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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Poesie und Erziehung

hierbei ist, glauben wir in Vorstehendem nachgewiesen zu haben. Einschrän¬
kung des Einflusses der Ulemas und des großherrlichen Serails scheinen in
erster Linie notwendig; nach dem Urteil von guten Beobachtern ist die Poly¬
gamie in der Türkei nur noch ein geduldeter Mißbrauch und im Verschwinden.
Der Prophet sagt: "Der ist zu loben, der nur ein Weib heiratet." Nur auf
diesem Wege ist eine Versöhnung der nationalen und religiösen Gegensätze in
der Türkei zu hoffen. Mißglückt die Reform, so ist die Liquidierung der Erb¬
schaft nicht zu vermeiden.

Ein ähnliches Schicksal wie das Polens hat im letzten halben Jahrhundert
schon mehrfach vernehmlich auch an die "hohe" Pforte gepocht. Seiner Voll¬
endung würde das Deutsche Reich ähnlich gegenüberstehen wie einst Friedrich
der Große der Teilung Polens. Das sür unsre Lebensinteressen Wichtige
können wir nicht den Händen einer fremden Großmacht überlassen.




jDoesie und Erziehung
Wilhelm Münch von

erakles im Dienste des Eurystheus, der halbgöttliche Held
Knecht des viel schlechtem Mannes: das ist nicht einmal so
dagewesen oder so gedichtet worden. Die Menschengeschichte
hätte dasselbe Verhältnis tausendfach aufzuweisen, namentlich
die stille und versteckte Geschichte, die nicht geschrieben wird.
Doch hier soll nicht die Rede sein von all dem geheimen Elend unwürdiger per¬
sönlicher Dienstbarkeit, das keine Riesenfortschritte unsrer Kultur hinwegnehmen.
Es giebt auch eine ärgerliche Indienststellung der Sachen: in seinem Werke
noch kann man den edeln Menschengeist herabwürdigen. Dies geschieht noch
nicht dadurch, daß das vollendete Kunstmerk dem lernpflichtigen Stümper zur
Übung in der Form dient; denn das Kunstwerk verliert durch den von unten
zu ihm aufschauenden Blick nichts von seiner Höhe. Es giebt aber andre
Spielarten dieses Übeln Verhältnisses. Gemeine Betriebsamkeit findet hundert
Formen, das, was an sich hoch ist, zu niedern Zwecken zu nützen. Und auch
ein ehrenwerter Wille kann auf einen ähnlichen Weg geraten, kann zum Gegen¬
stande werktäglichen Gebrauchs machen, was für festliche Wirkung geschaffen ist.
Die Kärrner haben zu thun, wenn die Könige bauen, und wenn die Arbeit
der Kärrner sehr ehrlich und schätzbar sein kann, sofern sie eben irgendwie mit
zu der Ausführung des Königshaus gehört, so kann sie doch auch -- und im


Poesie und Erziehung

hierbei ist, glauben wir in Vorstehendem nachgewiesen zu haben. Einschrän¬
kung des Einflusses der Ulemas und des großherrlichen Serails scheinen in
erster Linie notwendig; nach dem Urteil von guten Beobachtern ist die Poly¬
gamie in der Türkei nur noch ein geduldeter Mißbrauch und im Verschwinden.
Der Prophet sagt: „Der ist zu loben, der nur ein Weib heiratet." Nur auf
diesem Wege ist eine Versöhnung der nationalen und religiösen Gegensätze in
der Türkei zu hoffen. Mißglückt die Reform, so ist die Liquidierung der Erb¬
schaft nicht zu vermeiden.

Ein ähnliches Schicksal wie das Polens hat im letzten halben Jahrhundert
schon mehrfach vernehmlich auch an die „hohe" Pforte gepocht. Seiner Voll¬
endung würde das Deutsche Reich ähnlich gegenüberstehen wie einst Friedrich
der Große der Teilung Polens. Das sür unsre Lebensinteressen Wichtige
können wir nicht den Händen einer fremden Großmacht überlassen.




