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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Brauchen wir Handelshochschulen?

kennten, daß unsre Trassierungsbanken in ihrer Leitung Männer hätten, denen
eine große überseeische Erfahrung zur Seite steht, daß unsre für den Export
arbeitenden Fabriken ihren Technikern Gelegenheit gäben, die Bedürfnisse
fremder Märkte an Ort und Stelle zu studieren und die Arbeit der fremden
Konkurrenz an der Quelle zu beobachten. Aber neben diesen giebt es doch
eine ungeheure Masse kaufmännischer Arbeiter, die der direkten überseeischen
Erfahrungen entraten kann; es sind dies unter cinderm fast alle die Personen,
die mit den Waren selbst nichts zu thun haben. Nimmt man also auch an,
daß sich die erste Kategorie in ihrer Gesamtheit die überseeischen Erfahrungen
erwirbt, so wird sich die zweite doch scheuen, den Zickzackweg zeitweiliger Ent¬
fernung aus der Stellung im Heimatlande zu gehen, schon des Zeitverlustes
wegen. Und doch wäre es auch für diese wünschenswert, daß ihre Bildung
nicht mit dem Austritt aus der Schule, der bei jungen Kaufleuten ja meistens
früh, mit dem sechzehnten bis siebzehnten Jahre erfolgt, als abgeschlossen be¬
trachtet würde.

Das Wort Bildung darf hier nicht mißverstanden werden; Bildung im
Profesforensinne ist wahrlich nicht gemeint. Ein kaufmännischer Erfolg hängt
nicht davon ab. daß man alle Philosophen von dem sagenumwobnen Zarathustra
bis auf den kennt, der diesem Namen wieder neuen Glanz gegeben hat. Es
ist auch nicht nötig, daß der Kaufmann wisse, welche Note Goethe im Latein
hatte. Aber er wird gebildet sein müssen in geographischen, ethnologischen,
linguistischen und auch in juristischen Dingen. Die beiden ersten Gebiete sind
natürlich sehr umfassend gemeint. Die Kenntnis fremder Länder und Völker
muß sich erstrecken auf ihre Politik und Verwaltung, auf die Zollgesetze, die Ver¬
kehrsmittel, die Bodenproduktion und die Industrie mit Berücksichtigung ihrer
Einwirkung auf den Welthandel, die Wührnngs- und Rechtsverhältnisse, soweit
diese für den Handel in Betracht kommen. Die Unwissenheit in diesen Sachen
ist in einheimischen kaufmännischen Kreisen noch viel größer, als man voraus¬
setzen sollte; eine Besserung würde nur mit größter Freude zu begrüßen sein.
Man unterschätze den Nutzen, den materiellen Nutzen einer guten Schulbildung
für einen Kaufmann nicht. Wenn der deutsche Kommis heute über See größere
Chancen hat als der andrer Nationen, so verdankt er es der größern Zuver¬
lässigkeit seiner Arbeit, und wenn er mehr Nutzen aus seinem Aufenthalt zieht,
so verdankt er es seiner Gründlichkeit. Aber woher hat er diese guten Eigen¬
schaften? Man wird sagen, aus dem deutschen Charakter. Ach, der deutsche
Jüngling geht auch lieber im Sonnenschein spazieren, als daß er in der
dumpfen Stube arbeitet! In seinem innersten Herzen ist er nicht fleißiger
als die Altersgenossen der meisten andern Nationen. Er verdankt seine größere
Brauchbarkeit der bessern Vorschule, der anerzognen Gewöhnung, nachzudenken.
Das wird jeder bestätigen, der über See ein Geschäft leitet und Angestellte ver-
schiedner Nationalitüten hat.


Brauchen wir Handelshochschulen?

kennten, daß unsre Trassierungsbanken in ihrer Leitung Männer hätten, denen
eine große überseeische Erfahrung zur Seite steht, daß unsre für den Export
arbeitenden Fabriken ihren Technikern Gelegenheit gäben, die Bedürfnisse
fremder Märkte an Ort und Stelle zu studieren und die Arbeit der fremden
Konkurrenz an der Quelle zu beobachten. Aber neben diesen giebt es doch
eine ungeheure Masse kaufmännischer Arbeiter, die der direkten überseeischen
Erfahrungen entraten kann; es sind dies unter cinderm fast alle die Personen,
die mit den Waren selbst nichts zu thun haben. Nimmt man also auch an,
daß sich die erste Kategorie in ihrer Gesamtheit die überseeischen Erfahrungen
erwirbt, so wird sich die zweite doch scheuen, den Zickzackweg zeitweiliger Ent¬
fernung aus der Stellung im Heimatlande zu gehen, schon des Zeitverlustes
wegen. Und doch wäre es auch für diese wünschenswert, daß ihre Bildung
nicht mit dem Austritt aus der Schule, der bei jungen Kaufleuten ja meistens
früh, mit dem sechzehnten bis siebzehnten Jahre erfolgt, als abgeschlossen be¬
trachtet würde.

