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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Aus dem Vberelsaß

rechnete Äußerlichkeit und geschäftliche Mache. Man erhält sich dadurch die
französische Kundschaft und läßt sich vom neuen Vaterland umschmeicheln, statt
daß man als unartiges Kind die verdiente Strafe erhält. Leider fehlt der
Verwaltung das Verständnis dafür, daß sich die elsässische Frage zu einer
Sprachenfrage zuspitzt, und daß die Vernichtung der fremden Sprache im Ver¬
kehr ein Gebot ist, wenn man nicht die nationale Schmach auf sich laden will,
zu scheitern. Wie gefährlich diese französische Sprachspielerei ist, erhellt aus
dem Umstände, daß die eingewanderten Altdeutschen der untern Stände mit
großer Gelehrigkeit die fremde Unterhaltung von ihren elsüssischen Volksgenossen
lernen und dann selbst mit dieser Kenntnis prunken. Hoch oben im Gebirge
haben wir altdeutsche Förster französisch mit Landeseinwohnern reden hören,
die sehr wohl "dütsch" verstanden. Altdeutsche Schaffner gingen bereitwilligst
auf französische Fragen von Elsässern ein, die bis dahin harmlos deutsch ge¬
sprochen hatten; ja sie begannen sogar das Gespräch mit Nonsisur, s'it ovo.8
xliM, los dillets. Die Sprachleistung ist ja nicht bedeutend, aber jedenfalls
bezeichnend.

Es ist ja ein Vorzug, daß die Sprachgewandtheit bei uns verbreiteter
ist als in Frankreich und England. Aber wir sollten unsre Kenntnisse nur
im Auslande zeigen, obschon Franzosen und Engländer mit ihrer sprich¬
wörtlichen Sprachunkenntnis in der Fremde nicht schlechter sondern besser als
wir behandelt werden. Die höhern Beamten und Offiziere sündigen im Elsaß
als sprachenkundige Männer nur gar zu gern gegen dieses selbstverständliche
Gesetz und sehen nicht, welche Folgen solche schlecht angewandte deutsche Bil¬
dung haben muß. Es ist nicht verwunderlich, wenn Beamte elsüssischer Her¬
kunft nun offen als Beschützer der fremden Sprache auftreten. Ein Metzer
Amtsgerichtsrat stellt bei der Bewerbung um die Wahl zum Landesausschuß
als Hauptpunkt seines Programms die Forderung auf, daß die Verwaltung
vor allem die Sprache des Volkes schützen müsse, womit natürlich nicht die
alemannische und die fränkische Mundart der Elsasser und Lothringer, sondern
das schlechte und mit deutschen Brocken durchsetzte lothringische Patois gemeint ist.
Ebenso schreibt der Präsident des reformierten Konsistoriums der Reichslande,
dessen Familie ihrem Namen nach fraglos niederdeutschen Ursprungs ist, seine
gelehrten Werke hauptsächlich in französischer Sprache. Können beide Herren
diese Handlungsweise mit ihrer deutschen Beamtenpflicht vereinen? Ja sogar
an leitender Stelle in Straßburg geht man in öffentlichen Ansprachen und Er¬
lassen der Sprachenfrage geflissentlich aus dem Wege, statt sie in den Mittel¬
punkt jeder amtlichen Thätigkeit zu rücken. Es wäre verständlich, wenn man
aus übertriebner Rücksicht diesen Grundsatz nur stillschweigend befolgte; aber
weder vermindert sich das offizielle französische Sprachgebiet, noch macht die
deutsche Sprache in Kirche und Schule Fortschritte, und wo thatsächlich eine
Verdeutschung eingetreten ist, nimmt die offizielle Statistik immer noch eine


Aus dem Vberelsaß

rechnete Äußerlichkeit und geschäftliche Mache. Man erhält sich dadurch die
französische Kundschaft und läßt sich vom neuen Vaterland umschmeicheln, statt
daß man als unartiges Kind die verdiente Strafe erhält. Leider fehlt der
Verwaltung das Verständnis dafür, daß sich die elsässische Frage zu einer
Sprachenfrage zuspitzt, und daß die Vernichtung der fremden Sprache im Ver¬
kehr ein Gebot ist, wenn man nicht die nationale Schmach auf sich laden will,
zu scheitern. Wie gefährlich diese französische Sprachspielerei ist, erhellt aus
dem Umstände, daß die eingewanderten Altdeutschen der untern Stände mit
großer Gelehrigkeit die fremde Unterhaltung von ihren elsüssischen Volksgenossen
lernen und dann selbst mit dieser Kenntnis prunken. Hoch oben im Gebirge
haben wir altdeutsche Förster französisch mit Landeseinwohnern reden hören,
die sehr wohl „dütsch" verstanden. Altdeutsche Schaffner gingen bereitwilligst
auf französische Fragen von Elsässern ein, die bis dahin harmlos deutsch ge¬
sprochen hatten; ja sie begannen sogar das Gespräch mit Nonsisur, s'it ovo.8
xliM, los dillets. Die Sprachleistung ist ja nicht bedeutend, aber jedenfalls
bezeichnend.

