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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Aus dem Gberelsaß

schaft ihre Pflicht erfüllt hat, und ob sich die einheimische Bevölkerung ihres
alemannischen Blutes wieder bewußt geworden ist.

Das Oberelsaß ist trotz der frühern Besetzung der österreichischen Land¬
grafschaft im Dreißigjährigen Kriege thatsächlich erst nach der großen Revolution
in eine französische Provinz verwandelt worden, da die französischen Landvögte
im unmittelbaren Herrschaftsbereich des französischen Königs in althergebrachter
Weise, d. h. deutsch regierten; jedenfalls war die ganze Verwaltungseinrichtung
deutsch, und gerade der Oberelsüsser hing ausgesprochnermaßen an seinem an¬
gestammten Volkstum, was öfters den königlichen Zorn erregte. Aber schon
die Nachbarschaft der reichsständischen Gebiete unter französischer Oberhoheit
verhinderte die in Paris gewünschte Verwischung. Außerdem widerstrebte der
Freiheitsdrang der ehemaligen Reichsstädte und Dörfer dem französischen Ab¬
solutismus. Die trügerische Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit der franzö¬
sischen Revolution, die sich bald als plumpe Lockmittel der Unterdrücker er¬
wiesen, täuschten die harmlosen Nebbauern des Gebirges und der Rheinebne,
deren Begehrlichkeit sie zugleich weckten, da der Zusammenbruch des Feudal¬
systems sie nicht nur von thatsächlichen Lasten befreite, sondern ihnen auch
billigen Landzuwachs brachte. Der napoleonische Kriegsruhm fand vollends
begeisterten Wiederhall bei den tapfern Alemannen jenseits des Rheinstroms.
Im übrigen Süddeutschland war jn die Stimmung auch nicht anders, obschon
es nicht in französischer Gewalt war. Jetzt war der Bann gebrochen, der das
Oberelsaß von der Fremdherrschaft geschieden hatte. Aber erst Napoleon III.
vollendete geschickt das Werk der Angliedrung, indem er den gemeinen Erwerbs¬
sinn der Unternehmer stachelte. Wirtschaftlich hat sich dieser zweite Bonaparte
ein wirkliches Verdienst um das Oberelsaß erworben. Das Gebirgslcind ge¬
währte der dichten Bevölkerung nur eine magere Arbeitsgelegenheit. Die Vor¬
berge dienten zwar als Reblaub und zu Anlagen für Edelkastanien und zu
Eichenschälwaldungen, aber sie konnten nur wenig Besitzer ernähren. Während
der Kontinentalsperre hatte sich freilich schon eine schwache Industrie in den
Gebirgsthälern festgesetzt; aber erst Napoleon III- brachte diese Anfänge zur
Blüte, indem der Staat namhafte Beträge für die Landesmelioration gerade
dieses Landstrichs auswarf. Kanäle und die Regulierung der Gebirgswüsser,
Vorteile und Nachlasse in den Steuern, sowie Exportprämien hoben den ober-
elsässischen Gewerbfleiß zum ausgesprochnen Zwecke, durch den Geldbeutel auch
die Herzen zu gewinnen. Warum sollten auch die Fabrikanten nicht ihrem
Wohlthäter dankbar sein, dessen Fürsorge auch das Los der Arbeiter verbesserte
und die Unternehmer zu einer großartigen Arbeiterwohlfahrtspflege anregte.
Als der bonapartistische Traum auf den Schlachtfeldern Sedans verflog, hatte
das Franzosentum durch den gestürzten Kaiser ans deutscher Erde eine Zufluchts¬
stätte gefunden. Die vaterlandslose Fremdenliebe dieser emporgekoinmnen
Baumwollspinner überdauerte den Untergang des Kaiserreichs und besteht noch


Aus dem Gberelsaß

schaft ihre Pflicht erfüllt hat, und ob sich die einheimische Bevölkerung ihres
alemannischen Blutes wieder bewußt geworden ist.

