Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Reinhold

heben? Einem Pessimisten kann es ja nur recht sein, wenn nichts mehr auf
Erden vorhanden ist, was seinen philosophischen Glauben zu widerlegen scheint.
Oder sollen wir etwa gar die zu Grunde gerichteten Unternehmer bemitleiden?
Fällt uns nicht ein! Das eine Stück Menschenfleisch ist auch nach Ihrer
Philosophie und gerade nach der Ihren nicht mehr wert als das andre! Alle
sind wir ja nur nichtige Blasen, die der dumme, böse Urwille zwecklos auf¬
wirft und zwecklos zerplatzen läßt. Übrigens lassen Sie sich sagen, daß Sie
von der Wissenschaft, die Sie angeblich zu lehren berufen sind, noch nicht einmal
die allerersten Anfangsgründe gelernt haben. Die Teilung des Einkommens
zwischen Unternehmern und Arbeitern ist keineswegs der hauptsächlichste von
den Gegenständen, die die Nationalökonomik zu behandeln hat, und noch
weniger der einzige, wie Sie zu glauben scheinen. Das Hauptverdienst der
Nationalökonomie unsrer Zeit ist, klar gemacht zu haben, daß es Zeiten gegeben
hat, wo die Gütererzeugung und Verteilung ohne Konkurrenzkampf vor sich
gegangen ist. woraus ganz von selbst folgt, daß auch in Zukunft wieder eine
Wirtschaftsordnung möglich ist, wo das wirtschaftliche Schicksal des Einzelnen
nicht von Konjunkturen und von einem Lohnfonds abhängt. Ein glänzendes
Zeugnis für Ihre Unwissenheit ist u. a. der Satz auf Seite 506, mit dem Sie eine
Ihrer Tiraden beginnen: "Wie der schlechteste Boden keine Rente abwirft usw."
Sie wissen also nicht, daß Ricardos Grundrententheorie längst widerlegt ist.
Vielleicht haben Sie dieser Tage in den Zeitungen gelesen, wie der eben ver¬
storbne Schulz-Lupitz ganz schlechtem Boden hohen Ertrag abgewonnen hat.
Kaum noch aus Unwissenheit ist es zu erklären, wenn Sie den National¬
ökonomen, der Änderungsvorschläge macht, als Moralprediger verspotten.
Gerade der eine unter den Gelehrten der bürgerlichen Klasse, den Sie zu
kritisieren sich wohl gehütet haben, der zwar keine Kathedra eingenommen hat,
der aber dafür wirklicher und entschiedner Sozialist gewesen ist, Rodbertus,
hat die Moralpredigt auf das entschiedenste aus der Nationalökonomie ver¬
bannt. Die Vernunft freilich nicht, wie Sie es thun; von dieser hat er aller¬
dings gefordert, daß sie, wie in allen übrigen menschlichen Dingen, so auch
im Wirtschaftsleben herrschen solle. Und noch eins, Verehrtester! Wie kommen
denn Sie dazu, sich so oft über den demagogischen Ton zu beschweren, den
manche bürgerlichen Ökonomen anschlugen? Niemand hat jemals entschiedner
und unbedingter als Sie das Wirtschaftsleben als einen reinen Machtkampf
dargestellt, in einem solchen aber ist jedes Mittel nicht allein erlaubt, sondern
geboten, wie ja anch im Kriege alles, was den Zweck des Kriegführenden
fördert, für erlaubt und nur unnützes Wüsten und Morden sür unerlaubt gilt.
In einem politischen Kampfe aber -- und eines solchen Gestalt nimmt jeder
wirtschaftliche und soziale Kampf mit Notwendigkeit an -- kann der Endzweck
ohne Demagogie schlechterdings nicht erreicht werden; denn da jeder politische
Kampf ein Massenkampf ist, die Massen aber nicht, wie ein Kriegsheer, nach


Reinhold

heben? Einem Pessimisten kann es ja nur recht sein, wenn nichts mehr auf
Erden vorhanden ist, was seinen philosophischen Glauben zu widerlegen scheint.
