Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

einen Hain mit Lessings Grabmal im Hintergrunde dar. Zwei Musen standen
klagend angelehnt, der Genius der Unsterblichkeit vollendete mit dem Griffel
die Inschrift: ^.et astra,. Im Jahre 1788 übernahm Karl August Dobler mit
der "hochfürstlich Fürstenbergischen Hofschauspielergesellschaft" das Kölner
Theater. Ihre erste Vorstellung war Lessings Miß Sara Sampson. Schon
zehn Jahre vorher machte die Metternichsche Buchhandlung*) bekannt, daß der
Theater-Kalender von Gotha bei ihr zu kaufen sei, ein Beweis, daß sich die
Bewohner Kölns für das Theater sehr interessiert haben, und das künstlerische
Leben dort nicht so trostlos gewesen sein muß, wie man bei den bewegten
politischen Zeiten vermuten sollte. Das ständige Schauspielrepertoire brachte
Stücke von Schiller, Goethe und Lessing. Es ist also damals in Köln so ganz
dunkel nicht gewesen.

Sehen wir uns nun auf dem Gebiete der schöpferischen litterarischen
Thätigkeit der Kölner um.

Unter den etwa 200 Schriften,**) die zwischen 1700 und 1750 in Köln
gedruckt wurden, waren in deutscher Sprache nur einige Gelegenheitsgedichte,
darunter der "Kölnische Diogenes." Nach 1753 finden wir die ersten in
deutscher Sprache geschriebnen Schulbücher, die erste biblische Geschichte, 1761
eine kleine Weltgeschichte usw. Im Jahre 1742 erschien bei G. A. Schauberg
der "Kölnische Diogenes" des Liederdichters und Satirikers Heinrich Linden¬
born,***) ein Buch, dem man bei objektiver Würdigung einen ehrenvollen
Platz in der deutschen Litteraturgeschichte nicht wird versagen können. Man
hatte sich damals in die Ansicht hineingelebt, daß der katholischen Welt jede
Berechtigung auf dem Gebiete der erwachenden deutschen Litteratur abgesprochen
werden müsse. Die Leipziger Messe hatte den ganzen Norden Deutschlands für
sich in Beschlag genommen und dadurch den Schriften Lindenborns die Ver¬
breitung im Norden abgeschnitten. Sein Name ist daher über die Mauern seiner
Vaterstadt hinaus unbekannt geblieben. Er steckt noch teilweise in dem Schmutze
der schlechten satirischen Schriften des siebzehnten Jahrhunderts, die Sprache
ist mitunter rauh und holprig. Wir müssen geradezu die große Belesenheit
dieses Schriftstellers in den griechischen und römischen Klassikern bewundern.
Seine Prosa gewann auf die damalige Schreibart großen Einfluß. Er war
ein Schriftsteller, der aus dem Stegreif schaffte; es wird von ihm berichtet,
daß er sonar nicht selten sein von ihm redigiertes Wochenblatt "Der Kölnische





Köln hatte 1770 schon vier Buchhandlungen mit eignen Druckereien, außerdem noch
zehn Druckereien.
Während der Mainzer Revolution 1790--!)3 zur Zeit der Klubbisten erschienen in
Mainz in zwei Jahren (1702 und 1703) mehr als 120 Flugschriften und Abhandlungen poli¬
tischer Natur. Ein Beweis, daß man dort litterarisch sehr rege gewesen ist, wenn auch nicht
gerade auf schöngeistigen Gebiete,
Doktor der Philosophie, geb. ", Juni 171L,
Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert

einen Hain mit Lessings Grabmal im Hintergrunde dar. Zwei Musen standen
klagend angelehnt, der Genius der Unsterblichkeit vollendete mit dem Griffel
die Inschrift: ^.et astra,. Im Jahre 1788 übernahm Karl August Dobler mit
der „hochfürstlich Fürstenbergischen Hofschauspielergesellschaft" das Kölner
Theater. Ihre erste Vorstellung war Lessings Miß Sara Sampson. Schon
zehn Jahre vorher machte die Metternichsche Buchhandlung*) bekannt, daß der
Theater-Kalender von Gotha bei ihr zu kaufen sei, ein Beweis, daß sich die
Bewohner Kölns für das Theater sehr interessiert haben, und das künstlerische
Leben dort nicht so trostlos gewesen sein muß, wie man bei den bewegten
politischen Zeiten vermuten sollte. Das ständige Schauspielrepertoire brachte
Stücke von Schiller, Goethe und Lessing. Es ist also damals in Köln so ganz
dunkel nicht gewesen.

Sehen wir uns nun auf dem Gebiete der schöpferischen litterarischen
Thätigkeit der Kölner um.

