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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Reinhold

Daseinsfrage gestellt. Die Männer des gelehrten Sozialismus "stehen abseits
vom Strom und schauen von der olympischen Höhe der Betrachtung den mit
den Fluten ringenden zu. Sie kennen weder den furchtbaren Ernst dieses
Kampfes, noch seine Technik. Die weit überwiegende Mehrheit der sozialistischen
Gelehrten ist mit einem auskömmlichen Gehalt angestellt und der Sorge um
das tägliche und weitere Brot entrückt. An festen Kalendertagen erhalten sie
aus öffentlichen Kassen eine namhafte Geldsumme, die gerade den an inner¬
lichem Leben reichen Angehörigen der Geistesrepublik genügt und einen be¬
ruhigenden Wirtschaftsplan für die ganze Lebenszeit ermöglicht. Staat und
Gemeinde, das ganze Volk erscheinen als Garanten ihres Lebens. Keine
Handels- und Gewerbekrisis, keine Konkurrenz, keine Bankrotte oder böswillige
Schuldner, keine Revolutionen in Technik, Ökonomie, Markt und Mode ge¬
fährden ihr Einkommen oder gar ihre Existenz, selbst ein Krieg wird sie selten
außer Brot setzen, alle die erwähnten Gefahren, die wie Nachtgespenster den
kämpfenden Fabrikanten, Kaufmann und Handwerker durchs Leben begleiten,
bleiben dem Gelehrten abstrakte Möglichkeiten für andre, die seinen Gedanken¬
kreis nicht stören. So mag er mit Behagen in dem sanften Strome seines
materiell anspruchslosen, aber gesicherten Lebens dahinschwimmen. Er hat die
Muße, die geistige Anregung und den amtlichen oder vermeintlichen Beruf, sich
der Schaffung einer Theorie hinzugeben, deren praktische Durchführung auf
seine eigne Rechnung er nie zu besorgen hat." Damit solle natürlich nicht
gesagt sein, daß die Aufstellung eines idealen Maßstabs für das richtige Ver¬
fahren im wirtschaftlichen Leben unzulässig und prinzipiell zu verwerfen sei.
Nur solle der Gesetzgeber eines solchen kategorischen Imperativs anerkennen,
daß sein Standpunkt theoretisch ist. Wie weit seine Forderungen durchzusetzen
seien, das habe nicht der Moralprediger zu bestimmen, der das Geld aus
fremden Taschen an die Armen verleite, sondern der das Opfer zu bringen
habe, müsse gefragt werden. Und ungezwungen werde dieser niemals ja sagen.
"Das Opfer muß also durch den vereinigten Willen der Ausgebeuteten er¬
zwungen werden. Auf das mögliche Maß aber wirkt der Gegenzwang auf der
andern Seite, der verzweifelte Widerstand der Besitzer, Unternehmer und Fabri¬
kanten, die jeden Zoll ihrer Herrschaft verteidigen" (S. 444 bis 446). Ent¬
scheidend für das Maß der möglichen Zugeständnisse sei allemal der Zwang
der Verhältnisse. "Kein Koalitionsrecht mit der Folge von Lohnsteigerung
und Freiheit, keine Erhöhung des swuäarä ok Ms mit und ohne Eingreifen der
Staatsgewalt kann die Wirkungen der Konjunktur und die Bewegung des
Weltmarkts ändern. Wie dauernd fallende Konjunkturen große Vermögen zer¬
stören können, so werden sie auch das Verderbe" der vom Lohnfonds Lebenden"
(S. 467). "So führt die Untersuchung immer wieder auf den allerdings
harten, ja trostlosen Satz zurück, daß der Kampf ums Dasein, der die orga¬
nische Welt beherrscht, auch vor der eingebildeten Herrlichkeit und der beau-


