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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Aus dem Oberelsaß

Der patriotische Franzose soll bewogen werden, nicht den aussichtsreichen
deutschen Parallelweg, sondern den langweiligen Pfad zu benutzen, der auf
noch französischem Boden zum Hoheneck fortläuft. Die internationale Höflich¬
keit dürfte freilich kaum ganz korrekt beobachtet sein. Wie schaut aber dieser
altlothringisch-französische Grenzstrich aus? Überall deutsche Namen und
elsässer Deutsch bis hinunter nach solltet (DM^I) und Se. Didel (Le. vin).
Eigentlich ist das ävMrtöiriont ass VosZes erst nach dem Kriege wieder ver¬
deutscht worden, und zwar aus Deutschenhaß. Aus Elsaß ziehen alljährlich
Scharen von kräftigen, arbeitslustigen Männern und Frauen über die Grenze,
um sich in Lothringen Stellungen zu suchen. Vom Fabrikdirektor und Guts¬
verwalter bis zum Knecht und zur Kellnerin hinab wimmelt der französische
Vogesenteil von Elsässern. In den Gasthöfen und Wirtschaften wird man
manchmal gleich deutsch angesprochen, wenn man durch das deutsche Reisebuch
als Reichsangehöriger erkannt ist. Dafür hat freilich die französische Verwal¬
tung auch jede Spur der deutschen Ortsnamen Lothringens bis auf wenige
Überbleibsel sorgsam vernichtet oder vielmehr verhüllt. Der Deutschenhaß hat
auch nichts an Kraft seit dem Vergeltungskampf vor einem Menschenalter ein¬
gebüßt, wie ja die oben angeführten Aufschriften deutlich zeigen. Der Rück¬
gang der französischen Bevölkerung begünstigt diese Einwanderung, die im
Hinblick auf eine endgiltige Abrechnung mit Frankreich in territorialer Be¬
ziehung nur unsern Wünschen entspricht. Aber dann dürfen wir auch nicht
vergessen, daß der Frankfurter Frieden nur eine Stufe auf dem Wege der
Wiederherstellung des Reichs gewesen ist. Selbstverständlich werden wir
Deutschen nicht die kriegslustiger Angreifer sein; dafür sorgen schon unsre
Nachbarn, was man gerade in diesen Grenzstrichen am besten beobachten kann.
Die Auffrischung des französischen Blutes durch deutsche Zufuhr an der langen
Grenze von Dünkirchen bis Belfort fördert nur die einstige Grenzbcrichtigung,
wogegen sie im Innern des Landes zu unserm Schaden die geschwächte Lebens¬
fähigkeit Frankreichs mit unsrer eignen Kraft stärkt. Übrigens darf man die
französische Bevölkerung nicht nach dem Seinebabel beurteilen. Auf dem
Lande ist uoch keine Überkultur eingetreten und Frankreichs Gesundheit noch
unvermindert.

Im Oberelsaß tritt in nationaler Beziehung zunächst der Unterschied
zwischen Stadt und Land hervor. Zum Begriff der Stadt gehören auch die
Ortschaften mit starker Industrie, wogegen die Ackerbaustädtchen zum Lande zu
rechnen sind. Der elsässische Nebbauer ist nicht von der Liebäugelei mit dem
Franzoscntum angekränkelt. Das bischen Vornehmthun mit einigen französischen
Brocken hat er gemein mit den Pfälzern und Badenern, die sich auch in der
Redeweise gar zu gern der Tage der deutschen Schmach erinnern, indem sie nach
dem Vorbild des vorigen Jahrhunderts und der napoleonischen Zeit ein paar
französische Worte falsch gebrauchen. Besser kann ja der Elsüsser sein Deutsch-


Aus dem Oberelsaß

Der patriotische Franzose soll bewogen werden, nicht den aussichtsreichen
deutschen Parallelweg, sondern den langweiligen Pfad zu benutzen, der auf
noch französischem Boden zum Hoheneck fortläuft. Die internationale Höflich¬
keit dürfte freilich kaum ganz korrekt beobachtet sein. Wie schaut aber dieser
altlothringisch-französische Grenzstrich aus? Überall deutsche Namen und
elsässer Deutsch bis hinunter nach solltet (DM^I) und Se. Didel (Le. vin).
Eigentlich ist das ävMrtöiriont ass VosZes erst nach dem Kriege wieder ver¬
deutscht worden, und zwar aus Deutschenhaß. Aus Elsaß ziehen alljährlich
Scharen von kräftigen, arbeitslustigen Männern und Frauen über die Grenze,
um sich in Lothringen Stellungen zu suchen. Vom Fabrikdirektor und Guts¬
verwalter bis zum Knecht und zur Kellnerin hinab wimmelt der französische
Vogesenteil von Elsässern. In den Gasthöfen und Wirtschaften wird man
manchmal gleich deutsch angesprochen, wenn man durch das deutsche Reisebuch
als Reichsangehöriger erkannt ist. Dafür hat freilich die französische Verwal¬
tung auch jede Spur der deutschen Ortsnamen Lothringens bis auf wenige
Überbleibsel sorgsam vernichtet oder vielmehr verhüllt. Der Deutschenhaß hat
auch nichts an Kraft seit dem Vergeltungskampf vor einem Menschenalter ein¬
gebüßt, wie ja die oben angeführten Aufschriften deutlich zeigen. Der Rück¬
gang der französischen Bevölkerung begünstigt diese Einwanderung, die im
Hinblick auf eine endgiltige Abrechnung mit Frankreich in territorialer Be¬
ziehung nur unsern Wünschen entspricht. Aber dann dürfen wir auch nicht
vergessen, daß der Frankfurter Frieden nur eine Stufe auf dem Wege der
Wiederherstellung des Reichs gewesen ist. Selbstverständlich werden wir
Deutschen nicht die kriegslustiger Angreifer sein; dafür sorgen schon unsre
Nachbarn, was man gerade in diesen Grenzstrichen am besten beobachten kann.
Die Auffrischung des französischen Blutes durch deutsche Zufuhr an der langen
Grenze von Dünkirchen bis Belfort fördert nur die einstige Grenzbcrichtigung,
wogegen sie im Innern des Landes zu unserm Schaden die geschwächte Lebens¬
fähigkeit Frankreichs mit unsrer eignen Kraft stärkt. Übrigens darf man die
französische Bevölkerung nicht nach dem Seinebabel beurteilen. Auf dem
Lande ist uoch keine Überkultur eingetreten und Frankreichs Gesundheit noch
unvermindert.

