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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Reinhold

spruchten Unsterblichkeit des Menschen nicht Halt macht. Die Konkurrenz um
die beschränkte Weide erneuert sich immer wieder und wird eher heftiger als
schwächer. Der Wille übt daher hier nahezu mit der Gewalt eines physischen
Naturgesetzes seine ausschließliche Herrschaft, und die Vernunft, die Idee hat
gar nicht mitzureden. Sie wird in diesem entfesselten Willenskampf nur als
hausbackner, praktischer Verstand zugelassen, also nur als Werkzeug eben des
Willens, der bekämpft werden soll" (S. 473 bis 474).

Wenn die Regierung Herrn Bebel beauftragt hätte, den fraglichen Lehr¬
stuhl zu besetzen, die Wahl hätte nicht schöner ausfallen können. Denn was
wird denn ein sozialdemokratischer Arbeiter Herrn Reinhold antworten? Bravo!
wird er rufen, "das eben ists ja, was wir immer sagen! Ihr Professoren
und überhaupt ihr Staatsbeamten, Pfaffen und sonstige Pfründner habt uns
gar nicht drein zu reden und uns mit euerm überflüssigen bezahlten Kohl in
unserm harten Kampfe ums Dasein zu stören und zu beirren. Und darum
schweigen auch Sie gefülligst, verehrter Herr Reinhold! Wie kommen Sie
dazu, sich nicht allein in unsre Angelegenheiten einzumischen, sondern noch
dazu für die Unternehmer Partei zu nehmen? Empfangen nicht auch Sie
an jedem Ersten Ihr hübsches Sümmchen? Sind nicht auch Sie auf
Lebenszeit gesichert? Was wissen denn Sie von den Unternehmersorgen,
was wissen Sie gar erst vom Arbeiterelend? Das ists ja, was uns so er¬
bittert, wenn ihr Beamten gegen uns Partei nehmt, die ihr genau das habt,
was wir erstreben: eine auskömmliche Besoldung und Existenzsicherheit. Sind
etwa unsre Dienste weniger wert als die euern? Im Gegenteil! Ohne euer
Geschreibsel, mag es gelehrtes oder büreaukratisches sein, könnten Volk und
Vaterland ganz gut vier Jahre lang fortbestehn, ohne unsre Arbeit nicht vier
Wochen. Also lassen Sie uns gefälligst ungeschoren mit Ihrer Weisheit!
Was wir bei unserm Kampfe erreichen, das hängt, wie Sie ganz richtig sagen,
nicht vom Moralprediger ab und auch uicht vom Prediger der Jmmoral, wie
Sie einer sind, sondern allein vom Zwange der Verhältnisse. Wir wollen
mehr haben, die Unternehmer wollen festhalten, was sie haben. Lediglich
darauf kommt es an, wer von uns beiden auf die Dauer der Stärkere
sein wird. Und wenn wir unsre Stärke unverständig mißbrauchen und mit
den Unternehmern uns selbst zu Grunde richten, was geht das Sie an?
Einen -- geht Sie das an! Wir tragen nicht Ihre, sondern unsre Haut zu
Markte. Lehren Sie ja doch selbst, daß die Vernunft in dem Kampf ums
Dasei", der nun einmal Alleinherrscher sei in der Gesellschaft, nichts zu sagen
habe. Und da nach Ihrer Ansicht das Elend unausrottbar ist, so kann es
Ihnen doch wahrhaftig gleichartig sein, ob wir auf diese oder auf jene Weise
elend sind. Und wenn wir außer uns selbst auch noch die Unternehmer elend
machen und uns damit den elenden Trost verschaffen, daß keiner mehr lebt,
den wir zu beneiden Hütten, was berechtigt Sie, dagegen Einspruch zu er-


Reinhold

spruchten Unsterblichkeit des Menschen nicht Halt macht. Die Konkurrenz um
die beschränkte Weide erneuert sich immer wieder und wird eher heftiger als
schwächer. Der Wille übt daher hier nahezu mit der Gewalt eines physischen
Naturgesetzes seine ausschließliche Herrschaft, und die Vernunft, die Idee hat
gar nicht mitzureden. Sie wird in diesem entfesselten Willenskampf nur als
hausbackner, praktischer Verstand zugelassen, also nur als Werkzeug eben des
Willens, der bekämpft werden soll" (S. 473 bis 474).

