Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.Bedarf Deutschland einer Vergrößerung seines kolonialen Besitzstandes? Diese schon jetzt zwischen Deutschland und den Niederlanden bestehende Die wirtschaftliche Entwicklung der Völker rollt Fragen auf, die für das Bedarf Deutschland einer Vergrößerung seines kolonialen Besitzstandes? Diese schon jetzt zwischen Deutschland und den Niederlanden bestehende Die wirtschaftliche Entwicklung der Völker rollt Fragen auf, die für das <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0419" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230105"/> <fw type="header" place="top"> Bedarf Deutschland einer Vergrößerung seines kolonialen Besitzstandes?</fw><lb/> <p xml:id="ID_1724"> Diese schon jetzt zwischen Deutschland und den Niederlanden bestehende<lb/> enge Handelsverbindung wird, wenn die großen, nach außen abgeschlossenen<lb/> Wirtschaftseinheiten geschaffen werden sollten, eine Lebensfrage für Holland,<lb/> um so mehr, als es dann — arm an Flächeninhalt und Bevölkerungszahl —<lb/> nicht bloß in seinem europäischen, sondern auch in seinem kolonialen Besitz¬<lb/> stände gefährdet werden dürfte. Wenn aber das Stamm- und glaubensvcrwandte<lb/> Deutsche Reich mit seiner starken Volkskraft, mit seinen militärischen und mari¬<lb/> timen Machtmitteln ergänzend und schützend ihm zur Seite tritt, werden beide<lb/> zusammengenommen den andern Weltreichen gegenüber eine gleichstarke poli¬<lb/> tische und wirtschaftliche Einheit darstellen, die zugleich die niederländische<lb/> Freiheit am besten zu schützen geeignet wäre. Denn es würde sich ja bei einer<lb/> Vereinigung Hollands mit Deutschland nicht um eine volksvernichtende An¬<lb/> nexion, sondern lediglich um eine frei vereinbarte völkerrechtliche Verbindung<lb/> handeln, die die Selbständigkeit, die Eigenart und Freiheit eines jeden Teils<lb/> unangetastet lassen würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1725"> Die wirtschaftliche Entwicklung der Völker rollt Fragen auf, die für das<lb/> Sein oder Nichtsein der einzelnen Völker von entscheidender Bedeutung sein<lb/> werde». Es erscheint als eine wichtige Pflicht, das im alltäglichen Hasten<lb/> und Drängen nach Unterhalt und Erwerb befangne Volk von Zeit zu Zeit<lb/> auf die großen, das Staatsinteresse berührenden Fragen der Zukunft hinzu¬<lb/> weisen. Deutschlands Entwicklung ist, so hoffen wir, noch nicht abgeschlossen.<lb/> Es gilt nur, Deutschland in die richtigen Bahnen zu lenken. Ausschließlich<lb/> Festlandspolitik treiben bedeutet in Zukunft Erstarrung, Rückschritt, Vernichtung.<lb/> Das Welttheater liegt nicht bloß auf dem europäischen Kontinente, sondern<lb/> auf dem Meere und jenseits des Meeres. Es ist Zeit, unsern Blick zu<lb/> weiten und für das, was not thut in Gegenwart und Zukunft, zu schärfen.<lb/> Der Besitz von Kolonien wird künftig für die Machtstellung Deutschlands<lb/> ausschlaggebend sein. Ich schließe mit Heinrich von Treitschkes drastischen<lb/> Worten: „Bei der Verteilung der nichteurvpäischen Welt unter die europäischen<lb/> Mächte ist Dentschland bisher immer zu kurz gekommen, und es handelt sich<lb/> doch um unser Dasein als Großstaat bei der Frage, ob wir auch jenseits der<lb/> Meere eine Macht werden können. Sonst eröffnet sich die gräßliche Aussicht,<lb/> daß England und Rußland sich in die Welt teilen; und da weiß man wirklich<lb/> nicht, was unsittlicher und entsetzlicher wäre: die russische Kunde oder der<lb/><note type="byline"> Viktor Albert Schroeder</note> englische Geldbeutel." </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0419]
Bedarf Deutschland einer Vergrößerung seines kolonialen Besitzstandes?
Diese schon jetzt zwischen Deutschland und den Niederlanden bestehende
enge Handelsverbindung wird, wenn die großen, nach außen abgeschlossenen
Wirtschaftseinheiten geschaffen werden sollten, eine Lebensfrage für Holland,
um so mehr, als es dann — arm an Flächeninhalt und Bevölkerungszahl —
nicht bloß in seinem europäischen, sondern auch in seinem kolonialen Besitz¬
stände gefährdet werden dürfte. Wenn aber das Stamm- und glaubensvcrwandte
Deutsche Reich mit seiner starken Volkskraft, mit seinen militärischen und mari¬
timen Machtmitteln ergänzend und schützend ihm zur Seite tritt, werden beide
zusammengenommen den andern Weltreichen gegenüber eine gleichstarke poli¬
tische und wirtschaftliche Einheit darstellen, die zugleich die niederländische
Freiheit am besten zu schützen geeignet wäre. Denn es würde sich ja bei einer
Vereinigung Hollands mit Deutschland nicht um eine volksvernichtende An¬
nexion, sondern lediglich um eine frei vereinbarte völkerrechtliche Verbindung
handeln, die die Selbständigkeit, die Eigenart und Freiheit eines jeden Teils
unangetastet lassen würde.
Die wirtschaftliche Entwicklung der Völker rollt Fragen auf, die für das
Sein oder Nichtsein der einzelnen Völker von entscheidender Bedeutung sein
werde». Es erscheint als eine wichtige Pflicht, das im alltäglichen Hasten
und Drängen nach Unterhalt und Erwerb befangne Volk von Zeit zu Zeit
auf die großen, das Staatsinteresse berührenden Fragen der Zukunft hinzu¬
weisen. Deutschlands Entwicklung ist, so hoffen wir, noch nicht abgeschlossen.
Es gilt nur, Deutschland in die richtigen Bahnen zu lenken. Ausschließlich
Festlandspolitik treiben bedeutet in Zukunft Erstarrung, Rückschritt, Vernichtung.
Das Welttheater liegt nicht bloß auf dem europäischen Kontinente, sondern
auf dem Meere und jenseits des Meeres. Es ist Zeit, unsern Blick zu
weiten und für das, was not thut in Gegenwart und Zukunft, zu schärfen.
Der Besitz von Kolonien wird künftig für die Machtstellung Deutschlands
ausschlaggebend sein. Ich schließe mit Heinrich von Treitschkes drastischen
Worten: „Bei der Verteilung der nichteurvpäischen Welt unter die europäischen
Mächte ist Dentschland bisher immer zu kurz gekommen, und es handelt sich
doch um unser Dasein als Großstaat bei der Frage, ob wir auch jenseits der
Meere eine Macht werden können. Sonst eröffnet sich die gräßliche Aussicht,
daß England und Rußland sich in die Welt teilen; und da weiß man wirklich
nicht, was unsittlicher und entsetzlicher wäre: die russische Kunde oder der
Viktor Albert Schroeder englische Geldbeutel."
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