Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Brauchen wir Handelshochschulen?

Der geschultere Geist ist dem ungeschultern immer überlegen, weil er
rascher auffaßt, weiter vorausblickt und konsequenter handelt. Der deutsche
Kommis ist sich dieser Überlegenheit auch wohl bewußt und fürchtet sich in
dieser vor keinem, bis jetzt noch nicht; er ist durch sein jetziges Wissen be¬
friedigt. Wenn sich nun aber ein fühlbarer Prozentsatz seiner eignen Kame¬
raden ihm als überlegen zeigte? Würde er dann nicht seines persönlichen
Nutzens wegen diese einzuholen versuchen? Jetzt schon wird es, besonders in
Hamburg, sehr wenige Kaufmannslehrlinge geben (es kann hier selbstverständ¬
lich nur vom Großhandel die Rede sein), die nicht Privatstunden in fremden
Sprachen nehmen. Das war vor dreißig bis vierzig Jahren in diesem Um¬
fange wohl kaum der Fall. Diese Lehrlinge würden freiwillig noch mehr
lernen, wenn ein Teil ihrer Berufsgenossen ihnen voranginge; sie würden es
thun wegen des persönlichen Vorteils, wegen der größern Anwartschaft auf
die gutbezahlter Stellungen. Daß in diese der gebildete Kommis eher ein¬
rückt als der weniger gebildete, braucht kaum wiederholt zu werden.

Man achte nur darauf, wie die mit uns konkurrierenden Nationen immer
auf die größere Bildung unsrer jungen Kaufleute hinweisen und sie -- fürchten.
Liegt nicht die Wahrscheinlichkeit vor, daß sie alles daran setzen werden, uns
einzuholen? Würde ein Stillstand für uns nicht einen Rückschritt bedeuten?
Die Bejahung dieser Fragen ist selbstverständlich, und als Folgerung ergiebt
sich daraus, daß jeder Versuch, den Gesichtskreis, die geistige Disziplin unsers
Kaufmannsstandes zu heben, nur im höchsten Maße willkommen zu heißen
ist -- des gesamten Kaufmannsstandes, nicht nur des Teiles, der dem Außen¬
handel obliegt. Dieser rekrutiert sich aus der Gesamtheit, seine Eigenschaften
werden nie zu weit von denen des ganzen Standes abweichen, da ihm als
Beispiel für das Erstrebenswerte doch nur der deutsche reifere Kaufmann
dient.

Der Zweck der Handelshochschulen muß also sein, die Überlegenheit in
der Bildung des deutschen Kaufmanns zu wahren und nicht einzelne Indi¬
viduen für sogenannte "höhere Stellen" vorzubereiten. Die Wirkung kann
natürlich nur laugsam sein, da nur ein sehr kleiner Prozentsatz unsrer jungen
Kaufleute die Schule wird besuchen können. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß
diesem kleinen Teil eifrig nachgestrebt werden wird, ist oben ausgesprochen.
Es wird durch die fortlaufende, weitere Aufschließung der ganzen Erde von
Tag zu Tag notwendiger, daß der Kaufmann weiter sieht, als bis an die
Grenzen seines Landes. Wer über See gehen kann, soll es thun; für die
aber, die zu Hause bleiben müssen, sollen die Handelshochschulen einen Ersatz
bieten, soweit dies erreichbar ist. Dazu wird es allerdings notwendig sein,
ein Lehrpersonal heranzuziehen, das nicht nur aus Büchern gelernt hat,
sondern draußen in der Welt gelebt hat und eigne, gründliche Beobachtungen
fremder Nationen zum Vortrag bringen kann. Und wenn es das heute noch


Brauchen wir Handelshochschulen?

Der geschultere Geist ist dem ungeschultern immer überlegen, weil er
rascher auffaßt, weiter vorausblickt und konsequenter handelt. Der deutsche
Kommis ist sich dieser Überlegenheit auch wohl bewußt und fürchtet sich in
dieser vor keinem, bis jetzt noch nicht; er ist durch sein jetziges Wissen be¬
friedigt. Wenn sich nun aber ein fühlbarer Prozentsatz seiner eignen Kame¬
raden ihm als überlegen zeigte? Würde er dann nicht seines persönlichen
Nutzens wegen diese einzuholen versuchen? Jetzt schon wird es, besonders in
Hamburg, sehr wenige Kaufmannslehrlinge geben (es kann hier selbstverständ¬
lich nur vom Großhandel die Rede sein), die nicht Privatstunden in fremden
Sprachen nehmen. Das war vor dreißig bis vierzig Jahren in diesem Um¬
fange wohl kaum der Fall. Diese Lehrlinge würden freiwillig noch mehr
lernen, wenn ein Teil ihrer Berufsgenossen ihnen voranginge; sie würden es
thun wegen des persönlichen Vorteils, wegen der größern Anwartschaft auf
die gutbezahlter Stellungen. Daß in diese der gebildete Kommis eher ein¬
rückt als der weniger gebildete, braucht kaum wiederholt zu werden.