Das Oberelsaß ist trotz der frühern Besetzung der österreichischen Land¬
grafschaft im Dreißigjährigen Kriege thatsächlich erst nach der großen Revolution
in eine französische Provinz verwandelt worden, da die französischen Landvögte
im unmittelbaren Herrschaftsbereich des französischen Königs in althergebrachter
Weise, d. h. deutsch regierten; jedenfalls war die ganze Verwaltungseinrichtung
deutsch, und gerade der Oberelsüsser hing ausgesprochnermaßen an seinem an¬
gestammten Volkstum, was öfters den königlichen Zorn erregte. Aber schon
die Nachbarschaft der reichsständischen Gebiete unter französischer Oberhoheit
verhinderte die in Paris gewünschte Verwischung. Außerdem widerstrebte der
Freiheitsdrang der ehemaligen Reichsstädte und Dörfer dem französischen Ab¬
solutismus. Die trügerische Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit der franzö¬
sischen Revolution, die sich bald als plumpe Lockmittel der Unterdrücker er¬
wiesen, täuschten die harmlosen Nebbauern des Gebirges und der Rheinebne,
deren Begehrlichkeit sie zugleich weckten, da der Zusammenbruch des Feudal¬
systems sie nicht nur von thatsächlichen Lasten befreite, sondern ihnen auch
billigen Landzuwachs brachte. Der napoleonische Kriegsruhm fand vollends
begeisterten Wiederhall bei den tapfern Alemannen jenseits des Rheinstroms.
Im übrigen Süddeutschland war jn die Stimmung auch nicht anders, obschon
es nicht in französischer Gewalt war. Jetzt war der Bann gebrochen, der das
Oberelsaß von der Fremdherrschaft geschieden hatte. Aber erst Napoleon III.
vollendete geschickt das Werk der Angliedrung, indem er den gemeinen Erwerbs¬
sinn der Unternehmer stachelte. Wirtschaftlich hat sich dieser zweite Bonaparte
ein wirkliches Verdienst um das Oberelsaß erworben. Das Gebirgslcind ge¬
währte der dichten Bevölkerung nur eine magere Arbeitsgelegenheit. Die Vor¬
berge dienten zwar als Reblaub und zu Anlagen für Edelkastanien und zu
Eichenschälwaldungen, aber sie konnten nur wenig Besitzer ernähren. Während
der Kontinentalsperre hatte sich freilich schon eine schwache Industrie in den
Gebirgsthälern festgesetzt; aber erst Napoleon III- brachte diese Anfänge zur
Blüte, indem der Staat namhafte Beträge für die Landesmelioration gerade
dieses Landstrichs auswarf. Kanäle und die Regulierung der Gebirgswüsser,
Vorteile und Nachlasse in den Steuern, sowie Exportprämien hoben den ober-
elsässischen Gewerbfleiß zum ausgesprochnen Zwecke, durch den Geldbeutel auch
die Herzen zu gewinnen. Warum sollten auch die Fabrikanten nicht ihrem
Wohlthäter dankbar sein, dessen Fürsorge auch das Los der Arbeiter verbesserte
und die Unternehmer zu einer großartigen Arbeiterwohlfahrtspflege anregte.
Als der bonapartistische Traum auf den Schlachtfeldern Sedans verflog, hatte
das Franzosentum durch den gestürzten Kaiser ans deutscher Erde eine Zufluchts¬
stätte gefunden. Die vaterlandslose Fremdenliebe dieser emporgekoinmnen
Baumwollspinner überdauerte den Untergang des Kaiserreichs und besteht noch


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[0421] Aus dem Gberelsaß schaft ihre Pflicht erfüllt hat, und ob sich die einheimische Bevölkerung ihres alemannischen Blutes wieder bewußt geworden ist. Das Oberelsaß ist trotz der frühern Besetzung der österreichischen Land¬ grafschaft im Dreißigjährigen Kriege thatsächlich erst nach der großen Revolution in eine französische Provinz verwandelt worden, da die französischen Landvögte im unmittelbaren Herrschaftsbereich des französischen Königs in althergebrachter Weise, d. h. deutsch regierten; jedenfalls war die ganze Verwaltungseinrichtung deutsch, und gerade der Oberelsüsser hing ausgesprochnermaßen an seinem an¬ gestammten Volkstum, was öfters den königlichen Zorn erregte. Aber schon die Nachbarschaft der reichsständischen Gebiete unter französischer Oberhoheit verhinderte die in Paris gewünschte Verwischung. Außerdem widerstrebte der Freiheitsdrang der ehemaligen Reichsstädte und Dörfer dem französischen Ab¬ solutismus. Die trügerische Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit der franzö¬ sischen Revolution, die sich bald als plumpe Lockmittel der Unterdrücker er¬ wiesen, täuschten die harmlosen Nebbauern des Gebirges und der Rheinebne, deren Begehrlichkeit sie zugleich weckten, da der Zusammenbruch des Feudal¬ systems sie nicht nur von thatsächlichen Lasten befreite, sondern ihnen auch billigen Landzuwachs brachte. Der napoleonische Kriegsruhm fand vollends begeisterten Wiederhall bei den tapfern Alemannen jenseits des Rheinstroms. Im übrigen Süddeutschland war jn die Stimmung auch nicht anders, obschon es nicht in französischer Gewalt war. Jetzt war der Bann gebrochen, der das Oberelsaß von der Fremdherrschaft geschieden hatte. Aber erst Napoleon III. vollendete geschickt das Werk der Angliedrung, indem er den gemeinen Erwerbs¬ sinn der Unternehmer stachelte. Wirtschaftlich hat sich dieser zweite Bonaparte ein wirkliches Verdienst um das Oberelsaß erworben. Das Gebirgslcind ge¬ währte der dichten Bevölkerung nur eine magere Arbeitsgelegenheit. Die Vor¬ berge dienten zwar als Reblaub und zu Anlagen für Edelkastanien und zu Eichenschälwaldungen, aber sie konnten nur wenig Besitzer ernähren. Während der Kontinentalsperre hatte sich freilich schon eine schwache Industrie in den Gebirgsthälern festgesetzt; aber erst Napoleon III- brachte diese Anfänge zur Blüte, indem der Staat namhafte Beträge für die Landesmelioration gerade dieses Landstrichs auswarf. Kanäle und die Regulierung der Gebirgswüsser, Vorteile und Nachlasse in den Steuern, sowie Exportprämien hoben den ober- elsässischen Gewerbfleiß zum ausgesprochnen Zwecke, durch den Geldbeutel auch die Herzen zu gewinnen. Warum sollten auch die Fabrikanten nicht ihrem Wohlthäter dankbar sein, dessen Fürsorge auch das Los der Arbeiter verbesserte und die Unternehmer zu einer großartigen Arbeiterwohlfahrtspflege anregte. Als der bonapartistische Traum auf den Schlachtfeldern Sedans verflog, hatte das Franzosentum durch den gestürzten Kaiser ans deutscher Erde eine Zufluchts¬ stätte gefunden. Die vaterlandslose Fremdenliebe dieser emporgekoinmnen Baumwollspinner überdauerte den Untergang des Kaiserreichs und besteht noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/421>, abgerufen am 23.07.2024.