Oder sollen wir etwa gar die zu Grunde gerichteten Unternehmer bemitleiden?
Fällt uns nicht ein! Das eine Stück Menschenfleisch ist auch nach Ihrer
Philosophie und gerade nach der Ihren nicht mehr wert als das andre! Alle
sind wir ja nur nichtige Blasen, die der dumme, böse Urwille zwecklos auf¬
wirft und zwecklos zerplatzen läßt. Übrigens lassen Sie sich sagen, daß Sie
von der Wissenschaft, die Sie angeblich zu lehren berufen sind, noch nicht einmal
die allerersten Anfangsgründe gelernt haben. Die Teilung des Einkommens
zwischen Unternehmern und Arbeitern ist keineswegs der hauptsächlichste von
den Gegenständen, die die Nationalökonomik zu behandeln hat, und noch
weniger der einzige, wie Sie zu glauben scheinen. Das Hauptverdienst der
Nationalökonomie unsrer Zeit ist, klar gemacht zu haben, daß es Zeiten gegeben
hat, wo die Gütererzeugung und Verteilung ohne Konkurrenzkampf vor sich
gegangen ist. woraus ganz von selbst folgt, daß auch in Zukunft wieder eine
Wirtschaftsordnung möglich ist, wo das wirtschaftliche Schicksal des Einzelnen
nicht von Konjunkturen und von einem Lohnfonds abhängt. Ein glänzendes
Zeugnis für Ihre Unwissenheit ist u. a. der Satz auf Seite 506, mit dem Sie eine
Ihrer Tiraden beginnen: »Wie der schlechteste Boden keine Rente abwirft usw.«
Sie wissen also nicht, daß Ricardos Grundrententheorie längst widerlegt ist.
Vielleicht haben Sie dieser Tage in den Zeitungen gelesen, wie der eben ver¬
storbne Schulz-Lupitz ganz schlechtem Boden hohen Ertrag abgewonnen hat.
Kaum noch aus Unwissenheit ist es zu erklären, wenn Sie den National¬
ökonomen, der Änderungsvorschläge macht, als Moralprediger verspotten.
Gerade der eine unter den Gelehrten der bürgerlichen Klasse, den Sie zu
kritisieren sich wohl gehütet haben, der zwar keine Kathedra eingenommen hat,
der aber dafür wirklicher und entschiedner Sozialist gewesen ist, Rodbertus,
hat die Moralpredigt auf das entschiedenste aus der Nationalökonomie ver¬
bannt. Die Vernunft freilich nicht, wie Sie es thun; von dieser hat er aller¬
dings gefordert, daß sie, wie in allen übrigen menschlichen Dingen, so auch
im Wirtschaftsleben herrschen solle. Und noch eins, Verehrtester! Wie kommen
denn Sie dazu, sich so oft über den demagogischen Ton zu beschweren, den
manche bürgerlichen Ökonomen anschlugen? Niemand hat jemals entschiedner
und unbedingter als Sie das Wirtschaftsleben als einen reinen Machtkampf
dargestellt, in einem solchen aber ist jedes Mittel nicht allein erlaubt, sondern
geboten, wie ja anch im Kriege alles, was den Zweck des Kriegführenden
fördert, für erlaubt und nur unnützes Wüsten und Morden sür unerlaubt gilt.
