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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Friedrichsruh
Wilhelm Gittermann von(Schluß)

reizehn Monate später, am 26. Februar 1893, kam ich wieder
nach Friedrichsruh; Bucher war am 12. Oktober in Glion am
Genfer See gestorben, und Fürst Bismnrck hatte mich durch einen
liebenswürdigen Brief eingeladen, um sich mit mir über seinen
toten Freund unterhalten zu können. Er empfing mich mit den
Worten: "Sie haben meinem besten Freunde nahe gestanden, ich fühlte das
Bedürfnis, Sie zu sehen." Beim Frühstück und den übrigen Mahlzeiten er¬
halte ich immer meinen Platz an seiner Seite; als wir uns gesetzt haben,
springt Rebekka wie toll um den Tisch herum, während Tiras nicht zu sehen
ist; schließlich kommt er aber schwerfällig angehumpelt und legt sich teilnahmlos
zu den Füßen seines Herrn nieder. Auf meine Bemerkung, daß der Hund
Wohl krank sei, sagt der Fürst: "Ja, sehen Sie, das ist auch so ein merk¬
würdiges Verhältnis, wie es im Leben öfter vorkommt, zwischen zwei Krea¬
turen, die nicht zu einander Passen; die Rebekka ist eine liebenswürdige feurige
Dame, aber -- wie oft in solchem Falle -- ein Satan; der Tiras ist ein
höchst braver, aber etwas tölpliger Kerl, ohne Leidenschaften; in letzter Zeit
ist er nun ganz phlegmatisch geworden, und als alle Liebkosungen nicht helfen
wollten, ihn an seine ehelichen Pflichten zu erinnern, da hat sich die Liebe in
Haß verwandelt, die Rebekka hat ihn schließlich vor Verachtung in das Bein
gebissen, und davon lahmt er." Es wird ein soeben mit der Post angelangtes
Paket gebracht. Es enthalt eine sogenannte elektrische Gichtkette und das
Schreiben einer unbekannten Dame, die um Mitteilung bittet, ob dem Fürsten
diese Kette wirklich geholfen habe, da sein Name an erster Stelle als Referenz


Grenzboten I 18S9 W


Erinnerungen an Friedrichsruh
Wilhelm Gittermann von(Schluß)

reizehn Monate später, am 26. Februar 1893, kam ich wieder
nach Friedrichsruh; Bucher war am 12. Oktober in Glion am
Genfer See gestorben, und Fürst Bismnrck hatte mich durch einen
liebenswürdigen Brief eingeladen, um sich mit mir über seinen
toten Freund unterhalten zu können. Er empfing mich mit den
Worten: „Sie haben meinem besten Freunde nahe gestanden, ich fühlte das
Bedürfnis, Sie zu sehen." Beim Frühstück und den übrigen Mahlzeiten er¬
halte ich immer meinen Platz an seiner Seite; als wir uns gesetzt haben,
springt Rebekka wie toll um den Tisch herum, während Tiras nicht zu sehen
ist; schließlich kommt er aber schwerfällig angehumpelt und legt sich teilnahmlos
zu den Füßen seines Herrn nieder. Auf meine Bemerkung, daß der Hund
Wohl krank sei, sagt der Fürst: „Ja, sehen Sie, das ist auch so ein merk¬
würdiges Verhältnis, wie es im Leben öfter vorkommt, zwischen zwei Krea¬
turen, die nicht zu einander Passen; die Rebekka ist eine liebenswürdige feurige
Dame, aber — wie oft in solchem Falle — ein Satan; der Tiras ist ein
höchst braver, aber etwas tölpliger Kerl, ohne Leidenschaften; in letzter Zeit
ist er nun ganz phlegmatisch geworden, und als alle Liebkosungen nicht helfen
wollten, ihn an seine ehelichen Pflichten zu erinnern, da hat sich die Liebe in
Haß verwandelt, die Rebekka hat ihn schließlich vor Verachtung in das Bein
gebissen, und davon lahmt er." Es wird ein soeben mit der Post angelangtes
Paket gebracht. Es enthalt eine sogenannte elektrische Gichtkette und das
Schreiben einer unbekannten Dame, die um Mitteilung bittet, ob dem Fürsten
diese Kette wirklich geholfen habe, da sein Name an erster Stelle als Referenz


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[0521] [Abbildung] Erinnerungen an Friedrichsruh Wilhelm Gittermann von(Schluß) reizehn Monate später, am 26. Februar 1893, kam ich wieder nach Friedrichsruh; Bucher war am 12. Oktober in Glion am Genfer See gestorben, und Fürst Bismnrck hatte mich durch einen liebenswürdigen Brief eingeladen, um sich mit mir über seinen toten Freund unterhalten zu können. Er empfing mich mit den Worten: „Sie haben meinem besten Freunde nahe gestanden, ich fühlte das Bedürfnis, Sie zu sehen." Beim Frühstück und den übrigen Mahlzeiten er¬ halte ich immer meinen Platz an seiner Seite; als wir uns gesetzt haben, springt Rebekka wie toll um den Tisch herum, während Tiras nicht zu sehen ist; schließlich kommt er aber schwerfällig angehumpelt und legt sich teilnahmlos zu den Füßen seines Herrn nieder. Auf meine Bemerkung, daß der Hund Wohl krank sei, sagt der Fürst: „Ja, sehen Sie, das ist auch so ein merk¬ würdiges Verhältnis, wie es im Leben öfter vorkommt, zwischen zwei Krea¬ turen, die nicht zu einander Passen; die Rebekka ist eine liebenswürdige feurige Dame, aber — wie oft in solchem Falle — ein Satan; der Tiras ist ein höchst braver, aber etwas tölpliger Kerl, ohne Leidenschaften; in letzter Zeit ist er nun ganz phlegmatisch geworden, und als alle Liebkosungen nicht helfen wollten, ihn an seine ehelichen Pflichten zu erinnern, da hat sich die Liebe in Haß verwandelt, die Rebekka hat ihn schließlich vor Verachtung in das Bein gebissen, und davon lahmt er." Es wird ein soeben mit der Post angelangtes Paket gebracht. Es enthalt eine sogenannte elektrische Gichtkette und das Schreiben einer unbekannten Dame, die um Mitteilung bittet, ob dem Fürsten diese Kette wirklich geholfen habe, da sein Name an erster Stelle als Referenz Grenzboten I 18S9 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/521>, abgerufen am 23.07.2024.