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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Friedrichsruh

Kanzler den schon seit vier Jahren im Ruhestand lebenden Bucher zu sich, um
mit ihm über die Lage zu beraten. Dieser riet sofortige Einreichung des Ent¬
lassungsgesuchs, und -- wenn ich recht verstanden habe -- er ist auch bei Ab¬
fassung dieses Schriftstücks mit behilflich gewesen.

Als der Fürst dann dauernd nach Friedrichsruh übersiedelte, wurde Bucher
eingeladen, als ständiger Gast dort Wohnung zu nehmen. Die Absicht, Er¬
innerungen zu schreiben, bestand damals noch nicht, und der Geheimrat ver¬
sicherte mir wiederholt, daß er nur nach Friedrichsruh eingeladen sei, um dem
Kanzler über die erste besonders empfindliche Zeit der Unthätigkeit hinweg¬
zuhelfen. Aber ein Mann wie Bucher konnte nicht ohne Arbeit sein, er machte
sich also darüber her, die vielen politischen Briefe und in Privatbesitz ver-
blichnen Aktenstücke zu ordnen. Je mehr er sich in diese Arbeit vertiefte,
umso größer wurde sein Interesse, und schließlich schlug er dem Fürsten vor,
der Welt ein gewissermaßen politisches Testament zu hinterlassen und Er¬
innerungen zu schreiben. Leicht ist es ihm nicht geworden, den Kanzler für
seinen Plan zu gewinnen, besonders da er auch den Widerstand einzelner
Familienmitglieder zu überwinden hatte, denen der Gedanke daran zuerst gar
nicht sympathisch war. Aber eine zähe Natur wie Lothar Bücher ließ sich
nicht so leicht zurückschrecken, und nachdem es ihm erst gelungen war, den
Fürsten für die Arbeit zu interessieren, wußte er ihn auch dabei festzuhalten.
Fast in derselben Weise wie früher zur Zeit der Amtsthätigkeit verlief auch
die letzte gemeinsame Arbeit der beiden Männer. Nachdem man sich durch
gegenseitige Aussprache über den allgemeinen Inhalt eines Kapitels verständigt
hatte, brachte der Geheimrat die Plaudereien seines Meisters stenographisch
auf das Papier, um spüler auf seinem Zimmer die vorhandnen Briefe und
Aktenstücke damit zu vergleichen; dann schrieb er den Abschnitt in druckreifer
Form nieder und übergab ihn nochmals dem Fürsten zur Durchsicht, bevor
Chryscmder oder ein andrer Herr die endgiltige Reinschrift besorgen durfte.
Geheimrat Bucher war die treibende Kraft, und ich hörte ihn nur darüber
klagen, daß die Arbeit nicht schnell genug fortschreite, und daß es manchmal
schwer sei, bei einem bestimmten Punkt die Gedanken des Fürsten festzuhalten,
der sich immer mit ihm lieber über die politischen Tagesneuigkeiten als über
die Vergangenheit unterhalten wollte. Dadurch kam es auch hin und wieder
zu kleinen sachlichen Streitigkeiten, die nicht selten damit endigten, daß der
Geheimrat seine Koffer packte und abreiste. Lange hielt es aber der Kanzler
ohne Bucher, der ihm jetzt ganz unentbehrlich geworden war, nicht aus; die
Mitteilung, daß er gern wieder mit ihm arbeiten wolle, oder daß sich neue
wertvolle Materialien vorgefunden hätten, war dann immer ausreichend, ihn
schnell wieder nach Friedrichsruh zurückzuführen.

Bucher liebte nichts weniger als den Aufenthalt in Varzin, dessen feuchtes
Herrenhaus er für die Entstehung seines gichtischen Leidens verantwortlich


Grenzboten I 1899 S9
Erinnerungen an Friedrichsruh

Kanzler den schon seit vier Jahren im Ruhestand lebenden Bucher zu sich, um
mit ihm über die Lage zu beraten. Dieser riet sofortige Einreichung des Ent¬
lassungsgesuchs, und — wenn ich recht verstanden habe — er ist auch bei Ab¬
fassung dieses Schriftstücks mit behilflich gewesen.