Man achte nur darauf, wie die mit uns konkurrierenden Nationen immer
auf die größere Bildung unsrer jungen Kaufleute hinweisen und sie — fürchten.
Liegt nicht die Wahrscheinlichkeit vor, daß sie alles daran setzen werden, uns
einzuholen? Würde ein Stillstand für uns nicht einen Rückschritt bedeuten?
Die Bejahung dieser Fragen ist selbstverständlich, und als Folgerung ergiebt
sich daraus, daß jeder Versuch, den Gesichtskreis, die geistige Disziplin unsers
Kaufmannsstandes zu heben, nur im höchsten Maße willkommen zu heißen
ist — des gesamten Kaufmannsstandes, nicht nur des Teiles, der dem Außen¬
handel obliegt. Dieser rekrutiert sich aus der Gesamtheit, seine Eigenschaften
werden nie zu weit von denen des ganzen Standes abweichen, da ihm als
Beispiel für das Erstrebenswerte doch nur der deutsche reifere Kaufmann
dient.

Der Zweck der Handelshochschulen muß also sein, die Überlegenheit in
der Bildung des deutschen Kaufmanns zu wahren und nicht einzelne Indi¬
viduen für sogenannte „höhere Stellen" vorzubereiten. Die Wirkung kann
natürlich nur laugsam sein, da nur ein sehr kleiner Prozentsatz unsrer jungen
Kaufleute die Schule wird besuchen können. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß
diesem kleinen Teil eifrig nachgestrebt werden wird, ist oben ausgesprochen.
Es wird durch die fortlaufende, weitere Aufschließung der ganzen Erde von
Tag zu Tag notwendiger, daß der Kaufmann weiter sieht, als bis an die
Grenzen seines Landes. Wer über See gehen kann, soll es thun; für die
aber, die zu Hause bleiben müssen, sollen die Handelshochschulen einen Ersatz
bieten, soweit dies erreichbar ist. Dazu wird es allerdings notwendig sein,
ein Lehrpersonal heranzuziehen, das nicht nur aus Büchern gelernt hat,
sondern draußen in der Welt gelebt hat und eigne, gründliche Beobachtungen
fremder Nationen zum Vortrag bringen kann. Und wenn es das heute noch


