Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Erinnerungen an Friedrichsruh

wie er da nach Hause gekommen ist, hat er sicher gleich gesagt: "Frau, gieb
mal schnell eine Tasse Kaffee her, ich habe im Schlosse wieder ein Zeug fressen
müssen und kann den Geschmack nicht wieder los werden.""

Der Kammerdiener kommt mit einem großen Bogen, der Fürst setzt sich
den Klemmer auf und sagt: "Meine Herren, wir sind heute unter uns und
können uns daher einen Extrawein leisten; ich werde vorlesen, was an be¬
sondern Sorten in meinem Keller liegt, und bitte, daß jeder der Herren un¬
geniert sagt, was er trinken möchte." Beim Vorlesen eines mehr als hundert¬
jährigen Boxbeutel macht er eine Pause, worauf Bucher bemerkt, daß seines
Wissens dies der beste und bekömmlichste alte Wein im Keller sei; der Bvx-
beutel wird also gebracht, und wir bleiben noch länger an der Tafel sitzen,
wahrend Fürst Vismarck in der ihm eignen bezaubernden Weise weiter plaudert.
Er kommt auf die damals in Preußen eingeführte Selbsteinschätzung zu sprechen
und äußert folgendes: "Dieser Arbeit habe ich mich selbst unterzogen, und
zwar schätzte ich mich höher ein, als meinem Einkommen entspricht, damit mir
nicht gute Freunde etwas am Zeuge flicken könnten; ich lasse jetzt sogar fest¬
stellen, wieviel Holz jährlich in meinem Haushalt verbrannt wird, um den
richtigen Wert desselben angeben zu können." Dann spricht er lange über
Waldkultur und bedauert, daß eine hart an der Straße stehende uralte Eiche
fallen müßte, weil sie nach Aussage seiner Beamten den Verkehr gefährde; er
kenne jeden Baum in seinen Wäldern, und es sei ihm immer schmerzlich, wenn
so ein alter Waldriese gefällt würde; übrigens habe er auch Befehl gegeben,
den Versuch zu machen, ob betreffende gänzlich hohle Eiche nicht durch inneres
Auszemeutieren noch einige Jahre erhalten werden könnte.

Gegen neun Uhr erheben wir uns von der Tafel und gehn in das
Zimmer der Fürstin, wo Kaffee und Cigarren gereicht werden. Der Fürst
brennt sich seine lange Pfeife an und macht es sich bequem, indem er, auf
einem Sessel sitzend, seine Füße auf eine mit Kissen bedeckte Fußbank legt.
Die Gäste aus der Nachbarschaft empfehlen sich bald, und das fürstliche Paar,
Bücher und ich bleibe" allein. Der Fürst hat zu den Zeitungen gegriffen und
passt mächtige Rauchwolken vor sich hin, indem er von Zeit zu Zeit mit dem
stumpfen Ende seines großen Bleistifts in den Pfeifenkopf führt; auch Bucher
und ich rauchen, sodaß das nicht große Zimmer bald in einen dichten Qualm
gehüllt ist. Der Geheimrat sitzt mit geschlossenen Angen auf dem Sofa, indem
er immerfort seine gichtischen Hände streichelt; die Fürstin hat vor sich auf
dem Tisch eine Spirituslampe und unterhält sich eifrig mit mir. Sie erzählt
von ihrer überstürzten Abreise aus Berlin, und daß nichts hätte richtig ver¬
packt werden können; das Gesuch um einige Tage Aufschub sei abschläglich
beschieden worden, mit der Motivierung, daß der Nachfolger die Wohnung
gleich benutzen müsse. Auf meine Frage nach dem Zweck der dicht vor ihrem
Gesicht aufgestellten Lampe sagt sie mir: "Sehen Sie, ich möchte doch gern


Erinnerungen an Friedrichsruh

wie er da nach Hause gekommen ist, hat er sicher gleich gesagt: »Frau, gieb
mal schnell eine Tasse Kaffee her, ich habe im Schlosse wieder ein Zeug fressen
müssen und kann den Geschmack nicht wieder los werden.«"

