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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Bedarf Deutschland einer Vergrößerung seines kolonialen Besitzstandes?

wirtschaftlicher und industrieller Rohstoffe zu erwerben, die nicht durch fremde
Willkür verschlossen werden können, sondern Deutschland die wirtschaftliche
Unabhängigkeit vom Auslande verbürgen.

In der Erwerbung von Kiautschou hat Deutschland nach dieser Richtung
hin einen Anfang gemacht. Aber der Anfang ist klein. Die Zukunft verlangt
mehr. Man wird fragen, wo in aller Welt Deutschland jetzt noch geeignete
koloniale Erwerbungen machen solle, da der Erdball aufgeteilt sei. Die Welt
war schon mehrmals verteilt. Und doch hat die energische Politik thatkräftiger
Völker die Teilung zu ändern gewußt. Auch Deutschland wird vor der Durch¬
führung solcher energischen Politik nicht zurückschrecken dürfen, da es sich hier
um eine Macht- und Lebensfrage handelt. "Für seine Macht zu sorgen ist
die höchste sittliche Pflicht des Staates." sagt Treitschke. Nicht ist damit
gemeint, blinde Eroberungspolitik zu treiben, aber die Existenz des Staates
zu sichern, ihm für die Zukunft die Möglichkeit zu gewähren, den anwachsenden
übermächtigen Reichen gegenüber sich selbständig zu behaupten. Während
Rußland in Asien immer mehr nach Süden drängt und sein begehrliches
Auge auf Persien gerichtet hält, während England nach Vorderasien, Syrien
und Mesopotamien blickt und auf afrikanischen Boden nach dem Sudan und
der Delagoabcii trachtet, während die Vereinigten Staaten von Nordamerika
die Hand nach Landgebieten ausstrecken, die ihnen die notwendigen Tropen¬
produkte zu liefern imstande sind, kann Deutschland nicht mit verschränkten
Armen auf dem Festlande stehen bleiben. Noch ist Afrika nicht ganz aufgeteilt.
Im Nordwesten zwischen Algier, der Sahara und dem Atlantischen Ozean
dehnt sich das bis jetzt noch unabhängige Sultanat Marokko aus. Der west¬
liche Teil zwischen dem Atlasgebirge und dem Atlantischen Ozean letwa
200000 Quadratkilometer umfassend) ist zur Ansiedlung von Europäern wie
geschaffen. Das Klima ist beständig und milde. Die durchschnittliche Jahres¬
temperatur beträgt z. V. in Mogador 19^ Grad. Es ist die Zone immer¬
grüner Gehölze. Der Boden ist fruchtbares Ackerland. Weizen, Mais, Gerste
wird angebaut. Südfrüchte, wie Datteln, Bananen, Feigen, Orangen und
Zitronen werden geerntet. Vortreffliches Weideland fordert zur Viehzucht auf.
Was könnte deutscher Fleiß und deutsche Ausdauer aus diesem Lande machen!
Von den Eingebornen wird Ackerbau und Viehzucht gegenwärtig nur lässig
betrieben. Der Mineralreichtnm des Landes bleibt fast gänzlich unausgenutzt,
da der Bergbau den Eingebornen verboten ist. Silber, Gold, Kupfererze,
Eisen, Blei, Bergkrhstall und Amethyst. Schwefel und Salpeter finden sich in
den Bergen. An dem Handel mit Marokko nehmen bis jetzt hauptsächlich
England und Frankreich teil. Erst an dritter Stelle erscheint Deutschland.
Während aber der englische und der französische Handel mit Marokko seit dem
Anfang der neunziger Jahre schnell abgenommen haben, ist der deutsche Handel
langsam gestiegen. Es betrug in Millionen Mark der Handel Marokkos


Grenzboten I 1899 W
Bedarf Deutschland einer Vergrößerung seines kolonialen Besitzstandes?

wirtschaftlicher und industrieller Rohstoffe zu erwerben, die nicht durch fremde
Willkür verschlossen werden können, sondern Deutschland die wirtschaftliche
Unabhängigkeit vom Auslande verbürgen.

