von Zeit
zu Zeit sieht die Menge freilich einen solchen Alten gern als Autorität ins
Feld geführt, um im Glauben an den Modegötzen eine Rückendeckung zu finden.
Beweisen aber nicht die vierundvierzig Auflagen, die die "Versunkene Glocke"
in zwei Jahren, die sechzehn Auflagen, die "Fuhrmann Henschel" in acht
Wochen gefunden hat, daß Gerhart Hauptmann der Auserkorne des ganzen
deutschen Volkes ist? Es gab eine Zeit, wo Stücke von Paul Lindau, Romane


unbequemen Mitbewerber niederzischt oder niederrezensiert. Da helfen nichts
die geschickten Auffrischungen des Interesses durch Erzählungen über die
Modelle des Dichters oder über rein persönliche Verhältnisse. Einstweilen hat
freilich eine derartige Mache ihre Schuldigkeit gethan, aber leise und schüchtern
verbreitet sich schon die Kunde, daß „Fuhrmann Henschel" dem Wiener
Publikum nicht gefallen hat! Und doch konnte kein Regisseur der Erde dem
Stücke eine glänzendere „Jnszenesetznng" bereiten, als sie ihm — sagen wir:
ein Zusammentreffen glücklicher Zufälle bescherte. Aber die Macher sind auch
hier geschickt gewesen. Kaum sind die Viktoriaschüsse über den Berliner „Sen¬
sationserfolg" verklungen, als — wenige Tage vor der Aufführung am Wiener
Burgtheater — dem Fuhrmannsdrama der Grillparzerpreis — unter Mit¬
wirkung des Burgtheaterdirektors — verliehen wird. Dann am Vorabend der
Aufführung die wie Lauffeuer verbreitete Kunde von der Einladung des Dichters
zu einer angeblich von der Akademie veranstalteten Begrüßungsfeier. Kaum
liegen die ersten kurzen Nachrichten über den Eindruck der Aufführung vor,
als auch schon die Festberichte über das angeblich akademische Bankett alle
Kritik in den Hintergrund drängen, zumal da ja der Direktor des Burgtheaters
in seiner Bankettrede bescheiden genug war, Hauptmann für den ersten, angeblich
großen litterarischen Sieg zu danken, zu dem der Dichter ihm als Direktor
verholfen habe.

Inzwischen erschien auch die Gedächtnisrede im Druck, die der Direktor
des Deutschen Theaters in Berlin auf Theodor Fontane gehalten hat — mehr
als auf diesen eigentlich eine Lobrede auf die Autoren des Deutschen Theaters.
Daß die Briefsteller, die Fontane als einen Mitstreiter der Hauptmann-
kompagnie und gar als einen Verehrer Sudermanns hinstellen sollen, in ihrer
Liebenswürdigkeit gegen den als entschiedensten Vorkämpfer Hauptmanns be¬
kannten Adressaten nur ein einseitiges Bild von Theodor Fontanes Meinung
geben, kann der Schreiber dieser Zeilen selbst beweisen: denn Fontane hat
sich wiederholt — mündlich wie brieflich — dahin ausgesprochen, daß ihm
Hauptmanns Naturalismus — bei aller Anerkennung und allem Interesse für
des Dichters Talent —- zuwider sei, noch unsympathischer freilich die im
„Hcmnele" ausgeprägte jüngste Romantik. Nur das Verdienst technischer Ver¬
vollkommnung gestand er dem Naturalismus zu.

