Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Der Assessor Dr. Treuter aus Halle, Vertreter der Landwirtschaftskammer der Aus der langen und interessanten Debatte können wir nur wenige Äußerungen Maßgebliches und Unmaßgebliches Der Assessor Dr. Treuter aus Halle, Vertreter der Landwirtschaftskammer der Aus der langen und interessanten Debatte können wir nur wenige Äußerungen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0348" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230034"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1466"> Der Assessor Dr. Treuter aus Halle, Vertreter der Landwirtschaftskammer der<lb/> Provinz Sachsen, legt dar, daß die städtischen Arbeitsnachweise den Landwirten<lb/> nichts nützen können. Diese müßten ihre eignen Arbeitsnachweise haben. In der<lb/> Provinz Sachsen habe vor sieben Jahren der landwirtschaftliche Zentralverein einen<lb/> begründet, und die Rechtsnachfolgerin des Vereins, die Landwirtschaftskammer, habe<lb/> ihn vor drei Jahren übernommen und ausgebaut. Ein Arbeitsnachweis, der nicht<lb/> von Landwirten geleitet werde, könne die Landwirte nicht gut bedienen. Denn es<lb/> gehöre die genauste Sachkenntnis dazu, zu beurteilen, ob ein Arbeiter für eine be¬<lb/> stimmte Stelle geeignet sei. Zur Landarbeit werde weit größere Geschicklichkeit er¬<lb/> fordert, als zu den meisten industriellen Arbeiten, und außerdem größere Körper¬<lb/> kraft; städtische Arbeitslose seien, schon weil ihnen die Körperkraft fehle, auf dem<lb/> Lande schlechterdings gar nicht zu gebrauchen. Zudem seien die Erfordernisse für<lb/> die verschiednen Verrichtungen und für verschiedne Wirtschaften so verschieden, daß<lb/> manchmal ein Arbeiter, der sich in dem einen Dienste ganz gut bewährt habe, für<lb/> einen andern nichts tauge. Die Gründe, die in der Industrie gegen einen bloß<lb/> aus Unternehmern bestehenden Arbeitsnachweis sprächen, seien auf dem Lande nicht<lb/> vorhanden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1467" next="#ID_1468"> Aus der langen und interessanten Debatte können wir nur wenige Äußerungen<lb/> anführen. Der Gewerkvereinsanwalt, Dr. Max Hirsch, hebt hervor, daß das<lb/> Interesse der Landwirte mit dem der städtischen Arbeiter zusammenfalle, denen ja<lb/> daran liegen müsse, Lohndrücker fern zu halten, und empfiehlt Belehrung der<lb/> Jugend über das furchtbare Elend, das den städtischen Arbeitern in vielen In¬<lb/> dustriezweigen beschieden sei. Baron von Cetto, Vertreter des deutschen Land¬<lb/> wirtschaftsrats, meint, die Belehrung sei namentlich Aufgabe des Geistlichen, der<lb/> auch Herausfinden müsse, welche von seinen Feiertngsschülern fürs Gewerbe, welche<lb/> für die Landwirtschaft sich besser eigneten. Professor Dr. Poeschel berichtet über<lb/> die Sachsenstiftung als ihr Vertreter. Diese hat es sich zur Aufgabe gemacht, „ge¬<lb/> dienten Soldaten, die ohne Verschulden stellenlos geworden, und besonders den<lb/> alljährlich im Herbst nach vorwurfsfrei erfüllter Dienstpflicht zur Reserve entlassenen<lb/> Mannschaften unentgeltlich Arbeit zu vermitteln." Es kann die Thatsache nicht<lb/> verschwiegen werden, sagt Herr Poeschel, „daß der Landwirtschaft ein großer Teil<lb/> ihrer Arbeiter durch den Militärdienst nicht nur vorübergehend entzogen, sondern<lb/> dauernd entfremdet wird (Rufe: Sehr richtig!). Es liegt mir fern, hieraus gegen<lb/> die militärischen Einrichtungen selbst einen Vorwurf abzuleiten; aber da die Truppen<lb/> aus taktischen Gründen auf die Städte konzentriert sein müssen, so lernen die jungen<lb/> Leute das Leben in der Stadt mit seinen Genüssen und Verführungen kennen, und<lb/> das eben entfremdet sie dem Lande. Ich spreche da keine Theorie aus, denn ich<lb/> stehe seit vier Jcihreu in der Praxis und habe mir viel Mühe gegeben, dem ent¬<lb/> gegen zu wirken. Wer vom Pfluge und Stalle weg zum Militärdienst gekommen<lb/> ist und dort zwei bis drei Jahre gedient hat, mag in der Regel aus der Stadt<lb/> nicht wieder hinaus. Am auffallendsten zeigt sich dies bei den Reservisten der<lb/> Kavallerieregimenter. Wenn einer mehrere Jahre hoch zu Roß gesessen hat, so<lb/> wünscht er bei seiner Entlassung allenfalls eine Stelle als herrschaftlicher Diener,<lb/> am liebsten aber einen »Vertrauensposten«, ohne eine klare Vorstellung von einem<lb/> solchen zu haben, nur um keine schwere Arbeit mehr verrichten zu dürfen. Können<lb/> sie nicht gleich eine solche Stellung erhalten, so thun sie lieber monatelang gar<lb/> nichts, als daß sie eine der vielen freien landwirtschaftlichen Stellen annähmen."<lb/> Die Sachsenstiftuug arbeite nur darauf hin, die dem Lande entstammenden Burschen<lb/> wieder aufs Land zurückzuführen, und sie habe schon manchen Erfolg erzielt. Zwei</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0348]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Der Assessor Dr. Treuter aus Halle, Vertreter der Landwirtschaftskammer der