In der Erwerbung von Kiautschou hat Deutschland nach dieser Richtung
hin einen Anfang gemacht. Aber der Anfang ist klein. Die Zukunft verlangt
mehr. Man wird fragen, wo in aller Welt Deutschland jetzt noch geeignete
koloniale Erwerbungen machen solle, da der Erdball aufgeteilt sei. Die Welt
war schon mehrmals verteilt. Und doch hat die energische Politik thatkräftiger
Völker die Teilung zu ändern gewußt. Auch Deutschland wird vor der Durch¬
führung solcher energischen Politik nicht zurückschrecken dürfen, da es sich hier
um eine Macht- und Lebensfrage handelt. „Für seine Macht zu sorgen ist
die höchste sittliche Pflicht des Staates." sagt Treitschke. Nicht ist damit
gemeint, blinde Eroberungspolitik zu treiben, aber die Existenz des Staates
zu sichern, ihm für die Zukunft die Möglichkeit zu gewähren, den anwachsenden
übermächtigen Reichen gegenüber sich selbständig zu behaupten. Während
Rußland in Asien immer mehr nach Süden drängt und sein begehrliches
Auge auf Persien gerichtet hält, während England nach Vorderasien, Syrien
und Mesopotamien blickt und auf afrikanischen Boden nach dem Sudan und
der Delagoabcii trachtet, während die Vereinigten Staaten von Nordamerika
die Hand nach Landgebieten ausstrecken, die ihnen die notwendigen Tropen¬
produkte zu liefern imstande sind, kann Deutschland nicht mit verschränkten
Armen auf dem Festlande stehen bleiben. Noch ist Afrika nicht ganz aufgeteilt.
Im Nordwesten zwischen Algier, der Sahara und dem Atlantischen Ozean
dehnt sich das bis jetzt noch unabhängige Sultanat Marokko aus. Der west¬
liche Teil zwischen dem Atlasgebirge und dem Atlantischen Ozean letwa
200000 Quadratkilometer umfassend) ist zur Ansiedlung von Europäern wie
geschaffen. Das Klima ist beständig und milde. Die durchschnittliche Jahres¬
temperatur beträgt z. V. in Mogador 19^ Grad. Es ist die Zone immer¬
grüner Gehölze. Der Boden ist fruchtbares Ackerland. Weizen, Mais, Gerste
wird angebaut. Südfrüchte, wie Datteln, Bananen, Feigen, Orangen und
Zitronen werden geerntet. Vortreffliches Weideland fordert zur Viehzucht auf.
Was könnte deutscher Fleiß und deutsche Ausdauer aus diesem Lande machen!
Von den Eingebornen wird Ackerbau und Viehzucht gegenwärtig nur lässig
betrieben. Der Mineralreichtnm des Landes bleibt fast gänzlich unausgenutzt,
da der Bergbau den Eingebornen verboten ist. Silber, Gold, Kupfererze,
Eisen, Blei, Bergkrhstall und Amethyst. Schwefel und Salpeter finden sich in
den Bergen. An dem Handel mit Marokko nehmen bis jetzt hauptsächlich
England und Frankreich teil. Erst an dritter Stelle erscheint Deutschland.
Während aber der englische und der französische Handel mit Marokko seit dem
Anfang der neunziger Jahre schnell abgenommen haben, ist der deutsche Handel
langsam gestiegen. Es betrug in Millionen Mark der Handel Marokkos


Grenzboten I 1899 W
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[0417] Bedarf Deutschland einer Vergrößerung seines kolonialen Besitzstandes? wirtschaftlicher und industrieller Rohstoffe zu erwerben, die nicht durch fremde Willkür verschlossen werden können, sondern Deutschland die wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Auslande verbürgen. In der Erwerbung von Kiautschou hat Deutschland nach dieser Richtung hin einen Anfang gemacht. Aber der Anfang ist klein. Die Zukunft verlangt mehr. Man wird fragen, wo in aller Welt Deutschland jetzt noch geeignete koloniale Erwerbungen machen solle, da der Erdball aufgeteilt sei. Die Welt war schon mehrmals verteilt. Und doch hat die energische Politik thatkräftiger Völker die Teilung zu ändern gewußt. Auch Deutschland wird vor der Durch¬ führung solcher energischen Politik nicht zurückschrecken dürfen, da es sich hier um eine Macht- und Lebensfrage handelt. „Für seine Macht zu sorgen ist die höchste sittliche Pflicht des Staates." sagt Treitschke. Nicht ist damit gemeint, blinde Eroberungspolitik zu treiben, aber die Existenz des Staates zu sichern, ihm für die Zukunft die Möglichkeit zu gewähren, den anwachsenden übermächtigen Reichen gegenüber sich selbständig zu behaupten. Während Rußland in Asien immer mehr nach Süden drängt und sein begehrliches Auge auf Persien gerichtet hält, während England nach Vorderasien, Syrien und Mesopotamien blickt und auf afrikanischen Boden nach dem Sudan und der Delagoabcii trachtet, während die Vereinigten Staaten von Nordamerika die Hand nach Landgebieten ausstrecken, die ihnen die notwendigen Tropen¬ produkte zu liefern imstande sind, kann Deutschland nicht mit verschränkten Armen auf dem Festlande stehen bleiben. Noch ist Afrika nicht ganz aufgeteilt. Im Nordwesten zwischen Algier, der Sahara und dem Atlantischen Ozean dehnt sich das bis jetzt noch unabhängige Sultanat Marokko aus. Der west¬ liche Teil zwischen dem Atlasgebirge und dem Atlantischen Ozean letwa 200000 Quadratkilometer umfassend) ist zur Ansiedlung von Europäern wie geschaffen. Das Klima ist beständig und milde. Die durchschnittliche Jahres¬ temperatur beträgt z. V. in Mogador 19^ Grad. Es ist die Zone immer¬ grüner Gehölze. Der Boden ist fruchtbares Ackerland. Weizen, Mais, Gerste wird angebaut. Südfrüchte, wie Datteln, Bananen, Feigen, Orangen und Zitronen werden geerntet. Vortreffliches Weideland fordert zur Viehzucht auf. Was könnte deutscher Fleiß und deutsche Ausdauer aus diesem Lande machen! Von den Eingebornen wird Ackerbau und Viehzucht gegenwärtig nur lässig betrieben. Der Mineralreichtnm des Landes bleibt fast gänzlich unausgenutzt, da der Bergbau den Eingebornen verboten ist. Silber, Gold, Kupfererze, Eisen, Blei, Bergkrhstall und Amethyst. Schwefel und Salpeter finden sich in den Bergen. An dem Handel mit Marokko nehmen bis jetzt hauptsächlich England und Frankreich teil. Erst an dritter Stelle erscheint Deutschland. Während aber der englische und der französische Handel mit Marokko seit dem Anfang der neunziger Jahre schnell abgenommen haben, ist der deutsche Handel langsam gestiegen. Es betrug in Millionen Mark der Handel Marokkos Grenzboten I 1899 W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/417>, abgerufen am 23.07.2024.