Der Kammerdiener kommt mit einem großen Bogen, der Fürst setzt sich
den Klemmer auf und sagt: „Meine Herren, wir sind heute unter uns und
können uns daher einen Extrawein leisten; ich werde vorlesen, was an be¬
sondern Sorten in meinem Keller liegt, und bitte, daß jeder der Herren un¬
geniert sagt, was er trinken möchte." Beim Vorlesen eines mehr als hundert¬
jährigen Boxbeutel macht er eine Pause, worauf Bucher bemerkt, daß seines
Wissens dies der beste und bekömmlichste alte Wein im Keller sei; der Bvx-
beutel wird also gebracht, und wir bleiben noch länger an der Tafel sitzen,
wahrend Fürst Vismarck in der ihm eignen bezaubernden Weise weiter plaudert.
Er kommt auf die damals in Preußen eingeführte Selbsteinschätzung zu sprechen
und äußert folgendes: „Dieser Arbeit habe ich mich selbst unterzogen, und
zwar schätzte ich mich höher ein, als meinem Einkommen entspricht, damit mir
nicht gute Freunde etwas am Zeuge flicken könnten; ich lasse jetzt sogar fest¬
stellen, wieviel Holz jährlich in meinem Haushalt verbrannt wird, um den
richtigen Wert desselben angeben zu können." Dann spricht er lange über
Waldkultur und bedauert, daß eine hart an der Straße stehende uralte Eiche
fallen müßte, weil sie nach Aussage seiner Beamten den Verkehr gefährde; er
kenne jeden Baum in seinen Wäldern, und es sei ihm immer schmerzlich, wenn
so ein alter Waldriese gefällt würde; übrigens habe er auch Befehl gegeben,
den Versuch zu machen, ob betreffende gänzlich hohle Eiche nicht durch inneres
Auszemeutieren noch einige Jahre erhalten werden könnte.

