Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Brauchen wir Handelshochschulen?

Ausdrucks der fremden Nation kennt. Der Spanier wird die knappe Schreib¬
weise des Engländers oft als Grobheit, der Engländer die verzierte Sprache
des Spaniers oft als Unoffenheit empfinden, wenn er den Nationalcharakter
und dessen äußere Formen nicht an Ort und Stelle kennen gelernt hat. Es
kann vorkommen, daß nur die falsche Interpretation stilistischer Eigentümlich¬
keiten folgenschwere Zwistigkeiten entstehen läßt und zum Bruch von Verbin¬
dungen führt. Also schon in diesem Sinne wird es den internationalen Ver¬
kehr erleichtern, wenn unsre jungen Kaufleute fremde Länder kennen lernen.

Der Hauptgewinn eines Aufenthalts im Auslande liegt aber, abgesehen
von dem technischen Lernen, der Warenkenntnis, in den persönlichen Er¬
fahrungen, die man über die Geschäftsgrundsätze der verschiednen Nationen
sammelt. Weit mehr als in der Diplomatie gilt für die kaufmännische
Korrespondenz der Satz, daß die Sprache dazu da sei, die Gedanken zu ver¬
bergen, und einen Geschäftsbrief wird man nur dann richtig lesen, wenn
man den Schreiber erkennt. Das sichre Gefühl für die Glaubhaftigkeit
des Schreibenden und die für einen Kaufmann im höchsten Maße not¬
wendige Menschenkenntnis wollen aber erworben sein, das läßt sich nicht
hinterm Ofen lernen. Die Unterscheidung von zuverlässig und unzuverlässig
ist schon den eignen Landsleuten gegenüber schwierig; sie ist noch schwerer,
wenn es sich um fremde Nationen handelt, und wird fast zur Unmöglichkeit,
wenn man diese Nationen nicht in ihrem eignen Hause kennen gelernt hat.
Einem Kaufmann, der direkt mit fremden Ländern arbeitet, würde deshalb die
erste Voraussetzung für die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges fehlen, wenn er
seinen Kunden nicht selbst einmal hinter die Kulissen gesehen hätte, d. h. bei
ihnen gewesen wäre. Das ist eine so einfache Wahrheit, daß weitere Ausfüh¬
rungen füglich erspart werden können. Aber es kommt noch ein dritter,
wichtiger Grund hinzu, weshalb unsre Kaufleute über See gehen sollen. Die
Ängstlichkeit unsers Kapitals im Vergleich mit dem englischen ist noch auf¬
fallend groß, wenn es sich um überseeische Unternehmungen handelt. Das ist
um so mehr zu bedauern, als das deutsche Publikum den exotischen "Papieren"
gegenüber leider nicht die nötige Scheu zeigt oder wenigstens bis jetzt gezeigt
hat. Wenn ein Bankier relativ hochprozentige Anleihen irgend eines Raub-
ftaates anbietet, so findet er sein sichres Publikum. Dasselbe Publikum zieht
aber die Stirn in bedenkliche Falten und steckt beide Hände in die Taschen,
wenn ein deutscher, zuverlässiger Kaufmann Geld zu einem Handelsunternehmen
über See erbittet. Das muß sich ändern, wenn die Steigerung unsers Welt¬
handels nicht an einen toten Punkt kommen soll.

Das Prinzip der in die kleinsten Winkel hinein spähenden Gründlichkeit,
der (man gestatte das Wort) "Detailistenblick" des deutschen Kaufmanns und
Unternehmers sind nicht überall angebracht. Das Geschäft an überseeischen
Plätzen bewegt sich meistens in größern, gröbern Linien als bei uns zu Hause.


Brauchen wir Handelshochschulen?

Ausdrucks der fremden Nation kennt. Der Spanier wird die knappe Schreib¬
weise des Engländers oft als Grobheit, der Engländer die verzierte Sprache
des Spaniers oft als Unoffenheit empfinden, wenn er den Nationalcharakter
und dessen äußere Formen nicht an Ort und Stelle kennen gelernt hat. Es
kann vorkommen, daß nur die falsche Interpretation stilistischer Eigentümlich¬
keiten folgenschwere Zwistigkeiten entstehen läßt und zum Bruch von Verbin¬
dungen führt. Also schon in diesem Sinne wird es den internationalen Ver¬
kehr erleichtern, wenn unsre jungen Kaufleute fremde Länder kennen lernen.