Als der Fürst dann dauernd nach Friedrichsruh übersiedelte, wurde Bucher
eingeladen, als ständiger Gast dort Wohnung zu nehmen. Die Absicht, Er¬
innerungen zu schreiben, bestand damals noch nicht, und der Geheimrat ver¬
sicherte mir wiederholt, daß er nur nach Friedrichsruh eingeladen sei, um dem
Kanzler über die erste besonders empfindliche Zeit der Unthätigkeit hinweg¬
zuhelfen. Aber ein Mann wie Bucher konnte nicht ohne Arbeit sein, er machte
sich also darüber her, die vielen politischen Briefe und in Privatbesitz ver-
blichnen Aktenstücke zu ordnen. Je mehr er sich in diese Arbeit vertiefte,
umso größer wurde sein Interesse, und schließlich schlug er dem Fürsten vor,
der Welt ein gewissermaßen politisches Testament zu hinterlassen und Er¬
innerungen zu schreiben. Leicht ist es ihm nicht geworden, den Kanzler für
seinen Plan zu gewinnen, besonders da er auch den Widerstand einzelner
Familienmitglieder zu überwinden hatte, denen der Gedanke daran zuerst gar
nicht sympathisch war. Aber eine zähe Natur wie Lothar Bücher ließ sich
nicht so leicht zurückschrecken, und nachdem es ihm erst gelungen war, den
Fürsten für die Arbeit zu interessieren, wußte er ihn auch dabei festzuhalten.
Fast in derselben Weise wie früher zur Zeit der Amtsthätigkeit verlief auch
die letzte gemeinsame Arbeit der beiden Männer. Nachdem man sich durch
gegenseitige Aussprache über den allgemeinen Inhalt eines Kapitels verständigt
hatte, brachte der Geheimrat die Plaudereien seines Meisters stenographisch
auf das Papier, um spüler auf seinem Zimmer die vorhandnen Briefe und
Aktenstücke damit zu vergleichen; dann schrieb er den Abschnitt in druckreifer
Form nieder und übergab ihn nochmals dem Fürsten zur Durchsicht, bevor
Chryscmder oder ein andrer Herr die endgiltige Reinschrift besorgen durfte.
Geheimrat Bucher war die treibende Kraft, und ich hörte ihn nur darüber
klagen, daß die Arbeit nicht schnell genug fortschreite, und daß es manchmal
schwer sei, bei einem bestimmten Punkt die Gedanken des Fürsten festzuhalten,
der sich immer mit ihm lieber über die politischen Tagesneuigkeiten als über
die Vergangenheit unterhalten wollte. Dadurch kam es auch hin und wieder
zu kleinen sachlichen Streitigkeiten, die nicht selten damit endigten, daß der
Geheimrat seine Koffer packte und abreiste. Lange hielt es aber der Kanzler
ohne Bucher, der ihm jetzt ganz unentbehrlich geworden war, nicht aus; die
Mitteilung, daß er gern wieder mit ihm arbeiten wolle, oder daß sich neue
wertvolle Materialien vorgefunden hätten, war dann immer ausreichend, ihn
schnell wieder nach Friedrichsruh zurückzuführen.

Bucher liebte nichts weniger als den Aufenthalt in Varzin, dessen feuchtes
Herrenhaus er für die Entstehung seines gichtischen Leidens verantwortlich


Grenzboten I 1899 S9
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[0473] Erinnerungen an Friedrichsruh Kanzler den schon seit vier Jahren im Ruhestand lebenden Bucher zu sich, um mit ihm über die Lage zu beraten. Dieser riet sofortige Einreichung des Ent¬ lassungsgesuchs, und — wenn ich recht verstanden habe — er ist auch bei Ab¬ fassung dieses Schriftstücks mit behilflich gewesen. Als der Fürst dann dauernd nach Friedrichsruh übersiedelte, wurde Bucher eingeladen, als ständiger Gast dort Wohnung zu nehmen. Die Absicht, Er¬ innerungen zu schreiben, bestand damals noch nicht, und der Geheimrat ver¬ sicherte mir wiederholt, daß er nur nach Friedrichsruh eingeladen sei, um dem Kanzler über die erste besonders empfindliche Zeit der Unthätigkeit hinweg¬ zuhelfen. Aber ein Mann wie Bucher konnte nicht ohne Arbeit sein, er machte sich also darüber her, die vielen politischen Briefe und in Privatbesitz ver- blichnen Aktenstücke zu ordnen. Je mehr er sich in diese Arbeit vertiefte, umso größer wurde sein Interesse, und schließlich schlug er dem Fürsten vor, der Welt ein gewissermaßen politisches Testament zu hinterlassen und Er¬ innerungen zu schreiben. Leicht ist es ihm nicht geworden, den Kanzler für seinen Plan zu gewinnen, besonders da er auch den Widerstand einzelner Familienmitglieder zu überwinden hatte, denen der Gedanke daran zuerst gar nicht sympathisch war. Aber eine zähe Natur wie Lothar Bücher ließ sich nicht so leicht zurückschrecken, und nachdem es ihm erst gelungen war, den Fürsten für die Arbeit zu interessieren, wußte er ihn auch dabei festzuhalten. Fast in derselben Weise wie früher zur Zeit der Amtsthätigkeit verlief auch die letzte gemeinsame Arbeit der beiden Männer. Nachdem man sich durch gegenseitige Aussprache über den allgemeinen Inhalt eines Kapitels verständigt hatte, brachte der Geheimrat die Plaudereien seines Meisters stenographisch auf das Papier, um spüler auf seinem Zimmer die vorhandnen Briefe und Aktenstücke damit zu vergleichen; dann schrieb er den Abschnitt in druckreifer Form nieder und übergab ihn nochmals dem Fürsten zur Durchsicht, bevor Chryscmder oder ein andrer Herr die endgiltige Reinschrift besorgen durfte. Geheimrat Bucher war die treibende Kraft, und ich hörte ihn nur darüber klagen, daß die Arbeit nicht schnell genug fortschreite, und daß es manchmal schwer sei, bei einem bestimmten Punkt die Gedanken des Fürsten festzuhalten, der sich immer mit ihm lieber über die politischen Tagesneuigkeiten als über die Vergangenheit unterhalten wollte. Dadurch kam es auch hin und wieder zu kleinen sachlichen Streitigkeiten, die nicht selten damit endigten, daß der Geheimrat seine Koffer packte und abreiste. Lange hielt es aber der Kanzler ohne Bucher, der ihm jetzt ganz unentbehrlich geworden war, nicht aus; die Mitteilung, daß er gern wieder mit ihm arbeiten wolle, oder daß sich neue wertvolle Materialien vorgefunden hätten, war dann immer ausreichend, ihn schnell wieder nach Friedrichsruh zurückzuführen. Bucher liebte nichts weniger als den Aufenthalt in Varzin, dessen feuchtes Herrenhaus er für die Entstehung seines gichtischen Leidens verantwortlich Grenzboten I 1899 S9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/473>, abgerufen am 23.07.2024.