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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Friedrichsruh

angegeben sei. Der Fürst liest den beiliegenden Prospekt, der unter zahlreichen
andern Adressen auch seine eigne angiebt, und sagt: O weh, wie ich sehe, be¬
finde ich mich da in höchst zweifelhafter Gesellschaft; aber ich bin ohne Schuld
hineingeraten, denn ich kenne das Instrument gar nicht." Die Fürstin gesteht
dann ein, daß sie die Kette allerdings vor einigen Jahren heimlich habe schicken
lassen. Das Gespräch kommt auf Bucher, den Bismarck als den einzigen wirk¬
lichen Gentleman unter seinen Freunden bezeichnet; auch der kurz vorher er¬
schienene Schorerartikel wird besprochen, und auf die Frage, was doch darin
alles behauptet worden sei, antworte ich: "Der Geheimrat soll auf seinen
Einfluß eifersüchtig gewesen sein und sich durch Beförderung andrer zurück¬
gesetzt gefühlt haben." Darauf sagte der Fürst laut lachend: "Bucher und
eifersüchtig! Wenn er doch seinen Einfluß auf mich mehr geltend gemacht hätte,
von ihm hätte ich mich gern noch mehr beeinflussen lassen, aber er wollte ja
nicht, er war eine zu vornehme Natur!" Auch über Moritz Busch sprechen
wir, und ich ärgere mich, daß dieser den Verstorbnen in einem Nekrolog als
frühern Jakobiner bezeichnet; darauf der Fürst: "Das ist er niemals gewesen!
Als ich ihn zum erstenmal im Parlament hörte, machte er auf mich den Ein¬
druck eines Nordamerikaners; aber der Busch hat sich bei dieser Äußerung
nichts böses gedacht." Ein Herr erzählt, daß Busch nach Leipzig übergesiedelt
sei, weil er in Berlin eine Beschlagnahme seiner Papiere habe befürchten
müssen. Der Fürst: "Das glaube ich nicht, denn soweit sind wir noch nicht
gekommen." "Ich möchte nur wissen -- sagt die Fürstin --, was die Zei¬
tungen immer zwischen Bucher und meinen Sohn Herbert bringen wollen; die
waren wirklich recht befreundet, und mein Sohn hat sich noch die denkbar
größte Mühe gegeben, ihn als Hochzeitsgast in Wien zu haben; später bekam
er von ihm noch ein kostbares Hochzeitsgeschenk, einen so prachtvollen silbernen
Tafelaufsatz, daß wir alle ganz erstaunt waren. Aber der Geheimrat konnte
größere Gesellschaften nicht ausstehn, und deshalb war er nicht nach Wien zu
bringen."

Wie ich bei dieser Gelegenheit bemerken will, traf das in Wien stehn ge-
bliebne Hochzeitsgeschenk durch einen Zufall gerade einige Tage nach Buchers
Tode ein; findige Reporter verbreiteten dann gleich die Nachricht, daß in einer
mächtig großen Kiste sein gesamter litterarischer Nachlaß in Friedrichsruh ab¬
geliefert worden sei. Fürst Bismarck hat aber nichts derartiges erhalten, und
Bucher hinterließ auch weder Aufzeichnungen noch sonstige Papiere von poli¬
tischer Wichtigkeit. Was von Memoiren gefaselt wird, ist Täuschung; die
geringe schriftliche Hinterlassenschaft ist in den Händen des Bruders.

Ich frage den Fürsten, ob die in der Presse verbreitete Notiz, daß Bucher
die ganze Reichsverfassung in vierundzwanzig Stunden niedergeschrieben habe,
wahr sei, worauf er mir folgendes erwidert: "Bucher hat so schnell gearbeitet,
daß ihm vieles möglich war, was man für unmöglich halten sollte; er hat


Erinnerungen an Friedrichsruh

angegeben sei. Der Fürst liest den beiliegenden Prospekt, der unter zahlreichen
andern Adressen auch seine eigne angiebt, und sagt: O weh, wie ich sehe, be¬
finde ich mich da in höchst zweifelhafter Gesellschaft; aber ich bin ohne Schuld
hineingeraten, denn ich kenne das Instrument gar nicht." Die Fürstin gesteht
dann ein, daß sie die Kette allerdings vor einigen Jahren heimlich habe schicken
lassen. Das Gespräch kommt auf Bucher, den Bismarck als den einzigen wirk¬
lichen Gentleman unter seinen Freunden bezeichnet; auch der kurz vorher er¬
schienene Schorerartikel wird besprochen, und auf die Frage, was doch darin
alles behauptet worden sei, antworte ich: „Der Geheimrat soll auf seinen
Einfluß eifersüchtig gewesen sein und sich durch Beförderung andrer zurück¬
gesetzt gefühlt haben." Darauf sagte der Fürst laut lachend: „Bucher und
eifersüchtig! Wenn er doch seinen Einfluß auf mich mehr geltend gemacht hätte,
von ihm hätte ich mich gern noch mehr beeinflussen lassen, aber er wollte ja
nicht, er war eine zu vornehme Natur!" Auch über Moritz Busch sprechen
wir, und ich ärgere mich, daß dieser den Verstorbnen in einem Nekrolog als
frühern Jakobiner bezeichnet; darauf der Fürst: „Das ist er niemals gewesen!
Als ich ihn zum erstenmal im Parlament hörte, machte er auf mich den Ein¬
druck eines Nordamerikaners; aber der Busch hat sich bei dieser Äußerung
nichts böses gedacht." Ein Herr erzählt, daß Busch nach Leipzig übergesiedelt
sei, weil er in Berlin eine Beschlagnahme seiner Papiere habe befürchten
müssen. Der Fürst: „Das glaube ich nicht, denn soweit sind wir noch nicht
gekommen." „Ich möchte nur wissen — sagt die Fürstin —, was die Zei¬
tungen immer zwischen Bucher und meinen Sohn Herbert bringen wollen; die
waren wirklich recht befreundet, und mein Sohn hat sich noch die denkbar
größte Mühe gegeben, ihn als Hochzeitsgast in Wien zu haben; später bekam
er von ihm noch ein kostbares Hochzeitsgeschenk, einen so prachtvollen silbernen
Tafelaufsatz, daß wir alle ganz erstaunt waren. Aber der Geheimrat konnte
größere Gesellschaften nicht ausstehn, und deshalb war er nicht nach Wien zu
bringen."