Reinhold

Daseinsfrage gestellt. Die Männer des gelehrten Sozialismus „stehen abseits
vom Strom und schauen von der olympischen Höhe der Betrachtung den mit
den Fluten ringenden zu. Sie kennen weder den furchtbaren Ernst dieses
Kampfes, noch seine Technik. Die weit überwiegende Mehrheit der sozialistischen
Gelehrten ist mit einem auskömmlichen Gehalt angestellt und der Sorge um
das tägliche und weitere Brot entrückt. An festen Kalendertagen erhalten sie
aus öffentlichen Kassen eine namhafte Geldsumme, die gerade den an inner¬
lichem Leben reichen Angehörigen der Geistesrepublik genügt und einen be¬
ruhigenden Wirtschaftsplan für die ganze Lebenszeit ermöglicht. Staat und
Gemeinde, das ganze Volk erscheinen als Garanten ihres Lebens. Keine
Handels- und Gewerbekrisis, keine Konkurrenz, keine Bankrotte oder böswillige
Schuldner, keine Revolutionen in Technik, Ökonomie, Markt und Mode ge¬
fährden ihr Einkommen oder gar ihre Existenz, selbst ein Krieg wird sie selten
außer Brot setzen, alle die erwähnten Gefahren, die wie Nachtgespenster den
kämpfenden Fabrikanten, Kaufmann und Handwerker durchs Leben begleiten,
bleiben dem Gelehrten abstrakte Möglichkeiten für andre, die seinen Gedanken¬
kreis nicht stören. So mag er mit Behagen in dem sanften Strome seines
materiell anspruchslosen, aber gesicherten Lebens dahinschwimmen. Er hat die
Muße, die geistige Anregung und den amtlichen oder vermeintlichen Beruf, sich
der Schaffung einer Theorie hinzugeben, deren praktische Durchführung auf
seine eigne Rechnung er nie zu besorgen hat." Damit solle natürlich nicht
gesagt sein, daß die Aufstellung eines idealen Maßstabs für das richtige Ver¬
fahren im wirtschaftlichen Leben unzulässig und prinzipiell zu verwerfen sei.
Nur solle der Gesetzgeber eines solchen kategorischen Imperativs anerkennen,
daß sein Standpunkt theoretisch ist. Wie weit seine Forderungen durchzusetzen
seien, das habe nicht der Moralprediger zu bestimmen, der das Geld aus
fremden Taschen an die Armen verleite, sondern der das Opfer zu bringen
habe, müsse gefragt werden. Und ungezwungen werde dieser niemals ja sagen.
„Das Opfer muß also durch den vereinigten Willen der Ausgebeuteten er¬
zwungen werden. Auf das mögliche Maß aber wirkt der Gegenzwang auf der
andern Seite, der verzweifelte Widerstand der Besitzer, Unternehmer und Fabri¬
kanten, die jeden Zoll ihrer Herrschaft verteidigen" (S. 444 bis 446). Ent¬
scheidend für das Maß der möglichen Zugeständnisse sei allemal der Zwang
der Verhältnisse. „Kein Koalitionsrecht mit der Folge von Lohnsteigerung
und Freiheit, keine Erhöhung des swuäarä ok Ms mit und ohne Eingreifen der
Staatsgewalt kann die Wirkungen der Konjunktur und die Bewegung des
Weltmarkts ändern. Wie dauernd fallende Konjunkturen große Vermögen zer¬
stören können, so werden sie auch das Verderbe« der vom Lohnfonds Lebenden"
(S. 467). „So führt die Untersuchung immer wieder auf den allerdings
harten, ja trostlosen Satz zurück, daß der Kampf ums Dasein, der die orga¬
nische Welt beherrscht, auch vor der eingebildeten Herrlichkeit und der beau-


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[0366] Reinhold Daseinsfrage gestellt. Die Männer des gelehrten Sozialismus „stehen abseits vom Strom und schauen von der olympischen Höhe der Betrachtung den mit den Fluten ringenden zu. Sie kennen weder den furchtbaren Ernst dieses Kampfes, noch seine Technik. Die weit überwiegende Mehrheit der sozialistischen Gelehrten ist mit einem auskömmlichen Gehalt angestellt und der Sorge um das tägliche und weitere Brot entrückt. An festen Kalendertagen erhalten sie aus öffentlichen Kassen eine namhafte Geldsumme, die gerade den an inner¬ lichem Leben reichen Angehörigen der Geistesrepublik genügt und einen be¬ ruhigenden Wirtschaftsplan für die ganze Lebenszeit ermöglicht. Staat und Gemeinde, das ganze Volk erscheinen als Garanten ihres Lebens. Keine Handels- und Gewerbekrisis, keine Konkurrenz, keine Bankrotte oder böswillige Schuldner, keine Revolutionen in Technik, Ökonomie, Markt und Mode ge¬ fährden ihr Einkommen oder gar ihre Existenz, selbst ein Krieg wird sie selten außer Brot setzen, alle die erwähnten Gefahren, die wie Nachtgespenster den kämpfenden Fabrikanten, Kaufmann und Handwerker durchs Leben begleiten, bleiben dem Gelehrten abstrakte Möglichkeiten für andre, die seinen Gedanken¬ kreis nicht stören. So mag er mit Behagen in dem sanften Strome seines materiell anspruchslosen, aber gesicherten Lebens dahinschwimmen. Er hat die Muße, die geistige Anregung und den amtlichen oder vermeintlichen Beruf, sich der Schaffung einer Theorie hinzugeben, deren praktische Durchführung auf seine eigne Rechnung er nie zu besorgen hat." Damit solle natürlich nicht gesagt sein, daß die Aufstellung eines idealen Maßstabs für das richtige Ver¬ fahren im wirtschaftlichen Leben unzulässig und prinzipiell zu verwerfen sei. Nur solle der Gesetzgeber eines solchen kategorischen Imperativs anerkennen, daß sein Standpunkt theoretisch ist. Wie weit seine Forderungen durchzusetzen seien, das habe nicht der Moralprediger zu bestimmen, der das Geld aus fremden Taschen an die Armen verleite, sondern der das Opfer zu bringen habe, müsse gefragt werden. Und ungezwungen werde dieser niemals ja sagen. „Das Opfer muß also durch den vereinigten Willen der Ausgebeuteten er¬ zwungen werden. Auf das mögliche Maß aber wirkt der Gegenzwang auf der andern Seite, der verzweifelte Widerstand der Besitzer, Unternehmer und Fabri¬ kanten, die jeden Zoll ihrer Herrschaft verteidigen" (S. 444 bis 446). Ent¬ scheidend für das Maß der möglichen Zugeständnisse sei allemal der Zwang der Verhältnisse. „Kein Koalitionsrecht mit der Folge von Lohnsteigerung und Freiheit, keine Erhöhung des swuäarä ok Ms mit und ohne Eingreifen der Staatsgewalt kann die Wirkungen der Konjunktur und die Bewegung des Weltmarkts ändern. Wie dauernd fallende Konjunkturen große Vermögen zer¬ stören können, so werden sie auch das Verderbe« der vom Lohnfonds Lebenden" (S. 467). „So führt die Untersuchung immer wieder auf den allerdings harten, ja trostlosen Satz zurück, daß der Kampf ums Dasein, der die orga¬ nische Welt beherrscht, auch vor der eingebildeten Herrlichkeit und der beau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/366>, abgerufen am 23.07.2024.