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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Hansestädte und Rolonialpolitik

Das bedarf natürlich einer genauern Erklärung, und vielleicht ist gerade
jetzt, wo sich eine gewisse Wendung anzubahnen scheint, die Zeit dazu gekommen.
In Hamburg ist die Kolonialgesellschaft schon vor einiger Zeit geräuschvoll
wieder erstanden, in Bremen gegen Ende des vorigen Jahres ebenfalls. Lübeck,
die kleinste und vom großen Weltverkehr entlegenste der Hansestädte, hat sich,
charakteristisch genug, von Anfang an freundlicher zur Kolonialpolitik gestellt,
obwohl auch dort der Kaufmannsstand im allgemeinen eine abwartende Haltung
einnimmt. Was insbesondre Bremen anlangt, so hat hier die Besetzung von
Kiautschou eine starke Wirkung hervorgebracht und die Stimmung geändert.
Von wirklicher Kolonialbegeisterung ist deshalb aber noch lange keine Rede,
und die Ansprache, mit der Senator Unheils die neubegründete Abteilung der
Kolonialgesellschaft eröffnete, konnte kaum kühler und vorsichtiger gehalten sein.

Es ist eine Reihe verschiedner, aber eng miteinander zusammenhängender
Ursachen, die die abweisende Haltung der Hansestädte bewirkt hat. Man muß
sich zunächst erinnern, daß Hamburg und Bremen große Mittelpunkte des
Handels sind, in denen der Kaufmann mit seiner eignen kühl-praktischen
Lebensanschauung den Ton angiebt; alles, was an die Hanseaten herantritt,
muß sich wohl oder übel darauf ansehen lassen, ob es für die Geschäfte günstig
ist oder nicht, ob es sichern Ertrag verspricht, oder ob den unvermeidlichen
Kosten nur zweifelhafte Zukunftshoffnungen gegenüberstehen. Natürlich be¬
standen die neuermvrbnen Kolonien das Examen schlecht: ihr Nutzen war
vorerst gering, die Notwendigkeit, gerade in ihnen Handel zu treiben, lag nicht
vor, und zum Überfluß begann sich die Bureaukratie dort breit zu mache",
die mit ihren Verordnungen und Schreibereien dem auf freie Bewegung an¬
gewiesenen Großkaufmann ein Greuel ist. Daß man aber die Vorteile des
Kolonialbesitzes für die Zukunft und den Einfluß des Reichsschutzes auf die
weitere Entwicklung wenig achtete, liegt abgesehen von der eben erwähnten
Scheu vor allem büreaukratischen Wesen in dem herkömmlichen Gedankengang
der ältern Generation hanseatischer Kaufleute begründet, die lange vor der
Errichtung des Reichs schon erfolgreich ihre Geschäfte im Auslande trieben.
Und hier liegt ein zweiter wichtiger Punkt: der Nutzen des bewaffneten
Schutzes, den die deutsche Flotte jetzt allen im Auslande lebenden Deutschen
angedeihen läßt, ist gerade in den Hansestädten nicht so lebhaft und dankbar
empfunden worden, wie sich erwarten ließe. Flotte und Kolonialpolitik aber
stehen ja neuerdings im engsten Zusammenhang.

Es ist von wohlmeinenden Enthusiasten der Gegensatz zwischen Einst und
Jetzt, zwischen der frühern völligen Schutzlosigkeit des Handels und dem heutigen
allgemeinen Respekt vor Deutschland so oft und so glühend geschildert worden,
daß man leicht übersehen konnte, ein wie geringes Echo diese Erörterungen in
den Hansestädten fanden, ja wie gelegentlich einmal von der hanseatischen
Presse ein kleiner Wasserstrahl gegen diese Begeisterung gerichtet wurde. In


Hansestädte und Rolonialpolitik

Das bedarf natürlich einer genauern Erklärung, und vielleicht ist gerade
jetzt, wo sich eine gewisse Wendung anzubahnen scheint, die Zeit dazu gekommen.
In Hamburg ist die Kolonialgesellschaft schon vor einiger Zeit geräuschvoll
wieder erstanden, in Bremen gegen Ende des vorigen Jahres ebenfalls. Lübeck,
die kleinste und vom großen Weltverkehr entlegenste der Hansestädte, hat sich,
charakteristisch genug, von Anfang an freundlicher zur Kolonialpolitik gestellt,
obwohl auch dort der Kaufmannsstand im allgemeinen eine abwartende Haltung
einnimmt. Was insbesondre Bremen anlangt, so hat hier die Besetzung von
Kiautschou eine starke Wirkung hervorgebracht und die Stimmung geändert.
Von wirklicher Kolonialbegeisterung ist deshalb aber noch lange keine Rede,
und die Ansprache, mit der Senator Unheils die neubegründete Abteilung der
Kolonialgesellschaft eröffnete, konnte kaum kühler und vorsichtiger gehalten sein.

