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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Einige Bedenken über die Politik der konservativen Partei

vativen, ihre Schwächen fühlend, streben, bewußt oder unbewußt, nach Volks¬
gunst. Man verspricht in Volksversammlungen und Wahlversammlungen Re¬
formen und bessere Zeiten, weiß aber auch bestimmte Mittel nicht anzugeben.
Verfolgt man im Parlament allgemeine Ziele wirtschaftlicher Art, so versagt
zuweilen die Kenntnis der Verhältnisse -- auf die Forschungen des Vereins
für Sozialpolitik sieht man vornehm herab, mit Kathedersozialisten will man
nichts zu thun haben --, oder man folgt, wie Fürst Bismarck es etwa nannte,
blind dem Einzelnen, der sich als Wissenden ausgiebt. So kam der "Antrag
von Brockhausen" auf Beschränkung der großen Warenhäuser im Namen der
Förderung und Erhaltung des Mittelstands, und doch mußte man sich von
der Negierung belehren lassen und hätte nach den Erfahrungen Frankreichs
wissen müssen, daß eine Einschränkung der Warenhäuser heute unmöglich ist,
daß die Großbazare wohl hohe Steuern zu tragen vermögen, aber dadurch
nicht konkurrenzunfähig werden, daß sie im Gegenteil jede Erhöhung der Be¬
steuerung durch Vergrößerung ihres Umfangs und Umsatzes mehr als auszu¬
gleichen wissen. Natürliche Entwicklungen lassen sich nicht beseitigen, Um¬
wälzungen des wirtschaftlichen Lebens sind für manche verderblich, ohne des¬
halb der Gesamtheit auf die Dauer zu schaden. Wie der Antrag Kanitz, so
führte der Antrag von Brockhausen, sofern er sein Ziel verfehlte, zu einer
Niederlage der konservativen Partei. Ob sie daraus eine Lehre ziehn wird?
Hoffen wir es!

Ungerechtfertigt und bald aufgegeben war die abfällige Beurteilung der
Bcamtenbesoldungsaufbesserung von 1887 durch die Konservativen: bei der
ersten Lesung warfen sie der Regierungsvorlage "Systemlosigkeit" vor, und bei
der zweiten Lesung mußten sie bekennen, daß sie sich davon überzeugt hätten,
sie sei weder systemlos noch unrichtig.

Die gewaltige Zunahme der großen Städte zeitigt Zustünde, die in vieler
Beziehung bedauerlich sind. Niemand verdenke es den Konservativen, wenn
sie auf Mittel sinnen, ihr weiteres Anwachsen hintanzuhalten; niemand wird
im Ernst behaupten können, es habe die Abneigung der Konservativen ihren
Grund vorzugsweise darin, daß fast alle diese Städte liberal oder freisinnig,
ja sozialdemokratisch zu wählen Pflegen. Aber es war ungerecht, als man bei
der Neuregelung der Volksschullehrerbesvldung den größern Städten nicht nur
weniger gab als den kleinen Städten und den Landgemeinden, sondern daß
man ihnen auch Staatszuschüsse nahm, die sie auf Grund früherer Gesetze,
also von Rechts wegen bezogen hatten und als dauernd, unentziehbar angesehen
hatten. Aber nicht nur leisteten die Konservativen den fiskalischen Vorschlügen
der Gesctzesvorlage keinen Widerstand -- sie hätten sicherlich durchschlagenden
Erfolg gehabt, wenn sie widerstanden hätten --, sie frohlockten, daß sich eine
Gelegenheit fand, die Städte von Staatswohlthaten auszuschließen; agrarische
Anschauungen feierten einen Triumph! Freilich, dieser Triumph währte nicht


Einige Bedenken über die Politik der konservativen Partei

vativen, ihre Schwächen fühlend, streben, bewußt oder unbewußt, nach Volks¬
gunst. Man verspricht in Volksversammlungen und Wahlversammlungen Re¬
formen und bessere Zeiten, weiß aber auch bestimmte Mittel nicht anzugeben.
Verfolgt man im Parlament allgemeine Ziele wirtschaftlicher Art, so versagt
zuweilen die Kenntnis der Verhältnisse — auf die Forschungen des Vereins
für Sozialpolitik sieht man vornehm herab, mit Kathedersozialisten will man
nichts zu thun haben —, oder man folgt, wie Fürst Bismarck es etwa nannte,
blind dem Einzelnen, der sich als Wissenden ausgiebt. So kam der „Antrag
von Brockhausen" auf Beschränkung der großen Warenhäuser im Namen der
Förderung und Erhaltung des Mittelstands, und doch mußte man sich von
der Negierung belehren lassen und hätte nach den Erfahrungen Frankreichs
wissen müssen, daß eine Einschränkung der Warenhäuser heute unmöglich ist,
daß die Großbazare wohl hohe Steuern zu tragen vermögen, aber dadurch
nicht konkurrenzunfähig werden, daß sie im Gegenteil jede Erhöhung der Be¬
steuerung durch Vergrößerung ihres Umfangs und Umsatzes mehr als auszu¬
gleichen wissen. Natürliche Entwicklungen lassen sich nicht beseitigen, Um¬
wälzungen des wirtschaftlichen Lebens sind für manche verderblich, ohne des¬
halb der Gesamtheit auf die Dauer zu schaden. Wie der Antrag Kanitz, so
führte der Antrag von Brockhausen, sofern er sein Ziel verfehlte, zu einer
Niederlage der konservativen Partei. Ob sie daraus eine Lehre ziehn wird?
Hoffen wir es!

