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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gobineaus Geschichtskonstruktion

neue Auffrischung mit weißem Blut den Assyriern neue Kraft verliehen, sodaß
sie noch längere Zeit hindurch Vorderasien zu beherrschen vermochten.

Mittlerweile fuhren die Weißen Stämme, die noch auf der innerasiatischen
Hochebne zurückgeblieben waren, und denen ihre Heimat zu eng wurde, unauf¬
hörlich fort, einander zu drangen und zu bekämpfen. Den schwächer" Stämmen
blieb nur die Wahl, ob sie sich unter das Joch beugen oder fliehen wollten.
"Die Hellenen ergriffen den zweiten Ausweg, sagten dem Lande, das sie gegen
ungestüme Brüder nicht mehr verteidigen konnten, Lebewohl, bestiegen ihre
Kriegswagen und schlugen, den Bogen in der Hand, den Weg durch die west¬
lichen Berge ein" (S. 200). Einen Vorgang, von dem kein Mensch weiß,
wo, wann, und unter welchen Umstünden er sich zugetragen hat, mit Worten
schildern, wie sie nur ein Augenzeuge gebrauchen darf, das erweckt kein Zu¬
trauen in die wissenschaftliche Zuverlässigkeit des Historikers. Überhaupt ver¬
fällt Gobineau öfters in jene modern-französische, poetisch-rhetorische Prosa, die
von der strengen Einfachheit und Klarheit des Stils der französischen Klassiker
so unvorteilhaft absticht, und die in wissenschaftlichen Werken schon darum stört,
weil sie die Darstellung stellenweise undeutlich macht. Die Arier im engern
Sinne läßt er sich im Pendschab niederlassen, und erst von dort einen Zweig,
die "Zoroastrier," Persien bevölkern, während der andre Zweig, die Hindu,
die indische Kultur schafft. Deren Erhabenheit, Schönheit, Vollkommenheit
und Dauerhaftigkeit feiert er in einem Grade, der uns durch den gegenwärtigen
Zustand der Völker Indiens wenig gerechtfertigt erscheint; was ihm am Brah-
manentum nicht zusagt, z. B. die Lehre von der Seelenwanderung, führt er
auf das den Hindu beigemischte schwarze Blut zurück. Dagegen denkt er vom
Buddhismus sehr gering. Eine allein auf Moral und Vernunft gegründete
Religion habe keine Schöpferkraft; die Moral müsse aus der Ontologie fließen,
nicht umgekehrt. Der Buddhismus habe schon darum besiegt zu werden ver¬
dient, weil er vor seinen Konsequenzen zurückgewichen sei. "Empfindlich gegen
den offenbar sehr verdienten Vorwurf, er strafe seine Ansprüche auf sittliche
Vollkommenheit dadurch Lügen, daß er sich aus verworfnem Gesindel rekrutiere,
hatte er sich zur Zulassung physischer und moralischer Ausschließungsgründe
bestimmen lassen. Damit aber war er nicht mehr die allgemeine Religion und
brachte sich um die zahlreichsten, wenn auch nicht gerade ehrenvollsten Bereiche¬
rungen." Von Indien aus wurden die Schwarzen Ägyptens zivilisiert; von
Südosten, nicht von Nordosten, behauptet Gobineau, ist nach diesem Lande
die weiße Einwanderung gekommen. Das gemeine Volk Ägyptens hat zwar
unter hartem Druck gelebt, wie sich das von selbst versteht, aber die Beherrscher
des Landes sind mehr sanft als grausam gewesen und eher verweichlicht als
kriegerisch; an die großen Eroberungskriege, deren Legende sich ehemals an den
Namen Sesostris knüpfte, glaubt Gobineau nicht. Das Absurde in der ägyp¬
tischen Religion, der Tierdienst, entstammt natürlich dem schwarzen Blute.


Gobineaus Geschichtskonstruktion

neue Auffrischung mit weißem Blut den Assyriern neue Kraft verliehen, sodaß
sie noch längere Zeit hindurch Vorderasien zu beherrschen vermochten.

