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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Lrinnerungen an Friedrichsruh

Gerade in jenen Tagen hielt sich der Kaiser in Kiel auf, und einer der
anwesenden Gäste erzählte, daß in dieser Nacht die Rückreise über Hamburg-
Friedrichsrnh erfolgen würde, und daß eine sorgfältige Überwachung der Bahn¬
höfe angeordnet sei. Die Fürstin unterbricht diese Mitteilungen mit den Worten:
"Majestät wird uns doch nicht alarmieren?" worauf der Fürst unter großer
Heiterkeit bemerkte: "Uns Wohl nicht! Ich halte übrigens die Bewachung der
Bahnhöfe -- so fuhr er fort -- für durchaus überflüssig, denn wer sollte jetzt
dem jungen Kaiser etwas thun wollen; wenn man ihm aber etwas anhaben
will, dann kann das bischen Wache auf den Bahnhöfen auch nichts nützen."
Einer der Herren zog einen Vergleich zwischen den russischen und unsern
deutschen Zuständen und wies darauf hiu, daß die Kaiserin von Nußland aus
fortwährender Angst schwer leidend sei, und daß auch ihr Gemahl immer in
Sorgen leben müsse. "Glauben Sie ja nicht, daß der Zar vor lauter Angst ver¬
düstert ist, wenigstens habe ich ihm niemals etwas angemerkt, sagte darauf der
Fürst; man gewöhnt sich leicht an Gefahren aller Art, und schließlich denkt
man gar nicht mehr daran. Im Beginn meiner Ministerlaufbcchu, da hatte
ich allerdings immer so unangenehme Empfindungen, und an jeder Straßenecke
dachte ich: "Jetzt werden sie dir eins ausbrennen!" Sie sind ja Jäger, wandte
er sich zu mir, und wisse:,, wie scheu der Feisthirsch ist, wie er jede Blöße
meidet und immer wieder sichert; nun so bin ich damals auch an allen Gassen
vorbcigeschlichen und habe mich immer gewundert, wenn ich heilbcinig zu Hause
war. Später dachte ich an keine Gefahr mehr, ich war vollständig abgestumpft
und weiß nur, daß es mir zuerst sehr komisch vorkam, als die Menschen an¬
fingen, mich achtungsvoll zu grüßen." -- "Ja, Ottchen, bemerkte die Fürstin
-- sie redete den eisernen Kanzler immer nur "Ottchen" an und nannte ihn
"Bismarck," wenn sie von ihm, als dritter Person, irgend etwas erzählte --,
ich war aber damals immer halbtot vor Angst und habe manche Nacht deinet¬
wegen nicht schlafen können!"

Ich erwähnte schon, daß die Speisekarte aus Rücksicht aus einen ver¬
wöhnten Gast sehr mannigfaltig war; der Fürst speiste mit gutem Appetit und
trank dazu französischen Sekt, den er durch Beimischung von Aßmannshüuser
Mousseux möglichst herb zu macheu suchte. Als eine nur auf der einen Seite
vorgeschnittne pommersche Gänsebrust serviert wurde, schnitt er sich von der
ganzen Brust ein großes Stück ab, mit dem Bemerken, daß er auf kleine
homöopathische Dose" leider nicht eingerichtet sei. Als letzten Gang gab es
gebrattie Waldschnepfen, die durch einen Verehrer des großen Kanzlers von
der Insel Chpern ausgenommen und in einem Schlauch voll Cyperwein ge¬
schickt waren. Der Fürst kostete davon, verzog aber den Mund und behauptete,
sie schmeckten nach Medizin, worauf die Hausfrau bemerkte, sie würde die
Schnepfen nicht vorgesetzt haben, aber vormittags sei eine zur Probe gebraten
worden, und da habe sie den gerade vorbeigehenden Oberförster Lange kosten
lassen, der den Rraten als vorzüglich befunden hätte. "Na, sagte der Fürst.


