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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Brauchen wir Handelshochschulen?

Ein Beispiel mag angeführt werden. Man erzählte sich vor einiger Zeit, daß
ein deutsches Konsortium die Absicht hatte, eine südamerikanische Eisenbahn¬
linie anzukaufen- Das Unternehmen soll daran gescheitert sein, daß die hinaus¬
gesandten deutschen Ingenieure den Unterbau des Bahnkörpers und die Qualität
der Schienenklammern als ungenügend bezeichneten. Darauf kaufte eine eng¬
lische Gesellschaft die Bahn, machte sich durch ein bekanntes Mittel Freunde
in der Negierung und erhielt Konzessionen, die ihr erlaubten, alle Mängel zu
beseitigen und trotzdem noch einen großen Prosit einzustecken. Ob sich die
Sache genau so verhält, bleibe dahingestellt, aber: hö non s vsro, ö Kor
tropf-w. Der Kaufmann muß die Dinge nehmen, wie sie liegen, und sich frei
zu machen verstehen von der heimatlichen Schablone. Der Mut dazu, die
Findigkeit, die zur Nutzbarmachung des Kapitals nach den richtigen Mitteln
greift, erwirbt sich nicht theoretisch, sondern nur durch Anschauung, durch Er¬
fahrung. Also müssen unsre jungen Kaufleute noch reiselustiger werden, sie
müssen unsre Kapitalisten zu überzeugen verstehe", daß sie als Kaufleute
draußen die Wege kennen, auf denen man Geld verdient; dann wird hoffent¬
lich das Kapital auch flüssiger. Hamburg geht darin mit gutem Beispiel
voran: seine jungen Leute und sein Geld haben die Scheu vor dem großen
Wasser schon stark abgestreift. Aber Hamburg kann nicht alles allein machen;
das übrige Deutschland muß ihm folgen.

Wenn man also der Ansicht gewisser Kreise der Kaufmannschaft über den be¬
schränkten Wert von Handelshochschulen zustimmen muß, so ergiebt sich daraus
keinesfalls die Folgerung, , daß die Errichtung solcher Anstalten ohne allen
Nutzen für die Kaufmannschaft sein würde. Denn erstens können nicht alle
über See gehen, und zweitens ist es nicht für alle notwendig. Wie bei allen
andern Berufen bilden sich auch im kaufmännischen die Spezialitäten immer
mehr aus. Die scharfe Konkurrenz steigert die Ansprüche an die Kenntnisse
und Ersahrungen eines Geschüftsleiters beständig; die sich fast täglich vervoll¬
kommnenden Verkehrsmittel zwingen einen Kaufmann, immer weitere Gebiete
zu überblicken und die Bewegung in seinen Artikeln aufmerksam in allen
Teilen der Welt zu verfolgen. Man unterschätzt oft die geistige Leistung, die
hierin liegt, und vergißt, daß auch der Kaufmann der Wahrheit des Sprich¬
worts unterliegt: Hui trox eiubrWS mal ötroiut. Es giebt Kaufleute, deren
außergewöhnlich hohe Intelligenz und Schaffenskraft es ihnen ermöglicht, die
verschiedenartigsten Betriebe gleichzeitig zu leiten, aber das sind Ausnahmen.
Die Arbeitsteilung schreitet im kaufmännischen Beruf eben so sehr vorwärts
wie in andern. So dienen auch die Erfahrungen und Kenntnisse, die in
fremden Ländern erworben werden, nur einer Spezialität, allerdings der heute
am weitesten im Vordergrund stehenden, dem Außenhandel. Für diesen wäre
es, um es zu wiederholen, außerordentlich zu wünschen, daß alle unsre Ex-
Porteure und Importeure die Absatz- und Bezugsgebiete persönlich genau


Brauchen wir Handelshochschulen?

Ein Beispiel mag angeführt werden. Man erzählte sich vor einiger Zeit, daß
ein deutsches Konsortium die Absicht hatte, eine südamerikanische Eisenbahn¬
linie anzukaufen- Das Unternehmen soll daran gescheitert sein, daß die hinaus¬
gesandten deutschen Ingenieure den Unterbau des Bahnkörpers und die Qualität
der Schienenklammern als ungenügend bezeichneten. Darauf kaufte eine eng¬
lische Gesellschaft die Bahn, machte sich durch ein bekanntes Mittel Freunde
in der Negierung und erhielt Konzessionen, die ihr erlaubten, alle Mängel zu
beseitigen und trotzdem noch einen großen Prosit einzustecken. Ob sich die
Sache genau so verhält, bleibe dahingestellt, aber: hö non s vsro, ö Kor
tropf-w. Der Kaufmann muß die Dinge nehmen, wie sie liegen, und sich frei
zu machen verstehen von der heimatlichen Schablone. Der Mut dazu, die
Findigkeit, die zur Nutzbarmachung des Kapitals nach den richtigen Mitteln
greift, erwirbt sich nicht theoretisch, sondern nur durch Anschauung, durch Er¬
fahrung. Also müssen unsre jungen Kaufleute noch reiselustiger werden, sie
müssen unsre Kapitalisten zu überzeugen verstehe», daß sie als Kaufleute
draußen die Wege kennen, auf denen man Geld verdient; dann wird hoffent¬
lich das Kapital auch flüssiger. Hamburg geht darin mit gutem Beispiel
voran: seine jungen Leute und sein Geld haben die Scheu vor dem großen
Wasser schon stark abgestreift. Aber Hamburg kann nicht alles allein machen;
das übrige Deutschland muß ihm folgen.

