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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Lriiuierungen an Friedrichsruh

Bismarck zu hören und ihn so kennen zu lernen, wie er wirklich gewesen ist;
darum mögen denn auch meine einfachen Schilderungen hier einen Platz finden.

Im Herbst 1891 hatte mich Lothar Bucher nach Friedrichsruh eingeladen,
mit dem Bemerken, daß er mich in die fürstliche Familie einführen wolle; als
ich ihm daher während eines Berliner Aufenthalts im Winter von dort aus
schrieb, antwortete er umgehend, der Fürst freue sich, mich kennen zu lernen,
und ich möchte sobald als möglich kommen. Am 23. Januar 1892 nach¬
mittags traf ich in Friedrichsruh ein, schickte meine Karte in das Schloß und
wurde von Bucher sogleich in Empfang genommen, der nur bedauerte, daß ich
nicht eine Stunde früher gekommen sei, sodaß ich noch an dem gemeinschaft¬
lichen Frühstück der Familie hätte teilnehmen können; der Fürst habe übrigens
die Erwartung ausgesprochen, daß ich nicht nur für den einen Tag sein Gast
sein würde, und freue sich, mich noch vor dem Diner zu begrüßen. Der alte
Geheimrat war so heiter, wie ich ihn lange nicht gesehen hatte, und äußerte
wiederholt seine Freude, mich in Friedrichsruh zu haben; wir hatten mancher¬
lei zu besprechen, aber gegen ^4 Uhr erhob er sich und bat, ihn für eine
Stunde zu entschuldigen, da er jeden Nachmittag an der Ausfahrt des Fürsten
teilnehme, der auf seine Begleitung besondres Gewicht lege, weil sie sich während
der Fahrt am ungestörtesten über politische Tagesneuigkeiten aussprechen könnten.
Ich beobachtete also vom Fenster meines im ersten Stock gelegnen Gastzimmers
die Abfahrt der Herrschaften, mit Spannung und nicht ohne Herzklopfen, denn
ich sollte zum erstenmal den Fürsten Bismarck sehen. Es war ein herrlicher
Wintertag; stiller Friede lag über der Landschaft, Wald und Flur waren in
eine dichte Schneedecke gehüllt, und weithin glänzten die Bäume des Sachsen¬
waldes in ihrer winterlichen Pracht. Vor dem Portal des Hauses -- Schloß
kann man es nicht nennen -- hielt ein pommerscher Strohschlitten, mit plumpen,
langen Holzkufen und Brettersitzen, die mit zwei Kissen belegt waren; dann
erschien die gewaltige Gestalt des Fürsten Bismarck, der in seinem großen Pelz¬
mantel noch riesenhafter aussah, in Begleitung des Geheimrath, und nachdem
beide Platz genommen hatten, entfernte sich der Schlitten in schneller Fahrt
dem Sachsenwalde zu. Als ich später mein Erstaunen über das einfache Ge¬
fährt des Fürsten ausdrückte, sagte mir Bucher lachend: "Ja, der Fürst be¬
hauptet immer, die alten pommerschen Strohschlitten schlickerten am besten;
im Schuppen finden Sie kostbare Fuhrwerke aller Art, aber er benutzt sie uicht,
die einfachsten und bequemsten sind ihm die liebsten." Für die Zeit seiner
Abwesenheit hatte er mich mit einer interessanten Lektüre versehen, in der auch
Fürst Bismarck eifrig gelesen haben mußte, denn fast auf jeder Seite fanden
sich von seiner Hemd zahlreiche Randbemerkungen. Es handelte sich um die
sogenannte Bvrussenbroschüre, und bei dem Satz: "auch Fürst Bismarck
mußte nach Kanossa gehen," las ich die mit riesengroßer Schrift geschriebnen
Worte: "Jawohl! aber nur wegen Desertion der Liberalen." Die Schlitten¬
fahrt hatte 1^ Stunden gedauert, Bucher kam dann gleich auf mein Zimmer


Lriiuierungen an Friedrichsruh

Bismarck zu hören und ihn so kennen zu lernen, wie er wirklich gewesen ist;
darum mögen denn auch meine einfachen Schilderungen hier einen Platz finden.