jDoesie und Erziehung
Wilhelm Münch von

erakles im Dienste des Eurystheus, der halbgöttliche Held
Knecht des viel schlechtem Mannes: das ist nicht einmal so
dagewesen oder so gedichtet worden. Die Menschengeschichte
hätte dasselbe Verhältnis tausendfach aufzuweisen, namentlich
die stille und versteckte Geschichte, die nicht geschrieben wird.
Doch hier soll nicht die Rede sein von all dem geheimen Elend unwürdiger per¬
sönlicher Dienstbarkeit, das keine Riesenfortschritte unsrer Kultur hinwegnehmen.
Es giebt auch eine ärgerliche Indienststellung der Sachen: in seinem Werke
noch kann man den edeln Menschengeist herabwürdigen. Dies geschieht noch
nicht dadurch, daß das vollendete Kunstmerk dem lernpflichtigen Stümper zur
Übung in der Form dient; denn das Kunstwerk verliert durch den von unten
zu ihm aufschauenden Blick nichts von seiner Höhe. Es giebt aber andre
Spielarten dieses Übeln Verhältnisses. Gemeine Betriebsamkeit findet hundert
Formen, das, was an sich hoch ist, zu niedern Zwecken zu nützen. Und auch
ein ehrenwerter Wille kann auf einen ähnlichen Weg geraten, kann zum Gegen¬
stande werktäglichen Gebrauchs machen, was für festliche Wirkung geschaffen ist.
Die Kärrner haben zu thun, wenn die Könige bauen, und wenn die Arbeit
der Kärrner sehr ehrlich und schätzbar sein kann, sofern sie eben irgendwie mit
zu der Ausführung des Königshaus gehört, so kann sie doch auch — und im


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[0388] Poesie und Erziehung hierbei ist, glauben wir in Vorstehendem nachgewiesen zu haben. Einschrän¬ kung des Einflusses der Ulemas und des großherrlichen Serails scheinen in erster Linie notwendig; nach dem Urteil von guten Beobachtern ist die Poly¬ gamie in der Türkei nur noch ein geduldeter Mißbrauch und im Verschwinden. Der Prophet sagt: „Der ist zu loben, der nur ein Weib heiratet." Nur auf diesem Wege ist eine Versöhnung der nationalen und religiösen Gegensätze in der Türkei zu hoffen. Mißglückt die Reform, so ist die Liquidierung der Erb¬ schaft nicht zu vermeiden. Ein ähnliches Schicksal wie das Polens hat im letzten halben Jahrhundert schon mehrfach vernehmlich auch an die „hohe" Pforte gepocht. Seiner Voll¬ endung würde das Deutsche Reich ähnlich gegenüberstehen wie einst Friedrich der Große der Teilung Polens. Das sür unsre Lebensinteressen Wichtige können wir nicht den Händen einer fremden Großmacht überlassen. jDoesie und Erziehung Wilhelm Münch von erakles im Dienste des Eurystheus, der halbgöttliche Held Knecht des viel schlechtem Mannes: das ist nicht einmal so dagewesen oder so gedichtet worden. Die Menschengeschichte hätte dasselbe Verhältnis tausendfach aufzuweisen, namentlich die stille und versteckte Geschichte, die nicht geschrieben wird. Doch hier soll nicht die Rede sein von all dem geheimen Elend unwürdiger per¬ sönlicher Dienstbarkeit, das keine Riesenfortschritte unsrer Kultur hinwegnehmen. Es giebt auch eine ärgerliche Indienststellung der Sachen: in seinem Werke noch kann man den edeln Menschengeist herabwürdigen. Dies geschieht noch nicht dadurch, daß das vollendete Kunstmerk dem lernpflichtigen Stümper zur Übung in der Form dient; denn das Kunstwerk verliert durch den von unten zu ihm aufschauenden Blick nichts von seiner Höhe. Es giebt aber andre Spielarten dieses Übeln Verhältnisses. Gemeine Betriebsamkeit findet hundert Formen, das, was an sich hoch ist, zu niedern Zwecken zu nützen. Und auch ein ehrenwerter Wille kann auf einen ähnlichen Weg geraten, kann zum Gegen¬ stande werktäglichen Gebrauchs machen, was für festliche Wirkung geschaffen ist. Die Kärrner haben zu thun, wenn die Könige bauen, und wenn die Arbeit der Kärrner sehr ehrlich und schätzbar sein kann, sofern sie eben irgendwie mit zu der Ausführung des Königshaus gehört, so kann sie doch auch — und im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/388>, abgerufen am 23.07.2024.