In einem politischen Kampfe aber — und eines solchen Gestalt nimmt jeder
wirtschaftliche und soziale Kampf mit Notwendigkeit an — kann der Endzweck
ohne Demagogie schlechterdings nicht erreicht werden; denn da jeder politische
Kampf ein Massenkampf ist, die Massen aber nicht, wie ein Kriegsheer, nach


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0368" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230054"/>
          <fw type="header" place="top"> Reinhold</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1512" prev="#ID_1511" next="#ID_1513"> heben? Einem Pessimisten kann es ja nur recht sein, wenn nichts mehr auf<lb/>
Erden vorhanden ist, was seinen philosophischen Glauben zu widerlegen scheint.<lb/>
Oder sollen wir etwa gar die zu Grunde gerichteten Unternehmer bemitleiden?<lb/>
Fällt uns nicht ein! Das eine Stück Menschenfleisch ist auch nach Ihrer<lb/>
Philosophie und gerade nach der Ihren nicht mehr wert als das andre! Alle<lb/>
sind wir ja nur nichtige Blasen, die der dumme, böse Urwille zwecklos auf¬<lb/>
wirft und zwecklos zerplatzen läßt. Übrigens lassen Sie sich sagen, daß Sie<lb/>
von der Wissenschaft, die Sie angeblich zu lehren berufen sind, noch nicht einmal<lb/>
die allerersten Anfangsgründe gelernt haben. Die Teilung des Einkommens<lb/>
zwischen Unternehmern und Arbeitern ist keineswegs der hauptsächlichste von<lb/>
den Gegenständen, die die Nationalökonomik zu behandeln hat, und noch<lb/>
weniger der einzige, wie Sie zu glauben scheinen. Das Hauptverdienst der<lb/>
Nationalökonomie unsrer Zeit ist, klar gemacht zu haben, daß es Zeiten gegeben<lb/>
hat, wo die Gütererzeugung und Verteilung ohne Konkurrenzkampf vor sich<lb/>
gegangen ist. woraus ganz von selbst folgt, daß auch in Zukunft wieder eine<lb/>
Wirtschaftsordnung möglich ist, wo das wirtschaftliche Schicksal des Einzelnen<lb/>
nicht von Konjunkturen und von einem Lohnfonds abhängt. Ein glänzendes<lb/>
Zeugnis für Ihre Unwissenheit ist u. a. der Satz auf Seite 506, mit dem Sie eine<lb/>
Ihrer Tiraden beginnen: »Wie der schlechteste Boden keine Rente abwirft usw.«<lb/>
Sie wissen also nicht, daß Ricardos Grundrententheorie längst widerlegt ist.<lb/>
Vielleicht haben Sie dieser Tage in den Zeitungen gelesen, wie der eben ver¬<lb/>
storbne Schulz-Lupitz ganz schlechtem Boden hohen Ertrag abgewonnen hat.<lb/>
Kaum noch aus Unwissenheit ist es zu erklären, wenn Sie den National¬<lb/>
ökonomen, der Änderungsvorschläge macht, als Moralprediger verspotten.<lb/>
Gerade der eine unter den Gelehrten der bürgerlichen Klasse, den Sie zu<lb/>
kritisieren sich wohl gehütet haben, der zwar keine Kathedra eingenommen hat,<lb/>
der aber dafür wirklicher und entschiedner Sozialist gewesen ist, Rodbertus,<lb/>
hat die Moralpredigt auf das entschiedenste aus der Nationalökonomie ver¬<lb/>
bannt. Die Vernunft freilich nicht, wie Sie es thun; von dieser hat er aller¬<lb/>
dings gefordert, daß sie, wie in allen übrigen menschlichen Dingen, so auch<lb/>
im Wirtschaftsleben herrschen solle. Und noch eins, Verehrtester! Wie kommen<lb/>
denn Sie dazu, sich so oft über den demagogischen Ton zu beschweren, den<lb/>
manche bürgerlichen Ökonomen anschlugen? Niemand hat jemals entschiedner<lb/>
und unbedingter als Sie das Wirtschaftsleben als einen reinen Machtkampf<lb/>
dargestellt, in einem solchen aber ist jedes Mittel nicht allein erlaubt, sondern<lb/>
geboten, wie ja anch im Kriege alles, was den Zweck des Kriegführenden<lb/>
fördert, für erlaubt und nur unnützes Wüsten und Morden sür unerlaubt gilt.<lb/>
In einem politischen Kampfe aber &#x2014; und eines solchen Gestalt nimmt jeder<lb/>