Gegen neun Uhr erheben wir uns von der Tafel und gehn in das
Zimmer der Fürstin, wo Kaffee und Cigarren gereicht werden. Der Fürst
brennt sich seine lange Pfeife an und macht es sich bequem, indem er, auf
einem Sessel sitzend, seine Füße auf eine mit Kissen bedeckte Fußbank legt.
Die Gäste aus der Nachbarschaft empfehlen sich bald, und das fürstliche Paar,
Bücher und ich bleibe» allein. Der Fürst hat zu den Zeitungen gegriffen und
passt mächtige Rauchwolken vor sich hin, indem er von Zeit zu Zeit mit dem
stumpfen Ende seines großen Bleistifts in den Pfeifenkopf führt; auch Bucher
und ich rauchen, sodaß das nicht große Zimmer bald in einen dichten Qualm
gehüllt ist. Der Geheimrat sitzt mit geschlossenen Angen auf dem Sofa, indem
er immerfort seine gichtischen Hände streichelt; die Fürstin hat vor sich auf
dem Tisch eine Spirituslampe und unterhält sich eifrig mit mir. Sie erzählt
von ihrer überstürzten Abreise aus Berlin, und daß nichts hätte richtig ver¬
packt werden können; das Gesuch um einige Tage Aufschub sei abschläglich
beschieden worden, mit der Motivierung, daß der Nachfolger die Wohnung
gleich benutzen müsse. Auf meine Frage nach dem Zweck der dicht vor ihrem
Gesicht aufgestellten Lampe sagt sie mir: „Sehen Sie, ich möchte doch gern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0470" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230156"/>
          <fw type="header" place="top"> Erinnerungen an Friedrichsruh</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1932" prev="#ID_1931"> wie er da nach Hause gekommen ist, hat er sicher gleich gesagt: »Frau, gieb<lb/>
mal schnell eine Tasse Kaffee her, ich habe im Schlosse wieder ein Zeug fressen<lb/>
müssen und kann den Geschmack nicht wieder los werden.«"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1933"> Der Kammerdiener kommt mit einem großen Bogen, der Fürst setzt sich<lb/>
den Klemmer auf und sagt: &#x201E;Meine Herren, wir sind heute unter uns und<lb/>
können uns daher einen Extrawein leisten; ich werde vorlesen, was an be¬<lb/>
sondern Sorten in meinem Keller liegt, und bitte, daß jeder der Herren un¬<lb/>
geniert sagt, was er trinken möchte." Beim Vorlesen eines mehr als hundert¬<lb/>
jährigen Boxbeutel macht er eine Pause, worauf Bucher bemerkt, daß seines<lb/>
Wissens dies der beste und bekömmlichste alte Wein im Keller sei; der Bvx-<lb/>
beutel wird also gebracht, und wir bleiben noch länger an der Tafel sitzen,<lb/>
wahrend Fürst Vismarck in der ihm eignen bezaubernden Weise weiter plaudert.<lb/>
Er kommt auf die damals in Preußen eingeführte Selbsteinschätzung zu sprechen<lb/>
und äußert folgendes: &#x201E;Dieser Arbeit habe ich mich selbst unterzogen, und<lb/>
zwar schätzte ich mich höher ein, als meinem Einkommen entspricht, damit mir<lb/>
nicht gute Freunde etwas am Zeuge flicken könnten; ich lasse jetzt sogar fest¬<lb/>
stellen, wieviel Holz jährlich in meinem Haushalt verbrannt wird, um den<lb/>
richtigen Wert desselben angeben zu können." Dann spricht er lange über<lb/>
Waldkultur und bedauert, daß eine hart an der Straße stehende uralte Eiche<lb/>
fallen müßte, weil sie nach Aussage seiner Beamten den Verkehr gefährde; er<lb/>
kenne jeden Baum in seinen Wäldern, und es sei ihm immer schmerzlich, wenn<lb/>
so ein alter Waldriese gefällt würde; übrigens habe er auch Befehl gegeben,<lb/>
den Versuch zu machen, ob betreffende gänzlich hohle Eiche nicht durch inneres<lb/>
Auszemeutieren noch einige Jahre erhalten werden könnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1934" next="#ID_1935"> Gegen neun Uhr erheben wir uns von der Tafel und gehn in das<lb/>
Zimmer der Fürstin, wo Kaffee und Cigarren gereicht werden. Der Fürst<lb/>
brennt sich seine lange Pfeife an und macht es sich bequem, indem er, auf<lb/>
einem Sessel sitzend, seine Füße auf eine mit Kissen bedeckte Fußbank legt.<lb/>
Die Gäste aus der Nachbarschaft empfehlen sich bald, und das fürstliche Paar,<lb/>
Bücher und ich bleibe» allein. Der Fürst hat zu den Zeitungen gegriffen und<lb/>
passt mächtige Rauchwolken vor sich hin, indem er von Zeit zu Zeit mit dem<lb/>