Unter den etwa 200 Schriften,**) die zwischen 1700 und 1750 in Köln
gedruckt wurden, waren in deutscher Sprache nur einige Gelegenheitsgedichte,
darunter der „Kölnische Diogenes." Nach 1753 finden wir die ersten in
deutscher Sprache geschriebnen Schulbücher, die erste biblische Geschichte, 1761
eine kleine Weltgeschichte usw. Im Jahre 1742 erschien bei G. A. Schauberg
der „Kölnische Diogenes" des Liederdichters und Satirikers Heinrich Linden¬
born,***) ein Buch, dem man bei objektiver Würdigung einen ehrenvollen
Platz in der deutschen Litteraturgeschichte nicht wird versagen können. Man
hatte sich damals in die Ansicht hineingelebt, daß der katholischen Welt jede
Berechtigung auf dem Gebiete der erwachenden deutschen Litteratur abgesprochen
werden müsse. Die Leipziger Messe hatte den ganzen Norden Deutschlands für
sich in Beschlag genommen und dadurch den Schriften Lindenborns die Ver¬
breitung im Norden abgeschnitten. Sein Name ist daher über die Mauern seiner
Vaterstadt hinaus unbekannt geblieben. Er steckt noch teilweise in dem Schmutze
der schlechten satirischen Schriften des siebzehnten Jahrhunderts, die Sprache
ist mitunter rauh und holprig. Wir müssen geradezu die große Belesenheit
dieses Schriftstellers in den griechischen und römischen Klassikern bewundern.
Seine Prosa gewann auf die damalige Schreibart großen Einfluß. Er war
ein Schriftsteller, der aus dem Stegreif schaffte; es wird von ihm berichtet,
daß er sonar nicht selten sein von ihm redigiertes Wochenblatt „Der Kölnische