Provinz Sachsen, legt dar, daß die städtischen Arbeitsnachweise den Landwirten
nichts nützen können. Diese müßten ihre eignen Arbeitsnachweise haben. In der
Provinz Sachsen habe vor sieben Jahren der landwirtschaftliche Zentralverein einen
begründet, und die Rechtsnachfolgerin des Vereins, die Landwirtschaftskammer, habe
ihn vor drei Jahren übernommen und ausgebaut. Ein Arbeitsnachweis, der nicht
von Landwirten geleitet werde, könne die Landwirte nicht gut bedienen. Denn es
gehöre die genauste Sachkenntnis dazu, zu beurteilen, ob ein Arbeiter für eine be¬
stimmte Stelle geeignet sei. Zur Landarbeit werde weit größere Geschicklichkeit er¬
fordert, als zu den meisten industriellen Arbeiten, und außerdem größere Körper¬
kraft; städtische Arbeitslose seien, schon weil ihnen die Körperkraft fehle, auf dem
Lande schlechterdings gar nicht zu gebrauchen. Zudem seien die Erfordernisse für
die verschiednen Verrichtungen und für verschiedne Wirtschaften so verschieden, daß
manchmal ein Arbeiter, der sich in dem einen Dienste ganz gut bewährt habe, für
einen andern nichts tauge. Die Gründe, die in der Industrie gegen einen bloß
aus Unternehmern bestehenden Arbeitsnachweis sprächen, seien auf dem Lande nicht
vorhanden.
Aus der langen und interessanten Debatte können wir nur wenige Äußerungen
anführen. Der Gewerkvereinsanwalt, Dr. Max Hirsch, hebt hervor, daß das
Interesse der Landwirte mit dem der städtischen Arbeiter zusammenfalle, denen ja
daran liegen müsse, Lohndrücker fern zu halten, und empfiehlt Belehrung der
Jugend über das furchtbare Elend, das den städtischen Arbeitern in vielen In¬
dustriezweigen beschieden sei. Baron von Cetto, Vertreter des deutschen Land¬
wirtschaftsrats, meint, die Belehrung sei namentlich Aufgabe des Geistlichen, der
auch Herausfinden müsse, welche von seinen Feiertngsschülern fürs Gewerbe, welche
für die Landwirtschaft sich besser eigneten. Professor Dr. Poeschel berichtet über
die Sachsenstiftung als ihr Vertreter. Diese hat es sich zur Aufgabe gemacht, „ge¬
dienten Soldaten, die ohne Verschulden stellenlos geworden, und besonders den
alljährlich im Herbst nach vorwurfsfrei erfüllter Dienstpflicht zur Reserve entlassenen
Mannschaften unentgeltlich Arbeit zu vermitteln." Es kann die Thatsache nicht
verschwiegen werden, sagt Herr Poeschel, „daß der Landwirtschaft ein großer Teil
ihrer Arbeiter durch den Militärdienst nicht nur vorübergehend entzogen, sondern
dauernd entfremdet wird (Rufe: Sehr richtig!). Es liegt mir fern, hieraus gegen
die militärischen Einrichtungen selbst einen Vorwurf abzuleiten; aber da die Truppen
aus taktischen Gründen auf die Städte konzentriert sein müssen, so lernen die jungen
Leute das Leben in der Stadt mit seinen Genüssen und Verführungen kennen, und
das eben entfremdet sie dem Lande. Ich spreche da keine Theorie aus, denn ich
stehe seit vier Jcihreu in der Praxis und habe mir viel Mühe gegeben, dem ent¬
gegen zu wirken. Wer vom Pfluge und Stalle weg zum Militärdienst gekommen
ist und dort zwei bis drei Jahre gedient hat, mag in der Regel aus der Stadt
nicht wieder hinaus. Am auffallendsten zeigt sich dies bei den Reservisten der
Kavallerieregimenter. Wenn einer mehrere Jahre hoch zu Roß gesessen hat, so
wünscht er bei seiner Entlassung allenfalls eine Stelle als herrschaftlicher Diener,
am liebsten aber einen »Vertrauensposten«, ohne eine klare Vorstellung von einem
solchen zu haben, nur um keine schwere Arbeit mehr verrichten zu dürfen. Können
sie nicht gleich eine solche Stellung erhalten, so thun sie lieber monatelang gar
nichts, als daß sie eine der vielen freien landwirtschaftlichen Stellen annähmen."
Die Sachsenstiftuug arbeite nur darauf hin, die dem Lande entstammenden Burschen
wieder aufs Land zurückzuführen, und sie habe schon manchen Erfolg erzielt. Zwei
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