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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Bedarf Deutschland einer Vergrößerung seines kolonialen Besitzstandes?

liehen Erzeugnissen finden. England geht aber noch weiter. Es sucht Fühlung
mit den Vereinigten Staaten Nordamerikas zu gewinnen, um ein freundschaft¬
liches Verhältnis anzubahnen und gegebnenfalls ein Bündnis abzuschließen.
"Staatsmänner wie Lord Nosebery, Parlamentarier wie Bright, hervorragende
politische Schriftsteller wie W. T. Stead haben in England diesem Gedanken
ihre Neigung zugewendet" (Peez). Und man findet in Amerika schon Gegen¬
liebe. Der bedeutende amerikanische Industrielle Carnegie schreibt: "So gewiß
die Sonne einst auf ein einheitliches England-Amerika schien, so gewiß wird
sie einst auf ein wiedervereinigtes ihre Strahlen herabsenden." Und ein andrer
Amerikaner, Mr. Procter, erklärt: "Zwischen England und den Vereinigten
Staaten besteht eine zunehmende Gemeinschaft von Interessen in Verkehr und
gesellschaftlichen Beziehungen. Ist nun die Erwartung unvernünftig, daß diese
Interessen zu einer Vereinigung aller englisch redenden Völker führen, die der
Welt Friede und Wohlstand bringen wird? Während das europäische Fest¬
land ein Feldlager ist, und Millionen Männer in der Blüte ihres Alters der
schaffenden Arbeit entzogen werden, um gegen eingebildete Übel zu schützen
oder um kleine und fragwürdige Vorteile zu erhaschen, und während die
wirkenden Kräfte der Völker durch Bevormundung aller Art niedergehalten
werden, mögen die angelsächsischen Stämme, wenn sie sich einmal vereinigen,
in eine Zeit von beispiellosem Wohlbefinden eintreten -- sie, die die schönsten
und ergiebigsten Länder besitzen, die Meere beherrschen . . . und über die
kürzesten Heerstraßen des Welthandels verfügen." Bezeichnend sind auch die
Worte Lord Ncindolph Churchills: "In zukünftigen Ereignissen, bei denen
möglicherweise einige europäische Mächte vernichtet werden, sollte England in
den Vereinigten Staaten seinen besten und zuverlässigsten Bundesgenossen
finden."

Wenn auch, bevor der Gedanke eines Greater und Greatest Britain Wirk¬
lichkeit werden sollte, noch mancher Tropfen ins Weltmeer fließen mag -- die
Thatsache liegt doch vor, daß die Bestrebungen, große selbständige Wirtschafts¬
einheiten zu schaffen, vorhanden find, und die Wahrscheinlichkeit, diese Pläne
in irgend einer Form zu verwirklichen, ist nicht ausgeschlossen. Es ist also
eine aus den Zeichen der Zeit, die die zukünftige geschichtliche Entwicklung an¬
deuten, abgeleitete Forderung, für die räumliche Ausdehnung und somit die
wirtschaftliche Sicherung des eignen Staates zu sorgen. Kurz und charakte¬
ristisch ist das Wort des russischen Admirals Baranow: "Der Raum ist die
Zukunft." Will Deutschland nicht seine führende Stellung im Rate der Völker
verlieren, so muß es sich auch seinen Anteil am Raum sichern. Seine Mission
auf dem Festlande: die Einigung der deutschen Stämme, ist erfüllt. Jetzt
gilt es, draußen in der Welt für deutschen Gcwerbefleiß, deutsche Sprache und
deutsche Art festen Boden zu gewinnen, Absatzgebiete für Deutschlands in¬
dustrielle Überproduktion zu schaffen und Quellgebiete zur Gewinnung land-


Bedarf Deutschland einer Vergrößerung seines kolonialen Besitzstandes?

liehen Erzeugnissen finden. England geht aber noch weiter. Es sucht Fühlung
mit den Vereinigten Staaten Nordamerikas zu gewinnen, um ein freundschaft¬
liches Verhältnis anzubahnen und gegebnenfalls ein Bündnis abzuschließen.
„Staatsmänner wie Lord Nosebery, Parlamentarier wie Bright, hervorragende
politische Schriftsteller wie W. T. Stead haben in England diesem Gedanken
ihre Neigung zugewendet" (Peez). Und man findet in Amerika schon Gegen¬
liebe. Der bedeutende amerikanische Industrielle Carnegie schreibt: „So gewiß
die Sonne einst auf ein einheitliches England-Amerika schien, so gewiß wird
sie einst auf ein wiedervereinigtes ihre Strahlen herabsenden." Und ein andrer
Amerikaner, Mr. Procter, erklärt: „Zwischen England und den Vereinigten
Staaten besteht eine zunehmende Gemeinschaft von Interessen in Verkehr und
gesellschaftlichen Beziehungen. Ist nun die Erwartung unvernünftig, daß diese
Interessen zu einer Vereinigung aller englisch redenden Völker führen, die der
Welt Friede und Wohlstand bringen wird? Während das europäische Fest¬
land ein Feldlager ist, und Millionen Männer in der Blüte ihres Alters der
schaffenden Arbeit entzogen werden, um gegen eingebildete Übel zu schützen
oder um kleine und fragwürdige Vorteile zu erhaschen, und während die
wirkenden Kräfte der Völker durch Bevormundung aller Art niedergehalten
werden, mögen die angelsächsischen Stämme, wenn sie sich einmal vereinigen,
in eine Zeit von beispiellosem Wohlbefinden eintreten — sie, die die schönsten
und ergiebigsten Länder besitzen, die Meere beherrschen . . . und über die
kürzesten Heerstraßen des Welthandels verfügen." Bezeichnend sind auch die
Worte Lord Ncindolph Churchills: „In zukünftigen Ereignissen, bei denen
möglicherweise einige europäische Mächte vernichtet werden, sollte England in
den Vereinigten Staaten seinen besten und zuverlässigsten Bundesgenossen
finden."

Wenn auch, bevor der Gedanke eines Greater und Greatest Britain Wirk¬
lichkeit werden sollte, noch mancher Tropfen ins Weltmeer fließen mag — die
Thatsache liegt doch vor, daß die Bestrebungen, große selbständige Wirtschafts¬
einheiten zu schaffen, vorhanden find, und die Wahrscheinlichkeit, diese Pläne
in irgend einer Form zu verwirklichen, ist nicht ausgeschlossen. Es ist also
eine aus den Zeichen der Zeit, die die zukünftige geschichtliche Entwicklung an¬
deuten, abgeleitete Forderung, für die räumliche Ausdehnung und somit die
wirtschaftliche Sicherung des eignen Staates zu sorgen. Kurz und charakte¬
ristisch ist das Wort des russischen Admirals Baranow: „Der Raum ist die
Zukunft." Will Deutschland nicht seine führende Stellung im Rate der Völker
verlieren, so muß es sich auch seinen Anteil am Raum sichern. Seine Mission
auf dem Festlande: die Einigung der deutschen Stämme, ist erfüllt. Jetzt
gilt es, draußen in der Welt für deutschen Gcwerbefleiß, deutsche Sprache und
deutsche Art festen Boden zu gewinnen, Absatzgebiete für Deutschlands in¬
dustrielle Überproduktion zu schaffen und Quellgebiete zur Gewinnung land-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/416>, abgerufen am 23.07.2024.