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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Friedrichsruh

einfallen, noch einmal nach München zu kommen, denn in diesem Fall nehme
ich keine Rücksichten mehr!


Ein Altbayer, der 1866 noch nicht vergessen hat.

Auf meine Frage, ob man dem Fürsten einen solchen wahnwitzigen Brief über¬
haupt vorgelegt hätte, wurde mir gesagt: "Nun natürlich, so etwas erheitert
ihn am meisten, und er hat sich gerade über dieses Schreiben köstlich amüsiert."

Am andern Morgen ist vornehmer Besuch eingetroffen; die Unterhaltung
beim Frühstück dreht sich denn auch zumeist um Nachrichten aus Berlin, Er¬
zählung von Hofgeschichten, die der Fürst mit einem gewissen Behagen anhört.
Man spricht auch von dem jüngst verstorbnen Bleichröder und über die Feier¬
lichkeiten bei der Vermählung der Schwester des Kaisers mit dem Prinzen
von Hessen, die kürzlich stattgefunden hat. Die Schilderung dieses Festes bringt
den Fürsten auf die Heiratsmacherei der Königin von England, auf die frühern
Pläne mit dem Battenberger und schließlich auf den jetzigen Fürsten Ferdinand
von Bulgarien, von dem er folgendes erzählt: "Während meines letzten Auf¬
enthalts in Wien erhielt ich von dem Prinzen Ferdinand aus Koburg eine
Anfrage, ob er mich besuchen dürfe; ich teilte ihm mit, daß ich im Begriff sei,
abzureisen, daß ich mich aber zwei Tage in München aufhalten und ihn dort
gern empfangen wolle. Er kam also zu mir, um mit mir über seine Lage zu
sprechen, und wie er sich wohl Verhalten solle. Ich sagte ihm etwa folgendes:
"Thun Sie nichts, wodurch Sie nach irgend einer Seite hin Anstoß erregen
können; seien Sie vorsichtig in Ihrer Politik, und hüten Sie sich vor jedem
Zündhölzchen, denn es könnte ein Brand daraus werden! Sie haben ja ge¬
zeigt, daß Sie schwimmen können; aber gehn Sie vorläufig nicht gegen den
Strom, lassen Sie sich ruhig treiben, und halten Sie sich, wie bisher, gut über
Wasser. Ihr größter Bundesgenosse ist das Gewohnheitsrecht; vermeiden Sie
alles, was Ihre Feinde reizen könnte; ohne Anstoß von Ihrer Seite kann man
Ihnen nichts thun, und mit den Jahren wird man sich daran gewöhnen müssen,
Sie auf dem Throne Bulgariens zu sehen.""

Mir ist die Cigarre ausgegangen, und der Fürst, der es liebt, daß nach
Beendigung des Frühstücks an der Tafel tüchtig geraucht wird, fordert mich
auf, eine neue anzubrennen; als sich herausstellt, daß das kleine Kistchen auf
dem Tische leer ist, springt die Fürstin aus, um aus einem andern Zimmer
ein neues zu holen. Ich will ihr den Weg abnehmen, aber Bismarck hält
mich zurück mit den Worten: "Bitte, lassen Sie meine Frau gewähren, sie sitzt
nämlich bei ihrer Kurzatmigkeit den ganzen Tag auf einer Stelle, und es be¬
darf schon eines starken Anstoßes, sie in Bewegung zu bringen, weil sie von
Atembeschwerden zu leiden hat; sie zwingt sich auch nur, wenn meinen Gästen
oder mir etwas abgeht, und ich freue mich immer, wenn sie aus solcher Ver¬
anlassung einmal aufspringt, weil ihr das nur gut sein kann."

Auch abends beim Diner werden sast nur Neuigkeiten aus Berlin be-


Grenzboten I 13SS 06
Erinnerungen an Friedrichsruh

einfallen, noch einmal nach München zu kommen, denn in diesem Fall nehme
ich keine Rücksichten mehr!


Ein Altbayer, der 1866 noch nicht vergessen hat.

Auf meine Frage, ob man dem Fürsten einen solchen wahnwitzigen Brief über¬
haupt vorgelegt hätte, wurde mir gesagt: „Nun natürlich, so etwas erheitert
ihn am meisten, und er hat sich gerade über dieses Schreiben köstlich amüsiert."

Am andern Morgen ist vornehmer Besuch eingetroffen; die Unterhaltung
beim Frühstück dreht sich denn auch zumeist um Nachrichten aus Berlin, Er¬
zählung von Hofgeschichten, die der Fürst mit einem gewissen Behagen anhört.
Man spricht auch von dem jüngst verstorbnen Bleichröder und über die Feier¬
lichkeiten bei der Vermählung der Schwester des Kaisers mit dem Prinzen
von Hessen, die kürzlich stattgefunden hat. Die Schilderung dieses Festes bringt
den Fürsten auf die Heiratsmacherei der Königin von England, auf die frühern
Pläne mit dem Battenberger und schließlich auf den jetzigen Fürsten Ferdinand
von Bulgarien, von dem er folgendes erzählt: „Während meines letzten Auf¬
enthalts in Wien erhielt ich von dem Prinzen Ferdinand aus Koburg eine
Anfrage, ob er mich besuchen dürfe; ich teilte ihm mit, daß ich im Begriff sei,
abzureisen, daß ich mich aber zwei Tage in München aufhalten und ihn dort
gern empfangen wolle. Er kam also zu mir, um mit mir über seine Lage zu
sprechen, und wie er sich wohl Verhalten solle. Ich sagte ihm etwa folgendes:
»Thun Sie nichts, wodurch Sie nach irgend einer Seite hin Anstoß erregen
können; seien Sie vorsichtig in Ihrer Politik, und hüten Sie sich vor jedem
Zündhölzchen, denn es könnte ein Brand daraus werden! Sie haben ja ge¬
zeigt, daß Sie schwimmen können; aber gehn Sie vorläufig nicht gegen den
Strom, lassen Sie sich ruhig treiben, und halten Sie sich, wie bisher, gut über
Wasser. Ihr größter Bundesgenosse ist das Gewohnheitsrecht; vermeiden Sie
alles, was Ihre Feinde reizen könnte; ohne Anstoß von Ihrer Seite kann man
Ihnen nichts thun, und mit den Jahren wird man sich daran gewöhnen müssen,
Sie auf dem Throne Bulgariens zu sehen.«"