Das Wort Bildung darf hier nicht mißverstanden werden; Bildung im
Profesforensinne ist wahrlich nicht gemeint. Ein kaufmännischer Erfolg hängt
nicht davon ab. daß man alle Philosophen von dem sagenumwobnen Zarathustra
bis auf den kennt, der diesem Namen wieder neuen Glanz gegeben hat. Es
ist auch nicht nötig, daß der Kaufmann wisse, welche Note Goethe im Latein
hatte. Aber er wird gebildet sein müssen in geographischen, ethnologischen,
linguistischen und auch in juristischen Dingen. Die beiden ersten Gebiete sind
natürlich sehr umfassend gemeint. Die Kenntnis fremder Länder und Völker
muß sich erstrecken auf ihre Politik und Verwaltung, auf die Zollgesetze, die Ver¬
kehrsmittel, die Bodenproduktion und die Industrie mit Berücksichtigung ihrer
Einwirkung auf den Welthandel, die Wührnngs- und Rechtsverhältnisse, soweit
diese für den Handel in Betracht kommen. Die Unwissenheit in diesen Sachen
ist in einheimischen kaufmännischen Kreisen noch viel größer, als man voraus¬
setzen sollte; eine Besserung würde nur mit größter Freude zu begrüßen sein.
Man unterschätze den Nutzen, den materiellen Nutzen einer guten Schulbildung
für einen Kaufmann nicht. Wenn der deutsche Kommis heute über See größere
Chancen hat als der andrer Nationen, so verdankt er es der größern Zuver¬
lässigkeit seiner Arbeit, und wenn er mehr Nutzen aus seinem Aufenthalt zieht,
so verdankt er es seiner Gründlichkeit. Aber woher hat er diese guten Eigen¬
schaften? Man wird sagen, aus dem deutschen Charakter. Ach, der deutsche
Jüngling geht auch lieber im Sonnenschein spazieren, als daß er in der
dumpfen Stube arbeitet! In seinem innersten Herzen ist er nicht fleißiger
als die Altersgenossen der meisten andern Nationen. Er verdankt seine größere
Brauchbarkeit der bessern Vorschule, der anerzognen Gewöhnung, nachzudenken.
Das wird jeder bestätigen, der über See ein Geschäft leitet und Angestellte ver-
schiedner Nationalitüten hat.


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[0430] Brauchen wir Handelshochschulen? kennten, daß unsre Trassierungsbanken in ihrer Leitung Männer hätten, denen eine große überseeische Erfahrung zur Seite steht, daß unsre für den Export arbeitenden Fabriken ihren Technikern Gelegenheit gäben, die Bedürfnisse fremder Märkte an Ort und Stelle zu studieren und die Arbeit der fremden Konkurrenz an der Quelle zu beobachten. Aber neben diesen giebt es doch eine ungeheure Masse kaufmännischer Arbeiter, die der direkten überseeischen Erfahrungen entraten kann; es sind dies unter cinderm fast alle die Personen, die mit den Waren selbst nichts zu thun haben. Nimmt man also auch an, daß sich die erste Kategorie in ihrer Gesamtheit die überseeischen Erfahrungen erwirbt, so wird sich die zweite doch scheuen, den Zickzackweg zeitweiliger Ent¬ fernung aus der Stellung im Heimatlande zu gehen, schon des Zeitverlustes wegen. Und doch wäre es auch für diese wünschenswert, daß ihre Bildung nicht mit dem Austritt aus der Schule, der bei jungen Kaufleuten ja meistens früh, mit dem sechzehnten bis siebzehnten Jahre erfolgt, als abgeschlossen be¬ trachtet würde. Das Wort Bildung darf hier nicht mißverstanden werden; Bildung im Profesforensinne ist wahrlich nicht gemeint. Ein kaufmännischer Erfolg hängt nicht davon ab. daß man alle Philosophen von dem sagenumwobnen Zarathustra bis auf den kennt, der diesem Namen wieder neuen Glanz gegeben hat. Es ist auch nicht nötig, daß der Kaufmann wisse, welche Note Goethe im Latein hatte. Aber er wird gebildet sein müssen in geographischen, ethnologischen, linguistischen und auch in juristischen Dingen. Die beiden ersten Gebiete sind natürlich sehr umfassend gemeint. Die Kenntnis fremder Länder und Völker muß sich erstrecken auf ihre Politik und Verwaltung, auf die Zollgesetze, die Ver¬ kehrsmittel, die Bodenproduktion und die Industrie mit Berücksichtigung ihrer Einwirkung auf den Welthandel, die Wührnngs- und Rechtsverhältnisse, soweit diese für den Handel in Betracht kommen. Die Unwissenheit in diesen Sachen ist in einheimischen kaufmännischen Kreisen noch viel größer, als man voraus¬ setzen sollte; eine Besserung würde nur mit größter Freude zu begrüßen sein. Man unterschätze den Nutzen, den materiellen Nutzen einer guten Schulbildung für einen Kaufmann nicht. Wenn der deutsche Kommis heute über See größere Chancen hat als der andrer Nationen, so verdankt er es der größern Zuver¬ lässigkeit seiner Arbeit, und wenn er mehr Nutzen aus seinem Aufenthalt zieht, so verdankt er es seiner Gründlichkeit. Aber woher hat er diese guten Eigen¬ schaften? Man wird sagen, aus dem deutschen Charakter. Ach, der deutsche Jüngling geht auch lieber im Sonnenschein spazieren, als daß er in der dumpfen Stube arbeitet! In seinem innersten Herzen ist er nicht fleißiger als die Altersgenossen der meisten andern Nationen. Er verdankt seine größere Brauchbarkeit der bessern Vorschule, der anerzognen Gewöhnung, nachzudenken. Das wird jeder bestätigen, der über See ein Geschäft leitet und Angestellte ver- schiedner Nationalitüten hat.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/430>, abgerufen am 23.07.2024.