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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Friedrich Geselschap

beim schlimmen Alten. Unselige Menschen gehen hoffnungslos durch ihr
Schicksal, das an ihre Familienart festgebunden ist. Ihr Fatum liegt ihnen
wie eine Krankheit in den Adern, schleicht wie ein Bandwurm durch ihre Ein¬
geweide, zehrt wie ein Fieber an ihren Knochen."

(Fortsetzung folgt)




Friedrich Geselschap

le Ausstellung des künstlerischen Nachlasses des um 31. Mai d. I.
zu Rom verstorbnen Geschichtsmalers Friedrich Geselschap, die die
Königliche Akademie der Künste, einer Ehrenpflicht nachkommend, in
ihren Räumen veranstaltet hatte, ist nun geschlossen, und kaum jemals
wieder wird die Gelegenheit geboten werden, das gesamte Schaffen
dieses großen Künstlers zu überblicken, in seine sich rastlos andeute
Arbeitsweise einen Einblick zu gewinnen, und die geradezu staunenerregende Fülle, aus
der er schöpfte, zu bewundern. Während viele Künstler, bald zufrieden gestellt und
glücklich, eine Komposition im Entwurf zu einem formalen Abschluß gebracht zu habe",
diese in der vergrößerten Ausführung im wesentlichen beibehalten, thut sich Geselschap
im Gestalten der Komposition nie genug, und immer wieder versucht er eine andre,
den geistigen Inhalt noch deutlicher zum Ausdruck bringende Lösung. Erstaunlich
war die Leichtigkeit, mit der er komponierte. Wer je Gelegenheit hatte -- aber nur
wenige" Menschen ist dieses Glück zu teil geworden -- zusehen zu dürfen, wie sich
seine Gedanken verkörperten, wie sich im kleinsten Format, weil dieses den besten und
schnellsten Überblick gewährt, der Rhythmus der Linien zusammenschloß, wie dann
beim zweiten Übergehen der flüchtigen Linien die Form immer mehr zu ihrem Rechte
kam, wie jeder Strich die Bewegung seiner Gestalten und ihren geistigen Ausdruck
verbesserte und vertiefte, der beugte bewundernd sein Haupt vor dem Genius, der
diesen Mann beseelte, und fühlte sich gehoben und geehrt, die fleißige Hand drücken
zu dürfen, die das zu vollbringen vermochte.

Gerade der Umstand, daß so viele leider nnansgeführte Entwürfe dort aus¬
gestellt waren, daß man das Entstehen und Werde" eines Kunstwerks von der ersten
traumhaft geschauten, flüchtigen Erscheinung an bis zur formvollendeten, die Wirk¬
lichkeit nachtäuschenden, greifbaren Deutlichkeit verfolgen konnte, gerade dies hat die
Ausstellung in der Akademie so interessant gemacht. Sie war übersichtlich ange¬
ordnet. Im ersten, den: sogenannten Uhrsaale, waren die Werke seiner letzten
Lebensjahre vereinigt, fast alles Arbeiten, die unausgeführt geblieben sind. Im
anstoßenden, langen Saale sah man die Vorbereitungsarbeiten für das Hauptwerk
seines Lebeus, die Ausmalung der Kuppelhalle des Zeughauses, und im sogenannten
Lindenkorridore hingen Jugendarbeiten, Studien köpfe, Porträts und kleinere Arbeiten
verschiedner Zeiten und verschiednen Charakters. Doch gehen wir zum ersten Saale
zurück. Dort, an der Hnuptwand, erregen vor allem die Kartons und Entwürfe
für die Ausmalung der Friedenskirche in Potsdam unsre Aufmerksamkeit. Mit


Friedrich Geselschap

beim schlimmen Alten. Unselige Menschen gehen hoffnungslos durch ihr
Schicksal, das an ihre Familienart festgebunden ist. Ihr Fatum liegt ihnen
wie eine Krankheit in den Adern, schleicht wie ein Bandwurm durch ihre Ein¬
geweide, zehrt wie ein Fieber an ihren Knochen."

(Fortsetzung folgt)




Friedrich Geselschap

le Ausstellung des künstlerischen Nachlasses des um 31. Mai d. I.
zu Rom verstorbnen Geschichtsmalers Friedrich Geselschap, die die
Königliche Akademie der Künste, einer Ehrenpflicht nachkommend, in
ihren Räumen veranstaltet hatte, ist nun geschlossen, und kaum jemals
wieder wird die Gelegenheit geboten werden, das gesamte Schaffen
dieses großen Künstlers zu überblicken, in seine sich rastlos andeute
Arbeitsweise einen Einblick zu gewinnen, und die geradezu staunenerregende Fülle, aus
der er schöpfte, zu bewundern. Während viele Künstler, bald zufrieden gestellt und
glücklich, eine Komposition im Entwurf zu einem formalen Abschluß gebracht zu habe»,
diese in der vergrößerten Ausführung im wesentlichen beibehalten, thut sich Geselschap
im Gestalten der Komposition nie genug, und immer wieder versucht er eine andre,
den geistigen Inhalt noch deutlicher zum Ausdruck bringende Lösung. Erstaunlich
war die Leichtigkeit, mit der er komponierte. Wer je Gelegenheit hatte — aber nur
wenige» Menschen ist dieses Glück zu teil geworden — zusehen zu dürfen, wie sich
seine Gedanken verkörperten, wie sich im kleinsten Format, weil dieses den besten und
schnellsten Überblick gewährt, der Rhythmus der Linien zusammenschloß, wie dann
beim zweiten Übergehen der flüchtigen Linien die Form immer mehr zu ihrem Rechte
kam, wie jeder Strich die Bewegung seiner Gestalten und ihren geistigen Ausdruck
verbesserte und vertiefte, der beugte bewundernd sein Haupt vor dem Genius, der
diesen Mann beseelte, und fühlte sich gehoben und geehrt, die fleißige Hand drücken
zu dürfen, die das zu vollbringen vermochte.