Mir ist die Cigarre ausgegangen, und der Fürst, der es liebt, daß nach
Beendigung des Frühstücks an der Tafel tüchtig geraucht wird, fordert mich
auf, eine neue anzubrennen; als sich herausstellt, daß das kleine Kistchen auf
dem Tische leer ist, springt die Fürstin aus, um aus einem andern Zimmer
ein neues zu holen. Ich will ihr den Weg abnehmen, aber Bismarck hält
mich zurück mit den Worten: „Bitte, lassen Sie meine Frau gewähren, sie sitzt
nämlich bei ihrer Kurzatmigkeit den ganzen Tag auf einer Stelle, und es be¬
darf schon eines starken Anstoßes, sie in Bewegung zu bringen, weil sie von
Atembeschwerden zu leiden hat; sie zwingt sich auch nur, wenn meinen Gästen
oder mir etwas abgeht, und ich freue mich immer, wenn sie aus solcher Ver¬
anlassung einmal aufspringt, weil ihr das nur gut sein kann."

Auch abends beim Diner werden sast nur Neuigkeiten aus Berlin be-


Grenzboten I 13SS 06
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[0529] Erinnerungen an Friedrichsruh einfallen, noch einmal nach München zu kommen, denn in diesem Fall nehme ich keine Rücksichten mehr! Ein Altbayer, der 1866 noch nicht vergessen hat. Auf meine Frage, ob man dem Fürsten einen solchen wahnwitzigen Brief über¬ haupt vorgelegt hätte, wurde mir gesagt: „Nun natürlich, so etwas erheitert ihn am meisten, und er hat sich gerade über dieses Schreiben köstlich amüsiert." Am andern Morgen ist vornehmer Besuch eingetroffen; die Unterhaltung beim Frühstück dreht sich denn auch zumeist um Nachrichten aus Berlin, Er¬ zählung von Hofgeschichten, die der Fürst mit einem gewissen Behagen anhört. Man spricht auch von dem jüngst verstorbnen Bleichröder und über die Feier¬ lichkeiten bei der Vermählung der Schwester des Kaisers mit dem Prinzen von Hessen, die kürzlich stattgefunden hat. Die Schilderung dieses Festes bringt den Fürsten auf die Heiratsmacherei der Königin von England, auf die frühern Pläne mit dem Battenberger und schließlich auf den jetzigen Fürsten Ferdinand von Bulgarien, von dem er folgendes erzählt: „Während meines letzten Auf¬ enthalts in Wien erhielt ich von dem Prinzen Ferdinand aus Koburg eine Anfrage, ob er mich besuchen dürfe; ich teilte ihm mit, daß ich im Begriff sei, abzureisen, daß ich mich aber zwei Tage in München aufhalten und ihn dort gern empfangen wolle. Er kam also zu mir, um mit mir über seine Lage zu sprechen, und wie er sich wohl Verhalten solle. Ich sagte ihm etwa folgendes: »Thun Sie nichts, wodurch Sie nach irgend einer Seite hin Anstoß erregen können; seien Sie vorsichtig in Ihrer Politik, und hüten Sie sich vor jedem Zündhölzchen, denn es könnte ein Brand daraus werden! Sie haben ja ge¬ zeigt, daß Sie schwimmen können; aber gehn Sie vorläufig nicht gegen den Strom, lassen Sie sich ruhig treiben, und halten Sie sich, wie bisher, gut über Wasser. Ihr größter Bundesgenosse ist das Gewohnheitsrecht; vermeiden Sie alles, was Ihre Feinde reizen könnte; ohne Anstoß von Ihrer Seite kann man Ihnen nichts thun, und mit den Jahren wird man sich daran gewöhnen müssen, Sie auf dem Throne Bulgariens zu sehen.«" Mir ist die Cigarre ausgegangen, und der Fürst, der es liebt, daß nach Beendigung des Frühstücks an der Tafel tüchtig geraucht wird, fordert mich auf, eine neue anzubrennen; als sich herausstellt, daß das kleine Kistchen auf dem Tische leer ist, springt die Fürstin aus, um aus einem andern Zimmer ein neues zu holen. Ich will ihr den Weg abnehmen, aber Bismarck hält mich zurück mit den Worten: „Bitte, lassen Sie meine Frau gewähren, sie sitzt nämlich bei ihrer Kurzatmigkeit den ganzen Tag auf einer Stelle, und es be¬ darf schon eines starken Anstoßes, sie in Bewegung zu bringen, weil sie von Atembeschwerden zu leiden hat; sie zwingt sich auch nur, wenn meinen Gästen oder mir etwas abgeht, und ich freue mich immer, wenn sie aus solcher Ver¬ anlassung einmal aufspringt, weil ihr das nur gut sein kann." Auch abends beim Diner werden sast nur Neuigkeiten aus Berlin be- Grenzboten I 13SS 06

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/529>, abgerufen am 23.07.2024.