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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Vie litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

Stacitsbote" bei seinem Verleger eigenhändig und aus dem Kopfe für den
folgenden Tag setzte. In Bonn gab er 1748 die erste Zeitschrift heraus unter
dem Titel: "Auszug europäischer Geschichten." Auch war er der Verfasser
eines Lustspiels, das der Kurfürst Clemens August im Schlosse zu Poppelsdorf
bei Bonn hatte aufführen lassen. Die besten Kapitel aus dem Kölnischen
Diogenes sind unstreitig: Über verliebte Narren, die Grabschriften, Madame
Friede, Altkölnische Leichenrede auf die verstorbene Jungfer Daphne. Ver¬
gleicht man damit die formlosen Arbeiten der meisten seiner Zeitgenosse",
so kann man einen bedeutenden Vorsprung zum bessern nicht verkennen. Er
fühlte vor allen Dingen die Schmach seiner Zeit, in der man deutsche Sprache
und deutsche Sitte fast ganz vergessen hatte. Seine satirische Geißel hätte
allerdings mehr Einfluß auf die betreffenden Kreise gehabt, wenn er in der
glatten Sprache eines Rabener, Zachariä oder Gärtner geredet hätte. In
Beziehung auf innern Gehalt aber übertrifft er Rabener bei weitem. Er
züchtigte die Thorheiten der vornehmen Welt und des gewöhnlichen Bürgers
mit scharfer Satire und zog das ganze litterarische Leben der damaligen Zeit
vor das Forum seiner schonungsloser Kritik. Mit einer umfassenden Welt-
und Menschenkenntnis schlägt er scharf und kräftig nach allen Richtungen um
sich. Seine philisterhafte Vaterstadt ist ihm ein Dorn im Auge, und er greift
sie an, unbekümmert darum, ob er für seine Wahrheiten bittern Haß erntet.

Die Bestrebungen Liudenborns im Verein mit der damaligen Zeitungs¬
presse vermochten indes noch nicht der Stadt Köln eine ebenbürtige Stellung
unter den litterarisch thätigen Städten des protestantischen Nordens zu sichern.
Die Vorliebe des Kölners für das Fremde fand auch in der Schauspielkunst
seinen beredten Ausdruck, da sich der vornehme und gebildete Kölner lediglich
durch die französische Aunst angezogen fühlte und daher auch französische Schan-
spielertruppen ein leichtes Spiel hatten, einheimische Komödianten zu vertreiben.
Als aber die deutsche Litteratur ihre schönsten Blüten entfaltet hatte, wuchs
auch für Köln ein Mann heran, der sich von der Engherzigkeit und Abseits¬
stellung mit kühnem Wagemut losriß und seine Vaterstadt auf eine Stellung
erhob, die jeglichen Vorwurf des Obskurantismus verstummen machte; und
dieser echt deutsche, rheinische Mann war Ferdinand Franz Wallraf.*) In
seinen Reformbestrebungen kam es ihm vor allem darauf an, die deutsche
Sprache wieder in ihre Rechte einzusetzen; die deutsche Sprache wollte er um
ihrer selbst willen in sorgsame Pflege genommen wissen, sie sollte der niedrigen
Stellung entrückt werden, in der sie bis dahin nur Mägdedienste im Interesse
ihrer lateinischen Schwester verrichtet hatte.

In der "Denkschrift in Bezug auf die Gründung einer Rhein-Universität,"
die Wallraf im Jahre 1815 als "ratio pro clomo veröffentlichte, wird unter V be-



*) Geboren L0, Juli 1748, gestorben 18, März 1,824,
Vie litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

Stacitsbote" bei seinem Verleger eigenhändig und aus dem Kopfe für den
folgenden Tag setzte. In Bonn gab er 1748 die erste Zeitschrift heraus unter
dem Titel: „Auszug europäischer Geschichten." Auch war er der Verfasser
eines Lustspiels, das der Kurfürst Clemens August im Schlosse zu Poppelsdorf
bei Bonn hatte aufführen lassen. Die besten Kapitel aus dem Kölnischen
Diogenes sind unstreitig: Über verliebte Narren, die Grabschriften, Madame
Friede, Altkölnische Leichenrede auf die verstorbene Jungfer Daphne. Ver¬
gleicht man damit die formlosen Arbeiten der meisten seiner Zeitgenosse»,
so kann man einen bedeutenden Vorsprung zum bessern nicht verkennen. Er
fühlte vor allen Dingen die Schmach seiner Zeit, in der man deutsche Sprache
und deutsche Sitte fast ganz vergessen hatte. Seine satirische Geißel hätte
allerdings mehr Einfluß auf die betreffenden Kreise gehabt, wenn er in der
glatten Sprache eines Rabener, Zachariä oder Gärtner geredet hätte. In
Beziehung auf innern Gehalt aber übertrifft er Rabener bei weitem. Er
züchtigte die Thorheiten der vornehmen Welt und des gewöhnlichen Bürgers
mit scharfer Satire und zog das ganze litterarische Leben der damaligen Zeit
vor das Forum seiner schonungsloser Kritik. Mit einer umfassenden Welt-
und Menschenkenntnis schlägt er scharf und kräftig nach allen Richtungen um
sich. Seine philisterhafte Vaterstadt ist ihm ein Dorn im Auge, und er greift
sie an, unbekümmert darum, ob er für seine Wahrheiten bittern Haß erntet.