Wie ich bei dieser Gelegenheit bemerken will, traf das in Wien stehn ge-
bliebne Hochzeitsgeschenk durch einen Zufall gerade einige Tage nach Buchers
Tode ein; findige Reporter verbreiteten dann gleich die Nachricht, daß in einer
mächtig großen Kiste sein gesamter litterarischer Nachlaß in Friedrichsruh ab¬
geliefert worden sei. Fürst Bismarck hat aber nichts derartiges erhalten, und
Bucher hinterließ auch weder Aufzeichnungen noch sonstige Papiere von poli¬
tischer Wichtigkeit. Was von Memoiren gefaselt wird, ist Täuschung; die
geringe schriftliche Hinterlassenschaft ist in den Händen des Bruders.

Ich frage den Fürsten, ob die in der Presse verbreitete Notiz, daß Bucher
die ganze Reichsverfassung in vierundzwanzig Stunden niedergeschrieben habe,
wahr sei, worauf er mir folgendes erwidert: „Bucher hat so schnell gearbeitet,
daß ihm vieles möglich war, was man für unmöglich halten sollte; er hat


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[0522] Erinnerungen an Friedrichsruh angegeben sei. Der Fürst liest den beiliegenden Prospekt, der unter zahlreichen andern Adressen auch seine eigne angiebt, und sagt: O weh, wie ich sehe, be¬ finde ich mich da in höchst zweifelhafter Gesellschaft; aber ich bin ohne Schuld hineingeraten, denn ich kenne das Instrument gar nicht." Die Fürstin gesteht dann ein, daß sie die Kette allerdings vor einigen Jahren heimlich habe schicken lassen. Das Gespräch kommt auf Bucher, den Bismarck als den einzigen wirk¬ lichen Gentleman unter seinen Freunden bezeichnet; auch der kurz vorher er¬ schienene Schorerartikel wird besprochen, und auf die Frage, was doch darin alles behauptet worden sei, antworte ich: „Der Geheimrat soll auf seinen Einfluß eifersüchtig gewesen sein und sich durch Beförderung andrer zurück¬ gesetzt gefühlt haben." Darauf sagte der Fürst laut lachend: „Bucher und eifersüchtig! Wenn er doch seinen Einfluß auf mich mehr geltend gemacht hätte, von ihm hätte ich mich gern noch mehr beeinflussen lassen, aber er wollte ja nicht, er war eine zu vornehme Natur!" Auch über Moritz Busch sprechen wir, und ich ärgere mich, daß dieser den Verstorbnen in einem Nekrolog als frühern Jakobiner bezeichnet; darauf der Fürst: „Das ist er niemals gewesen! Als ich ihn zum erstenmal im Parlament hörte, machte er auf mich den Ein¬ druck eines Nordamerikaners; aber der Busch hat sich bei dieser Äußerung nichts böses gedacht." Ein Herr erzählt, daß Busch nach Leipzig übergesiedelt sei, weil er in Berlin eine Beschlagnahme seiner Papiere habe befürchten müssen. Der Fürst: „Das glaube ich nicht, denn soweit sind wir noch nicht gekommen." „Ich möchte nur wissen — sagt die Fürstin —, was die Zei¬ tungen immer zwischen Bucher und meinen Sohn Herbert bringen wollen; die waren wirklich recht befreundet, und mein Sohn hat sich noch die denkbar größte Mühe gegeben, ihn als Hochzeitsgast in Wien zu haben; später bekam er von ihm noch ein kostbares Hochzeitsgeschenk, einen so prachtvollen silbernen Tafelaufsatz, daß wir alle ganz erstaunt waren. Aber der Geheimrat konnte größere Gesellschaften nicht ausstehn, und deshalb war er nicht nach Wien zu bringen." Wie ich bei dieser Gelegenheit bemerken will, traf das in Wien stehn ge- bliebne Hochzeitsgeschenk durch einen Zufall gerade einige Tage nach Buchers Tode ein; findige Reporter verbreiteten dann gleich die Nachricht, daß in einer mächtig großen Kiste sein gesamter litterarischer Nachlaß in Friedrichsruh ab¬ geliefert worden sei. Fürst Bismarck hat aber nichts derartiges erhalten, und Bucher hinterließ auch weder Aufzeichnungen noch sonstige Papiere von poli¬ tischer Wichtigkeit. Was von Memoiren gefaselt wird, ist Täuschung; die geringe schriftliche Hinterlassenschaft ist in den Händen des Bruders. Ich frage den Fürsten, ob die in der Presse verbreitete Notiz, daß Bucher die ganze Reichsverfassung in vierundzwanzig Stunden niedergeschrieben habe, wahr sei, worauf er mir folgendes erwidert: „Bucher hat so schnell gearbeitet, daß ihm vieles möglich war, was man für unmöglich halten sollte; er hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/522>, abgerufen am 23.07.2024.