Es ist ja ein Vorzug, daß die Sprachgewandtheit bei uns verbreiteter
ist als in Frankreich und England. Aber wir sollten unsre Kenntnisse nur
im Auslande zeigen, obschon Franzosen und Engländer mit ihrer sprich¬
wörtlichen Sprachunkenntnis in der Fremde nicht schlechter sondern besser als
wir behandelt werden. Die höhern Beamten und Offiziere sündigen im Elsaß
als sprachenkundige Männer nur gar zu gern gegen dieses selbstverständliche
Gesetz und sehen nicht, welche Folgen solche schlecht angewandte deutsche Bil¬
dung haben muß. Es ist nicht verwunderlich, wenn Beamte elsüssischer Her¬
kunft nun offen als Beschützer der fremden Sprache auftreten. Ein Metzer
Amtsgerichtsrat stellt bei der Bewerbung um die Wahl zum Landesausschuß
als Hauptpunkt seines Programms die Forderung auf, daß die Verwaltung
vor allem die Sprache des Volkes schützen müsse, womit natürlich nicht die
alemannische und die fränkische Mundart der Elsasser und Lothringer, sondern
das schlechte und mit deutschen Brocken durchsetzte lothringische Patois gemeint ist.
Ebenso schreibt der Präsident des reformierten Konsistoriums der Reichslande,
dessen Familie ihrem Namen nach fraglos niederdeutschen Ursprungs ist, seine
gelehrten Werke hauptsächlich in französischer Sprache. Können beide Herren
diese Handlungsweise mit ihrer deutschen Beamtenpflicht vereinen? Ja sogar
an leitender Stelle in Straßburg geht man in öffentlichen Ansprachen und Er¬
lassen der Sprachenfrage geflissentlich aus dem Wege, statt sie in den Mittel¬
punkt jeder amtlichen Thätigkeit zu rücken. Es wäre verständlich, wenn man
aus übertriebner Rücksicht diesen Grundsatz nur stillschweigend befolgte; aber
weder vermindert sich das offizielle französische Sprachgebiet, noch macht die
deutsche Sprache in Kirche und Schule Fortschritte, und wo thatsächlich eine
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[0488] Aus dem Vberelsaß rechnete Äußerlichkeit und geschäftliche Mache. Man erhält sich dadurch die französische Kundschaft und läßt sich vom neuen Vaterland umschmeicheln, statt daß man als unartiges Kind die verdiente Strafe erhält. Leider fehlt der Verwaltung das Verständnis dafür, daß sich die elsässische Frage zu einer Sprachenfrage zuspitzt, und daß die Vernichtung der fremden Sprache im Ver¬ kehr ein Gebot ist, wenn man nicht die nationale Schmach auf sich laden will, zu scheitern. Wie gefährlich diese französische Sprachspielerei ist, erhellt aus dem Umstände, daß die eingewanderten Altdeutschen der untern Stände mit großer Gelehrigkeit die fremde Unterhaltung von ihren elsüssischen Volksgenossen lernen und dann selbst mit dieser Kenntnis prunken. Hoch oben im Gebirge haben wir altdeutsche Förster französisch mit Landeseinwohnern reden hören, die sehr wohl „dütsch" verstanden. Altdeutsche Schaffner gingen bereitwilligst auf französische Fragen von Elsässern ein, die bis dahin harmlos deutsch ge¬ sprochen hatten; ja sie begannen sogar das Gespräch mit Nonsisur, s'it ovo.8 xliM, los dillets. Die Sprachleistung ist ja nicht bedeutend, aber jedenfalls bezeichnend. Es ist ja ein Vorzug, daß die Sprachgewandtheit bei uns verbreiteter ist als in Frankreich und England. Aber wir sollten unsre Kenntnisse nur im Auslande zeigen, obschon Franzosen und Engländer mit ihrer sprich¬ wörtlichen Sprachunkenntnis in der Fremde nicht schlechter sondern besser als wir behandelt werden. Die höhern Beamten und Offiziere sündigen im Elsaß als sprachenkundige Männer nur gar zu gern gegen dieses selbstverständliche Gesetz und sehen nicht, welche Folgen solche schlecht angewandte deutsche Bil¬ dung haben muß. Es ist nicht verwunderlich, wenn Beamte elsüssischer Her¬ kunft nun offen als Beschützer der fremden Sprache auftreten. Ein Metzer Amtsgerichtsrat stellt bei der Bewerbung um die Wahl zum Landesausschuß als Hauptpunkt seines Programms die Forderung auf, daß die Verwaltung vor allem die Sprache des Volkes schützen müsse, womit natürlich nicht die alemannische und die fränkische Mundart der Elsasser und Lothringer, sondern das schlechte und mit deutschen Brocken durchsetzte lothringische Patois gemeint ist. Ebenso schreibt der Präsident des reformierten Konsistoriums der Reichslande, dessen Familie ihrem Namen nach fraglos niederdeutschen Ursprungs ist, seine gelehrten Werke hauptsächlich in französischer Sprache. Können beide Herren diese Handlungsweise mit ihrer deutschen Beamtenpflicht vereinen? Ja sogar an leitender Stelle in Straßburg geht man in öffentlichen Ansprachen und Er¬ lassen der Sprachenfrage geflissentlich aus dem Wege, statt sie in den Mittel¬ punkt jeder amtlichen Thätigkeit zu rücken. Es wäre verständlich, wenn man aus übertriebner Rücksicht diesen Grundsatz nur stillschweigend befolgte; aber weder vermindert sich das offizielle französische Sprachgebiet, noch macht die deutsche Sprache in Kirche und Schule Fortschritte, und wo thatsächlich eine Verdeutschung eingetreten ist, nimmt die offizielle Statistik immer noch eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/488>, abgerufen am 23.07.2024.