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0431" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230117"/>
          <fw type="header" place="top"> Brauchen wir Handelshochschulen?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1749"> Der geschultere Geist ist dem ungeschultern immer überlegen, weil er<lb/>
rascher auffaßt, weiter vorausblickt und konsequenter handelt. Der deutsche<lb/>
Kommis ist sich dieser Überlegenheit auch wohl bewußt und fürchtet sich in<lb/>
dieser vor keinem, bis jetzt noch nicht; er ist durch sein jetziges Wissen be¬<lb/>
friedigt. Wenn sich nun aber ein fühlbarer Prozentsatz seiner eignen Kame¬<lb/>
raden ihm als überlegen zeigte? Würde er dann nicht seines persönlichen<lb/>
Nutzens wegen diese einzuholen versuchen? Jetzt schon wird es, besonders in<lb/>
Hamburg, sehr wenige Kaufmannslehrlinge geben (es kann hier selbstverständ¬<lb/>
lich nur vom Großhandel die Rede sein), die nicht Privatstunden in fremden<lb/>
Sprachen nehmen. Das war vor dreißig bis vierzig Jahren in diesem Um¬<lb/>
fange wohl kaum der Fall. Diese Lehrlinge würden freiwillig noch mehr<lb/>
lernen, wenn ein Teil ihrer Berufsgenossen ihnen voranginge; sie würden es<lb/>
thun wegen des persönlichen Vorteils, wegen der größern Anwartschaft auf<lb/>
die gutbezahlter Stellungen. Daß in diese der gebildete Kommis eher ein¬<lb/>
rückt als der weniger gebildete, braucht kaum wiederholt zu werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1750"> Man achte nur darauf, wie die mit uns konkurrierenden Nationen immer<lb/>
auf die größere Bildung unsrer jungen Kaufleute hinweisen und sie &#x2014; fürchten.<lb/>
Liegt nicht die Wahrscheinlichkeit vor, daß sie alles daran setzen werden, uns<lb/>
einzuholen? Würde ein Stillstand für uns nicht einen Rückschritt bedeuten?<lb/>
Die Bejahung dieser Fragen ist selbstverständlich, und als Folgerung ergiebt<lb/>
sich daraus, daß jeder Versuch, den Gesichtskreis, die geistige Disziplin unsers<lb/>
Kaufmannsstandes zu heben, nur im höchsten Maße willkommen zu heißen<lb/>
ist &#x2014; des gesamten Kaufmannsstandes, nicht nur des Teiles, der dem Außen¬<lb/>
handel obliegt. Dieser rekrutiert sich aus der Gesamtheit, seine Eigenschaften<lb/>
werden nie zu weit von denen des ganzen Standes abweichen, da ihm als<lb/>
Beispiel für das Erstrebenswerte doch nur der deutsche reifere Kaufmann<lb/>
dient.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1751" next="#ID_1752"> Der Zweck der Handelshochschulen muß also sein, die Überlegenheit in<lb/>
der Bildung des deutschen Kaufmanns zu wahren und nicht einzelne Indi¬<lb/>
viduen für sogenannte &#x201E;höhere Stellen" vorzubereiten. Die Wirkung kann<lb/>
natürlich nur laugsam sein, da nur ein sehr kleiner Prozentsatz unsrer jungen<lb/>
Kaufleute die Schule wird besuchen können. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß<lb/>
diesem kleinen Teil eifrig nachgestrebt werden wird, ist oben ausgesprochen.<lb/>
Es wird durch die fortlaufende, weitere Aufschließung der ganzen Erde von<lb/>
Tag zu Tag notwendiger, daß der Kaufmann weiter sieht, als bis an die<lb/>
Grenzen seines Landes. Wer über See gehen kann, soll es thun; für die<lb/>
aber, die zu Hause bleiben müssen, sollen die Handelshochschulen einen Ersatz<lb/>
bieten, soweit dies erreichbar ist. Dazu wird es allerdings notwendig sein,<lb/>
ein Lehrpersonal heranzuziehen, das nicht nur aus Büchern gelernt hat,<lb/>
sondern draußen in der Welt gelebt hat und eigne, gründliche Beobachtungen<lb/>
fremder Nationen zum Vortrag bringen kann.  Und wenn es das heute noch</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0431] Brauchen wir Handelshochschulen? Der geschultere Geist ist dem ungeschultern immer überlegen, weil er rascher auffaßt, weiter vorausblickt und konsequenter handelt. Der deutsche Kommis ist sich dieser Überlegenheit auch wohl bewußt und fürchtet sich in dieser vor keinem, bis jetzt noch nicht; er ist durch sein jetziges Wissen be¬ friedigt. Wenn sich nun aber ein fühlbarer Prozentsatz seiner eignen Kame¬ raden ihm als überlegen zeigte? Würde er dann nicht seines persönlichen Nutzens wegen diese einzuholen versuchen? Jetzt schon wird es, besonders in Hamburg, sehr wenige Kaufmannslehrlinge geben (es kann hier selbstverständ¬ lich nur vom Großhandel die Rede sein), die nicht Privatstunden in fremden Sprachen nehmen. Das war vor dreißig bis vierzig Jahren in diesem Um¬ fange wohl kaum der Fall. Diese Lehrlinge würden freiwillig noch mehr lernen, wenn ein Teil ihrer Berufsgenossen ihnen voranginge; sie würden es thun wegen des persönlichen Vorteils, wegen der größern Anwartschaft auf die gutbezahlter Stellungen. Daß in diese der gebildete Kommis eher ein¬ rückt als der weniger gebildete, braucht kaum wiederholt zu werden. Man achte nur darauf, wie die mit uns konkurrierenden Nationen immer auf die größere Bildung unsrer jungen Kaufleute hinweisen und sie — fürchten. Liegt nicht die Wahrscheinlichkeit vor, daß sie alles daran setzen werden, uns einzuholen? Würde ein Stillstand für uns nicht einen Rückschritt bedeuten? Die Bejahung dieser Fragen ist selbstverständlich, und als Folgerung ergiebt sich daraus, daß jeder Versuch, den Gesichtskreis, die geistige Disziplin unsers Kaufmannsstandes zu heben, nur im höchsten Maße willkommen zu heißen ist — des gesamten Kaufmannsstandes, nicht nur des Teiles, der dem Außen¬ handel obliegt. Dieser rekrutiert sich aus der Gesamtheit, seine Eigenschaften werden nie zu weit von denen des ganzen Standes abweichen, da ihm als Beispiel für das Erstrebenswerte doch nur der deutsche reifere Kaufmann dient. Der Zweck der Handelshochschulen muß also sein, die Überlegenheit in der Bildung des deutschen Kaufmanns zu wahren und nicht einzelne Indi¬ viduen für sogenannte „höhere Stellen" vorzubereiten. Die Wirkung kann natürlich nur laugsam sein, da nur ein sehr kleiner Prozentsatz unsrer jungen Kaufleute die Schule wird besuchen können. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß diesem kleinen Teil eifrig nachgestrebt werden wird, ist oben ausgesprochen. Es wird durch die fortlaufende, weitere Aufschließung der ganzen Erde von Tag zu Tag notwendiger, daß der Kaufmann weiter sieht, als bis an die Grenzen seines Landes. Wer über See gehen kann, soll es thun; für die aber, die zu Hause bleiben müssen, sollen die Handelshochschulen einen Ersatz bieten, soweit dies erreichbar ist. Dazu wird es allerdings notwendig sein, ein Lehrpersonal heranzuziehen, das nicht nur aus Büchern gelernt hat, sondern draußen in der Welt gelebt hat und eigne, gründliche Beobachtungen fremder Nationen zum Vortrag bringen kann. Und wenn es das heute noch

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/431
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/431>, abgerufen am 23.07.2024.