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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Ermnermigen an Friedrichsruh

als ihm das vielgeliebte Münchner in so homöopathischer Dosis kredenzt wurde;
knurrend fuhr er den Kammerdiener an: "Wenn Sie denn nicht mehr ein¬
schenken dürfen, dann stellen Sie wenigstens die Flasche her, damit ich mir
helfen kann." Die Fürstin erzählt, daß Bucher während des Diners, das immer
in animiertester Unterhaltung verläuft, oft kein Wort gesprochen und mit so
abweisendem Gesicht dagesessen hätte, daß niemand ihn durch eine Frage zu stören
gewagt hätte; wenn aber die auch jetzt anwesende Baronin von M. an der
Mahlzeit teilgenommen Hütte, dann sei der alte Herr für seine Nachbarin und die
ganze Tafelrunde ein geistsprühendcr Unterhalter gewesen. Das Gespräch kommt
auf England, auf die Homsruls Lili und Gladstone; ich erwähne, daß Bücher diesen
gering geschätzt und spöttischerweise immer "Herr Freudenstein" genannt habe.
Der Fürst sagt darauf: "Ich bin niemals Gladstones Freund gewesen und
habe nach allem, was über ihn von gut unterrichteter Seite erzählt wird, den
Eindruck, daß er auf einer niedrigen sittlichen Stufe stehn muß; aber als
Staatsmann kann ich ihn so gering nicht achten, denn er hat doch erst kürzlich
mit seiner Rede einen großen Erfolg errungen." Man spricht darauf von
einem andern ausländischen Diplomaten; der Hausherr hat eine Zeit lang
schweigend zugehört, schließlich mischt er sich mit folgenden Worten in das
Gespräch: "Ich will dem Herrn gar nicht zu nahe treten, aber er ist das, was
man in unsrer guten deutschen Sprache einen Ochsen nennt; in Berlin traf er
mich einmal unter den Linden und hielt mir dort auf offner Straße eine lange
Rede, die ich geduldig, ohne eine Miene zu verziehn, anhörte. Als er fertig
war, sagte ich ihm: "Ihre Rede wäre sehr schön gewesen, wenn Sie dieselbe vor
einem Parlament gehalten hätten." Er bedankte sich noch erfreut für dieses
Urteil, ohne meine Ironie zu versteh"."

Eine Dame erkundigt sich nach dem Ursprung der kleinen Teufelsfigur
auf dein Schreibtisch des Arbeitszimmers; der Fürst erzählt die bekannte Ge¬
schichte und kommt dadurch auf seinen Aufenthalt in Versailles zu sprechen.
Die Franzosen Hütten sich ihm gegenüber immer höflich gezeigt, und nach der
Einnahme von Paris sei er unbehindert ziemlich weit in den von deutschen
Truppen nicht besetzten Stadtteil geritten; einmal freilich Hütte sich ihm das
Gefühl einer drohenden Gefahr aufgedrängt. In Versailles habe er nämlich
die Gewohnheit gehabt, täglich allein weite Spazierritte zu unternehmen; auf
einem solchen Ritt, der ihn fast zwei Stunden von den deutschen Truppen
entfernt hatte, sei ihm ein mit vierzehn Bauern besetzter Leiterwagen entgegen¬
gekommen, die auf ihn den Eindruck von Franctircurs gemacht hätten. Er habe
also schon mit der einen Hand seinen Revolver gelockert und bei sich gedacht:
"Na. was werden meine Landsleute denken, wenn ihr Kanzler plötzlich spur¬
los verschwunden ist!" Ausweichen war nicht möglich; der Wagen hielt still,
und einer der Insassen habe sich mit der Frage erhoben: Zevs-vous monsieur
LisiliÄrc-Je? Auf seiue Antwort: 0ni, inizssisurs! sei die ganze Gesellschaft
aufgestanden und habe ihn durch Abnehmen der Kopfbedeckung mit den Worten