Wenn man also der Ansicht gewisser Kreise der Kaufmannschaft über den be¬
schränkten Wert von Handelshochschulen zustimmen muß, so ergiebt sich daraus
keinesfalls die Folgerung, , daß die Errichtung solcher Anstalten ohne allen
Nutzen für die Kaufmannschaft sein würde. Denn erstens können nicht alle
über See gehen, und zweitens ist es nicht für alle notwendig. Wie bei allen
andern Berufen bilden sich auch im kaufmännischen die Spezialitäten immer
mehr aus. Die scharfe Konkurrenz steigert die Ansprüche an die Kenntnisse
und Ersahrungen eines Geschüftsleiters beständig; die sich fast täglich vervoll¬
kommnenden Verkehrsmittel zwingen einen Kaufmann, immer weitere Gebiete
zu überblicken und die Bewegung in seinen Artikeln aufmerksam in allen
Teilen der Welt zu verfolgen. Man unterschätzt oft die geistige Leistung, die
hierin liegt, und vergißt, daß auch der Kaufmann der Wahrheit des Sprich¬
worts unterliegt: Hui trox eiubrWS mal ötroiut. Es giebt Kaufleute, deren
außergewöhnlich hohe Intelligenz und Schaffenskraft es ihnen ermöglicht, die
verschiedenartigsten Betriebe gleichzeitig zu leiten, aber das sind Ausnahmen.
Die Arbeitsteilung schreitet im kaufmännischen Beruf eben so sehr vorwärts
wie in andern. So dienen auch die Erfahrungen und Kenntnisse, die in
fremden Ländern erworben werden, nur einer Spezialität, allerdings der heute
am weitesten im Vordergrund stehenden, dem Außenhandel. Für diesen wäre
es, um es zu wiederholen, außerordentlich zu wünschen, daß alle unsre Ex-
Porteure und Importeure die Absatz- und Bezugsgebiete persönlich genau


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[0429] Brauchen wir Handelshochschulen? Ein Beispiel mag angeführt werden. Man erzählte sich vor einiger Zeit, daß ein deutsches Konsortium die Absicht hatte, eine südamerikanische Eisenbahn¬ linie anzukaufen- Das Unternehmen soll daran gescheitert sein, daß die hinaus¬ gesandten deutschen Ingenieure den Unterbau des Bahnkörpers und die Qualität der Schienenklammern als ungenügend bezeichneten. Darauf kaufte eine eng¬ lische Gesellschaft die Bahn, machte sich durch ein bekanntes Mittel Freunde in der Negierung und erhielt Konzessionen, die ihr erlaubten, alle Mängel zu beseitigen und trotzdem noch einen großen Prosit einzustecken. Ob sich die Sache genau so verhält, bleibe dahingestellt, aber: hö non s vsro, ö Kor tropf-w. Der Kaufmann muß die Dinge nehmen, wie sie liegen, und sich frei zu machen verstehen von der heimatlichen Schablone. Der Mut dazu, die Findigkeit, die zur Nutzbarmachung des Kapitals nach den richtigen Mitteln greift, erwirbt sich nicht theoretisch, sondern nur durch Anschauung, durch Er¬ fahrung. Also müssen unsre jungen Kaufleute noch reiselustiger werden, sie müssen unsre Kapitalisten zu überzeugen verstehe», daß sie als Kaufleute draußen die Wege kennen, auf denen man Geld verdient; dann wird hoffent¬ lich das Kapital auch flüssiger. Hamburg geht darin mit gutem Beispiel voran: seine jungen Leute und sein Geld haben die Scheu vor dem großen Wasser schon stark abgestreift. Aber Hamburg kann nicht alles allein machen; das übrige Deutschland muß ihm folgen. Wenn man also der Ansicht gewisser Kreise der Kaufmannschaft über den be¬ schränkten Wert von Handelshochschulen zustimmen muß, so ergiebt sich daraus keinesfalls die Folgerung, , daß die Errichtung solcher Anstalten ohne allen Nutzen für die Kaufmannschaft sein würde. Denn erstens können nicht alle über See gehen, und zweitens ist es nicht für alle notwendig. Wie bei allen andern Berufen bilden sich auch im kaufmännischen die Spezialitäten immer mehr aus. Die scharfe Konkurrenz steigert die Ansprüche an die Kenntnisse und Ersahrungen eines Geschüftsleiters beständig; die sich fast täglich vervoll¬ kommnenden Verkehrsmittel zwingen einen Kaufmann, immer weitere Gebiete zu überblicken und die Bewegung in seinen Artikeln aufmerksam in allen Teilen der Welt zu verfolgen. Man unterschätzt oft die geistige Leistung, die hierin liegt, und vergißt, daß auch der Kaufmann der Wahrheit des Sprich¬ worts unterliegt: Hui trox eiubrWS mal ötroiut. Es giebt Kaufleute, deren außergewöhnlich hohe Intelligenz und Schaffenskraft es ihnen ermöglicht, die verschiedenartigsten Betriebe gleichzeitig zu leiten, aber das sind Ausnahmen. Die Arbeitsteilung schreitet im kaufmännischen Beruf eben so sehr vorwärts wie in andern. So dienen auch die Erfahrungen und Kenntnisse, die in fremden Ländern erworben werden, nur einer Spezialität, allerdings der heute am weitesten im Vordergrund stehenden, dem Außenhandel. Für diesen wäre es, um es zu wiederholen, außerordentlich zu wünschen, daß alle unsre Ex- Porteure und Importeure die Absatz- und Bezugsgebiete persönlich genau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/429>, abgerufen am 23.07.2024.