wirtschaftliche und soziale Kampf mit Notwendigkeit an &#x2014; kann der Endzweck<lb/>
ohne Demagogie schlechterdings nicht erreicht werden; denn da jeder politische<lb/>
Kampf ein Massenkampf ist, die Massen aber nicht, wie ein Kriegsheer, nach</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0368] Reinhold heben? Einem Pessimisten kann es ja nur recht sein, wenn nichts mehr auf Erden vorhanden ist, was seinen philosophischen Glauben zu widerlegen scheint. Oder sollen wir etwa gar die zu Grunde gerichteten Unternehmer bemitleiden? Fällt uns nicht ein! Das eine Stück Menschenfleisch ist auch nach Ihrer Philosophie und gerade nach der Ihren nicht mehr wert als das andre! Alle sind wir ja nur nichtige Blasen, die der dumme, böse Urwille zwecklos auf¬ wirft und zwecklos zerplatzen läßt. Übrigens lassen Sie sich sagen, daß Sie von der Wissenschaft, die Sie angeblich zu lehren berufen sind, noch nicht einmal die allerersten Anfangsgründe gelernt haben. Die Teilung des Einkommens zwischen Unternehmern und Arbeitern ist keineswegs der hauptsächlichste von den Gegenständen, die die Nationalökonomik zu behandeln hat, und noch weniger der einzige, wie Sie zu glauben scheinen. Das Hauptverdienst der Nationalökonomie unsrer Zeit ist, klar gemacht zu haben, daß es Zeiten gegeben hat, wo die Gütererzeugung und Verteilung ohne Konkurrenzkampf vor sich gegangen ist. woraus ganz von selbst folgt, daß auch in Zukunft wieder eine Wirtschaftsordnung möglich ist, wo das wirtschaftliche Schicksal des Einzelnen nicht von Konjunkturen und von einem Lohnfonds abhängt. Ein glänzendes Zeugnis für Ihre Unwissenheit ist u. a. der Satz auf Seite 506, mit dem Sie eine Ihrer Tiraden beginnen: »Wie der schlechteste Boden keine Rente abwirft usw.« Sie wissen also nicht, daß Ricardos Grundrententheorie längst widerlegt ist. Vielleicht haben Sie dieser Tage in den Zeitungen gelesen, wie der eben ver¬ storbne Schulz-Lupitz ganz schlechtem Boden hohen Ertrag abgewonnen hat. Kaum noch aus Unwissenheit ist es zu erklären, wenn Sie den National¬ ökonomen, der Änderungsvorschläge macht, als Moralprediger verspotten. Gerade der eine unter den Gelehrten der bürgerlichen Klasse, den Sie zu kritisieren sich wohl gehütet haben, der zwar keine Kathedra eingenommen hat, der aber dafür wirklicher und entschiedner Sozialist gewesen ist, Rodbertus, hat die Moralpredigt auf das entschiedenste aus der Nationalökonomie ver¬ bannt. Die Vernunft freilich nicht, wie Sie es thun; von dieser hat er aller¬ dings gefordert, daß sie, wie in allen übrigen menschlichen Dingen, so auch im Wirtschaftsleben herrschen solle. Und noch eins, Verehrtester! Wie kommen denn Sie dazu, sich so oft über den demagogischen Ton zu beschweren, den manche bürgerlichen Ökonomen anschlugen? Niemand hat jemals entschiedner und unbedingter als Sie das Wirtschaftsleben als einen reinen Machtkampf dargestellt, in einem solchen aber ist jedes Mittel nicht allein erlaubt, sondern geboten, wie ja anch im Kriege alles, was den Zweck des Kriegführenden fördert, für erlaubt und nur unnützes Wüsten und Morden sür unerlaubt gilt. In einem politischen Kampfe aber — und eines solchen Gestalt nimmt jeder wirtschaftliche und soziale Kampf mit Notwendigkeit an — kann der Endzweck ohne Demagogie schlechterdings nicht erreicht werden; denn da jeder politische Kampf ein Massenkampf ist, die Massen aber nicht, wie ein Kriegsheer, nach

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/368
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/368>, abgerufen am 23.07.2024.