Im Herbst 1891 hatte mich Lothar Bucher nach Friedrichsruh eingeladen,
mit dem Bemerken, daß er mich in die fürstliche Familie einführen wolle; als
ich ihm daher während eines Berliner Aufenthalts im Winter von dort aus
schrieb, antwortete er umgehend, der Fürst freue sich, mich kennen zu lernen,
und ich möchte sobald als möglich kommen. Am 23. Januar 1892 nach¬
mittags traf ich in Friedrichsruh ein, schickte meine Karte in das Schloß und
wurde von Bucher sogleich in Empfang genommen, der nur bedauerte, daß ich
nicht eine Stunde früher gekommen sei, sodaß ich noch an dem gemeinschaft¬
lichen Frühstück der Familie hätte teilnehmen können; der Fürst habe übrigens
die Erwartung ausgesprochen, daß ich nicht nur für den einen Tag sein Gast
sein würde, und freue sich, mich noch vor dem Diner zu begrüßen. Der alte
Geheimrat war so heiter, wie ich ihn lange nicht gesehen hatte, und äußerte
wiederholt seine Freude, mich in Friedrichsruh zu haben; wir hatten mancher¬
lei zu besprechen, aber gegen ^4 Uhr erhob er sich und bat, ihn für eine
Stunde zu entschuldigen, da er jeden Nachmittag an der Ausfahrt des Fürsten
teilnehme, der auf seine Begleitung besondres Gewicht lege, weil sie sich während
der Fahrt am ungestörtesten über politische Tagesneuigkeiten aussprechen könnten.
Ich beobachtete also vom Fenster meines im ersten Stock gelegnen Gastzimmers
die Abfahrt der Herrschaften, mit Spannung und nicht ohne Herzklopfen, denn
ich sollte zum erstenmal den Fürsten Bismarck sehen. Es war ein herrlicher
Wintertag; stiller Friede lag über der Landschaft, Wald und Flur waren in
eine dichte Schneedecke gehüllt, und weithin glänzten die Bäume des Sachsen¬
waldes in ihrer winterlichen Pracht. Vor dem Portal des Hauses — Schloß
kann man es nicht nennen — hielt ein pommerscher Strohschlitten, mit plumpen,
langen Holzkufen und Brettersitzen, die mit zwei Kissen belegt waren; dann
erschien die gewaltige Gestalt des Fürsten Bismarck, der in seinem großen Pelz¬
mantel noch riesenhafter aussah, in Begleitung des Geheimrath, und nachdem
beide Platz genommen hatten, entfernte sich der Schlitten in schneller Fahrt
dem Sachsenwalde zu. Als ich später mein Erstaunen über das einfache Ge¬
fährt des Fürsten ausdrückte, sagte mir Bucher lachend: „Ja, der Fürst be¬
hauptet immer, die alten pommerschen Strohschlitten schlickerten am besten;
im Schuppen finden Sie kostbare Fuhrwerke aller Art, aber er benutzt sie uicht,
die einfachsten und bequemsten sind ihm die liebsten." Für die Zeit seiner
Abwesenheit hatte er mich mit einer interessanten Lektüre versehen, in der auch
Fürst Bismarck eifrig gelesen haben mußte, denn fast auf jeder Seite fanden
sich von seiner Hemd zahlreiche Randbemerkungen. Es handelte sich um die
sogenannte Bvrussenbroschüre, und bei dem Satz: „auch Fürst Bismarck
mußte nach Kanossa gehen," las ich die mit riesengroßer Schrift geschriebnen
Worte: „Jawohl! aber nur wegen Desertion der Liberalen." Die Schlitten¬
fahrt hatte 1^ Stunden gedauert, Bucher kam dann gleich auf mein Zimmer