Mittlerweile fuhren die Weißen Stämme, die noch auf der innerasiatischen
Hochebne zurückgeblieben waren, und denen ihre Heimat zu eng wurde, unauf¬
hörlich fort, einander zu drangen und zu bekämpfen. Den schwächer» Stämmen
blieb nur die Wahl, ob sie sich unter das Joch beugen oder fliehen wollten.
„Die Hellenen ergriffen den zweiten Ausweg, sagten dem Lande, das sie gegen
ungestüme Brüder nicht mehr verteidigen konnten, Lebewohl, bestiegen ihre
Kriegswagen und schlugen, den Bogen in der Hand, den Weg durch die west¬
lichen Berge ein" (S. 200). Einen Vorgang, von dem kein Mensch weiß,
wo, wann, und unter welchen Umstünden er sich zugetragen hat, mit Worten
schildern, wie sie nur ein Augenzeuge gebrauchen darf, das erweckt kein Zu¬
trauen in die wissenschaftliche Zuverlässigkeit des Historikers. Überhaupt ver¬
fällt Gobineau öfters in jene modern-französische, poetisch-rhetorische Prosa, die
von der strengen Einfachheit und Klarheit des Stils der französischen Klassiker
so unvorteilhaft absticht, und die in wissenschaftlichen Werken schon darum stört,
weil sie die Darstellung stellenweise undeutlich macht. Die Arier im engern
Sinne läßt er sich im Pendschab niederlassen, und erst von dort einen Zweig,
die „Zoroastrier," Persien bevölkern, während der andre Zweig, die Hindu,
die indische Kultur schafft. Deren Erhabenheit, Schönheit, Vollkommenheit
und Dauerhaftigkeit feiert er in einem Grade, der uns durch den gegenwärtigen
Zustand der Völker Indiens wenig gerechtfertigt erscheint; was ihm am Brah-
manentum nicht zusagt, z. B. die Lehre von der Seelenwanderung, führt er
auf das den Hindu beigemischte schwarze Blut zurück. Dagegen denkt er vom
Buddhismus sehr gering. Eine allein auf Moral und Vernunft gegründete
Religion habe keine Schöpferkraft; die Moral müsse aus der Ontologie fließen,
nicht umgekehrt. Der Buddhismus habe schon darum besiegt zu werden ver¬
dient, weil er vor seinen Konsequenzen zurückgewichen sei. „Empfindlich gegen
den offenbar sehr verdienten Vorwurf, er strafe seine Ansprüche auf sittliche
Vollkommenheit dadurch Lügen, daß er sich aus verworfnem Gesindel rekrutiere,
hatte er sich zur Zulassung physischer und moralischer Ausschließungsgründe
bestimmen lassen. Damit aber war er nicht mehr die allgemeine Religion und
brachte sich um die zahlreichsten, wenn auch nicht gerade ehrenvollsten Bereiche¬
rungen." Von Indien aus wurden die Schwarzen Ägyptens zivilisiert; von
Südosten, nicht von Nordosten, behauptet Gobineau, ist nach diesem Lande
die weiße Einwanderung gekommen. Das gemeine Volk Ägyptens hat zwar
unter hartem Druck gelebt, wie sich das von selbst versteht, aber die Beherrscher
des Landes sind mehr sanft als grausam gewesen und eher verweichlicht als
kriegerisch; an die großen Eroberungskriege, deren Legende sich ehemals an den
Namen Sesostris knüpfte, glaubt Gobineau nicht. Das Absurde in der ägyp¬
tischen Religion, der Tierdienst, entstammt natürlich dem schwarzen Blute.


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[0534] Gobineaus Geschichtskonstruktion neue Auffrischung mit weißem Blut den Assyriern neue Kraft verliehen, sodaß sie noch längere Zeit hindurch Vorderasien zu beherrschen vermochten. Mittlerweile fuhren die Weißen Stämme, die noch auf der innerasiatischen Hochebne zurückgeblieben waren, und denen ihre Heimat zu eng wurde, unauf¬ hörlich fort, einander zu drangen und zu bekämpfen. Den schwächer» Stämmen blieb nur die Wahl, ob sie sich unter das Joch beugen oder fliehen wollten. „Die Hellenen ergriffen den zweiten Ausweg, sagten dem Lande, das sie gegen ungestüme Brüder nicht mehr verteidigen konnten, Lebewohl, bestiegen ihre Kriegswagen und schlugen, den Bogen in der Hand, den Weg durch die west¬ lichen Berge ein" (S. 200). Einen Vorgang, von dem kein Mensch weiß, wo, wann, und unter welchen Umstünden er sich zugetragen hat, mit Worten schildern, wie sie nur ein Augenzeuge gebrauchen darf, das erweckt kein Zu¬ trauen in die wissenschaftliche Zuverlässigkeit des Historikers. Überhaupt ver¬ fällt Gobineau öfters in jene modern-französische, poetisch-rhetorische Prosa, die von der strengen Einfachheit und Klarheit des Stils der französischen Klassiker so unvorteilhaft absticht, und die in wissenschaftlichen Werken schon darum stört, weil sie die Darstellung stellenweise undeutlich macht. Die Arier im engern Sinne läßt er sich im Pendschab niederlassen, und erst von dort einen Zweig, die „Zoroastrier," Persien bevölkern, während der andre Zweig, die Hindu, die indische Kultur schafft. Deren Erhabenheit, Schönheit, Vollkommenheit und Dauerhaftigkeit feiert er in einem Grade, der uns durch den gegenwärtigen Zustand der Völker Indiens wenig gerechtfertigt erscheint; was ihm am Brah- manentum nicht zusagt, z. B. die Lehre von der Seelenwanderung, führt er auf das den Hindu beigemischte schwarze Blut zurück. Dagegen denkt er vom Buddhismus sehr gering. Eine allein auf Moral und Vernunft gegründete Religion habe keine Schöpferkraft; die Moral müsse aus der Ontologie fließen, nicht umgekehrt. Der Buddhismus habe schon darum besiegt zu werden ver¬ dient, weil er vor seinen Konsequenzen zurückgewichen sei. „Empfindlich gegen den offenbar sehr verdienten Vorwurf, er strafe seine Ansprüche auf sittliche Vollkommenheit dadurch Lügen, daß er sich aus verworfnem Gesindel rekrutiere, hatte er sich zur Zulassung physischer und moralischer Ausschließungsgründe bestimmen lassen. Damit aber war er nicht mehr die allgemeine Religion und brachte sich um die zahlreichsten, wenn auch nicht gerade ehrenvollsten Bereiche¬ rungen." Von Indien aus wurden die Schwarzen Ägyptens zivilisiert; von Südosten, nicht von Nordosten, behauptet Gobineau, ist nach diesem Lande die weiße Einwanderung gekommen. Das gemeine Volk Ägyptens hat zwar unter hartem Druck gelebt, wie sich das von selbst versteht, aber die Beherrscher des Landes sind mehr sanft als grausam gewesen und eher verweichlicht als kriegerisch; an die großen Eroberungskriege, deren Legende sich ehemals an den Namen Sesostris knüpfte, glaubt Gobineau nicht. Das Absurde in der ägyp¬ tischen Religion, der Tierdienst, entstammt natürlich dem schwarzen Blute.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/534>, abgerufen am 23.07.2024.