Wenn die Regierung Herrn Bebel beauftragt hätte, den fraglichen Lehr¬
stuhl zu besetzen, die Wahl hätte nicht schöner ausfallen können. Denn was
wird denn ein sozialdemokratischer Arbeiter Herrn Reinhold antworten? Bravo!
wird er rufen, „das eben ists ja, was wir immer sagen! Ihr Professoren
und überhaupt ihr Staatsbeamten, Pfaffen und sonstige Pfründner habt uns
gar nicht drein zu reden und uns mit euerm überflüssigen bezahlten Kohl in
unserm harten Kampfe ums Dasein zu stören und zu beirren. Und darum
schweigen auch Sie gefülligst, verehrter Herr Reinhold! Wie kommen Sie
dazu, sich nicht allein in unsre Angelegenheiten einzumischen, sondern noch
dazu für die Unternehmer Partei zu nehmen? Empfangen nicht auch Sie
an jedem Ersten Ihr hübsches Sümmchen? Sind nicht auch Sie auf
Lebenszeit gesichert? Was wissen denn Sie von den Unternehmersorgen,
was wissen Sie gar erst vom Arbeiterelend? Das ists ja, was uns so er¬
bittert, wenn ihr Beamten gegen uns Partei nehmt, die ihr genau das habt,
was wir erstreben: eine auskömmliche Besoldung und Existenzsicherheit. Sind
etwa unsre Dienste weniger wert als die euern? Im Gegenteil! Ohne euer
Geschreibsel, mag es gelehrtes oder büreaukratisches sein, könnten Volk und
Vaterland ganz gut vier Jahre lang fortbestehn, ohne unsre Arbeit nicht vier
Wochen. Also lassen Sie uns gefälligst ungeschoren mit Ihrer Weisheit!
Was wir bei unserm Kampfe erreichen, das hängt, wie Sie ganz richtig sagen,
nicht vom Moralprediger ab und auch uicht vom Prediger der Jmmoral, wie
Sie einer sind, sondern allein vom Zwange der Verhältnisse. Wir wollen
mehr haben, die Unternehmer wollen festhalten, was sie haben. Lediglich
darauf kommt es an, wer von uns beiden auf die Dauer der Stärkere
sein wird. Und wenn wir unsre Stärke unverständig mißbrauchen und mit
den Unternehmern uns selbst zu Grunde richten, was geht das Sie an?
Einen — geht Sie das an! Wir tragen nicht Ihre, sondern unsre Haut zu
Markte. Lehren Sie ja doch selbst, daß die Vernunft in dem Kampf ums
Dasei», der nun einmal Alleinherrscher sei in der Gesellschaft, nichts zu sagen
habe. Und da nach Ihrer Ansicht das Elend unausrottbar ist, so kann es
Ihnen doch wahrhaftig gleichartig sein, ob wir auf diese oder auf jene Weise
elend sind. Und wenn wir außer uns selbst auch noch die Unternehmer elend
machen und uns damit den elenden Trost verschaffen, daß keiner mehr lebt,
den wir zu beneiden Hütten, was berechtigt Sie, dagegen Einspruch zu er-


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[0367] Reinhold spruchten Unsterblichkeit des Menschen nicht Halt macht. Die Konkurrenz um die beschränkte Weide erneuert sich immer wieder und wird eher heftiger als schwächer. Der Wille übt daher hier nahezu mit der Gewalt eines physischen Naturgesetzes seine ausschließliche Herrschaft, und die Vernunft, die Idee hat gar nicht mitzureden. Sie wird in diesem entfesselten Willenskampf nur als hausbackner, praktischer Verstand zugelassen, also nur als Werkzeug eben des Willens, der bekämpft werden soll" (S. 473 bis 474). Wenn die Regierung Herrn Bebel beauftragt hätte, den fraglichen Lehr¬ stuhl zu besetzen, die Wahl hätte nicht schöner ausfallen können. Denn was wird denn ein sozialdemokratischer Arbeiter Herrn Reinhold antworten? Bravo! wird er rufen, „das eben ists ja, was wir immer sagen! Ihr Professoren und überhaupt ihr Staatsbeamten, Pfaffen und sonstige Pfründner habt uns gar nicht drein zu reden und uns mit euerm überflüssigen bezahlten Kohl in unserm harten Kampfe ums Dasein zu stören und zu beirren. Und darum schweigen auch Sie gefülligst, verehrter Herr Reinhold! Wie kommen Sie dazu, sich nicht allein in unsre Angelegenheiten einzumischen, sondern noch dazu für die Unternehmer Partei zu nehmen? Empfangen nicht auch Sie an jedem Ersten Ihr hübsches Sümmchen? Sind nicht auch Sie auf Lebenszeit gesichert? Was wissen denn Sie von den Unternehmersorgen, was wissen Sie gar erst vom Arbeiterelend? Das ists ja, was uns so er¬ bittert, wenn ihr Beamten gegen uns Partei nehmt, die ihr genau das habt, was wir erstreben: eine auskömmliche Besoldung und Existenzsicherheit. Sind etwa unsre Dienste weniger wert als die euern? Im Gegenteil! Ohne euer Geschreibsel, mag es gelehrtes oder büreaukratisches sein, könnten Volk und Vaterland ganz gut vier Jahre lang fortbestehn, ohne unsre Arbeit nicht vier Wochen. Also lassen Sie uns gefälligst ungeschoren mit Ihrer Weisheit! Was wir bei unserm Kampfe erreichen, das hängt, wie Sie ganz richtig sagen, nicht vom Moralprediger ab und auch uicht vom Prediger der Jmmoral, wie Sie einer sind, sondern allein vom Zwange der Verhältnisse. Wir wollen mehr haben, die Unternehmer wollen festhalten, was sie haben. Lediglich darauf kommt es an, wer von uns beiden auf die Dauer der Stärkere sein wird. Und wenn wir unsre Stärke unverständig mißbrauchen und mit den Unternehmern uns selbst zu Grunde richten, was geht das Sie an? Einen — geht Sie das an! Wir tragen nicht Ihre, sondern unsre Haut zu Markte. Lehren Sie ja doch selbst, daß die Vernunft in dem Kampf ums Dasei», der nun einmal Alleinherrscher sei in der Gesellschaft, nichts zu sagen habe. Und da nach Ihrer Ansicht das Elend unausrottbar ist, so kann es Ihnen doch wahrhaftig gleichartig sein, ob wir auf diese oder auf jene Weise elend sind. Und wenn wir außer uns selbst auch noch die Unternehmer elend machen und uns damit den elenden Trost verschaffen, daß keiner mehr lebt, den wir zu beneiden Hütten, was berechtigt Sie, dagegen Einspruch zu er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/367>, abgerufen am 23.07.2024.