Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.Zur reichsgesetzlichen Regelung des versicherungsrechts und Brandschäden im "Ausland" überhaupt nicht in Betracht komme; auch Das Rechtsgefühl erfordert nun, daß die Gesellschaft die gegenüber dem Zu welchen unbilligen Folgerungen diese Bestimmungen führen, zeigt ein Zur reichsgesetzlichen Regelung des versicherungsrechts und Brandschäden im „Ausland" überhaupt nicht in Betracht komme; auch Das Rechtsgefühl erfordert nun, daß die Gesellschaft die gegenüber dem Zu welchen unbilligen Folgerungen diese Bestimmungen führen, zeigt ein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0541" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230227"/> <fw type="header" place="top"> Zur reichsgesetzlichen Regelung des versicherungsrechts</fw><lb/> <p xml:id="ID_2207" prev="#ID_2206"> und Brandschäden im „Ausland" überhaupt nicht in Betracht komme; auch<lb/> Vergeßlichkeit und Mißverständnis des Agenten hindern oft die Aufnahme der<lb/> wahrheitsgemäß vom Versicherten erteilten Auskunft in das Antragsformular;<lb/> und schließlich gehören zuweilen auch manche Agenten der Versicherungsgesell¬<lb/> schaften zu den Leuten, von denen das (in der Provinz Schlesien noch jetzt<lb/> giltige) Patent vom 26, November 1704 sagt, daß sie „durch verbotene Kniffen<lb/> ungewißenhaften Gewinn" suchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2208"> Das Rechtsgefühl erfordert nun, daß die Gesellschaft die gegenüber dem<lb/> Agenten und die vom Agenten abgegebnen Erklärungen als von ihr und ihr<lb/> gegenüber abgegeben und die vom Agenten gemachten Wahrnehmungen als von<lb/> ihr selbst gemacht anerkennt; denn der Agent ist thatsächlich das Organ der<lb/> Gesellschaft, und zwar das Organ, mit dem der Versicherungslustige allein in<lb/> Berührung kommt; die Gesellschaft bedient sich des Agenten als ihres Gehilfen<lb/> und hat daher nach gesundem Rechtsgefühl und allgemeinen Rechtsgrundsützen<lb/> die Maßnahmen und Wahrnehmungen des Agenten als verpflichtend gelten<lb/> zu lassen; der Versicherungslustige kann, nachdem er dem Agenten die erforderte<lb/> Auskunft wahrheitsgemäß erteilt hat, darauf vertrauen, daß dieser Angestellte<lb/> der Gesellschaft das Antragsformular wahrheitsmüßig ausfüllen werde, und es<lb/> trifft den ersten kein Verschulden, wenn er unter solchen Umständen die Nach¬<lb/> prüfung des Formulars unterläßt. In der That neigte die Rechtsprechung lange<lb/> Zeit zu dieser Auffassung; alsbald aber trat der oben hervorgehobne Mißstand<lb/> ein, daß die Gesellschaften eine derartige dem Recht und der Billigkeit ent¬<lb/> sprechende Auslegung durch besondre Bestimmungen der „allgemeinen Be¬<lb/> dingungen" und der Antragsformulare unmöglich machten. In die letzten<lb/> wurde, um diese Folgerung zu beseitigen, die Bestimmung aufgenommen: „Die<lb/> Fragen sind wahrheitsgemäß durch den Antragsteller zu beantworten, und bleibt<lb/> der letztere für die Richtigkeit der Antworten und deren Vollständigkeit ver¬<lb/> antwortlich, auch wenn ein andrer deren Niederschrift für ihn bewirkt"; sowie<lb/> ferner: „Ich erkläre zugleich, daß mir die allgemeinen Bedingungen der Gesell¬<lb/> schaft für die von mir beantragte Versicherung bekannt sind und unterwerfe<lb/> mich denselben." Und diese „allgemeinen Bedingungen" bestimmen nun gleich¬<lb/> falls: „Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der gemachten Angaben ist der<lb/> Versicherungsnehmer allein verantwortlich, auch wenn dieselben von einem<lb/> Vertreter der Gesellschaft oder sonst einem Dritten niedergeschrieben sind."</p><lb/> <p xml:id="ID_2209" next="#ID_2210"> Zu welchen unbilligen Folgerungen diese Bestimmungen führen, zeigt ein<lb/> neuerdings veröffentlichtes Urteil des Reichsgerichts: Der Versicherungslustige<lb/> hatte dem Agenten der Versicherungsgesellschaft wahrheitsgemäß mitgeteilt, daß<lb/> er einen Bruch habe, schon früher körperliche Verletzungen erlitten und bei<lb/> einer andern Gesellschaft auch eine Unfallversicherung genommen habe; er unter¬<lb/> schrieb sodann den unausgefüllten Fragebogen und übertrug dem Agenten die<lb/> Ausfüllung; der Agent füllte die in den gedachten Richtungen gestellten Fragen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0541]
Zur reichsgesetzlichen Regelung des versicherungsrechts
und Brandschäden im „Ausland" überhaupt nicht in Betracht komme; auch
Vergeßlichkeit und Mißverständnis des Agenten hindern oft die Aufnahme der
wahrheitsgemäß vom Versicherten erteilten Auskunft in das Antragsformular;
und schließlich gehören zuweilen auch manche Agenten der Versicherungsgesell¬
schaften zu den Leuten, von denen das (in der Provinz Schlesien noch jetzt
giltige) Patent vom 26, November 1704 sagt, daß sie „durch verbotene Kniffen
ungewißenhaften Gewinn" suchen.