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[0466] Lriiuierungen an Friedrichsruh Bismarck zu hören und ihn so kennen zu lernen, wie er wirklich gewesen ist; darum mögen denn auch meine einfachen Schilderungen hier einen Platz finden. Im Herbst 1891 hatte mich Lothar Bucher nach Friedrichsruh eingeladen, mit dem Bemerken, daß er mich in die fürstliche Familie einführen wolle; als ich ihm daher während eines Berliner Aufenthalts im Winter von dort aus schrieb, antwortete er umgehend, der Fürst freue sich, mich kennen zu lernen, und ich möchte sobald als möglich kommen. Am 23. Januar 1892 nach¬ mittags traf ich in Friedrichsruh ein, schickte meine Karte in das Schloß und wurde von Bucher sogleich in Empfang genommen, der nur bedauerte, daß ich nicht eine Stunde früher gekommen sei, sodaß ich noch an dem gemeinschaft¬ lichen Frühstück der Familie hätte teilnehmen können; der Fürst habe übrigens die Erwartung ausgesprochen, daß ich nicht nur für den einen Tag sein Gast sein würde, und freue sich, mich noch vor dem Diner zu begrüßen. Der alte Geheimrat war so heiter, wie ich ihn lange nicht gesehen hatte, und äußerte wiederholt seine Freude, mich in Friedrichsruh zu haben; wir hatten mancher¬ lei zu besprechen, aber gegen ^4 Uhr erhob er sich und bat, ihn für eine Stunde zu entschuldigen, da er jeden Nachmittag an der Ausfahrt des Fürsten teilnehme, der auf seine Begleitung besondres Gewicht lege, weil sie sich während der Fahrt am ungestörtesten über politische Tagesneuigkeiten aussprechen könnten. Ich beobachtete also vom Fenster meines im ersten Stock gelegnen Gastzimmers die Abfahrt der Herrschaften, mit Spannung und nicht ohne Herzklopfen, denn ich sollte zum erstenmal den Fürsten Bismarck sehen. Es war ein herrlicher Wintertag; stiller Friede lag über der Landschaft, Wald und Flur waren in eine dichte Schneedecke gehüllt, und weithin glänzten die Bäume des Sachsen¬ waldes in ihrer winterlichen Pracht. Vor dem Portal des Hauses — Schloß kann man es nicht nennen — hielt ein pommerscher Strohschlitten, mit plumpen, langen Holzkufen und Brettersitzen, die mit zwei Kissen belegt waren; dann erschien die gewaltige Gestalt des Fürsten Bismarck, der in seinem großen Pelz¬ mantel noch riesenhafter aussah, in Begleitung des Geheimrath, und nachdem beide Platz genommen hatten, entfernte sich der Schlitten in schneller Fahrt dem Sachsenwalde zu. Als ich später mein Erstaunen über das einfache Ge¬ fährt des Fürsten ausdrückte, sagte mir Bucher lachend: „Ja, der Fürst be¬ hauptet immer, die alten pommerschen Strohschlitten schlickerten am besten; im Schuppen finden Sie kostbare Fuhrwerke aller Art, aber er benutzt sie uicht, die einfachsten und bequemsten sind ihm die liebsten." Für die Zeit seiner Abwesenheit hatte er mich mit einer interessanten Lektüre versehen, in der auch Fürst Bismarck eifrig gelesen haben mußte, denn fast auf jeder Seite fanden sich von seiner Hemd zahlreiche Randbemerkungen. Es handelte sich um die sogenannte Bvrussenbroschüre, und bei dem Satz: „auch Fürst Bismarck mußte nach Kanossa gehen," las ich die mit riesengroßer Schrift geschriebnen Worte: „Jawohl! aber nur wegen Desertion der Liberalen." Die Schlitten¬ fahrt hatte 1^ Stunden gedauert, Bucher kam dann gleich auf mein Zimmer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/466>, abgerufen am 23.07.2024.