stumpfen Ende seines großen Bleistifts in den Pfeifenkopf führt; auch Bucher<lb/>
und ich rauchen, sodaß das nicht große Zimmer bald in einen dichten Qualm<lb/>
gehüllt ist. Der Geheimrat sitzt mit geschlossenen Angen auf dem Sofa, indem<lb/>
er immerfort seine gichtischen Hände streichelt; die Fürstin hat vor sich auf<lb/>
dem Tisch eine Spirituslampe und unterhält sich eifrig mit mir. Sie erzählt<lb/>
von ihrer überstürzten Abreise aus Berlin, und daß nichts hätte richtig ver¬<lb/>
packt werden können; das Gesuch um einige Tage Aufschub sei abschläglich<lb/>
beschieden worden, mit der Motivierung, daß der Nachfolger die Wohnung<lb/>
gleich benutzen müsse. Auf meine Frage nach dem Zweck der dicht vor ihrem<lb/>
Gesicht aufgestellten Lampe sagt sie mir: &#x201E;Sehen Sie, ich möchte doch gern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0470] Erinnerungen an Friedrichsruh wie er da nach Hause gekommen ist, hat er sicher gleich gesagt: »Frau, gieb mal schnell eine Tasse Kaffee her, ich habe im Schlosse wieder ein Zeug fressen müssen und kann den Geschmack nicht wieder los werden.«" Der Kammerdiener kommt mit einem großen Bogen, der Fürst setzt sich den Klemmer auf und sagt: „Meine Herren, wir sind heute unter uns und können uns daher einen Extrawein leisten; ich werde vorlesen, was an be¬ sondern Sorten in meinem Keller liegt, und bitte, daß jeder der Herren un¬ geniert sagt, was er trinken möchte." Beim Vorlesen eines mehr als hundert¬ jährigen Boxbeutel macht er eine Pause, worauf Bucher bemerkt, daß seines Wissens dies der beste und bekömmlichste alte Wein im Keller sei; der Bvx- beutel wird also gebracht, und wir bleiben noch länger an der Tafel sitzen, wahrend Fürst Vismarck in der ihm eignen bezaubernden Weise weiter plaudert. Er kommt auf die damals in Preußen eingeführte Selbsteinschätzung zu sprechen und äußert folgendes: „Dieser Arbeit habe ich mich selbst unterzogen, und zwar schätzte ich mich höher ein, als meinem Einkommen entspricht, damit mir nicht gute Freunde etwas am Zeuge flicken könnten; ich lasse jetzt sogar fest¬ stellen, wieviel Holz jährlich in meinem Haushalt verbrannt wird, um den richtigen Wert desselben angeben zu können." Dann spricht er lange über Waldkultur und bedauert, daß eine hart an der Straße stehende uralte Eiche fallen müßte, weil sie nach Aussage seiner Beamten den Verkehr gefährde; er kenne jeden Baum in seinen Wäldern, und es sei ihm immer schmerzlich, wenn so ein alter Waldriese gefällt würde; übrigens habe er auch Befehl gegeben, den Versuch zu machen, ob betreffende gänzlich hohle Eiche nicht durch inneres Auszemeutieren noch einige Jahre erhalten werden könnte. Gegen neun Uhr erheben wir uns von der Tafel und gehn in das Zimmer der Fürstin, wo Kaffee und Cigarren gereicht werden. Der Fürst brennt sich seine lange Pfeife an und macht es sich bequem, indem er, auf einem Sessel sitzend, seine Füße auf eine mit Kissen bedeckte Fußbank legt. Die Gäste aus der Nachbarschaft empfehlen sich bald, und das fürstliche Paar, Bücher und ich bleibe» allein. Der Fürst hat zu den Zeitungen gegriffen und passt mächtige Rauchwolken vor sich hin, indem er von Zeit zu Zeit mit dem stumpfen Ende seines großen Bleistifts in den Pfeifenkopf führt; auch Bucher und ich rauchen, sodaß das nicht große Zimmer bald in einen dichten Qualm gehüllt ist. Der Geheimrat sitzt mit geschlossenen Angen auf dem Sofa, indem er immerfort seine gichtischen Hände streichelt; die Fürstin hat vor sich auf dem Tisch eine Spirituslampe und unterhält sich eifrig mit mir. Sie erzählt von ihrer überstürzten Abreise aus Berlin, und daß nichts hätte richtig ver¬ packt werden können; das Gesuch um einige Tage Aufschub sei abschläglich beschieden worden, mit der Motivierung, daß der Nachfolger die Wohnung gleich benutzen müsse. Auf meine Frage nach dem Zweck der dicht vor ihrem Gesicht aufgestellten Lampe sagt sie mir: „Sehen Sie, ich möchte doch gern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/470
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/470>, abgerufen am 23.07.2024.