Das Rechtsgefühl erfordert nun, daß die Gesellschaft die gegenüber dem
Agenten und die vom Agenten abgegebnen Erklärungen als von ihr und ihr
gegenüber abgegeben und die vom Agenten gemachten Wahrnehmungen als von
ihr selbst gemacht anerkennt; denn der Agent ist thatsächlich das Organ der
Gesellschaft, und zwar das Organ, mit dem der Versicherungslustige allein in
Berührung kommt; die Gesellschaft bedient sich des Agenten als ihres Gehilfen
und hat daher nach gesundem Rechtsgefühl und allgemeinen Rechtsgrundsützen
die Maßnahmen und Wahrnehmungen des Agenten als verpflichtend gelten
zu lassen; der Versicherungslustige kann, nachdem er dem Agenten die erforderte
Auskunft wahrheitsgemäß erteilt hat, darauf vertrauen, daß dieser Angestellte
der Gesellschaft das Antragsformular wahrheitsmüßig ausfüllen werde, und es
trifft den ersten kein Verschulden, wenn er unter solchen Umständen die Nach¬
prüfung des Formulars unterläßt. In der That neigte die Rechtsprechung lange
Zeit zu dieser Auffassung; alsbald aber trat der oben hervorgehobne Mißstand
ein, daß die Gesellschaften eine derartige dem Recht und der Billigkeit ent¬
sprechende Auslegung durch besondre Bestimmungen der „allgemeinen Be¬
dingungen" und der Antragsformulare unmöglich machten. In die letzten
wurde, um diese Folgerung zu beseitigen, die Bestimmung aufgenommen: „Die
Fragen sind wahrheitsgemäß durch den Antragsteller zu beantworten, und bleibt
der letztere für die Richtigkeit der Antworten und deren Vollständigkeit ver¬
antwortlich, auch wenn ein andrer deren Niederschrift für ihn bewirkt"; sowie
ferner: „Ich erkläre zugleich, daß mir die allgemeinen Bedingungen der Gesell¬
schaft für die von mir beantragte Versicherung bekannt sind und unterwerfe
mich denselben." Und diese „allgemeinen Bedingungen" bestimmen nun gleich¬
falls: „Für die Richtigkeit und Vollständigkeit der gemachten Angaben ist der
Versicherungsnehmer allein verantwortlich, auch wenn dieselben von einem
Vertreter der Gesellschaft oder sonst einem Dritten niedergeschrieben sind."
Zu welchen unbilligen Folgerungen diese Bestimmungen führen, zeigt ein
neuerdings veröffentlichtes Urteil des Reichsgerichts: Der Versicherungslustige
hatte dem Agenten der Versicherungsgesellschaft wahrheitsgemäß mitgeteilt, daß
er einen Bruch habe, schon früher körperliche Verletzungen erlitten und bei
einer andern Gesellschaft auch eine Unfallversicherung genommen habe; er unter¬
schrieb sodann den unausgefüllten Fragebogen und übertrug dem Agenten die
Ausfüllung; der Agent füllte die in den gedachten Richtungen gestellten Fragen
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