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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Aur Reform des Personentarifs der preußischen Eisenbahnen

am 9. Juli in Geldern wieder eintrifft. Nachdem er es an diesem Tage in
Empfang genommen hat, versäume der Besteller ja nicht, seinen Namen eigen¬
händig mit Tinte darauf zu schreiben, sonst werden ihm am folgenden Tage
beim Betreten der Bahnsperre noch zeitraubende Weiterungen verursacht. Die
eigenhändige Namensunterschrift soll der Eiseubahnverwaltung eine Sicherheit
dafür bieten, daß das Heft nicht an eine andre Person weiter gegeben wird.
Wie Kinder über vier Jahr, die doch schon eigne Fahrscheinhefte brauchen,
eigenhändig ihren Namen darauf schreiben sollen, falls sie noch nicht schreiben
gelernt haben, darüber sagen die Bestimmungen nichts.

Und alle diese Umstände muß der Reisende sich gefallen lassen, weil die
zusammenstellbaren Fahrscheinhefte den Reiseverkehr erleichtern sollen. Wie
schon erwähnt, ist die Sache im vorliegenden Falle noch ziemlich einfach,
weil es sich um eine Reise nach Berlin handelt. Reisen nach Berlin werden
in den geltenden Bestimmungen ganz besonders begünstigt. Wehe aber dem
Reiselustigen, der in einer längern Reise eine Anzahl von Orten besuchen will,
die nicht an der großen Heerstraße des gewöhnlichen Vergnügungsreiseverkehrs
liegen. Der braucht ganze Tage, um seinen Plan zusammenzubringen, und
wird viel Anlaß zum Ärger darüber haben, daß manche dieser Orte in keiner
der in dem amtlichen Verzeichnis aufgeführten Fahrscheinstrecken vorkommen.
Er wird deshalb häufig entweder Strecken in sein Fahrscheinheft hereinziehen
müssen, die er gar nicht zu befahren beabsichtigt, oder einzelne Strecken, die
nicht hereingezogen werden können, aber doch befahren werden sollen, mit dem
vollen Preise bezahlen müssen. Und wenn schließlich die aufgenommnen Strecken
zusammen nicht ganz 600 Kilometer ausmachen, sondern nur 500 oder 550,
dann steht er vor der Frage, ob er, um die 600 Kilometer voll zu machen,
noch weitere Strecken aufnehmen, oder ans die Preisermäßigung verzichten und
einfache Fahrkarten lösen soll, und ob im letzten Falle soviel an Gepäckfracht
gespart, wie an Fahrgeld zugesetzt wird. Eine umständliche und mühsame
Überlegung und Berechnung ist in jedem Falle notwendig, und dazu kommt
das verdrießliche Nichtbegreifenkönnen, warum man gerade 600 Kilometer
fahren muß, um ein zusammenstellbares Fahrscheinheft zu erhalten.

Da es auf ein solches kein Freigepäck giebt, so sucht man seinen Bedarf
an Wäsche, Kleidungstücken und sonstigem Neisegut als Handgepäck zu ver¬
packen und hat dann seine liebe Not mit dessen Unterbringung, muß den Ärger
der Mitreisenden über die vielen Gepäckstücke ertragen und bei jedem Zugwechsel
im Schweiße seines Angesichts das Gepäck von einem Zuge zum andern schleppen,
oft durch Unterführungen treppab treppauf, oft von einem Ende des lang¬
gestreckten Bahnhofs zum andern, jeden Augenblick mit andern gepäcktragenden
Leidensgefährten karambolierend, oder man muß jedesmal die Dienste eines
Gepäckträgers in Anspruch nehmen und bezahlen, wenn man eines solchen
habhaft wird, was oft genug nicht gelingt. Will der Reisende von einer


Aur Reform des Personentarifs der preußischen Eisenbahnen

am 9. Juli in Geldern wieder eintrifft. Nachdem er es an diesem Tage in
Empfang genommen hat, versäume der Besteller ja nicht, seinen Namen eigen¬
händig mit Tinte darauf zu schreiben, sonst werden ihm am folgenden Tage
beim Betreten der Bahnsperre noch zeitraubende Weiterungen verursacht. Die
eigenhändige Namensunterschrift soll der Eiseubahnverwaltung eine Sicherheit
dafür bieten, daß das Heft nicht an eine andre Person weiter gegeben wird.
Wie Kinder über vier Jahr, die doch schon eigne Fahrscheinhefte brauchen,
eigenhändig ihren Namen darauf schreiben sollen, falls sie noch nicht schreiben
gelernt haben, darüber sagen die Bestimmungen nichts.

Und alle diese Umstände muß der Reisende sich gefallen lassen, weil die
zusammenstellbaren Fahrscheinhefte den Reiseverkehr erleichtern sollen. Wie
schon erwähnt, ist die Sache im vorliegenden Falle noch ziemlich einfach,
weil es sich um eine Reise nach Berlin handelt. Reisen nach Berlin werden
in den geltenden Bestimmungen ganz besonders begünstigt. Wehe aber dem
Reiselustigen, der in einer längern Reise eine Anzahl von Orten besuchen will,
die nicht an der großen Heerstraße des gewöhnlichen Vergnügungsreiseverkehrs
liegen. Der braucht ganze Tage, um seinen Plan zusammenzubringen, und
wird viel Anlaß zum Ärger darüber haben, daß manche dieser Orte in keiner
der in dem amtlichen Verzeichnis aufgeführten Fahrscheinstrecken vorkommen.
Er wird deshalb häufig entweder Strecken in sein Fahrscheinheft hereinziehen
müssen, die er gar nicht zu befahren beabsichtigt, oder einzelne Strecken, die
nicht hereingezogen werden können, aber doch befahren werden sollen, mit dem
vollen Preise bezahlen müssen. Und wenn schließlich die aufgenommnen Strecken
zusammen nicht ganz 600 Kilometer ausmachen, sondern nur 500 oder 550,
dann steht er vor der Frage, ob er, um die 600 Kilometer voll zu machen,
noch weitere Strecken aufnehmen, oder ans die Preisermäßigung verzichten und
einfache Fahrkarten lösen soll, und ob im letzten Falle soviel an Gepäckfracht
gespart, wie an Fahrgeld zugesetzt wird. Eine umständliche und mühsame
Überlegung und Berechnung ist in jedem Falle notwendig, und dazu kommt
das verdrießliche Nichtbegreifenkönnen, warum man gerade 600 Kilometer
fahren muß, um ein zusammenstellbares Fahrscheinheft zu erhalten.

Da es auf ein solches kein Freigepäck giebt, so sucht man seinen Bedarf
an Wäsche, Kleidungstücken und sonstigem Neisegut als Handgepäck zu ver¬
packen und hat dann seine liebe Not mit dessen Unterbringung, muß den Ärger
der Mitreisenden über die vielen Gepäckstücke ertragen und bei jedem Zugwechsel
im Schweiße seines Angesichts das Gepäck von einem Zuge zum andern schleppen,
oft durch Unterführungen treppab treppauf, oft von einem Ende des lang¬
gestreckten Bahnhofs zum andern, jeden Augenblick mit andern gepäcktragenden
Leidensgefährten karambolierend, oder man muß jedesmal die Dienste eines
Gepäckträgers in Anspruch nehmen und bezahlen, wenn man eines solchen
habhaft wird, was oft genug nicht gelingt. Will der Reisende von einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/372>, abgerufen am 23.07.2024.