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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Erinnerungen an Friedrichsruh
Wilhelm Gittermann von

riedrichsruh! welcher Klang liegt in diesem schlichten Namen!
Wie die muhammedanischen Gläubigen sehnsüchtig nach der
heiligen Stadt scheinen, so wenden sich die Herzen aller Patrioten
dem stillen Ort im Sachsenwalde zu, wo er, der größte Deutsche,
seine letzten Lebensjahre xroeul negotüs verbrachte! Das kleine
Walddörfchen mit seinem unscheinbaren Herrenhause war zu einem deutschen
Mekka geworden, und fernher aus allen Gauen des Reichs strömten die
Menschen herbei, um den Mann zu sehen, der uns das Reich gewonnen hatte.
Hier Sachsen, hier Bayern, hier Schwaben! so hieß es, wenn der greise Fürst,
freundlich mit seinem Schlapphut grüßend, durch die Reihen der vor dem Park¬
thor Wartenden schritt; und glücklich fühlte sich, wer ihm die Hand drücken
konnte, noch glücklicher aber alle, die als seine Güste tagelang mit ihm ver¬
kehren durften. Wer den Fürsten Bismarck nur nach seinem äußern Auftreten
beurteilen will, hat kein rechtes Bild von ihm, denn der Mann, der sich mit
ehernen Schritten rücksichtslos seinen Weg über die Weltbllhne bahnte, macht
den Eindruck eines eisernen Helden, mit vielem Verstand und weniger Herz.
Der wirkliche Bismarck hatte mich ein treuherziges deutsches Gemüt; aber Herz
und Gemüt haben mit der Politik nichts zu thun, und ein richtiges Bild kann
daher nur der von ihm haben, der ihn in seiner einfachen Häuslichkeit als
Privatmann kennen lernte. Nach dem Tode des Fürsten habe ich meine Er¬
lebnisse in Friedrichsruh niedergeschrieben, und wenn ich mich jetzt beim Durch-
lesen dieser Zeilen noch einmal' in die glückliche Zeit jener Besuche zurückver¬
setze, dann thut es mir fast weh. daß ich meine Erinnerungen der Öffentlichkeit
Preisgeben soll. Aber das deutsche Volk hat ein Anrecht darauf, von seinem


Grenzboten I 1899 ^


Erinnerungen an Friedrichsruh
Wilhelm Gittermann von

riedrichsruh! welcher Klang liegt in diesem schlichten Namen!
Wie die muhammedanischen Gläubigen sehnsüchtig nach der
heiligen Stadt scheinen, so wenden sich die Herzen aller Patrioten
dem stillen Ort im Sachsenwalde zu, wo er, der größte Deutsche,
seine letzten Lebensjahre xroeul negotüs verbrachte! Das kleine
Walddörfchen mit seinem unscheinbaren Herrenhause war zu einem deutschen
Mekka geworden, und fernher aus allen Gauen des Reichs strömten die
Menschen herbei, um den Mann zu sehen, der uns das Reich gewonnen hatte.
Hier Sachsen, hier Bayern, hier Schwaben! so hieß es, wenn der greise Fürst,
freundlich mit seinem Schlapphut grüßend, durch die Reihen der vor dem Park¬
thor Wartenden schritt; und glücklich fühlte sich, wer ihm die Hand drücken
konnte, noch glücklicher aber alle, die als seine Güste tagelang mit ihm ver¬
kehren durften. Wer den Fürsten Bismarck nur nach seinem äußern Auftreten
beurteilen will, hat kein rechtes Bild von ihm, denn der Mann, der sich mit
ehernen Schritten rücksichtslos seinen Weg über die Weltbllhne bahnte, macht
den Eindruck eines eisernen Helden, mit vielem Verstand und weniger Herz.
Der wirkliche Bismarck hatte mich ein treuherziges deutsches Gemüt; aber Herz
und Gemüt haben mit der Politik nichts zu thun, und ein richtiges Bild kann
daher nur der von ihm haben, der ihn in seiner einfachen Häuslichkeit als
Privatmann kennen lernte. Nach dem Tode des Fürsten habe ich meine Er¬
lebnisse in Friedrichsruh niedergeschrieben, und wenn ich mich jetzt beim Durch-
lesen dieser Zeilen noch einmal' in die glückliche Zeit jener Besuche zurückver¬
setze, dann thut es mir fast weh. daß ich meine Erinnerungen der Öffentlichkeit
Preisgeben soll. Aber das deutsche Volk hat ein Anrecht darauf, von seinem


Grenzboten I 1899 ^
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[0465] [Abbildung] Erinnerungen an Friedrichsruh Wilhelm Gittermann von riedrichsruh! welcher Klang liegt in diesem schlichten Namen! Wie die muhammedanischen Gläubigen sehnsüchtig nach der heiligen Stadt scheinen, so wenden sich die Herzen aller Patrioten dem stillen Ort im Sachsenwalde zu, wo er, der größte Deutsche, seine letzten Lebensjahre xroeul negotüs verbrachte! Das kleine Walddörfchen mit seinem unscheinbaren Herrenhause war zu einem deutschen Mekka geworden, und fernher aus allen Gauen des Reichs strömten die Menschen herbei, um den Mann zu sehen, der uns das Reich gewonnen hatte. Hier Sachsen, hier Bayern, hier Schwaben! so hieß es, wenn der greise Fürst, freundlich mit seinem Schlapphut grüßend, durch die Reihen der vor dem Park¬ thor Wartenden schritt; und glücklich fühlte sich, wer ihm die Hand drücken konnte, noch glücklicher aber alle, die als seine Güste tagelang mit ihm ver¬ kehren durften. Wer den Fürsten Bismarck nur nach seinem äußern Auftreten beurteilen will, hat kein rechtes Bild von ihm, denn der Mann, der sich mit ehernen Schritten rücksichtslos seinen Weg über die Weltbllhne bahnte, macht den Eindruck eines eisernen Helden, mit vielem Verstand und weniger Herz. Der wirkliche Bismarck hatte mich ein treuherziges deutsches Gemüt; aber Herz und Gemüt haben mit der Politik nichts zu thun, und ein richtiges Bild kann daher nur der von ihm haben, der ihn in seiner einfachen Häuslichkeit als Privatmann kennen lernte. Nach dem Tode des Fürsten habe ich meine Er¬ lebnisse in Friedrichsruh niedergeschrieben, und wenn ich mich jetzt beim Durch- lesen dieser Zeilen noch einmal' in die glückliche Zeit jener Besuche zurückver¬ setze, dann thut es mir fast weh. daß ich meine Erinnerungen der Öffentlichkeit Preisgeben soll. Aber das deutsche Volk hat ein Anrecht darauf, von seinem Grenzboten I 1899 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/465>, abgerufen am 23.07.2024.