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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zur Reform des Personentarifs der preußischen Eisenbahnen

treten, das einzige, dem man unter allen Umstünden eine Berechtigung zuge¬
stehen kann, und das ist: Leistung und Gegenleistung müssen im richtigen Ver¬
hältnis zu einander stehn.

Mit diesem Grundsatz läßt sich wohl ohne Verletzung der Gleichheit des
Einzelnen vor dem Eisenbahnfiskus eine verschiedne Festsetzung der Grund-
Preise für Personen- und Schnellzuge und für die verschiednen Wagenklassen,
für Einzelreisen und für Gesellschaftsfahrten und vielleicht noch manches andre
rechtfertigen, aber nimmermehr die Bevorzugung der Rückfahrkarten vor den
"einfachen" Karten. Diese Bevorzugung muß also aufhören, und Gleichheit
der Fahrpreise für alle Reisen mit den anfangs genannten Ausnahmen muß
eintreten. Die Gleichheit braucht aber nicht dadurch hergestellt zu werden, daß
die Normalsätze von 2, 4, 6 und 8 Pfennigen für den Kilometer allgemein
angewandt werden. Das würde wohl auf allgemeinen Unwillen stoßen. Es
wird wahrscheinlich ohne großen Einnahmeausfall möglich sein, die bisher für
Rückfahrten üblichen Sätze auch auf einfache Fahrten auszudehnen, sodaß an
Stelle der Normalsütze von 4, 6 und 8 Pfennigen für die dritte, zweite und
erste Klasse die Sätze von 3, 4^ und 6 Pfennigen treten. Die vierte Klasse
hat bisher keinerlei Ermäßigungen bei Rückfahrten gekannt, weil die Eisenbahn,
wie die Verwaltung erklärt hat, in dieser Wagenklasse nicht zu billigern Sätzen
befördern kann. Leistung und Gegenleistung sollen in richtigem Verhältnisse
zu einander stehn. Ob das bisher bei den andern Wagenklassen der Fall
war, ob es in der bisherigen Behandlung der vierten Klasse wirklich zutrifft,
ob nicht die erste Klasse bei ihrer geringen Benutzung selbst bei 8 Pfennigen
für das Kilometer zu billig befördert wird, darüber erlaube ich mir kein Urteil.
Die Eisenbahnverwaltung selber dürfte kaum imstande sein, dies statistisch¬
rechnerisch genau zu ermitteln. Welche Einheitssätze sie für die einzelnen
Wagenklassen festsetzen muß, um auf die Kosten zu kommen und den zur Er¬
haltung des Gleichgewichts im Staatshaushalte erforderlichen Überschuß zu
erzielen, darüber muß sich die Verwaltung selbst klar werden. Aber die einmal
angenommnen Sätze müssen dann ohne Ausnahme festgehalten werden, die
Unterscheidung zwischen Rückfahrten, Rundreisen usw. und einfachen Fahrten
muß aufhören. Eine Reform, die dieser Forderung genügt, werden wir mit
Freuden begrüßen, auch wenn sie sonst nichts weiter bringt; eine Neuordnung,
die dieser Forderung nicht Rechnung trüge, würde keine Reform sein, sondern
den alten widersinnigen und ungerechten Zustand nur dauernd machen.

Mit der verschiedenartigen Behandlung der Rückfahrten fallen alle be¬
sondern Arten von Fahrtausweisen: Rückfahrkarten, Sommcrkarten, zusammen¬
stellbare Fahrscheinhefte, Rundreisehefte für feste Rundreisen. Damit fällt der
ganze Irrgarten von sogenannten Reiseerleichterungen, bei denen zwar die Fahr¬
preisermäßigung willkommen war, aber durch die damit zusammenhängenden
Erschwerungen aller Art aufgewogen wurde. Die Ermäßigung des Fahrpreises


Grenzboten I 1899 47
Zur Reform des Personentarifs der preußischen Eisenbahnen

treten, das einzige, dem man unter allen Umstünden eine Berechtigung zuge¬
stehen kann, und das ist: Leistung und Gegenleistung müssen im richtigen Ver¬
hältnis zu einander stehn.

Mit diesem Grundsatz läßt sich wohl ohne Verletzung der Gleichheit des
Einzelnen vor dem Eisenbahnfiskus eine verschiedne Festsetzung der Grund-
Preise für Personen- und Schnellzuge und für die verschiednen Wagenklassen,
für Einzelreisen und für Gesellschaftsfahrten und vielleicht noch manches andre
rechtfertigen, aber nimmermehr die Bevorzugung der Rückfahrkarten vor den
„einfachen" Karten. Diese Bevorzugung muß also aufhören, und Gleichheit
der Fahrpreise für alle Reisen mit den anfangs genannten Ausnahmen muß
eintreten. Die Gleichheit braucht aber nicht dadurch hergestellt zu werden, daß
die Normalsätze von 2, 4, 6 und 8 Pfennigen für den Kilometer allgemein
angewandt werden. Das würde wohl auf allgemeinen Unwillen stoßen. Es
wird wahrscheinlich ohne großen Einnahmeausfall möglich sein, die bisher für
Rückfahrten üblichen Sätze auch auf einfache Fahrten auszudehnen, sodaß an
Stelle der Normalsütze von 4, 6 und 8 Pfennigen für die dritte, zweite und
erste Klasse die Sätze von 3, 4^ und 6 Pfennigen treten. Die vierte Klasse
hat bisher keinerlei Ermäßigungen bei Rückfahrten gekannt, weil die Eisenbahn,
wie die Verwaltung erklärt hat, in dieser Wagenklasse nicht zu billigern Sätzen
befördern kann. Leistung und Gegenleistung sollen in richtigem Verhältnisse
zu einander stehn. Ob das bisher bei den andern Wagenklassen der Fall
war, ob es in der bisherigen Behandlung der vierten Klasse wirklich zutrifft,
ob nicht die erste Klasse bei ihrer geringen Benutzung selbst bei 8 Pfennigen
für das Kilometer zu billig befördert wird, darüber erlaube ich mir kein Urteil.
Die Eisenbahnverwaltung selber dürfte kaum imstande sein, dies statistisch¬
rechnerisch genau zu ermitteln. Welche Einheitssätze sie für die einzelnen
Wagenklassen festsetzen muß, um auf die Kosten zu kommen und den zur Er¬
haltung des Gleichgewichts im Staatshaushalte erforderlichen Überschuß zu
erzielen, darüber muß sich die Verwaltung selbst klar werden. Aber die einmal
angenommnen Sätze müssen dann ohne Ausnahme festgehalten werden, die
Unterscheidung zwischen Rückfahrten, Rundreisen usw. und einfachen Fahrten
muß aufhören. Eine Reform, die dieser Forderung genügt, werden wir mit
Freuden begrüßen, auch wenn sie sonst nichts weiter bringt; eine Neuordnung,
die dieser Forderung nicht Rechnung trüge, würde keine Reform sein, sondern
den alten widersinnigen und ungerechten Zustand nur dauernd machen.