Köln hatte 1770 schon vier Buchhandlungen mit eignen Druckereien, außerdem noch
zehn Druckereien.
Während der Mainzer Revolution 1790—!)3 zur Zeit der Klubbisten erschienen in
Mainz in zwei Jahren (1702 und 1703) mehr als 120 Flugschriften und Abhandlungen poli¬
tischer Natur. Ein Beweis, daß man dort litterarisch sehr rege gewesen ist, wenn auch nicht
gerade auf schöngeistigen Gebiete,
Doktor der Philosophie, geb. », Juni 171L,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230009"/>
          <fw type="header" place="top"> Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1296" prev="#ID_1295"> einen Hain mit Lessings Grabmal im Hintergrunde dar. Zwei Musen standen<lb/>
klagend angelehnt, der Genius der Unsterblichkeit vollendete mit dem Griffel<lb/>
die Inschrift: ^.et astra,. Im Jahre 1788 übernahm Karl August Dobler mit<lb/>
der &#x201E;hochfürstlich Fürstenbergischen Hofschauspielergesellschaft" das Kölner<lb/>
Theater. Ihre erste Vorstellung war Lessings Miß Sara Sampson. Schon<lb/>
zehn Jahre vorher machte die Metternichsche Buchhandlung*) bekannt, daß der<lb/>
Theater-Kalender von Gotha bei ihr zu kaufen sei, ein Beweis, daß sich die<lb/>
Bewohner Kölns für das Theater sehr interessiert haben, und das künstlerische<lb/>
Leben dort nicht so trostlos gewesen sein muß, wie man bei den bewegten<lb/>
politischen Zeiten vermuten sollte. Das ständige Schauspielrepertoire brachte<lb/>
Stücke von Schiller, Goethe und Lessing. Es ist also damals in Köln so ganz<lb/>
dunkel nicht gewesen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1297"> Sehen wir uns nun auf dem Gebiete der schöpferischen litterarischen<lb/>
Thätigkeit der Kölner um.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1298" next="#ID_1299"> Unter den etwa 200 Schriften,**) die zwischen 1700 und 1750 in Köln<lb/>
gedruckt wurden, waren in deutscher Sprache nur einige Gelegenheitsgedichte,<lb/>
darunter der &#x201E;Kölnische Diogenes." Nach 1753 finden wir die ersten in<lb/>
deutscher Sprache geschriebnen Schulbücher, die erste biblische Geschichte, 1761<lb/>
eine kleine Weltgeschichte usw. Im Jahre 1742 erschien bei G. A. Schauberg<lb/>
der &#x201E;Kölnische Diogenes" des Liederdichters und Satirikers Heinrich Linden¬<lb/>
born,***) ein Buch, dem man bei objektiver Würdigung einen ehrenvollen<lb/>
Platz in der deutschen Litteraturgeschichte nicht wird versagen können. Man<lb/>
hatte sich damals in die Ansicht hineingelebt, daß der katholischen Welt jede<lb/>
Berechtigung auf dem Gebiete der erwachenden deutschen Litteratur abgesprochen<lb/>
werden müsse. Die Leipziger Messe hatte den ganzen Norden Deutschlands für<lb/>
sich in Beschlag genommen und dadurch den Schriften Lindenborns die Ver¬<lb/>
breitung im Norden abgeschnitten. Sein Name ist daher über die Mauern seiner<lb/>
Vaterstadt hinaus unbekannt geblieben. Er steckt noch teilweise in dem Schmutze<lb/>
der schlechten satirischen Schriften des siebzehnten Jahrhunderts, die Sprache<lb/>
ist mitunter rauh und holprig. Wir müssen geradezu die große Belesenheit<lb/>
dieses Schriftstellers in den griechischen und römischen Klassikern bewundern.<lb/>
Seine Prosa gewann auf die damalige Schreibart großen Einfluß. Er war<lb/>
ein Schriftsteller, der aus dem Stegreif schaffte; es wird von ihm berichtet,<lb/>
daß er sonar nicht selten sein von ihm redigiertes Wochenblatt &#x201E;Der Kölnische</p><lb/>
          <note xml:id="FID_76" place="foot"> Köln hatte 1770 schon vier Buchhandlungen mit eignen Druckereien, außerdem noch<lb/>
zehn Druckereien.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_77" place="foot"> Während der Mainzer Revolution 1790&#x2014;!)3 zur Zeit der Klubbisten erschienen in<lb/>
Mainz in zwei Jahren (1702 und 1703) mehr als 120 Flugschriften und Abhandlungen poli¬<lb/>
tischer Natur. Ein Beweis, daß man dort litterarisch sehr rege gewesen ist, wenn auch nicht<lb/>
gerade auf schöngeistigen Gebiete,</note><lb/>
          <note xml:id="FID_78" place="foot"> Doktor der Philosophie, geb. », Juni 171L,</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0323] Die litterarische Bildung am Rhein im vorigen Jahrhundert einen Hain mit Lessings Grabmal im Hintergrunde dar. Zwei Musen standen klagend angelehnt, der Genius der Unsterblichkeit vollendete mit dem Griffel die Inschrift: ^.et astra,. Im Jahre 1788 übernahm Karl August Dobler mit der „hochfürstlich Fürstenbergischen Hofschauspielergesellschaft" das Kölner Theater. Ihre erste Vorstellung war Lessings Miß Sara Sampson. Schon zehn Jahre vorher machte die Metternichsche Buchhandlung*) bekannt, daß der Theater-Kalender von Gotha bei ihr zu kaufen sei, ein Beweis, daß sich die Bewohner Kölns für das Theater sehr interessiert haben, und das künstlerische Leben dort nicht so trostlos gewesen sein muß, wie man bei den bewegten politischen Zeiten vermuten sollte. Das ständige Schauspielrepertoire brachte Stücke von Schiller, Goethe und Lessing. Es ist also damals in Köln so ganz dunkel nicht gewesen. Sehen wir uns nun auf dem Gebiete der schöpferischen litterarischen Thätigkeit der Kölner um. Unter den etwa 200 Schriften,**) die zwischen 1700 und 1750 in Köln gedruckt wurden, waren in deutscher Sprache nur einige Gelegenheitsgedichte, darunter der „Kölnische Diogenes." Nach 1753 finden wir die ersten in deutscher Sprache geschriebnen Schulbücher, die erste biblische Geschichte, 1761 eine kleine Weltgeschichte usw. Im Jahre 1742 erschien bei G. A. Schauberg der „Kölnische Diogenes" des Liederdichters und Satirikers Heinrich Linden¬ born,***) ein Buch, dem man bei objektiver Würdigung einen ehrenvollen Platz in der deutschen Litteraturgeschichte nicht wird versagen können. Man hatte sich damals in die Ansicht hineingelebt, daß der katholischen Welt jede Berechtigung auf dem Gebiete der erwachenden deutschen Litteratur abgesprochen werden müsse. Die Leipziger Messe hatte den ganzen Norden Deutschlands für sich in Beschlag genommen und dadurch den Schriften Lindenborns die Ver¬ breitung im Norden abgeschnitten. Sein Name ist daher über die Mauern seiner Vaterstadt hinaus unbekannt geblieben. Er steckt noch teilweise in dem Schmutze der schlechten satirischen Schriften des siebzehnten Jahrhunderts, die Sprache ist mitunter rauh und holprig. Wir müssen geradezu die große Belesenheit dieses Schriftstellers in den griechischen und römischen Klassikern bewundern. Seine Prosa gewann auf die damalige Schreibart großen Einfluß. Er war ein Schriftsteller, der aus dem Stegreif schaffte; es wird von ihm berichtet, daß er sonar nicht selten sein von ihm redigiertes Wochenblatt „Der Kölnische Köln hatte 1770 schon vier Buchhandlungen mit eignen Druckereien, außerdem noch zehn Druckereien. Während der Mainzer Revolution 1790—!)3 zur Zeit der Klubbisten erschienen in Mainz in zwei Jahren (1702 und 1703) mehr als 120 Flugschriften und Abhandlungen poli¬ tischer Natur. Ein Beweis, daß man dort litterarisch sehr rege gewesen ist, wenn auch nicht gerade auf schöngeistigen Gebiete, Doktor der Philosophie, geb. », Juni 171L,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/323
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/323>, abgerufen am 23.07.2024.