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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gästen gegenüber auch den leisesten Zwang vermeiden müsse; er war meiner
Ansicht, und wir verstanden uns lieber zu Konzessionen."

Immer wieder kommt das Gespräch ans den verstorbnen Freund zurück,
und der Fürst erzählt die schon von Poschinger berichtete Thatsache, daß er
mit seinem spätern Mitarbeiter zum erstenmal nach Auflösung der Kammer
am Büffet des Hauses einige Worte gewechselt habe; das darauf folgende Exil
sei für Bucher eine schlimme, aber auch lehrreiche Zeit gewesen, denn er habe
mit Sorgen kleinlichster Art zu kämpfen gehabt, und es seien ihm bittere Ent¬
täuschungen nicht erspart geblieben. "Ja -- fährt er dann fort --, es ist
wunderbar, wie viele Leute sich jetzt noch an Wuchers Rockschöße hängen
möchten, wo er sie nicht mehr abschütteln kann; ich habe erst vor einigen
Tagen hier wieder ein anonymes Manuskript von einer Redaktion zur Durch¬
sicht zugeschickt bekommen, das angeblich Gespräche und Aufzeichnungen Buchers
enthalten soll, und es wäre mir angenehm, wenn Sie dasselbe einmal mit
durchsehen und Ihre Ansicht darüber äußern wollten."

Das ziemlich umfangreiche Schriftstück war mit zahlreichen Anmerkungen
des Fürsten versehen, der wenigstens einmal auf jeder Seite sein Lieblingswort
"Blech" an den Rand geschrieben hatte. Auch ich fand bei sorgfältigster Durch¬
sicht, daß die Gespräche und Aufzeichnungen keinesfalls echt sein konnten, und
da auch von Friedrichsruh aus dieser Standpunkt energisch geltend gemacht
wurde. so unterblieb damals die Veröffentlichung. Es drängt sich mir nun
die Frage auf, ob die jetzt anonym erschienenen Gespräche und sogenannten
Memoiren Buchers nicht von demselben Verfasser herrühren, der sich zu Leb¬
zeiten Bismarcks mit seinen Enthüllungen nicht hervorwagte. Die Artikel des
mir unbekannten Kölner Blattes habe ich nur in kurzen Auszügen gelesen, aber
auch das Wenige genügte schon, mir die Überzeugung beizubringen, daß sie ein
Kunstprodukt sein müssen. Wer den Verstorbnen näher gekannt hat, weiß,
wie vorsichtig er Zeit seines Lebens in allen seinen Äußerungen gewesen ist,
und Fürst Bismarck sagte einmal, daß das verschwiegenste Grab gegen Bucher
noch eine alte Klatschschwester zu nennen sei; aber es ist ja so leicht, einem toten
Manne etwas anzuhängen!

Abends hat sich Gesellschaft aus der Nachbarschaft eingefunden; das Diner
beginnt ohne Suppe, um den Fürsten nicht zu verführen. Bekanntlich stand
in einer Ecke seines Schlafzimmers eine einfache Dezimalwage, auf der er jeden
Morgen durch den Kammerdiener gewogen wurde; die einzelnen Zahlen wurden
notiert und später von Schweninger durchgesehen, der bei einer Steigerung
des Körpergewichts dann jedesmal besondre Diütvorschriften erließ, die Giltig-
keit hatten, bis das Plus wieder verschwunden war. Der Fürst befand sich
damals gerade in einer solchen Periode schürferer Beaufsichtigung, er durfte
daher keine Suppe genießen und bekam Bier nur in einem Weinglase gereicht.
Ich besinne mich, daß er einmal an der Frühstückstafel recht ungehalten wurde,


Gästen gegenüber auch den leisesten Zwang vermeiden müsse; er war meiner
Ansicht, und wir verstanden uns lieber zu Konzessionen."

Immer wieder kommt das Gespräch ans den verstorbnen Freund zurück,
und der Fürst erzählt die schon von Poschinger berichtete Thatsache, daß er
mit seinem spätern Mitarbeiter zum erstenmal nach Auflösung der Kammer
am Büffet des Hauses einige Worte gewechselt habe; das darauf folgende Exil
sei für Bucher eine schlimme, aber auch lehrreiche Zeit gewesen, denn er habe
mit Sorgen kleinlichster Art zu kämpfen gehabt, und es seien ihm bittere Ent¬
täuschungen nicht erspart geblieben. „Ja — fährt er dann fort —, es ist
wunderbar, wie viele Leute sich jetzt noch an Wuchers Rockschöße hängen
möchten, wo er sie nicht mehr abschütteln kann; ich habe erst vor einigen
Tagen hier wieder ein anonymes Manuskript von einer Redaktion zur Durch¬
sicht zugeschickt bekommen, das angeblich Gespräche und Aufzeichnungen Buchers
enthalten soll, und es wäre mir angenehm, wenn Sie dasselbe einmal mit
durchsehen und Ihre Ansicht darüber äußern wollten."

Das ziemlich umfangreiche Schriftstück war mit zahlreichen Anmerkungen
des Fürsten versehen, der wenigstens einmal auf jeder Seite sein Lieblingswort
„Blech" an den Rand geschrieben hatte. Auch ich fand bei sorgfältigster Durch¬
sicht, daß die Gespräche und Aufzeichnungen keinesfalls echt sein konnten, und
da auch von Friedrichsruh aus dieser Standpunkt energisch geltend gemacht
wurde. so unterblieb damals die Veröffentlichung. Es drängt sich mir nun
die Frage auf, ob die jetzt anonym erschienenen Gespräche und sogenannten
Memoiren Buchers nicht von demselben Verfasser herrühren, der sich zu Leb¬
zeiten Bismarcks mit seinen Enthüllungen nicht hervorwagte. Die Artikel des
mir unbekannten Kölner Blattes habe ich nur in kurzen Auszügen gelesen, aber
auch das Wenige genügte schon, mir die Überzeugung beizubringen, daß sie ein
Kunstprodukt sein müssen. Wer den Verstorbnen näher gekannt hat, weiß,
wie vorsichtig er Zeit seines Lebens in allen seinen Äußerungen gewesen ist,
und Fürst Bismarck sagte einmal, daß das verschwiegenste Grab gegen Bucher
noch eine alte Klatschschwester zu nennen sei; aber es ist ja so leicht, einem toten
Manne etwas anzuhängen!

Abends hat sich Gesellschaft aus der Nachbarschaft eingefunden; das Diner
beginnt ohne Suppe, um den Fürsten nicht zu verführen. Bekanntlich stand
in einer Ecke seines Schlafzimmers eine einfache Dezimalwage, auf der er jeden
Morgen durch den Kammerdiener gewogen wurde; die einzelnen Zahlen wurden
notiert und später von Schweninger durchgesehen, der bei einer Steigerung
des Körpergewichts dann jedesmal besondre Diütvorschriften erließ, die Giltig-
keit hatten, bis das Plus wieder verschwunden war. Der Fürst befand sich
damals gerade in einer solchen Periode schürferer Beaufsichtigung, er durfte
daher keine Suppe genießen und bekam Bier nur in einem Weinglase gereicht.
Ich besinne mich, daß er einmal an der Frühstückstafel recht ungehalten wurde,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/525>, abgerufen am 23.07.2024.