Lrinnerungen an Friedrichsruh

Gerade in jenen Tagen hielt sich der Kaiser in Kiel auf, und einer der
anwesenden Gäste erzählte, daß in dieser Nacht die Rückreise über Hamburg-
Friedrichsrnh erfolgen würde, und daß eine sorgfältige Überwachung der Bahn¬
höfe angeordnet sei. Die Fürstin unterbricht diese Mitteilungen mit den Worten:
„Majestät wird uns doch nicht alarmieren?" worauf der Fürst unter großer
Heiterkeit bemerkte: „Uns Wohl nicht! Ich halte übrigens die Bewachung der
Bahnhöfe — so fuhr er fort — für durchaus überflüssig, denn wer sollte jetzt
dem jungen Kaiser etwas thun wollen; wenn man ihm aber etwas anhaben
will, dann kann das bischen Wache auf den Bahnhöfen auch nichts nützen."
Einer der Herren zog einen Vergleich zwischen den russischen und unsern
deutschen Zuständen und wies darauf hiu, daß die Kaiserin von Nußland aus
fortwährender Angst schwer leidend sei, und daß auch ihr Gemahl immer in
Sorgen leben müsse. „Glauben Sie ja nicht, daß der Zar vor lauter Angst ver¬
düstert ist, wenigstens habe ich ihm niemals etwas angemerkt, sagte darauf der
Fürst; man gewöhnt sich leicht an Gefahren aller Art, und schließlich denkt
man gar nicht mehr daran. Im Beginn meiner Ministerlaufbcchu, da hatte
ich allerdings immer so unangenehme Empfindungen, und an jeder Straßenecke
dachte ich: »Jetzt werden sie dir eins ausbrennen!« Sie sind ja Jäger, wandte
er sich zu mir, und wisse:,, wie scheu der Feisthirsch ist, wie er jede Blöße
meidet und immer wieder sichert; nun so bin ich damals auch an allen Gassen
vorbcigeschlichen und habe mich immer gewundert, wenn ich heilbcinig zu Hause
war. Später dachte ich an keine Gefahr mehr, ich war vollständig abgestumpft
und weiß nur, daß es mir zuerst sehr komisch vorkam, als die Menschen an¬
fingen, mich achtungsvoll zu grüßen." — „Ja, Ottchen, bemerkte die Fürstin
— sie redete den eisernen Kanzler immer nur „Ottchen" an und nannte ihn
„Bismarck," wenn sie von ihm, als dritter Person, irgend etwas erzählte —,
ich war aber damals immer halbtot vor Angst und habe manche Nacht deinet¬
wegen nicht schlafen können!"

Ich erwähnte schon, daß die Speisekarte aus Rücksicht aus einen ver¬
wöhnten Gast sehr mannigfaltig war; der Fürst speiste mit gutem Appetit und
trank dazu französischen Sekt, den er durch Beimischung von Aßmannshüuser
Mousseux möglichst herb zu macheu suchte. Als eine nur auf der einen Seite
vorgeschnittne pommersche Gänsebrust serviert wurde, schnitt er sich von der
ganzen Brust ein großes Stück ab, mit dem Bemerken, daß er auf kleine
homöopathische Dose» leider nicht eingerichtet sei. Als letzten Gang gab es
gebrattie Waldschnepfen, die durch einen Verehrer des großen Kanzlers von
der Insel Chpern ausgenommen und in einem Schlauch voll Cyperwein ge¬
schickt waren. Der Fürst kostete davon, verzog aber den Mund und behauptete,
sie schmeckten nach Medizin, worauf die Hausfrau bemerkte, sie würde die
Schnepfen nicht vorgesetzt haben, aber vormittags sei eine zur Probe gebraten
worden, und da habe sie den gerade vorbeigehenden Oberförster Lange kosten
lassen, der den Rraten als vorzüglich befunden hätte. „Na, sagte der Fürst.


