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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Reinhold

Reinhold will aber nicht bloß seine Weltanschauung darlegen, sein Buch
hat eine polemische Tendenz; diese richtet sich, wie man sich denken kann, gegen
die Sozialisten und gegen die Sozialreformer, da diese ja etwas unternehmen,
was nach seiner Ansicht aussichtslos und thöricht ist. Von den Sozialisten
wollen wir nicht weiter reden; da die Zeit des Glaubens an Utopien vorüber
ist, und selbst Bebel vom großen Kladderadatsch und von dem daraus hervor¬
gehenden Zukunftsstaat nichts mehr wissen mag, so hat sich Reinhold mit der
Polemik gegen deren Phantasien eine ganz überflüssige Mühe gemacht. Etwas
anders steht es mit den Sozialreformern, die Reinhold nach einem schlechten
Brauch Kathedersozialisten nennt. Zwar sind diese Herren Manns genug, sich
selbst zu wehren, wenn sie es der Mühe für wert halten, und einer von ihnen.
Schaffte, hat schon den Kritiker gründlich abgefertigt; aber da auch mancher
andre Mann, der gar keinen Lehrstuhl inne hat und in keinem Sinne Sozialist
ist, dieser über die bekannten Professoren verhängten Verdammnis verfüllt, so
liegt es im allgemeinen Interesse, die Methode des gestrengen Richters ein
wenig zu beleuchten.

Zunächst ist es durchaus illoyal, daß er diese Männer Sozinlisten nennt.
Er zeigt selber, daß sie keine sind, daß sie weder das Privateigentum noch
die Vermögensungleichheit anfechten; aber weit entfernt davon, daraus den
Schluß zu zieh", daß die Bezeichnung Kathedersozialisten unwahr und ungerecht
ist, macht er ihnen vielmehr einen Vorwurf daraus: sie seien inkonsequent;
wenn sie richtige Sozialisten sein wollten (was sie eben nicht wollen und niemals
gewollt haben), so müßten sie für alle das gleiche Einkommen fordern. Warum
sollen sie nun schlechterdings Sozialisten sein? Weil sie in der Kritik des
gegenwärtigen Gesellschaftszustandes mit den Sozialisten übereinstimmen. Das
ist geradeso, wie wenn einer, der das schlesische 120-MillionenProjekt für
Flußregulierung mißbilligt, die Hochwasserschäden leugnen und jedem, der davon
spricht, sagen wollte: Wenn du die Hochwasserschäden anerkennst, mußt du
auch die Ausführung dieses von mir für verwerflich erklärten Projekts fordern.
Übrigens leugnet Reinhold die wirtschaftlichen Übelstände keineswegs; er ent¬
wirft, wie schon erwähnt worden ist, die düstersten Schilderungen davon; aber
er fordert, daß man sich dadurch nicht rühren und zu Reformen bewegen lasse,
sondern das Elend als eine unabänderliche Notwendigkeit hinnehme.

Dann macht er den Professoren -- man höre und staune -- ihre Un¬
parteilichkeit zum Vorwurf. "Der Sozialismus der Gelehrten ist von seiner
räumlichen Stellungnahme aus von vornherein anfechtbar. Sein Standpunkt
liegt außerhalb des Kampffeldes und kann in einer gegebnen Welt nicht richtig
sein, weil er durch Interesselosigkeit unbefangen ist. In einem notwendigen
Kampf um die Weide ist jeder Unbeteiligte inkompetent, wenn er bestimmen
will, ob und wie dieser Kampf geführt werden soll." Es handle sich nicht
um ein Urteil darüber, was Rechtens sei; im wirtschaftlichen Kampfe sei die


Reinhold

Reinhold will aber nicht bloß seine Weltanschauung darlegen, sein Buch
hat eine polemische Tendenz; diese richtet sich, wie man sich denken kann, gegen
die Sozialisten und gegen die Sozialreformer, da diese ja etwas unternehmen,
was nach seiner Ansicht aussichtslos und thöricht ist. Von den Sozialisten
wollen wir nicht weiter reden; da die Zeit des Glaubens an Utopien vorüber
ist, und selbst Bebel vom großen Kladderadatsch und von dem daraus hervor¬
gehenden Zukunftsstaat nichts mehr wissen mag, so hat sich Reinhold mit der
Polemik gegen deren Phantasien eine ganz überflüssige Mühe gemacht. Etwas
anders steht es mit den Sozialreformern, die Reinhold nach einem schlechten
Brauch Kathedersozialisten nennt. Zwar sind diese Herren Manns genug, sich
selbst zu wehren, wenn sie es der Mühe für wert halten, und einer von ihnen.
Schaffte, hat schon den Kritiker gründlich abgefertigt; aber da auch mancher
andre Mann, der gar keinen Lehrstuhl inne hat und in keinem Sinne Sozialist
ist, dieser über die bekannten Professoren verhängten Verdammnis verfüllt, so
liegt es im allgemeinen Interesse, die Methode des gestrengen Richters ein
wenig zu beleuchten.