Ermnermigen an Friedrichsruh

als ihm das vielgeliebte Münchner in so homöopathischer Dosis kredenzt wurde;
knurrend fuhr er den Kammerdiener an: „Wenn Sie denn nicht mehr ein¬
schenken dürfen, dann stellen Sie wenigstens die Flasche her, damit ich mir
helfen kann." Die Fürstin erzählt, daß Bucher während des Diners, das immer
in animiertester Unterhaltung verläuft, oft kein Wort gesprochen und mit so
abweisendem Gesicht dagesessen hätte, daß niemand ihn durch eine Frage zu stören
gewagt hätte; wenn aber die auch jetzt anwesende Baronin von M. an der
Mahlzeit teilgenommen Hütte, dann sei der alte Herr für seine Nachbarin und die
ganze Tafelrunde ein geistsprühendcr Unterhalter gewesen. Das Gespräch kommt
auf England, auf die Homsruls Lili und Gladstone; ich erwähne, daß Bücher diesen
gering geschätzt und spöttischerweise immer „Herr Freudenstein" genannt habe.
Der Fürst sagt darauf: „Ich bin niemals Gladstones Freund gewesen und
habe nach allem, was über ihn von gut unterrichteter Seite erzählt wird, den
Eindruck, daß er auf einer niedrigen sittlichen Stufe stehn muß; aber als
Staatsmann kann ich ihn so gering nicht achten, denn er hat doch erst kürzlich
mit seiner Rede einen großen Erfolg errungen." Man spricht darauf von
einem andern ausländischen Diplomaten; der Hausherr hat eine Zeit lang
schweigend zugehört, schließlich mischt er sich mit folgenden Worten in das
Gespräch: „Ich will dem Herrn gar nicht zu nahe treten, aber er ist das, was
man in unsrer guten deutschen Sprache einen Ochsen nennt; in Berlin traf er
mich einmal unter den Linden und hielt mir dort auf offner Straße eine lange
Rede, die ich geduldig, ohne eine Miene zu verziehn, anhörte. Als er fertig
war, sagte ich ihm: »Ihre Rede wäre sehr schön gewesen, wenn Sie dieselbe vor
einem Parlament gehalten hätten.« Er bedankte sich noch erfreut für dieses
Urteil, ohne meine Ironie zu versteh»."

Eine Dame erkundigt sich nach dem Ursprung der kleinen Teufelsfigur
auf dein Schreibtisch des Arbeitszimmers; der Fürst erzählt die bekannte Ge¬
schichte und kommt dadurch auf seinen Aufenthalt in Versailles zu sprechen.
Die Franzosen Hütten sich ihm gegenüber immer höflich gezeigt, und nach der
Einnahme von Paris sei er unbehindert ziemlich weit in den von deutschen
Truppen nicht besetzten Stadtteil geritten; einmal freilich Hütte sich ihm das
Gefühl einer drohenden Gefahr aufgedrängt. In Versailles habe er nämlich
die Gewohnheit gehabt, täglich allein weite Spazierritte zu unternehmen; auf
einem solchen Ritt, der ihn fast zwei Stunden von den deutschen Truppen
entfernt hatte, sei ihm ein mit vierzehn Bauern besetzter Leiterwagen entgegen¬
gekommen, die auf ihn den Eindruck von Franctircurs gemacht hätten. Er habe
also schon mit der einen Hand seinen Revolver gelockert und bei sich gedacht:
„Na. was werden meine Landsleute denken, wenn ihr Kanzler plötzlich spur¬
los verschwunden ist!" Ausweichen war nicht möglich; der Wagen hielt still,
und einer der Insassen habe sich mit der Frage erhoben: Zevs-vous monsieur
LisiliÄrc-Je? Auf seiue Antwort: 0ni, inizssisurs! sei die ganze Gesellschaft
aufgestanden und habe ihn durch Abnehmen der Kopfbedeckung mit den Worten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/526>, abgerufen am 23.07.2024.