Der Hauptgewinn eines Aufenthalts im Auslande liegt aber, abgesehen
von dem technischen Lernen, der Warenkenntnis, in den persönlichen Er¬
fahrungen, die man über die Geschäftsgrundsätze der verschiednen Nationen
sammelt. Weit mehr als in der Diplomatie gilt für die kaufmännische
Korrespondenz der Satz, daß die Sprache dazu da sei, die Gedanken zu ver¬
bergen, und einen Geschäftsbrief wird man nur dann richtig lesen, wenn
man den Schreiber erkennt. Das sichre Gefühl für die Glaubhaftigkeit
des Schreibenden und die für einen Kaufmann im höchsten Maße not¬
wendige Menschenkenntnis wollen aber erworben sein, das läßt sich nicht
hinterm Ofen lernen. Die Unterscheidung von zuverlässig und unzuverlässig
ist schon den eignen Landsleuten gegenüber schwierig; sie ist noch schwerer,
wenn es sich um fremde Nationen handelt, und wird fast zur Unmöglichkeit,
wenn man diese Nationen nicht in ihrem eignen Hause kennen gelernt hat.
Einem Kaufmann, der direkt mit fremden Ländern arbeitet, würde deshalb die
erste Voraussetzung für die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges fehlen, wenn er
seinen Kunden nicht selbst einmal hinter die Kulissen gesehen hätte, d. h. bei
ihnen gewesen wäre. Das ist eine so einfache Wahrheit, daß weitere Ausfüh¬
rungen füglich erspart werden können. Aber es kommt noch ein dritter,
wichtiger Grund hinzu, weshalb unsre Kaufleute über See gehen sollen. Die
Ängstlichkeit unsers Kapitals im Vergleich mit dem englischen ist noch auf¬
fallend groß, wenn es sich um überseeische Unternehmungen handelt. Das ist
um so mehr zu bedauern, als das deutsche Publikum den exotischen „Papieren"
gegenüber leider nicht die nötige Scheu zeigt oder wenigstens bis jetzt gezeigt
hat. Wenn ein Bankier relativ hochprozentige Anleihen irgend eines Raub-
ftaates anbietet, so findet er sein sichres Publikum. Dasselbe Publikum zieht
aber die Stirn in bedenkliche Falten und steckt beide Hände in die Taschen,
wenn ein deutscher, zuverlässiger Kaufmann Geld zu einem Handelsunternehmen
über See erbittet. Das muß sich ändern, wenn die Steigerung unsers Welt¬
handels nicht an einen toten Punkt kommen soll.