Zunächst ist es durchaus illoyal, daß er diese Männer Sozinlisten nennt.
Er zeigt selber, daß sie keine sind, daß sie weder das Privateigentum noch
die Vermögensungleichheit anfechten; aber weit entfernt davon, daraus den
Schluß zu zieh«, daß die Bezeichnung Kathedersozialisten unwahr und ungerecht
ist, macht er ihnen vielmehr einen Vorwurf daraus: sie seien inkonsequent;
wenn sie richtige Sozialisten sein wollten (was sie eben nicht wollen und niemals
gewollt haben), so müßten sie für alle das gleiche Einkommen fordern. Warum
sollen sie nun schlechterdings Sozialisten sein? Weil sie in der Kritik des
gegenwärtigen Gesellschaftszustandes mit den Sozialisten übereinstimmen. Das
ist geradeso, wie wenn einer, der das schlesische 120-MillionenProjekt für
Flußregulierung mißbilligt, die Hochwasserschäden leugnen und jedem, der davon
spricht, sagen wollte: Wenn du die Hochwasserschäden anerkennst, mußt du
auch die Ausführung dieses von mir für verwerflich erklärten Projekts fordern.
Übrigens leugnet Reinhold die wirtschaftlichen Übelstände keineswegs; er ent¬
wirft, wie schon erwähnt worden ist, die düstersten Schilderungen davon; aber
er fordert, daß man sich dadurch nicht rühren und zu Reformen bewegen lasse,
sondern das Elend als eine unabänderliche Notwendigkeit hinnehme.

Dann macht er den Professoren — man höre und staune — ihre Un¬
parteilichkeit zum Vorwurf. „Der Sozialismus der Gelehrten ist von seiner
räumlichen Stellungnahme aus von vornherein anfechtbar. Sein Standpunkt
liegt außerhalb des Kampffeldes und kann in einer gegebnen Welt nicht richtig
sein, weil er durch Interesselosigkeit unbefangen ist. In einem notwendigen
Kampf um die Weide ist jeder Unbeteiligte inkompetent, wenn er bestimmen
will, ob und wie dieser Kampf geführt werden soll." Es handle sich nicht
um ein Urteil darüber, was Rechtens sei; im wirtschaftlichen Kampfe sei die


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[0365] Reinhold Reinhold will aber nicht bloß seine Weltanschauung darlegen, sein Buch hat eine polemische Tendenz; diese richtet sich, wie man sich denken kann, gegen die Sozialisten und gegen die Sozialreformer, da diese ja etwas unternehmen, was nach seiner Ansicht aussichtslos und thöricht ist. Von den Sozialisten wollen wir nicht weiter reden; da die Zeit des Glaubens an Utopien vorüber ist, und selbst Bebel vom großen Kladderadatsch und von dem daraus hervor¬ gehenden Zukunftsstaat nichts mehr wissen mag, so hat sich Reinhold mit der Polemik gegen deren Phantasien eine ganz überflüssige Mühe gemacht. Etwas anders steht es mit den Sozialreformern, die Reinhold nach einem schlechten Brauch Kathedersozialisten nennt. Zwar sind diese Herren Manns genug, sich selbst zu wehren, wenn sie es der Mühe für wert halten, und einer von ihnen. Schaffte, hat schon den Kritiker gründlich abgefertigt; aber da auch mancher andre Mann, der gar keinen Lehrstuhl inne hat und in keinem Sinne Sozialist ist, dieser über die bekannten Professoren verhängten Verdammnis verfüllt, so liegt es im allgemeinen Interesse, die Methode des gestrengen Richters ein wenig zu beleuchten. Zunächst ist es durchaus illoyal, daß er diese Männer Sozinlisten nennt. Er zeigt selber, daß sie keine sind, daß sie weder das Privateigentum noch die Vermögensungleichheit anfechten; aber weit entfernt davon, daraus den Schluß zu zieh«, daß die Bezeichnung Kathedersozialisten unwahr und ungerecht ist, macht er ihnen vielmehr einen Vorwurf daraus: sie seien inkonsequent; wenn sie richtige Sozialisten sein wollten (was sie eben nicht wollen und niemals gewollt haben), so müßten sie für alle das gleiche Einkommen fordern. Warum sollen sie nun schlechterdings Sozialisten sein? Weil sie in der Kritik des gegenwärtigen Gesellschaftszustandes mit den Sozialisten übereinstimmen. Das ist geradeso, wie wenn einer, der das schlesische 120-MillionenProjekt für Flußregulierung mißbilligt, die Hochwasserschäden leugnen und jedem, der davon spricht, sagen wollte: Wenn du die Hochwasserschäden anerkennst, mußt du auch die Ausführung dieses von mir für verwerflich erklärten Projekts fordern. Übrigens leugnet Reinhold die wirtschaftlichen Übelstände keineswegs; er ent¬ wirft, wie schon erwähnt worden ist, die düstersten Schilderungen davon; aber er fordert, daß man sich dadurch nicht rühren und zu Reformen bewegen lasse, sondern das Elend als eine unabänderliche Notwendigkeit hinnehme. Dann macht er den Professoren — man höre und staune — ihre Un¬ parteilichkeit zum Vorwurf. „Der Sozialismus der Gelehrten ist von seiner räumlichen Stellungnahme aus von vornherein anfechtbar. Sein Standpunkt liegt außerhalb des Kampffeldes und kann in einer gegebnen Welt nicht richtig sein, weil er durch Interesselosigkeit unbefangen ist. In einem notwendigen Kampf um die Weide ist jeder Unbeteiligte inkompetent, wenn er bestimmen will, ob und wie dieser Kampf geführt werden soll." Es handle sich nicht um ein Urteil darüber, was Rechtens sei; im wirtschaftlichen Kampfe sei die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/365>, abgerufen am 23.07.2024.