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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Friedrichsruh

auch die Reichsverfassung -- ich weiß nicht, in wie langer Zeit -- bearbeitet,
aber eine besondre Leistung von ihm war es, daß er mir in wenigen Stunden
die Verfassung des Norddeutschen Bundes niederschreiben konnte, während ich
einen von Savigny mit Muße ausgearbeiteten Entwurf als unbrauchbar zurück¬
weisen mußte." Wieder kommen wir auf den Schorerartikel zu sprechen und
unterhalten uns über den mutmaßlichen Verfasser, der es auch bis jetzt noch
nicht sür gut befunden hat, aus seiner Anonymität hervorzutreten; die Fürstin
weist auf eine einflußreiche, intrigante Persönlichkeit hin, die sowohl der heim¬
liche Feind ihres Mannes wie auch Buchers gewesen sei. Der Fürst wehrt
ab und sagt: "Ich mag den Namen des Mannes nicht kennen, jedenfalls hat
er mich schwerer getroffen als andre."

Ich erzähle von einer Begegnung, die Geheimrat Bucher einige Wochen
vor seinem Tode mit Herrn Göring, dem damaligen Chef der Reichskanzlei,
hatte. Wir gingen auf der Promenade eines Badeorts spazieren, als er von
einem Herrn angeredet wurde; nachdem sich dieser verabschiedet hatte, machte
der Geheimrat ein merkwürdig lächelndes Gesicht und sagte mir schließlich:
"Wissen Sie, wer der Herr war? Herr Göring, der Schulfreund und Ver¬
traute Caprivis, der ihn sich hervorgezogen hat!" Fürst Bismarck lacht herz¬
lich, als ich ihm sage, daß sich in den beiden Männern doch eigentlich recht
prägnant der alte und der neue Kurs gegenüber gestanden Hütten, "Ja
-- meint er --, Bucher war ungefähr das bei mir, was der andre Herr bei
Caprivi ist; mein alter Mitarbeiter war auch überzeugter Schutzzöllner, während
Herr Göring zu den wütenden Freihändlern gehört, denen wir die Handels¬
verträge zu danken haben."

Das Gespräch dreht sich jetzt um den Bund der Landwirte, der gerade
in Berlin eine Hauptversammlung abgehalten hatte, und der Fürst äußert, er
möchte wohl wissen, ob die Herren wirklich dort in der Hauptstadt, trotz not¬
leidender Landwirtschaft, so opulent gelebt hätten, wie die Zeitungen berichteten;
nun, zuzutrauen wäre es ihnen schon! Dann animiert er mich zum Trinken
mit folgenden Worten: "Sie sind wohl auch so vorsichtig im Essen und Trinken
wie Bucher, der sich immer lasten hat; ich bin überzeugt, er wäre älter ge¬
worden, wenn er weniger mäßig gelebt hätte, denn ich habe immer gefunden,
daß diejenigen Menschen das höchste Alter erreichen, die tüchtig essen und
trinken."

Zum zweiten Frühstück giebt es ein warmes Gericht und kalte Platten,
eine Sorte Wein, Münchner Bier und Kognak oder alten Kornbranntwein.
Der Fürst schenkt mir eigenhändig ein Glas von letzterm ein und fordert mich
auf, zu sagen, was es für eine Sorte ist; als ich das nicht weiß, erzählt er:
"In einer Festung -- wenn ich nicht irre, war es Wesel -- hatte man einige
Flaschen Branntwein tief in den Kasematten vermauert und gerade hundert
Jahre liegen lassen; als der Schatz dann gehoben wurde, bekam ich auch einige


Erinnerungen an Friedrichsruh

auch die Reichsverfassung — ich weiß nicht, in wie langer Zeit — bearbeitet,
aber eine besondre Leistung von ihm war es, daß er mir in wenigen Stunden
die Verfassung des Norddeutschen Bundes niederschreiben konnte, während ich
einen von Savigny mit Muße ausgearbeiteten Entwurf als unbrauchbar zurück¬
weisen mußte." Wieder kommen wir auf den Schorerartikel zu sprechen und
unterhalten uns über den mutmaßlichen Verfasser, der es auch bis jetzt noch
nicht sür gut befunden hat, aus seiner Anonymität hervorzutreten; die Fürstin
weist auf eine einflußreiche, intrigante Persönlichkeit hin, die sowohl der heim¬
liche Feind ihres Mannes wie auch Buchers gewesen sei. Der Fürst wehrt
ab und sagt: „Ich mag den Namen des Mannes nicht kennen, jedenfalls hat
er mich schwerer getroffen als andre."

Ich erzähle von einer Begegnung, die Geheimrat Bucher einige Wochen
vor seinem Tode mit Herrn Göring, dem damaligen Chef der Reichskanzlei,
hatte. Wir gingen auf der Promenade eines Badeorts spazieren, als er von
einem Herrn angeredet wurde; nachdem sich dieser verabschiedet hatte, machte
der Geheimrat ein merkwürdig lächelndes Gesicht und sagte mir schließlich:
„Wissen Sie, wer der Herr war? Herr Göring, der Schulfreund und Ver¬
traute Caprivis, der ihn sich hervorgezogen hat!" Fürst Bismarck lacht herz¬
lich, als ich ihm sage, daß sich in den beiden Männern doch eigentlich recht
prägnant der alte und der neue Kurs gegenüber gestanden Hütten, „Ja
— meint er —, Bucher war ungefähr das bei mir, was der andre Herr bei
Caprivi ist; mein alter Mitarbeiter war auch überzeugter Schutzzöllner, während
Herr Göring zu den wütenden Freihändlern gehört, denen wir die Handels¬
verträge zu danken haben."

Das Gespräch dreht sich jetzt um den Bund der Landwirte, der gerade
in Berlin eine Hauptversammlung abgehalten hatte, und der Fürst äußert, er
möchte wohl wissen, ob die Herren wirklich dort in der Hauptstadt, trotz not¬
leidender Landwirtschaft, so opulent gelebt hätten, wie die Zeitungen berichteten;
nun, zuzutrauen wäre es ihnen schon! Dann animiert er mich zum Trinken
mit folgenden Worten: „Sie sind wohl auch so vorsichtig im Essen und Trinken
wie Bucher, der sich immer lasten hat; ich bin überzeugt, er wäre älter ge¬
worden, wenn er weniger mäßig gelebt hätte, denn ich habe immer gefunden,
daß diejenigen Menschen das höchste Alter erreichen, die tüchtig essen und
trinken."

Zum zweiten Frühstück giebt es ein warmes Gericht und kalte Platten,
eine Sorte Wein, Münchner Bier und Kognak oder alten Kornbranntwein.
Der Fürst schenkt mir eigenhändig ein Glas von letzterm ein und fordert mich
auf, zu sagen, was es für eine Sorte ist; als ich das nicht weiß, erzählt er:
»In einer Festung — wenn ich nicht irre, war es Wesel — hatte man einige
Flaschen Branntwein tief in den Kasematten vermauert und gerade hundert
Jahre liegen lassen; als der Schatz dann gehoben wurde, bekam ich auch einige


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/523>, abgerufen am 23.07.2024.