Das Prinzip der in die kleinsten Winkel hinein spähenden Gründlichkeit,
der (man gestatte das Wort) „Detailistenblick" des deutschen Kaufmanns und
Unternehmers sind nicht überall angebracht. Das Geschäft an überseeischen
Plätzen bewegt sich meistens in größern, gröbern Linien als bei uns zu Hause.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0428" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230114"/>
          <fw type="header" place="top"> Brauchen wir Handelshochschulen?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1742" prev="#ID_1741"> Ausdrucks der fremden Nation kennt. Der Spanier wird die knappe Schreib¬<lb/>
weise des Engländers oft als Grobheit, der Engländer die verzierte Sprache<lb/>
des Spaniers oft als Unoffenheit empfinden, wenn er den Nationalcharakter<lb/>
und dessen äußere Formen nicht an Ort und Stelle kennen gelernt hat. Es<lb/>
kann vorkommen, daß nur die falsche Interpretation stilistischer Eigentümlich¬<lb/>
keiten folgenschwere Zwistigkeiten entstehen läßt und zum Bruch von Verbin¬<lb/>
dungen führt. Also schon in diesem Sinne wird es den internationalen Ver¬<lb/>
kehr erleichtern, wenn unsre jungen Kaufleute fremde Länder kennen lernen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1743"> Der Hauptgewinn eines Aufenthalts im Auslande liegt aber, abgesehen<lb/>
von dem technischen Lernen, der Warenkenntnis, in den persönlichen Er¬<lb/>
fahrungen, die man über die Geschäftsgrundsätze der verschiednen Nationen<lb/>
sammelt. Weit mehr als in der Diplomatie gilt für die kaufmännische<lb/>
Korrespondenz der Satz, daß die Sprache dazu da sei, die Gedanken zu ver¬<lb/>
bergen, und einen Geschäftsbrief wird man nur dann richtig lesen, wenn<lb/>
man den Schreiber erkennt. Das sichre Gefühl für die Glaubhaftigkeit<lb/>
des Schreibenden und die für einen Kaufmann im höchsten Maße not¬<lb/>
wendige Menschenkenntnis wollen aber erworben sein, das läßt sich nicht<lb/>
hinterm Ofen lernen. Die Unterscheidung von zuverlässig und unzuverlässig<lb/>
ist schon den eignen Landsleuten gegenüber schwierig; sie ist noch schwerer,<lb/>
wenn es sich um fremde Nationen handelt, und wird fast zur Unmöglichkeit,<lb/>
wenn man diese Nationen nicht in ihrem eignen Hause kennen gelernt hat.<lb/>
Einem Kaufmann, der direkt mit fremden Ländern arbeitet, würde deshalb die<lb/>
erste Voraussetzung für die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges fehlen, wenn er<lb/>
seinen Kunden nicht selbst einmal hinter die Kulissen gesehen hätte, d. h. bei<lb/>
ihnen gewesen wäre. Das ist eine so einfache Wahrheit, daß weitere Ausfüh¬<lb/>
rungen füglich erspart werden können. Aber es kommt noch ein dritter,<lb/>
wichtiger Grund hinzu, weshalb unsre Kaufleute über See gehen sollen. Die<lb/>
Ängstlichkeit unsers Kapitals im Vergleich mit dem englischen ist noch auf¬<lb/>
fallend groß, wenn es sich um überseeische Unternehmungen handelt. Das ist<lb/>
um so mehr zu bedauern, als das deutsche Publikum den exotischen &#x201E;Papieren"<lb/>
gegenüber leider nicht die nötige Scheu zeigt oder wenigstens bis jetzt gezeigt<lb/>
hat. Wenn ein Bankier relativ hochprozentige Anleihen irgend eines Raub-<lb/>
ftaates anbietet, so findet er sein sichres Publikum. Dasselbe Publikum zieht<lb/>
aber die Stirn in bedenkliche Falten und steckt beide Hände in die Taschen,<lb/>
wenn ein deutscher, zuverlässiger Kaufmann Geld zu einem Handelsunternehmen<lb/>
über See erbittet. Das muß sich ändern, wenn die Steigerung unsers Welt¬<lb/>
handels nicht an einen toten Punkt kommen soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1744" next="#ID_1745"> Das Prinzip der in die kleinsten Winkel hinein spähenden Gründlichkeit,<lb/>
der (man gestatte das Wort) &#x201E;Detailistenblick" des deutschen Kaufmanns und<lb/>
Unternehmers sind nicht überall angebracht. Das Geschäft an überseeischen<lb/>
Plätzen bewegt sich meistens in größern, gröbern Linien als bei uns zu Hause.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0428] Brauchen wir Handelshochschulen? Ausdrucks der fremden Nation kennt. Der Spanier wird die knappe Schreib¬ weise des Engländers oft als Grobheit, der Engländer die verzierte Sprache des Spaniers oft als Unoffenheit empfinden, wenn er den Nationalcharakter und dessen äußere Formen nicht an Ort und Stelle kennen gelernt hat. Es kann vorkommen, daß nur die falsche Interpretation stilistischer Eigentümlich¬ keiten folgenschwere Zwistigkeiten entstehen läßt und zum Bruch von Verbin¬ dungen führt. Also schon in diesem Sinne wird es den internationalen Ver¬ kehr erleichtern, wenn unsre jungen Kaufleute fremde Länder kennen lernen. Der Hauptgewinn eines Aufenthalts im Auslande liegt aber, abgesehen von dem technischen Lernen, der Warenkenntnis, in den persönlichen Er¬ fahrungen, die man über die Geschäftsgrundsätze der verschiednen Nationen sammelt. Weit mehr als in der Diplomatie gilt für die kaufmännische Korrespondenz der Satz, daß die Sprache dazu da sei, die Gedanken zu ver¬ bergen, und einen Geschäftsbrief wird man nur dann richtig lesen, wenn man den Schreiber erkennt. Das sichre Gefühl für die Glaubhaftigkeit des Schreibenden und die für einen Kaufmann im höchsten Maße not¬ wendige Menschenkenntnis wollen aber erworben sein, das läßt sich nicht hinterm Ofen lernen. Die Unterscheidung von zuverlässig und unzuverlässig ist schon den eignen Landsleuten gegenüber schwierig; sie ist noch schwerer, wenn es sich um fremde Nationen handelt, und wird fast zur Unmöglichkeit, wenn man diese Nationen nicht in ihrem eignen Hause kennen gelernt hat. Einem Kaufmann, der direkt mit fremden Ländern arbeitet, würde deshalb die erste Voraussetzung für die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges fehlen, wenn er seinen Kunden nicht selbst einmal hinter die Kulissen gesehen hätte, d. h. bei ihnen gewesen wäre. Das ist eine so einfache Wahrheit, daß weitere Ausfüh¬ rungen füglich erspart werden können. Aber es kommt noch ein dritter, wichtiger Grund hinzu, weshalb unsre Kaufleute über See gehen sollen. Die Ängstlichkeit unsers Kapitals im Vergleich mit dem englischen ist noch auf¬ fallend groß, wenn es sich um überseeische Unternehmungen handelt. Das ist um so mehr zu bedauern, als das deutsche Publikum den exotischen „Papieren" gegenüber leider nicht die nötige Scheu zeigt oder wenigstens bis jetzt gezeigt hat. Wenn ein Bankier relativ hochprozentige Anleihen irgend eines Raub- ftaates anbietet, so findet er sein sichres Publikum. Dasselbe Publikum zieht aber die Stirn in bedenkliche Falten und steckt beide Hände in die Taschen, wenn ein deutscher, zuverlässiger Kaufmann Geld zu einem Handelsunternehmen über See erbittet. Das muß sich ändern, wenn die Steigerung unsers Welt¬ handels nicht an einen toten Punkt kommen soll. Das Prinzip der in die kleinsten Winkel hinein spähenden Gründlichkeit, der (man gestatte das Wort) „Detailistenblick" des deutschen Kaufmanns und Unternehmers sind nicht überall angebracht. Das Geschäft an überseeischen Plätzen bewegt sich meistens in größern, gröbern Linien als bei uns zu Hause.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/428
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/428>, abgerufen am 23.07.2024.