Gerade der Umstand, daß so viele leider nnansgeführte Entwürfe dort aus¬
gestellt waren, daß man das Entstehen und Werde» eines Kunstwerks von der ersten
traumhaft geschauten, flüchtigen Erscheinung an bis zur formvollendeten, die Wirk¬
lichkeit nachtäuschenden, greifbaren Deutlichkeit verfolgen konnte, gerade dies hat die
Ausstellung in der Akademie so interessant gemacht. Sie war übersichtlich ange¬
ordnet. Im ersten, den: sogenannten Uhrsaale, waren die Werke seiner letzten
Lebensjahre vereinigt, fast alles Arbeiten, die unausgeführt geblieben sind. Im
anstoßenden, langen Saale sah man die Vorbereitungsarbeiten für das Hauptwerk
seines Lebeus, die Ausmalung der Kuppelhalle des Zeughauses, und im sogenannten
Lindenkorridore hingen Jugendarbeiten, Studien köpfe, Porträts und kleinere Arbeiten
verschiedner Zeiten und verschiednen Charakters. Doch gehen wir zum ersten Saale
zurück. Dort, an der Hnuptwand, erregen vor allem die Kartons und Entwürfe
für die Ausmalung der Friedenskirche in Potsdam unsre Aufmerksamkeit. Mit


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[0046] Friedrich Geselschap beim schlimmen Alten. Unselige Menschen gehen hoffnungslos durch ihr Schicksal, das an ihre Familienart festgebunden ist. Ihr Fatum liegt ihnen wie eine Krankheit in den Adern, schleicht wie ein Bandwurm durch ihre Ein¬ geweide, zehrt wie ein Fieber an ihren Knochen." (Fortsetzung folgt) Friedrich Geselschap le Ausstellung des künstlerischen Nachlasses des um 31. Mai d. I. zu Rom verstorbnen Geschichtsmalers Friedrich Geselschap, die die Königliche Akademie der Künste, einer Ehrenpflicht nachkommend, in ihren Räumen veranstaltet hatte, ist nun geschlossen, und kaum jemals wieder wird die Gelegenheit geboten werden, das gesamte Schaffen dieses großen Künstlers zu überblicken, in seine sich rastlos andeute Arbeitsweise einen Einblick zu gewinnen, und die geradezu staunenerregende Fülle, aus der er schöpfte, zu bewundern. Während viele Künstler, bald zufrieden gestellt und glücklich, eine Komposition im Entwurf zu einem formalen Abschluß gebracht zu habe», diese in der vergrößerten Ausführung im wesentlichen beibehalten, thut sich Geselschap im Gestalten der Komposition nie genug, und immer wieder versucht er eine andre, den geistigen Inhalt noch deutlicher zum Ausdruck bringende Lösung. Erstaunlich war die Leichtigkeit, mit der er komponierte. Wer je Gelegenheit hatte — aber nur wenige» Menschen ist dieses Glück zu teil geworden — zusehen zu dürfen, wie sich seine Gedanken verkörperten, wie sich im kleinsten Format, weil dieses den besten und schnellsten Überblick gewährt, der Rhythmus der Linien zusammenschloß, wie dann beim zweiten Übergehen der flüchtigen Linien die Form immer mehr zu ihrem Rechte kam, wie jeder Strich die Bewegung seiner Gestalten und ihren geistigen Ausdruck verbesserte und vertiefte, der beugte bewundernd sein Haupt vor dem Genius, der diesen Mann beseelte, und fühlte sich gehoben und geehrt, die fleißige Hand drücken zu dürfen, die das zu vollbringen vermochte. Gerade der Umstand, daß so viele leider nnansgeführte Entwürfe dort aus¬ gestellt waren, daß man das Entstehen und Werde» eines Kunstwerks von der ersten traumhaft geschauten, flüchtigen Erscheinung an bis zur formvollendeten, die Wirk¬ lichkeit nachtäuschenden, greifbaren Deutlichkeit verfolgen konnte, gerade dies hat die Ausstellung in der Akademie so interessant gemacht. Sie war übersichtlich ange¬ ordnet. Im ersten, den: sogenannten Uhrsaale, waren die Werke seiner letzten Lebensjahre vereinigt, fast alles Arbeiten, die unausgeführt geblieben sind. Im anstoßenden, langen Saale sah man die Vorbereitungsarbeiten für das Hauptwerk seines Lebeus, die Ausmalung der Kuppelhalle des Zeughauses, und im sogenannten Lindenkorridore hingen Jugendarbeiten, Studien köpfe, Porträts und kleinere Arbeiten verschiedner Zeiten und verschiednen Charakters. Doch gehen wir zum ersten Saale zurück. Dort, an der Hnuptwand, erregen vor allem die Kartons und Entwürfe für die Ausmalung der Friedenskirche in Potsdam unsre Aufmerksamkeit. Mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/46>, abgerufen am 23.07.2024.