Im Oberelsaß tritt in nationaler Beziehung zunächst der Unterschied
zwischen Stadt und Land hervor. Zum Begriff der Stadt gehören auch die
Ortschaften mit starker Industrie, wogegen die Ackerbaustädtchen zum Lande zu
rechnen sind. Der elsässische Nebbauer ist nicht von der Liebäugelei mit dem
Franzoscntum angekränkelt. Das bischen Vornehmthun mit einigen französischen
Brocken hat er gemein mit den Pfälzern und Badenern, die sich auch in der
Redeweise gar zu gern der Tage der deutschen Schmach erinnern, indem sie nach
dem Vorbild des vorigen Jahrhunderts und der napoleonischen Zeit ein paar
französische Worte falsch gebrauchen. Besser kann ja der Elsüsser sein Deutsch-


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[0424] Aus dem Oberelsaß Der patriotische Franzose soll bewogen werden, nicht den aussichtsreichen deutschen Parallelweg, sondern den langweiligen Pfad zu benutzen, der auf noch französischem Boden zum Hoheneck fortläuft. Die internationale Höflich¬ keit dürfte freilich kaum ganz korrekt beobachtet sein. Wie schaut aber dieser altlothringisch-französische Grenzstrich aus? Überall deutsche Namen und elsässer Deutsch bis hinunter nach solltet (DM^I) und Se. Didel (Le. vin). Eigentlich ist das ävMrtöiriont ass VosZes erst nach dem Kriege wieder ver¬ deutscht worden, und zwar aus Deutschenhaß. Aus Elsaß ziehen alljährlich Scharen von kräftigen, arbeitslustigen Männern und Frauen über die Grenze, um sich in Lothringen Stellungen zu suchen. Vom Fabrikdirektor und Guts¬ verwalter bis zum Knecht und zur Kellnerin hinab wimmelt der französische Vogesenteil von Elsässern. In den Gasthöfen und Wirtschaften wird man manchmal gleich deutsch angesprochen, wenn man durch das deutsche Reisebuch als Reichsangehöriger erkannt ist. Dafür hat freilich die französische Verwal¬ tung auch jede Spur der deutschen Ortsnamen Lothringens bis auf wenige Überbleibsel sorgsam vernichtet oder vielmehr verhüllt. Der Deutschenhaß hat auch nichts an Kraft seit dem Vergeltungskampf vor einem Menschenalter ein¬ gebüßt, wie ja die oben angeführten Aufschriften deutlich zeigen. Der Rück¬ gang der französischen Bevölkerung begünstigt diese Einwanderung, die im Hinblick auf eine endgiltige Abrechnung mit Frankreich in territorialer Be¬ ziehung nur unsern Wünschen entspricht. Aber dann dürfen wir auch nicht vergessen, daß der Frankfurter Frieden nur eine Stufe auf dem Wege der Wiederherstellung des Reichs gewesen ist. Selbstverständlich werden wir Deutschen nicht die kriegslustiger Angreifer sein; dafür sorgen schon unsre Nachbarn, was man gerade in diesen Grenzstrichen am besten beobachten kann. Die Auffrischung des französischen Blutes durch deutsche Zufuhr an der langen Grenze von Dünkirchen bis Belfort fördert nur die einstige Grenzbcrichtigung, wogegen sie im Innern des Landes zu unserm Schaden die geschwächte Lebens¬ fähigkeit Frankreichs mit unsrer eignen Kraft stärkt. Übrigens darf man die französische Bevölkerung nicht nach dem Seinebabel beurteilen. Auf dem Lande ist uoch keine Überkultur eingetreten und Frankreichs Gesundheit noch unvermindert. Im Oberelsaß tritt in nationaler Beziehung zunächst der Unterschied zwischen Stadt und Land hervor. Zum Begriff der Stadt gehören auch die Ortschaften mit starker Industrie, wogegen die Ackerbaustädtchen zum Lande zu rechnen sind. Der elsässische Nebbauer ist nicht von der Liebäugelei mit dem Franzoscntum angekränkelt. Das bischen Vornehmthun mit einigen französischen Brocken hat er gemein mit den Pfälzern und Badenern, die sich auch in der Redeweise gar zu gern der Tage der deutschen Schmach erinnern, indem sie nach dem Vorbild des vorigen Jahrhunderts und der napoleonischen Zeit ein paar französische Worte falsch gebrauchen. Besser kann ja der Elsüsser sein Deutsch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/424>, abgerufen am 23.07.2024.