Es ist eine Reihe verschiedner, aber eng miteinander zusammenhängender
Ursachen, die die abweisende Haltung der Hansestädte bewirkt hat. Man muß
sich zunächst erinnern, daß Hamburg und Bremen große Mittelpunkte des
Handels sind, in denen der Kaufmann mit seiner eignen kühl-praktischen
Lebensanschauung den Ton angiebt; alles, was an die Hanseaten herantritt,
muß sich wohl oder übel darauf ansehen lassen, ob es für die Geschäfte günstig
ist oder nicht, ob es sichern Ertrag verspricht, oder ob den unvermeidlichen
Kosten nur zweifelhafte Zukunftshoffnungen gegenüberstehen. Natürlich be¬
standen die neuermvrbnen Kolonien das Examen schlecht: ihr Nutzen war
vorerst gering, die Notwendigkeit, gerade in ihnen Handel zu treiben, lag nicht
vor, und zum Überfluß begann sich die Bureaukratie dort breit zu mache»,
die mit ihren Verordnungen und Schreibereien dem auf freie Bewegung an¬
gewiesenen Großkaufmann ein Greuel ist. Daß man aber die Vorteile des
Kolonialbesitzes für die Zukunft und den Einfluß des Reichsschutzes auf die
weitere Entwicklung wenig achtete, liegt abgesehen von der eben erwähnten
Scheu vor allem büreaukratischen Wesen in dem herkömmlichen Gedankengang
der ältern Generation hanseatischer Kaufleute begründet, die lange vor der
Errichtung des Reichs schon erfolgreich ihre Geschäfte im Auslande trieben.
Und hier liegt ein zweiter wichtiger Punkt: der Nutzen des bewaffneten
Schutzes, den die deutsche Flotte jetzt allen im Auslande lebenden Deutschen
angedeihen läßt, ist gerade in den Hansestädten nicht so lebhaft und dankbar
empfunden worden, wie sich erwarten ließe. Flotte und Kolonialpolitik aber
stehen ja neuerdings im engsten Zusammenhang.

Es ist von wohlmeinenden Enthusiasten der Gegensatz zwischen Einst und
Jetzt, zwischen der frühern völligen Schutzlosigkeit des Handels und dem heutigen
allgemeinen Respekt vor Deutschland so oft und so glühend geschildert worden,
daß man leicht übersehen konnte, ein wie geringes Echo diese Erörterungen in
den Hansestädten fanden, ja wie gelegentlich einmal von der hanseatischen
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[0354] Hansestädte und Rolonialpolitik Das bedarf natürlich einer genauern Erklärung, und vielleicht ist gerade jetzt, wo sich eine gewisse Wendung anzubahnen scheint, die Zeit dazu gekommen. In Hamburg ist die Kolonialgesellschaft schon vor einiger Zeit geräuschvoll wieder erstanden, in Bremen gegen Ende des vorigen Jahres ebenfalls. Lübeck, die kleinste und vom großen Weltverkehr entlegenste der Hansestädte, hat sich, charakteristisch genug, von Anfang an freundlicher zur Kolonialpolitik gestellt, obwohl auch dort der Kaufmannsstand im allgemeinen eine abwartende Haltung einnimmt. Was insbesondre Bremen anlangt, so hat hier die Besetzung von Kiautschou eine starke Wirkung hervorgebracht und die Stimmung geändert. Von wirklicher Kolonialbegeisterung ist deshalb aber noch lange keine Rede, und die Ansprache, mit der Senator Unheils die neubegründete Abteilung der Kolonialgesellschaft eröffnete, konnte kaum kühler und vorsichtiger gehalten sein. Es ist eine Reihe verschiedner, aber eng miteinander zusammenhängender Ursachen, die die abweisende Haltung der Hansestädte bewirkt hat. Man muß sich zunächst erinnern, daß Hamburg und Bremen große Mittelpunkte des Handels sind, in denen der Kaufmann mit seiner eignen kühl-praktischen Lebensanschauung den Ton angiebt; alles, was an die Hanseaten herantritt, muß sich wohl oder übel darauf ansehen lassen, ob es für die Geschäfte günstig ist oder nicht, ob es sichern Ertrag verspricht, oder ob den unvermeidlichen Kosten nur zweifelhafte Zukunftshoffnungen gegenüberstehen. Natürlich be¬ standen die neuermvrbnen Kolonien das Examen schlecht: ihr Nutzen war vorerst gering, die Notwendigkeit, gerade in ihnen Handel zu treiben, lag nicht vor, und zum Überfluß begann sich die Bureaukratie dort breit zu mache», die mit ihren Verordnungen und Schreibereien dem auf freie Bewegung an¬ gewiesenen Großkaufmann ein Greuel ist. Daß man aber die Vorteile des Kolonialbesitzes für die Zukunft und den Einfluß des Reichsschutzes auf die weitere Entwicklung wenig achtete, liegt abgesehen von der eben erwähnten Scheu vor allem büreaukratischen Wesen in dem herkömmlichen Gedankengang der ältern Generation hanseatischer Kaufleute begründet, die lange vor der Errichtung des Reichs schon erfolgreich ihre Geschäfte im Auslande trieben. Und hier liegt ein zweiter wichtiger Punkt: der Nutzen des bewaffneten Schutzes, den die deutsche Flotte jetzt allen im Auslande lebenden Deutschen angedeihen läßt, ist gerade in den Hansestädten nicht so lebhaft und dankbar empfunden worden, wie sich erwarten ließe. Flotte und Kolonialpolitik aber stehen ja neuerdings im engsten Zusammenhang. Es ist von wohlmeinenden Enthusiasten der Gegensatz zwischen Einst und Jetzt, zwischen der frühern völligen Schutzlosigkeit des Handels und dem heutigen allgemeinen Respekt vor Deutschland so oft und so glühend geschildert worden, daß man leicht übersehen konnte, ein wie geringes Echo diese Erörterungen in den Hansestädten fanden, ja wie gelegentlich einmal von der hanseatischen Presse ein kleiner Wasserstrahl gegen diese Begeisterung gerichtet wurde. In

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/354>, abgerufen am 23.07.2024.