Mit der verschiedenartigen Behandlung der Rückfahrten fallen alle be¬
sondern Arten von Fahrtausweisen: Rückfahrkarten, Sommcrkarten, zusammen¬
stellbare Fahrscheinhefte, Rundreisehefte für feste Rundreisen. Damit fällt der
ganze Irrgarten von sogenannten Reiseerleichterungen, bei denen zwar die Fahr¬
preisermäßigung willkommen war, aber durch die damit zusammenhängenden
Erschwerungen aller Art aufgewogen wurde. Die Ermäßigung des Fahrpreises


Grenzboten I 1899 47
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[0377] Zur Reform des Personentarifs der preußischen Eisenbahnen treten, das einzige, dem man unter allen Umstünden eine Berechtigung zuge¬ stehen kann, und das ist: Leistung und Gegenleistung müssen im richtigen Ver¬ hältnis zu einander stehn. Mit diesem Grundsatz läßt sich wohl ohne Verletzung der Gleichheit des Einzelnen vor dem Eisenbahnfiskus eine verschiedne Festsetzung der Grund- Preise für Personen- und Schnellzuge und für die verschiednen Wagenklassen, für Einzelreisen und für Gesellschaftsfahrten und vielleicht noch manches andre rechtfertigen, aber nimmermehr die Bevorzugung der Rückfahrkarten vor den „einfachen" Karten. Diese Bevorzugung muß also aufhören, und Gleichheit der Fahrpreise für alle Reisen mit den anfangs genannten Ausnahmen muß eintreten. Die Gleichheit braucht aber nicht dadurch hergestellt zu werden, daß die Normalsätze von 2, 4, 6 und 8 Pfennigen für den Kilometer allgemein angewandt werden. Das würde wohl auf allgemeinen Unwillen stoßen. Es wird wahrscheinlich ohne großen Einnahmeausfall möglich sein, die bisher für Rückfahrten üblichen Sätze auch auf einfache Fahrten auszudehnen, sodaß an Stelle der Normalsütze von 4, 6 und 8 Pfennigen für die dritte, zweite und erste Klasse die Sätze von 3, 4^ und 6 Pfennigen treten. Die vierte Klasse hat bisher keinerlei Ermäßigungen bei Rückfahrten gekannt, weil die Eisenbahn, wie die Verwaltung erklärt hat, in dieser Wagenklasse nicht zu billigern Sätzen befördern kann. Leistung und Gegenleistung sollen in richtigem Verhältnisse zu einander stehn. Ob das bisher bei den andern Wagenklassen der Fall war, ob es in der bisherigen Behandlung der vierten Klasse wirklich zutrifft, ob nicht die erste Klasse bei ihrer geringen Benutzung selbst bei 8 Pfennigen für das Kilometer zu billig befördert wird, darüber erlaube ich mir kein Urteil. Die Eisenbahnverwaltung selber dürfte kaum imstande sein, dies statistisch¬ rechnerisch genau zu ermitteln. Welche Einheitssätze sie für die einzelnen Wagenklassen festsetzen muß, um auf die Kosten zu kommen und den zur Er¬ haltung des Gleichgewichts im Staatshaushalte erforderlichen Überschuß zu erzielen, darüber muß sich die Verwaltung selbst klar werden. Aber die einmal angenommnen Sätze müssen dann ohne Ausnahme festgehalten werden, die Unterscheidung zwischen Rückfahrten, Rundreisen usw. und einfachen Fahrten muß aufhören. Eine Reform, die dieser Forderung genügt, werden wir mit Freuden begrüßen, auch wenn sie sonst nichts weiter bringt; eine Neuordnung, die dieser Forderung nicht Rechnung trüge, würde keine Reform sein, sondern den alten widersinnigen und ungerechten Zustand nur dauernd machen. Mit der verschiedenartigen Behandlung der Rückfahrten fallen alle be¬ sondern Arten von Fahrtausweisen: Rückfahrkarten, Sommcrkarten, zusammen¬ stellbare Fahrscheinhefte, Rundreisehefte für feste Rundreisen. Damit fällt der ganze Irrgarten von sogenannten Reiseerleichterungen, bei denen zwar die Fahr¬ preisermäßigung willkommen war, aber durch die damit zusammenhängenden Erschwerungen aller Art aufgewogen wurde. Die Ermäßigung des Fahrpreises Grenzboten I 1899 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/377>, abgerufen am 23.07.2024.