Ungerechtfertigt und bald aufgegeben war die abfällige Beurteilung der
Bcamtenbesoldungsaufbesserung von 1887 durch die Konservativen: bei der
ersten Lesung warfen sie der Regierungsvorlage „Systemlosigkeit" vor, und bei
der zweiten Lesung mußten sie bekennen, daß sie sich davon überzeugt hätten,
sie sei weder systemlos noch unrichtig.

Die gewaltige Zunahme der großen Städte zeitigt Zustünde, die in vieler
Beziehung bedauerlich sind. Niemand verdenke es den Konservativen, wenn
sie auf Mittel sinnen, ihr weiteres Anwachsen hintanzuhalten; niemand wird
im Ernst behaupten können, es habe die Abneigung der Konservativen ihren
Grund vorzugsweise darin, daß fast alle diese Städte liberal oder freisinnig,
ja sozialdemokratisch zu wählen Pflegen. Aber es war ungerecht, als man bei
der Neuregelung der Volksschullehrerbesvldung den größern Städten nicht nur
weniger gab als den kleinen Städten und den Landgemeinden, sondern daß
man ihnen auch Staatszuschüsse nahm, die sie auf Grund früherer Gesetze,
also von Rechts wegen bezogen hatten und als dauernd, unentziehbar angesehen
hatten. Aber nicht nur leisteten die Konservativen den fiskalischen Vorschlügen
der Gesctzesvorlage keinen Widerstand — sie hätten sicherlich durchschlagenden
Erfolg gehabt, wenn sie widerstanden hätten —, sie frohlockten, daß sich eine
Gelegenheit fand, die Städte von Staatswohlthaten auszuschließen; agrarische
Anschauungen feierten einen Triumph! Freilich, dieser Triumph währte nicht


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[0483] Einige Bedenken über die Politik der konservativen Partei vativen, ihre Schwächen fühlend, streben, bewußt oder unbewußt, nach Volks¬ gunst. Man verspricht in Volksversammlungen und Wahlversammlungen Re¬ formen und bessere Zeiten, weiß aber auch bestimmte Mittel nicht anzugeben. Verfolgt man im Parlament allgemeine Ziele wirtschaftlicher Art, so versagt zuweilen die Kenntnis der Verhältnisse — auf die Forschungen des Vereins für Sozialpolitik sieht man vornehm herab, mit Kathedersozialisten will man nichts zu thun haben —, oder man folgt, wie Fürst Bismarck es etwa nannte, blind dem Einzelnen, der sich als Wissenden ausgiebt. So kam der „Antrag von Brockhausen" auf Beschränkung der großen Warenhäuser im Namen der Förderung und Erhaltung des Mittelstands, und doch mußte man sich von der Negierung belehren lassen und hätte nach den Erfahrungen Frankreichs wissen müssen, daß eine Einschränkung der Warenhäuser heute unmöglich ist, daß die Großbazare wohl hohe Steuern zu tragen vermögen, aber dadurch nicht konkurrenzunfähig werden, daß sie im Gegenteil jede Erhöhung der Be¬ steuerung durch Vergrößerung ihres Umfangs und Umsatzes mehr als auszu¬ gleichen wissen. Natürliche Entwicklungen lassen sich nicht beseitigen, Um¬ wälzungen des wirtschaftlichen Lebens sind für manche verderblich, ohne des¬ halb der Gesamtheit auf die Dauer zu schaden. Wie der Antrag Kanitz, so führte der Antrag von Brockhausen, sofern er sein Ziel verfehlte, zu einer Niederlage der konservativen Partei. Ob sie daraus eine Lehre ziehn wird? Hoffen wir es! Ungerechtfertigt und bald aufgegeben war die abfällige Beurteilung der Bcamtenbesoldungsaufbesserung von 1887 durch die Konservativen: bei der ersten Lesung warfen sie der Regierungsvorlage „Systemlosigkeit" vor, und bei der zweiten Lesung mußten sie bekennen, daß sie sich davon überzeugt hätten, sie sei weder systemlos noch unrichtig. Die gewaltige Zunahme der großen Städte zeitigt Zustünde, die in vieler Beziehung bedauerlich sind. Niemand verdenke es den Konservativen, wenn sie auf Mittel sinnen, ihr weiteres Anwachsen hintanzuhalten; niemand wird im Ernst behaupten können, es habe die Abneigung der Konservativen ihren Grund vorzugsweise darin, daß fast alle diese Städte liberal oder freisinnig, ja sozialdemokratisch zu wählen Pflegen. Aber es war ungerecht, als man bei der Neuregelung der Volksschullehrerbesvldung den größern Städten nicht nur weniger gab als den kleinen Städten und den Landgemeinden, sondern daß man ihnen auch Staatszuschüsse nahm, die sie auf Grund früherer Gesetze, also von Rechts wegen bezogen hatten und als dauernd, unentziehbar angesehen hatten. Aber nicht nur leisteten die Konservativen den fiskalischen Vorschlügen der Gesctzesvorlage keinen Widerstand — sie hätten sicherlich durchschlagenden Erfolg gehabt, wenn sie widerstanden hätten —, sie frohlockten, daß sich eine Gelegenheit fand, die Städte von Staatswohlthaten auszuschließen; agrarische Anschauungen feierten einen Triumph! Freilich, dieser Triumph währte nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/483>, abgerufen am 23.07.2024.