Die Bestrebungen Liudenborns im Verein mit der damaligen Zeitungs¬
presse vermochten indes noch nicht der Stadt Köln eine ebenbürtige Stellung
unter den litterarisch thätigen Städten des protestantischen Nordens zu sichern.
Die Vorliebe des Kölners für das Fremde fand auch in der Schauspielkunst
seinen beredten Ausdruck, da sich der vornehme und gebildete Kölner lediglich
durch die französische Aunst angezogen fühlte und daher auch französische Schan-
spielertruppen ein leichtes Spiel hatten, einheimische Komödianten zu vertreiben.
Als aber die deutsche Litteratur ihre schönsten Blüten entfaltet hatte, wuchs
auch für Köln ein Mann heran, der sich von der Engherzigkeit und Abseits¬
stellung mit kühnem Wagemut losriß und seine Vaterstadt auf eine Stellung
erhob, die jeglichen Vorwurf des Obskurantismus verstummen machte; und
dieser echt deutsche, rheinische Mann war Ferdinand Franz Wallraf.*) In
seinen Reformbestrebungen kam es ihm vor allem darauf an, die deutsche
Sprache wieder in ihre Rechte einzusetzen; die deutsche Sprache wollte er um
ihrer selbst willen in sorgsame Pflege genommen wissen, sie sollte der niedrigen
Stellung entrückt werden, in der sie bis dahin nur Mägdedienste im Interesse
ihrer lateinischen Schwester verrichtet hatte.

In der „Denkschrift in Bezug auf die Gründung einer Rhein-Universität,"
die Wallraf im Jahre 1815 als «ratio pro clomo veröffentlichte, wird unter V be-



*) Geboren L0, Juli 1748, gestorben 18, März 1,824,
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[0324] Vie litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert Stacitsbote" bei seinem Verleger eigenhändig und aus dem Kopfe für den folgenden Tag setzte. In Bonn gab er 1748 die erste Zeitschrift heraus unter dem Titel: „Auszug europäischer Geschichten." Auch war er der Verfasser eines Lustspiels, das der Kurfürst Clemens August im Schlosse zu Poppelsdorf bei Bonn hatte aufführen lassen. Die besten Kapitel aus dem Kölnischen Diogenes sind unstreitig: Über verliebte Narren, die Grabschriften, Madame Friede, Altkölnische Leichenrede auf die verstorbene Jungfer Daphne. Ver¬ gleicht man damit die formlosen Arbeiten der meisten seiner Zeitgenosse», so kann man einen bedeutenden Vorsprung zum bessern nicht verkennen. Er fühlte vor allen Dingen die Schmach seiner Zeit, in der man deutsche Sprache und deutsche Sitte fast ganz vergessen hatte. Seine satirische Geißel hätte allerdings mehr Einfluß auf die betreffenden Kreise gehabt, wenn er in der glatten Sprache eines Rabener, Zachariä oder Gärtner geredet hätte. In Beziehung auf innern Gehalt aber übertrifft er Rabener bei weitem. Er züchtigte die Thorheiten der vornehmen Welt und des gewöhnlichen Bürgers mit scharfer Satire und zog das ganze litterarische Leben der damaligen Zeit vor das Forum seiner schonungsloser Kritik. Mit einer umfassenden Welt- und Menschenkenntnis schlägt er scharf und kräftig nach allen Richtungen um sich. Seine philisterhafte Vaterstadt ist ihm ein Dorn im Auge, und er greift sie an, unbekümmert darum, ob er für seine Wahrheiten bittern Haß erntet. Die Bestrebungen Liudenborns im Verein mit der damaligen Zeitungs¬ presse vermochten indes noch nicht der Stadt Köln eine ebenbürtige Stellung unter den litterarisch thätigen Städten des protestantischen Nordens zu sichern. Die Vorliebe des Kölners für das Fremde fand auch in der Schauspielkunst seinen beredten Ausdruck, da sich der vornehme und gebildete Kölner lediglich durch die französische Aunst angezogen fühlte und daher auch französische Schan- spielertruppen ein leichtes Spiel hatten, einheimische Komödianten zu vertreiben. Als aber die deutsche Litteratur ihre schönsten Blüten entfaltet hatte, wuchs auch für Köln ein Mann heran, der sich von der Engherzigkeit und Abseits¬ stellung mit kühnem Wagemut losriß und seine Vaterstadt auf eine Stellung erhob, die jeglichen Vorwurf des Obskurantismus verstummen machte; und dieser echt deutsche, rheinische Mann war Ferdinand Franz Wallraf.*) In seinen Reformbestrebungen kam es ihm vor allem darauf an, die deutsche Sprache wieder in ihre Rechte einzusetzen; die deutsche Sprache wollte er um ihrer selbst willen in sorgsame Pflege genommen wissen, sie sollte der niedrigen Stellung entrückt werden, in der sie bis dahin nur Mägdedienste im Interesse ihrer lateinischen Schwester verrichtet hatte. In der „Denkschrift in Bezug auf die Gründung einer Rhein-Universität," die Wallraf im Jahre 1815 als «ratio pro clomo veröffentlichte, wird unter V be- *) Geboren L0, Juli 1748, gestorben 18, März 1,824,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/324>, abgerufen am 23.07.2024.