Doch haben die unbedingten Vorkämpfer Hauptmanns, die wahllos seinen
Naturalismus wie seinen Symbolismus als Offenbarung der neuen Kunst
ausschreien, wirklich noch nötig, sich auf Autoritäten zu berufen? Von Zeit
zu Zeit sieht die Menge freilich einen solchen Alten gern als Autorität ins
Feld geführt, um im Glauben an den Modegötzen eine Rückendeckung zu finden.
Beweisen aber nicht die vierundvierzig Auflagen, die die „Versunkene Glocke"
in zwei Jahren, die sechzehn Auflagen, die „Fuhrmann Henschel" in acht
Wochen gefunden hat, daß Gerhart Hauptmann der Auserkorne des ganzen
deutschen Volkes ist? Es gab eine Zeit, wo Stücke von Paul Lindau, Romane


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[0549] unbequemen Mitbewerber niederzischt oder niederrezensiert. Da helfen nichts die geschickten Auffrischungen des Interesses durch Erzählungen über die Modelle des Dichters oder über rein persönliche Verhältnisse. Einstweilen hat freilich eine derartige Mache ihre Schuldigkeit gethan, aber leise und schüchtern verbreitet sich schon die Kunde, daß „Fuhrmann Henschel" dem Wiener Publikum nicht gefallen hat! Und doch konnte kein Regisseur der Erde dem Stücke eine glänzendere „Jnszenesetznng" bereiten, als sie ihm — sagen wir: ein Zusammentreffen glücklicher Zufälle bescherte. Aber die Macher sind auch hier geschickt gewesen. Kaum sind die Viktoriaschüsse über den Berliner „Sen¬ sationserfolg" verklungen, als — wenige Tage vor der Aufführung am Wiener Burgtheater — dem Fuhrmannsdrama der Grillparzerpreis — unter Mit¬ wirkung des Burgtheaterdirektors — verliehen wird. Dann am Vorabend der Aufführung die wie Lauffeuer verbreitete Kunde von der Einladung des Dichters zu einer angeblich von der Akademie veranstalteten Begrüßungsfeier. Kaum liegen die ersten kurzen Nachrichten über den Eindruck der Aufführung vor, als auch schon die Festberichte über das angeblich akademische Bankett alle Kritik in den Hintergrund drängen, zumal da ja der Direktor des Burgtheaters in seiner Bankettrede bescheiden genug war, Hauptmann für den ersten, angeblich großen litterarischen Sieg zu danken, zu dem der Dichter ihm als Direktor verholfen habe. Inzwischen erschien auch die Gedächtnisrede im Druck, die der Direktor des Deutschen Theaters in Berlin auf Theodor Fontane gehalten hat — mehr als auf diesen eigentlich eine Lobrede auf die Autoren des Deutschen Theaters. Daß die Briefsteller, die Fontane als einen Mitstreiter der Hauptmann- kompagnie und gar als einen Verehrer Sudermanns hinstellen sollen, in ihrer Liebenswürdigkeit gegen den als entschiedensten Vorkämpfer Hauptmanns be¬ kannten Adressaten nur ein einseitiges Bild von Theodor Fontanes Meinung geben, kann der Schreiber dieser Zeilen selbst beweisen: denn Fontane hat sich wiederholt — mündlich wie brieflich — dahin ausgesprochen, daß ihm Hauptmanns Naturalismus — bei aller Anerkennung und allem Interesse für des Dichters Talent —- zuwider sei, noch unsympathischer freilich die im „Hcmnele" ausgeprägte jüngste Romantik. Nur das Verdienst technischer Ver¬ vollkommnung gestand er dem Naturalismus zu. Doch haben die unbedingten Vorkämpfer Hauptmanns, die wahllos seinen Naturalismus wie seinen Symbolismus als Offenbarung der neuen Kunst ausschreien, wirklich noch nötig, sich auf Autoritäten zu berufen? Von Zeit zu Zeit sieht die Menge freilich einen solchen Alten gern als Autorität ins Feld geführt, um im Glauben an den Modegötzen eine Rückendeckung zu finden. Beweisen aber nicht die vierundvierzig Auflagen, die die „Versunkene Glocke" in zwei Jahren, die sechzehn Auflagen, die „Fuhrmann Henschel" in acht Wochen gefunden hat, daß Gerhart Hauptmann der Auserkorne des ganzen deutschen Volkes ist? Es gab eine Zeit, wo Stücke von Paul Lindau, Romane

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/549>, abgerufen am 23.07.2024.