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[0469] Lrinnerungen an Friedrichsruh Gerade in jenen Tagen hielt sich der Kaiser in Kiel auf, und einer der anwesenden Gäste erzählte, daß in dieser Nacht die Rückreise über Hamburg- Friedrichsrnh erfolgen würde, und daß eine sorgfältige Überwachung der Bahn¬ höfe angeordnet sei. Die Fürstin unterbricht diese Mitteilungen mit den Worten: „Majestät wird uns doch nicht alarmieren?" worauf der Fürst unter großer Heiterkeit bemerkte: „Uns Wohl nicht! Ich halte übrigens die Bewachung der Bahnhöfe — so fuhr er fort — für durchaus überflüssig, denn wer sollte jetzt dem jungen Kaiser etwas thun wollen; wenn man ihm aber etwas anhaben will, dann kann das bischen Wache auf den Bahnhöfen auch nichts nützen." Einer der Herren zog einen Vergleich zwischen den russischen und unsern deutschen Zuständen und wies darauf hiu, daß die Kaiserin von Nußland aus fortwährender Angst schwer leidend sei, und daß auch ihr Gemahl immer in Sorgen leben müsse. „Glauben Sie ja nicht, daß der Zar vor lauter Angst ver¬ düstert ist, wenigstens habe ich ihm niemals etwas angemerkt, sagte darauf der Fürst; man gewöhnt sich leicht an Gefahren aller Art, und schließlich denkt man gar nicht mehr daran. Im Beginn meiner Ministerlaufbcchu, da hatte ich allerdings immer so unangenehme Empfindungen, und an jeder Straßenecke dachte ich: »Jetzt werden sie dir eins ausbrennen!« Sie sind ja Jäger, wandte er sich zu mir, und wisse:,, wie scheu der Feisthirsch ist, wie er jede Blöße meidet und immer wieder sichert; nun so bin ich damals auch an allen Gassen vorbcigeschlichen und habe mich immer gewundert, wenn ich heilbcinig zu Hause war. Später dachte ich an keine Gefahr mehr, ich war vollständig abgestumpft und weiß nur, daß es mir zuerst sehr komisch vorkam, als die Menschen an¬ fingen, mich achtungsvoll zu grüßen." — „Ja, Ottchen, bemerkte die Fürstin — sie redete den eisernen Kanzler immer nur „Ottchen" an und nannte ihn „Bismarck," wenn sie von ihm, als dritter Person, irgend etwas erzählte —, ich war aber damals immer halbtot vor Angst und habe manche Nacht deinet¬ wegen nicht schlafen können!" Ich erwähnte schon, daß die Speisekarte aus Rücksicht aus einen ver¬ wöhnten Gast sehr mannigfaltig war; der Fürst speiste mit gutem Appetit und trank dazu französischen Sekt, den er durch Beimischung von Aßmannshüuser Mousseux möglichst herb zu macheu suchte. Als eine nur auf der einen Seite vorgeschnittne pommersche Gänsebrust serviert wurde, schnitt er sich von der ganzen Brust ein großes Stück ab, mit dem Bemerken, daß er auf kleine homöopathische Dose» leider nicht eingerichtet sei. Als letzten Gang gab es gebrattie Waldschnepfen, die durch einen Verehrer des großen Kanzlers von der Insel Chpern ausgenommen und in einem Schlauch voll Cyperwein ge¬ schickt waren. Der Fürst kostete davon, verzog aber den Mund und behauptete, sie schmeckten nach Medizin, worauf die Hausfrau bemerkte, sie würde die Schnepfen nicht vorgesetzt haben, aber vormittags sei eine zur Probe gebraten worden, und da habe sie den gerade vorbeigehenden Oberförster Lange kosten lassen, der den Rraten als vorzüglich befunden hätte. „Na, sagte der Fürst.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/469>, abgerufen am 23.07.2024.